Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 171.

Mittwoch, den 5. September.

( Nachdrud verboten.)

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Die Sandinger Gemeinde.

Novelle von Henrit Pontoppidan.

1906

schließen. Vorher aber blieb sie einen Augenblick auf der Schwelle stehen und sah nach dem Dorf hinüber.

Da war jetzt nichts weiter zu sehen als ein dichter, weißer Dampf, der das ganze Tal erfüllte, ein mächtig kochender Strater, in deffen Mitte ein unterirdisches Zwergenvolf spielte und tanzte. Nur die Kirche ragte undeutlich auf wie ein Nebelgespenst, umgeben von ihrer weißen Kirchhofsmauer, ihren Gräbern herumdrehten.

Autorisierte Uebersetzung aus dem Dänischen von Mathilde Mann . hinter der die alten Sandinger Bauern lagen und sich in

2.

Es war ein kahler, leerer Raum mit dunklem Lehmboden und vier nackten Wänden. Auf einem Tisch zwischen zwei fleinen Fenstern stand ein Licht. Die Flamme, die in dem Zugwind, der durch die halb offene Tür strömte, hin und her flatterte, warf einen krankhaften, fahlen Schein auf die eine Hälfte der Stube. Der andere Teil lag im Dunkeln.

Die kleinen Kinder waren in einer Bettbant, die an der einen Wand stand, und in der sie wie in einem Sarge lagen, zur Ruhe gebracht. Die Mutter stand da und ordnete ihre ausgezogenen Kleider, um beiseite zu legen, was, während fie schliefen, ausgebessert werden sollte. Im Hintergrund be­fand sich eine Art Alfoven, eine Aushöhlung in der Mauer, die einstmals als Backofen gedient hatte. Die alte Groß mutter war gerade im Begriff, in ihrem kurzen, groben Hemd, das ebenso schwarz von Schmuß war wie ihr kleiner, welfer Störper da hinaufzukriechen.

Denn es gab eine Zeit, in der hier ein ganz anderes Volf zwischen diesen Hügeln wohnte, ein einfaches und be­sonnenes Volf, dem die Dorfscheide die Grenze der Welt be­deutete. Sie hatten nicht viele Worte gehabt, geschweige denn Gesänge. Sie sorgten für sich selbst, dienten ihrem Gott, indem sie dem Pfarrer sein Opfer bezahlten und er achteten es im übrigen als ihre Lebensaufgabe, Ochsen zu mästen.

Aber dann vor ungefähr zwanzig Jahren war der alte Pfarrer gestorben und Pastor Momme war zu der Gemeinde gekommen und mit ihm der neue Christenglaube, von dem die alten Sandinger Bauern nur so viel verstanden, daß er von einem Mann in Kopenhagen , namens Grundtbig, ge­macht war. Aber die Jungen in der Umgegend begriffen bald mehr. Sie scharten sich um den neuen Geistlichen und seine fröhliche Verkündigung in der Kirche und in den Ver­Labs der Mann saß hinter dem Licht, die Arme sammlungen, die er im Garten des Pfarrhofes und ander auf dem Tisch, und faute langsam mit seinen breiten Kiefern. wärts abhalten ließ. Und bald brach jene große Zeit des Als er mit dem Essen fertig war, nahm er die eiserne Gabel Kampfes an, von der Pastor Momme jest so oft auf seine aus der Bratpfanne, die vor ihm stand, und fing an, damit vergnügliche Weise erzählte, wie er mit den alten, zähen in seinen Zähnen herumzustochern. Bei dieser Arbeit sentten Sandingern ringen" mußte. sich seine Augenlider tiefer und tiefer herab. Der erstickende Damals war es auch offenbar geworden, welche reichen Geruch in der Stube, der aus Menschenausdünstungen, Heu- Fähigkeiten in Freischullehrer Povelsen schlummerten. Diese duft und brenzeligem Fett zusammengesetzt war, machte ihn apostolische Persönlichkeit war anfänglich ein einfacher Schuh­schläfrig. Im Grunde schlief er bereits. macher gewesen, der sich durch seinen Pfriem ernährt hatte, Auf der Bank hinter dem Ofen saß Boel, den Kopf gegen fo wie Paulus . Aeltere Leute konnten sich seiner noch als die Wand gelegt. Auch sie hatte die Augen geschlossen. Ihre Wangen waren bleich. Denn draußen klang abermals der Gesang von der Freischule herüber. Und beständig jubelte er über das Glück des Lebens und die seligen Wonnen des Glaubens.

