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und öffnete leise die Tür zu Boels Kammer. Im Halbdunkel teiches etwas zu; sobald sie aber den Geistlichen an dem ent­Tonnte sie gerade noch die Umrisse der Heukifte erkennen, in gegengesetzten Ende des Ganges gewahrte, beeilte sie sich und der die Tochter lag.

Schläfft Du, Boel?'

Es erfolgte feine Antwort.

Lone blieb einen Augenblick stehen. Dann ging fie entfchloffen hin und setzte sich auf den Rand der Kiste, stützte den Kopf in die Hand und sagte:

Boel, ich will mit Dir reden. Es sind Lügen, alles, was sie da drüben singen-- Nichts als Lügen und Teufelskram. Hörst Du?" Jetzt aber richtete Boel sich auf und ließ ihren Tränen freien Lauf. Und als sie erst angefangen hatte, war es ihr nicht möglich, wieder innezuhalten. Sie sagte, sie wollte, fie wäre tot. Sie sei so unglücklich, so namenlos unglücklich.

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Die Mutter fab sie erschreckt an. Was hatten sie nur einmal mit dem Kind gemacht? Sie war ja ganz aus dem Häuschen. Sie pacte sie beim Arm. Da aber wurde es erst gar arg mit Voel. Sie weinte ganz hysterisch, jammerte und schrie. Da draußen durch die Stille der Nacht klang es frisch und munter und lebensfroh:

Wir Vögel sind frei Und fröhlich dabei!" 3.

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Am nächsten Morgen, als noch alles tief im Nebel im festesten Schlummer lag, schwankte Lavs zu seiner Tür heraus, ergriff die Schaufel und taumelte schlaftrunken--­mit schweren, unsicheren Schritten durch das Dorf und auf der anderen Seite wieder heraus, vorbei an der Volksfrei­schule, durch deren offenes Fenster noch ein widerlicher Ge­stant von Schweiß und Staub drang, und weiter, die Land­Straße entlang.

stöckerte sich unter vielen Hms und Rms" und anderen hörbaren Zeichen von Gemütsbewegung vorwärts.

Es war Stine Glöcknersch, eine von Pastor Mommes Getreuen und der überall gegenwärtige Giftzahn der Ge­meinde. Der Pfarrer schäßte sie desungeachtet, weil sie da­neben etwas besaß, was er mit einem Ausdruck aus dem Ge­sangbuch als" Liederzunge" bezeichnete. Zusammen mit mehreren anderen Dorfweibern stellte sie sich täglich im Pfarr­hofe ein, um der Morgenandacht beizuwohnen. Sie fühlte sich, wie sie zu sagen pflegte, so ganz gnadenverlassen, wenn sie nicht so ein kleines gutes, himmlisches Gotteswort mit nach Hause tragen konnte, zur Erhebung der Seele unter der Last und Mühe des Tages, und außerdem gab es auch regelmäßig hinterher eine warme Tasse Kaffee und ein Stück frisch ge­backene Semmel.

Schon aus der Entfernung fonnte Pastor Momme der Frau ansehen, daß sich etwas ungewöhnliches ereignet haben mußte. Aber Stine! Um Himmels willen! Was gibt es denn nur?"

Jezt stand die Frau vor ihm, ihre kleine welfe Gestalt zitterte förmlich vor Eifer zu erzählen. Aber der schnelle Gang hatte sie so furzatmig gemacht, daß sie kein Wort her­berzubringen vermochte. Sie mußte erst wieder Luft schöpfen. Aber dann fuhr der Bericht aus ihr heraus wie der Unrat aus einem neu geborenen Kalbe:

Lones Tochter, die kleine Boel, war ganz verschwunden. Das arme Wurm, das so gern ein Kind der Gemeinde hatte werden wollen, wenn sie nur Erlaubnis dazu bekommen hätte, war unbewacht von Hause fortgegangen, und niemand wußte, wo sie war. Sie hatte sich gewiß ersäuft. Kuchen- Stines Schwesters Schwager, der draußen am Dorfanger wohnte, Erst eine ganze Weile nachdem seine Gestalt oben über hatte aus Lones Haus Schreien und Jammern gehört, als er dem schräge ansteigenden Hügel in der Richtung der Eisen- am Abend aus der Versammlung nach Hause gekommen war, bahndurchschneidung verschwunden war, begann sich ein Leben es war ganz herzzerreißend zu hören gewesen. Er war in dem Nebel über dem Dorf zu regen. Ein paar träge Holz- fest überzeugt, daß Lone ihre Tochter ärger gepiesackt hätte Schuhe klapperten in einem der Gehöfte über das Stein- wie ein Henfersknecht, so hatte das Kind gejammert. pflaster. Es wurde an eine Fensterscheibe geklopft und ein Pastor Momme fühlte sich sehr unangenehm berührt durch Name wurde gerufen. Dann wurde eine Stalltür geöffnet diese Mitteilung. Er kannte besser als irgend jemand das und das leise Wiehern einiger Pferde ward hörbar. fleine Saus an dem Abhang und das verhärtete Frauen­

