Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 174.

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Sonnabend, den 8. September.

( Nachdruck verboten.)

Die Sandinger Gemeinde.

1906

in Jütland , zu prahlen, der einen Namen als Volksredner hatte.

2001

In Wirklichkeit saß Frau Gylling nur da und dachte an Fräulein Drehling und an ihren Vater, den Geheimen Novelle von Henrik Pontoppidan . Etatsrat, der ein Mann mit großem Einfluß, auch bei Hofe, Autorisierte Uebersetzung aus dem Dänischen von Mathilde Mann . hundertsten Mal die Vorteile und die Nachteile, die ihm aus war. Sie dachte an ihren Sohn Knud und erwog zum In Frau Gyllings Wohnstube hatte sich eine lebhafte einer Verbindung mit dem Drehlingschen Hause erwachsen Unterhaltung entsponnen. Frau Holm und Frau Krarup würden. Sie konnte niemals zu einem endgültigen Resultat waren gegangen, auch Fräulein Rosalie war von ihrem Platz in dieser wichtigen Angelegenheit kommen. am Fenster verschwunden. Dafür waren ein paar neue Gäste gekommen, zwei junge Studenten Madsen und Mollerup Söhne von ein paar Landpredigern aus Frau Gyllings Bekanntschaft.

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Der erstere war ein pausbackiger Idealist mit einer ge­waltigen Haarmähne, die er in seiner Begeisterung jeden Augenblick mit der Hand durchfurchte, so daß sie nach allen vier Himmelsgegenden abstand wie bei einem Elektrisierten. Er konnte nie ruhig auf einem Stuhl fißen, sondern stellte fich immer nach einer Weile dahinter, die Arme auf die Lehne gestützt, als sei es eine Rednerkanzel, und schleuderte von hier aus seine Bemerkungen um sich, wie ein Jupiter seine Donnerkeile. Er hatte eine wahre Leidenschaft, sich selbst reden zu hören. Obwohl er an einem Zungenfehler litt und stotterte und anstieß und über die Worte stolperte, als habe er immer das ganze Alphabet auf einmal im Munde, so konnte er es sich doch nicht versagen, zu reden. Er war, wie sein Freund, Studiosus Mollerup von ihm zu sagen pflegte, das personifizierte lebendige Wort".

Der Freund war ein langbeiniger junger Mann, der den Grundsatz hatte, nie etwas zu sagen, das nicht blutig satirisch war; weswegen er sich im allgemeinen auch darauf beschränkte, seine Mitmenschen mit einem forschenden Lächeln zu betrachten, sich selber hingegen weniger fritisch in jedem beliebigen Spiegel zu beschauen, den er in seiner Nähe ent­decken konnte. Er war jetzt so glücklich gewesen, einen Plas zu finden, von dem aus er seine ganze wohlgepflegte Person in Frau Gyllings Pfeilerspiegel erblicken konnte, und des­wegen war es berzeihlich, daß er sich zeitweise weniger auf­merksam gegen seine Nachbarin, das jüngere Fräulein Blom­berg, erwies, obwohl diese wirklich ganz allerliebst war und obendrein ziemlich von ihm eingenommen zu sein schien.

Deshalb wollte sie die Sache jetzt in die Hand des Herrn legen. Er führte doch immer alles zum Besten hinaus. Inzwischen hatte es angefangen, im Zimmer zu dämmern. Die Schatten lagen in den Ecken und unter den Stühlen und warteten förmlich auf das Dunkel, das kommen sollte. Ein klein wenig rötlicher Sonnenschein spielte oben an der einen Wand, wo der alte Grundtvig in einem Kranze von Immortellen saß, die Hände auf dem Magen. Dicht darunter saß Boel in ihrem Versteck und hörte mit strahlenden Augen alles an, was geredet wurde.

Plötzlich zuckte sie zusammen und wurde dunkelrot. Die Tür war aufgegangen und mit einem etwas nachlässigen Gruß trat ein hübscher, blonder, ein wenig forpulenter junger Mann in das Zimmer.

Es war der Sohn des Hauses, Kandidat Knud.

Jetzt war der Augenblick gekommen, wo der geheimnis­volle Studiosus Madsen es für passend erachtete, eine große Neuigkeit mitzuteilen, die er in der Hinterhand gehabt, und deren Wirkung auf die Gemüter zu beobachten er schon sehn­lichst erwartet hatte.

kündete:

Mit erhobener Stirn trat er in das Zimmer vor und ver­,, Gylling, Deine Rede ist allerhöchsten Ortes besprochen worden!"