Blöglich erschienen zwei Farbenflecke auf ihren Wangen. Im Traum fühlte sie sich fortgetragen aus all diefem Elend, das sie umgab, in eine Welt emporgehoben, wo alles Güte, Liebe, Lust und Glück war. Aber nur eine halbe Minute war es ihr vergönnt, in diesem Traumparadies zu verweilen. Der Laut der mütterlichen Schritte durch das Zimmer erweckte sie, und sie fuhr zusammen.

Nach einer Weile erhob sie sich mit einem furzen Gute­nacht und eilte in eine dunkle Stammer jenseits der Stube, eigentlich ein Torfraum, der ihr als Schlafstelle diente.

Der Vater, der ebenfalls erwacht war, sah ihr mit seinen verblichenen Augen nach. Er legte seine Gabel nieder, holte einen halb ausgetauten Briem aus der Westentasche und fagte:

" Ich finde, Boel sieht mies aus. Was meinst Du, Lone?"

Die Frau erwiderte nichts. Und dann wurde nicht weiter über die Sache gesprochen.

Jezt stand Lavs auf, schlug das Federkissen über dem breiten Strohbett an der Wand zurück und fing an, sich aus­zuziehen. Als er auf dem Bettrande saß, die Beinkleider bis auf die Beine herabgezogen, sagte er obgleich er vor Müdig­feit faum sprechen konnte:

-

Ja, ja, Lone!- Es ist am End' doch was da an. Die Erhebung des Geistes, wie der Pastor sagt. Glaubst Du nich' Ich find' ja nu­

Weiter fam er nicht. Er war unter das Federkissen ge­frochen und schnarchte schon.

Lone machte sich noch eine Weile in der Stube zu schaffen, sie räumte auf. Da war noch so vieles, was sie tun mußte, che sie zu Bett gehen konnte. Es wurde oft lange über Mitternacht, ehe sie fertig war für die, die schliefen, zu stopfen und zu flicken.

Zuerst ging sie hinaus und lauschte an Boels Tür. Und als alles dadrinnen richtig schien, wollte sie die Haustür

eines dünnen, verhungerten Menschen erinnern, der ant Fenster saß, den Pechfaden über das Ohr gehängt, und der den ganzen Tag so munter wie ein Star fang und pfiff. Aber Pastor Momme sah gar bald, daß in diesem Kind des Volkes etwas von der echten, dänischen Erdkraft des Geistes ver borgen ruhte. Durch Hülfe guter Freunde gelang es ihm, ihn auf eine Hochschule und später in ein Seminar zu schicken, von wo er nach Verlauf einiger Zeit als ernster Mann zurüd­fehrte, freilich ohne bestandenes Eramen, aber mit solider Polsterung der Glieder und einem Gottessegen von rot­braunem Bart, der ihm auf die Brust herabwallte.

Dabei sprach er mit einer poetischen Salbung, der des Schulzen reiche Tochter Marie nicht lange widerstand. Sie verlobten sich und das Brautfest wurde unter der Wonne und Begeisterung der ganzen jungen Gemeinde gefeiert.

Aber was niemand wußte, und was niemand jemals zu wissen bekam, war, daß, als Povelsen an jenem Abend nach Hause kam und zu seiner Tür herein wollte, dort auf der steinernen Fliese ein großes Mädchen mit starken Arbeits schultern und einem freideweißen Scheitel in dunklem, spiegelblankem Haar stand. Es wurde fein Wort gewechselt. Aber als sie ihre Augen in die seinen gebohrt hatte, spie sie ihm ins Gesicht und ging dann stillschweigend von dannen. Du Scheißferl!" war alles, was sie sagte.

"

Poveljen trocknete sich mit seinem Taschentuch ab, und es war seinem Gesicht später nie anzusehen, daß es Gegen­stand einer solchen Verhöhnung gewesen war. Es war im Laufe der verflossenen Jahre immer milder und milder ge­worden, einen Herzensfrieden und eine Glückseligkeit aus strahlend, die zu sehen allen Leuten so wohl tat.--

Als Lone wieder auf dem Flur stand, hörte sie irgend wo im Hause jemand flagen. Sie glaubte anfänglich, daß es eines der kleinen Kinder sei, das erwacht wäre; aber in der Stube war alles ruhig, die Kinder lagen da und pfiffen durch ihre verstopften Nasen, und der Mann hatte das Kissen ganz über die Augen gezogen und sägte ein paar gewaltige Snorren. Da begriff sie denn, daß es Boel sein mußte, die sie gehört hatte. Es war auch wohl eigentlich ein Ton wie von halbersficktem Weinen gewesen.

Sie befann sich einen Augenblick, ging dann aber zurüc