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ältere, die lang und dünn war wie ein Darm und wie eine Küster frau auf dem Lande gekleidet ging, feierlich an ihr vorüberschritt, einen mitleidsvollen Blick auf ihr seidenes Kleid weifend.
Endlich kam sie los und eilte die Trepe hinab. Ach, Knud! Knud! Wie kannst Du es doch nur unter diesen abscheulichen Menschen aushalten!
Der, den sie so verzweifelt anrief, war derselbe, auf den sie pochenden Herzens gewartet hatte, während sie bei Frau Gylling faß, nämlich deren Sohn, der cand. jur. Knud Gylling, ein junger Mann von einigen zwanzig Jahren, der nach langem Schwanken kürzlich die Hoffnungen erfüllt hatte, die seine Mutter in ihn gesetzt, indem er als Redner im volkstümlichen Geist aufgetreten war. Bei einem großen offiziellen Festessen zu Ehren eines der demokratischen Führer in der Hauptstadt hatte er als Wortführer eines Kreises von jungen Akademikern eine Rede auf den Bauer,„ den Adel unferer Zeit" gehalten, und seine Proklamation eines feier lichen Bundes, einer Verbrüderung zwischen dem„ Arbeiter der Hand und des Geistes" hatte nicht nur einen ungeheuren Jubel bei dem Fest selbst hervorgerufen, sondern war auch hinterher in allen Zeitungen des Landes wiedergegeben und als„ ein bedeutungsvolles Zeichen der Zeit" bezeichnet worden.
Fräulein Drehling war verzweifelt gewesen an dem Morgen, als fie das Festreferat in der Zeitung las. Sie hatte sich in seinem Geiste geschämt. Sie kannte ihn seit ihrer Kindheit und wußte, wie er immer, ja noch bis ganz vor Kurzem, über den Umgangskreis der Mutter gespottet und fich über die ganze Bewegung luftig gemacht hatte. Sie hatte in der letzten Zeit ihren ganzen Einfluß angewandt, um ihn abzuhalten, Partei zu ergreifen" wie er sich mit einem Achselzucken ausdrückte dazu war er noch gar nicht reif. Aber die Macht der Mutter über ihn war zu groß gewesen. Er war nun einmal eine weiche Natur, und nur denen gegenüber hart, die sich ihm gegenüber schwach zeigten.
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Und doch konnte sie nicht lassen, ihn lieb zu haben. Ja, es war beinahe, als liebe sie ihn jest inniger, nachdem er ihr diefen großen Kummer bereitet hatte.
( Fortsetzung folgt.)
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( Nachdrud verboten.)
Das Jackett.
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Der Friedensrichter: Schön! Sie sind der Beklagte. Schweigen Sie jetzt und lassen Sie Ihren Gegner sprechen!" Madal: Ja, aber
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Der Friedensrichter:" Schweigen Sie!" Madal:„ Es gibt keine Gerechtigkeit mehr!"
Der Friedensrichter:" So schweigen Sie doch! Sie werden nachher sprechen."
Madal:" Schön! Schön! Ich bin ja schon ganz still!" Der Friedensrichter: Dargognier, Sie haben das Wort! Was verlangen Sie von Madal?"
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Dargognier: Herr Richter, ich verlange von ihm 8 Frank 50 Centimes für Reinigung und Ausbesserung eines Jadetts." Madal:„ Nicht eine Centime bezahle ich!" Dargognier:" Solch eine Unverschämtheit!"
Madal:„ Na, was unverschämtheit betrifft, da seien Sie nur ganz still!"
Dargognier:„ Oh!"
Madal:„ Stellen Sie sich vor, Herr Richter: er hat mir mein Jadett total verdorben! Ich kann's nicht mehr anziehen!- Ich bin nobel. Ich verlange feinen Schadenersak, obwohl ich's sehr gut fönnte. Er soll mich bloß in Frieden lassen, weiter nichts 1" ( Lachen im Publikum.) Der Friedensrichter:" Ich bitte um Ruhe oder ich laffe das Auditorium räumen! Also, Dargognier, Sie verlangen Bes zahlung für Reparatur-"
Dargognier:" Und Reinigung, jawohl, Herr Richter!" Der Friedensrichter: Unterbrechen Sie mich nicht immer 1 Madal behauptet, er sei Ihnen nichts schuldig?" Madal:„ Jawohl, das behaupte ich!"
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Der Friedensrichter: Wollen Sie schweigen! Also, Dargognier, begründen Sie Ihre Ansprüche! Sie find Schneider?" Madal:„ Portier ist er! Rue d'Alésia 21."
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Dargognier:" Das auch. Aber das schadet doch nichts? gibt viele Schneider, die gleichzeitig Portiers sind. Warum sollte nicht auch" auch-"
Der Friedensrichter:" Ja, das sehe ich ebenfalls nicht ein. Fahren Sie fort!"
Dargognier:" Anfang vorigen Monats tommt der Herr zu können Sie es mir reinigen und ausbeffern? Es fehlen neue mir und sagt:" Besehen Sie sich mal dieses Jackett!" fagt er. Snöpfe, neue Borte, und dann muß es fein aufgebügelt werden. Ich brauche es Sonnabend, um nach Trouville zu fahren."„ Schön!" antworte ich. Sie sollen Jhr Jackett am Sonnabend haben. Die Geschichte wird zehn Frank kosten." Da beginnt der Herr zu handeln, zu handeln na, ich sage weiter nichts! Ich bestehe auf meinem Preis. Wissen Sie, das Jackett war so schmutzig, daß man es am liebsten mit der Zange angefaßt hätte!"( Lachen im Publikum.)