"

Was sagen Sie?" riefen alle Damen im Chor qus. Selbst Frau Gylling bekam plöglich die Sprache wieder. Und Mollerup riß sich einen Augenblick von seinem fesselnden Spiegelbild los und fragte mit seinem allerdämonischstem Lächeln, ob er- Madsen etwa an den königlichen Schlüssellöchern gelauscht habe.

" Ich weiß es ganz bestimmt. Meine Quelle darf ich nicht nennen ich kann nur sagen, daß es ein sehr hoch­stehender Beamter bei Hofe ist, für dessen Zuverlässigkeit ich bürge."

Die Wirkung dieser Mitteilung war, was die Damen anbetraf, ganz außerordentlich. Es senfte sich eine ehr­erbietige Feierlichkeit auf das Zimmer herab. Dies war mehr, als selbst Frau Gylling zu hoffen gewagt hatte. Daß die königlichen Prinzen, vielleicht der König selber, Knuds Namen genannt hatten!

Die Unterhaltung im Zimmer hatte sich im übrigen so gleich des Themas bemächtigt, das hier sozusagen in der Luft Tag: des großen demokratischen Festessens, bei dem Kandidat Knud seine Rede auf den dänischen Bauer gehalten hatte. Frau Gylling selber hatte bei dieser Gelegenheit als eine Art Wirtin präsidiert, und das Fest war nach jeder Richtung hin ungemein wohlgelungen gewesen, ein wirklicher Triumph für die Kopenhagener Demokratie", wie man davon gesagt hatte. Das Essen war nach aller Ansicht tadellos gewesen, Frau Gylling schwieg, aber die Justizrätin sagte bewegt, nur hätte vielleicht der Lachs einen Gedanken mehr kochen eine der geistreichen Aeußerung ihres geistlichen Schwagers fönnen. Die Dekoration im Saal war außerordentlich anführend: wirkungsvoll gewesen, die Toiletten der Damen ausgewählt und die Musik gut. In diesen Umgebungen war nicht nur auf das Wohl des Bauern, sondern auch auf das des Arbeiters voller Begeisterung in Champagner getrunken und von Hurras und Fanfaren begleitet worden.

Es war jetzt die Rede davon, diesen Sieg auszunußen, und es hatte sich ein vorbereitendes Komitee gebildet, in das unter anderen auch Kandidat Knud gewählt war; aber die Pläne dieses Komitees wurden noch strenge geheim gehalten. Studiosus Madsen, der zu den Eingeweihten gehörte, ward in dieser Veranlassung von dem jüngeren Fräulein Blomberg bestürmt, das absolut wissen wollte, ob es etwas" Hoch­halsiges" oder Ausgeschnittenes" werden würde. Sie flehte schließlich auf den Knien", aber Madsen hielt tapfer stand mit einer Miene wie ein Diplomat auf der Bühne.

Während alles dessen saß Frau Gylling in ihrer ge­wohnten Weise in den Stuhl zurückgelehnt und sah sinnend vor sich hin, ohne sich im Grunde an der Unterhaltung zu be teiligen. Es sah aus, als schaue fie ahnungsvoll in die Zu­kunft des dänischen Volkes, und ihre Freundin, die Justiz rätin Blomberg, die ein wenig eifersüchtig auf ihren Ruf war, fing an, unruhig zu werden und begann, in ihrer herz­Itchen Art und Weise mit ihrem Schwager, einem Pfarrer

Ja, die Zeit geht mit großen Ereignissen schwanger." Knud selber schauspielerte Ueberlegenheit und sagte, in­dem er sich mit der Miene eines überbürdeten Staatsmannes in einen Lehnstuhl fallen ließ:

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,, Na ja etwas müssen diese Menschen doch auch zu reden haben!"

Indessen war die kleine, alte Dame wieder in das Zimmer geglitten, ebenso unbemerkt, wie sie vorhin hinaus­geglitten war. Sie saß nun wieder an ihrem Plaz am Fenster und widmete sich mit fieberhaftem Eifer ihrem Strick­zeug, als sei es ihr gänzlich gleichgültig, was um sie her vor­ging. Wenn jemand sie beobachtet hätte, würde er freilich be­merkt haben, wie sich ihr Gesicht und der lange, eingefallene Hals oft mit Blut füllten. Doch sah es so aus, als sei das nur aus Aerger über eine fallengelassene Masche oder der­gleichen, und außerdem hielt es auch niemand von den An­wesenden der Mühe wert, Notiz von ihr zu nehmen.

Aber plötzlich gerade als Frau Blomberg und ihre Tochter da saßen und durcheinander über den Hof und seine eventuelle Eroberung für die volksmäßige Lebensanschauung sprachen- ertönte vom Fenster her eine laute, ärgerliche Stimme, die man der alternden kleinen Dame von selber nicht zugetraut haben würde:

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