Nach einer Weile klapperte ein anderes Paar Holzschuhe zimmer droben, deren Existenz von allen als Schande für die in einem anderen Gehöft und allmählich erwachten in ihnen Gemeinde empfunden wurde. Einmal über das andere hatte allen Leben und Bewegung. Hier holte ein Mädchen in einer er versucht, auf ihren verfinsterten Sinn einzuwirken; aber Nachtjacke Stroh und Reisig für den Kaffeekessel. Dort weder Ermahnungen noch Ueberredung hatten ihrem Trotz kauerte ein anderes hinter dem Hausgiebel nieder, sich ängst- gegenüber etwas auszurichten vermocht. Sogar Wohltaten lich nach allen Seiten umsehend. Die Hähne kamen auf den war sie unzugänglich gewesen. Von allen Armen der Um­Dunghaufen heraus, und draußen auf der Wiese brüllte das gegend war sie die einzige, die nie eine Handreichung aus Sungbien. der Barmherzigkeitskasse der Gemeinde hatte annehmen Aber auch in den Nebel selber kam Bewegung. Er hob wollen. Mit einer empörenden Verlegung eines der edelsten fich gleichsam, wurde leichter, heller, zuletzt ganz silberweiß. Gefühle des Menschenherzen hatte sie höhnisch jede Hülfe Als sich die Sonne endlich Bahn gebrochen hatte, schien sie zurückgewiesen. herab auf ein lebhaftes kleines Dorf mit munteren Rauchaut aus der Schule und dem Konfirmandenunterricht, und er Auch die Tochter, die kleine Boel, fannte der Pastor sehr fäulen aus allen Schornsteinen.

Pastor Momme lustwandelte in seinem Garten und sog hatte dies vernachlässigte Kind, das so aufgewedt, so lern­die frische Morgenluft ein. Er hatte Holzschuhe an den begierig und so frageeifrig war, sehr in sein Herz geschlossen. Füßen, und eine alte, ländliche Mütze hing ihm in das kleine. Er erinnerte sich aus den Konfirmandenstunden ihrer großen, Ipähende Gesicht hinein. Er summte im Gehen eine Melodie fammetdunklen Augen, die immer mit einem träumerischen bor sich hin, hatte die Hände auf dem Rücken gekreuzt und Blick auf ihn gerichtet waren- dieser Augen, die ebenjo dachte über ein kleines erbauliches Wort für die Morgen wie ihr blauschwarzes Haar die allgemeine Vermutung be­andacht nach, mit der er den Tag für sich und seinen Saus- stärkten, daß in ihren wie in der Mutter Adern Zigeuner­Stand einleitete, und zu der sich übrigens auch andere Mit- blut floß. glieder der Gemeinde einfinden konnten.

Er hielt sich gerade in einem langen, dichten Nußgang auf, der wie ein dunkles Rohr vor ihm lag. Das eine Ende war durch eine weiße Pforte verschlossen, die nach der Land­Straße hinausführte, und darüber öffnete sich die Aussicht auf eine Ede des Dorfteiches und dahinter wieder auf einen Sonnenbeschienenen Hügel eines Bauernhofes mit einem offen­stehenden Tor. Durch dieses hindurch sah man wiederum auf einen grasbewachsenen Hofraum mit einer Pumpe und einem Wassertrog und noch auf eine sonnenbeschienene Mauer mit einer Tür, die zu einem Brauhaus offenstand, wo ein Mädchen beschäftigt war, einen Kochtopf auszutragen, während sich die Hühner draußen in Scharen zusammenfanden.

( Fortsetzung folgt.)

Irrilchter.

( Nachdrud verboten).

rrlichter einen breiten Raum ein. Bald wird dort berichtet, wie In den Sagen und volfstümlichen Erzählungen nehmen die die trügerischen Flämmchen den einsamen Wanderer in den Sumpf locken, bald, wie sie dem Schakgräber das verborgene Gold und Edelgestein anzeigen, und bald wieder, wie sie geheimnisvoll und iputhaft auf verfallenen Kirchhöfen auftauchen. Die wissenschaft­lichen Meinungen über die Irrlichter haben sehr geschwankt. Zeit­weilig wurde ihre Existenz überhaupt bestritten. In neuerer Zeit Jetzt tat sich die weiße Pforte am Ende des Ganges auf. dagegen hat man die Forschungen wieder aufgenommen und ist zu Eine fleine schiefhüftige Alte fam mit Hülfe zweier Stöcke von Irrlichtern sicher stellen, sondern auch ihre Entstehung ber­Ergebnissen gelangt, die nicht nur das angezweifelte Borkommen hereingehumpelt, die sie wie ein paar Krüden vor sich hin- ständlich machen. hielt. Sie blieb erst eine Weile vor der Pforte stehen und rief Eine ausführliche Beschreibung von Jrrlichtern hat unter dem im Brauhaus beschäftigten Mädchen jenseits des Dorf- anderen Bessel, der spätere berühmte Aftronom, gegeben. Er unter­