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Madal:„ Na, nun hören Sie aber auf, Sie alter Schwindler! Mein Jadett soll schmuzig gewesen sein? Noch schöner! Ein wenig
Bon Paul Desclang. Autorisierte Uebersetzung aus dem abgetragen war's, weiter nichts!" Franzöfifchen von Dr. Josephsohn.
Vor dem Friedensrichter des XVI. Arrondiffements. Im Saal herrscht eine wahre Treibhaustemperatur. Der Friedensrichter trocknet sich unablässig feinen von der Hitze geröteten,
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tahlen Schädel. Der von der Mutter Natur mit einem stattlichen Bauch gefegnete Gerichtsschreiber scheint in seinem Fett zu schmoren. Der diensttuende Polizeibeamte, der in seiner viel zu engen, unbequemen Uniform Tantalusqualen leidet, hat sich ans offene Fenster gestellt, durch das ein wenig frische Luft eindringt, und atmet geräuschvoll, mit halboffenem Munde, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Nur der Gerichtsdiener, dünn und lang wie ein wandeludes Ausrufungszeichen, scheint sich in dieser Atmosphäre behaglich zu fühlen.
" Dargognier wider Madal!" schreit der Gerichtsdiener. " Zur Stelle!" antwortet ein fleiner, wohlbeleibter Alter mit bollem, rotem Gesicht, und nähert sich dem Zeugentisch. Unter dem Arm hält er ein sorgsam in schwarze Wachsleinwand gehülltes Paket.
" Hier hier!" schreit gleichzeitig mit heiserer Stimme ein großes, rothaariges Individuum und tritt, einen billigen Strohhut zwischen den Fingern drehend, ebenfalls an den Zeugentisch.
Der Friedensrichter:„ Also worum handelt es sich, meine Herren?"
Dargognier und Madal( gleichzeitig):„ Um folgendes, Herr Nichter." Der Friedensrichter:" Bitte, meine Herren, einer nach dem andern! Wer ist der Kläger ?"
Dargognier und Madal( gleichzeitig):„ Ich, Herr Richter 1"
Der Friedensrichter( in den Aften blätternd): Bitte, nicht alle beide auf einmal! Kläger ist Herr Dargognier." Dargognier: Bu dienen 1"
Madal:„ Wie? Was? Und ich? Bin ich etwa nicht Kläger ? Wozu schwitze ich denn zwei geschlagene Stunden in diesem Kaften? Berzeihung, Herr Richter, ich bin auch Kläger und ich bestehe auf meinem Recht und zwar ganz energifch!"
Der Friedensrichter: Sie sind also Madal?" Madal: Nikolaus Bittor Madal, jawohl, Herr Richter."
Dargognier: Abgetragen? Na, ich danke! Schmußig war's, sehr schmuzig! Sehen Sie, Herr Richter, ich bin bloß ein leiner Flickschneider, ich friege meistens solche schmutzigen Sachen in Arbeit: ich verstehe mich auf so etwas!"( Lachen im Auditorium.) Der Friedensrichter: Zur Sache! Sur Sache!" Dargognier: Endlich einigen wir uns auf 8 Frant 50 Centimes. Ich unterziehe das Jackett einer gründlichen Reinigung und repariere es. Am nächsten Sonnabend kommt Herr Madal und ich lege ihm meine Arbeit vor. Ausgezeichnet!" jagt er.„ Run ist es wieder wie neu!" fagt er. Aber Sie haben eine zu schmale Borte genommen.( Bu Madal:) Stimmt das?"
Madal:„ Ja, aber weiter!"
Dargognier:" Schön!" sage ich. Ich nähe Ihnen meinetwegen eine andere Borte an. In einer kleinen Stunde können Sie Ihr Jackett haben."" Ach!" meint er." Sie brauchen sich nicht zu beeilen. Ich fahre erst nächsten Sonnabend nach Trouville . Adieu!" Am nächsten Sonnabend ist die Borte tadellos, aber die Knöpfe find ihm zu klein.( Lachen im Publikum.) Jch nähe andere Knöpfe an: den Sonnabend darauf findet er die Knöpfe zu groß! ( Lachen.) Ich nähe zum dritten Male Knöpfe an und glaube, nun endlich erlöst zu sein. Ja, schöner Gedanke! Am nächsten Sonnabend kommt er wieder, probiert das Jackett an und macht mir einen Heidenkrach:" Was haben Sie mit meinem Jakett gemacht? Sie haben mir mein ganzes Jackett total verdorben! Behalten Sie Ihre Pfuscherarbeit! Dafür zahle ich nicht eine Centime!" Läuft hinaus und wirft die Tür zu, daß das ganze Haus zittert!"( Lachen im Publikum.)
Madal:„ Und mit Recht! Was würden Sie an meiner Stelle getan haben, Herr Richter?" Der Friedensrichter: Sie haben nicht das Wort!( zu Dargognier.) Haben Sie Madal nicht wiedergesehen?"
Dargognier:" Ja, einmal, Herr Richter. Ich ging zu ihm, um meine Arbeit abzuliefern und Bezahlung zu verlangen. Er hat mich schredlich angebrüllt und rausgeworfen. Seitdem be ginnt er jedesmal, wenn er mir auf der Straße begegnet, zu pfeifen und tut, als tenne er mich nicht. Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als ihn zu verflagen. Ste werden nicht zugeben, Herr Richter, daß ein guter Bürger Frankreichs , ein pünktlicher