Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 175.

Dienstag, den 11. September.

( Nachdruck verboten.)

6] Die Sandinger Gemeinde.

Novelle von Henrik Pontoppidan . Autorisierte Uebersetzung aus dem Dänischen von Mathilde Mann . Autorisierte Uebersetzung aus dem Dänischen von Mathilde Mann .

5.

" Dreckstraße" hieß im Volksmunde eine enge Gasse, die sich von einer der Kopenhagener Schiffsbrücken zwischen ein paar Kontorgebäude hineinschob. Sie hatte in Wirklichkeit einen weit wohlflingenderen Namen, der indes nur in offi­ziellen Schreiben und in der Bürgervertretung figurierte. Schmutzig und ohne Sonne, mit nur einem Rinnstein und einem ganz mittelalterlichen Pflaster, durchschnitt sie einen fleinen, halbverrotteten Ueberrest eines alten Stadtteils, für dessen Abscheulichkeit die erwähnten Kontorgebäude eine prächtige Schirmwand bildeten.

Ungefähr in der Mitte der Straße lag das älteste und finsterste Haus. Es war hoch und schmal und hatte eine un­bestimmbare grünlich gelbe Farbe, ungefähr wie ein alter Käse. Das Erdgeschoß lag ganz tief auf der Straße, so daß der untere Rand der Fenster sich in einer Linie mit dem Pflaster befand. Deffnete man die niedrige Tür, so ertönte eine Glocke mit dumpfem Klang.

Es war Madam Jakobsens Wirtschaft und Logierhaus: Das kleine Schifferhaus".

Lebhaft genug ging es hier sonst her, denn Madam Jakobsens Geschäft war nicht nur das älteste, sondern auch das gesuchteste im ganzen Stadtteil.

Die Gaststube war groß und namentlich sehr tief, aber so niedrig, daß ein großer Mann schwerlich aufrecht unter der Decke stehen konnte. Der Tabakrauch und Küchendunst hing wie ein braunblauer Nebel über den Köpfen der Gäste, die an kleinen Tischen längs der Seitenwände saßen.

1906

Unter allen diesen Menschen gab es jedoch eine be­stimmte Clique, die ein gewisses Herrscherrecht in der Wirt­schaft ausübte und unter anderem ganz selbstverständlich in das Lokal" zugelassen wurde, selbst wenn der vordere Raum ganz leer war. Das waren die Kohlenträger, Kalkfutscher und ähnliche Arbeiter von der Brücke, ebenso die Bauhand­werker, die zufällig Arbeit in der Nähe hatten, Leute, für die fünfundzwanzig Dere Kleingeld waren und die sich des­wegen der ganz besonderen Gunst Madam Jakobsens wie der hübschen Oline erfreuen konnten.

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Gleich am Morgen nahmen sie unter großem Spektakel das" Lokal" in Besit, indem sie einer nach dem andern hereingetrabt famen und mit rauher Stimme ihren Morgen­bittern verlangten, und späterhin am Tage konnte man immer sicher sein, eine größere oder kleinere Zahl von diesen fohlengeschwärzten, fallbestäubten Leuten anzutreffen, die mit der Zigarre im Munde um die Bierflaschen oder den kleinen Schwarzen" dasaßen und Karten spielten.

Beim Einbrechen der Dunkelheit verschwanden sie, wie Ein schwerer und feuchter Hauch von warmem Brant- denn überhaupt der Abend die tote Zeit für die Wirtschaft wein trieb von einer am hinterstein Ende gelegenen war. Da war hier der Zufluchtsort für die kleinen Hand­Brennerei beständig durch die Gasse, und der Rinnstein werfer der Nachbarschaft, die nach beendeter Arbeitszeit hier dampfte mehrmals am Tage von heißem Wasser, das von dort her famen, um Frieden vor der Frau und den Kindern zu durch ein langes Blechrohr ausgespien wurde. Die Häuser haben, oder um einen warmen Platz zu finden, wo sie ihre auf beiden Seiten sahen aus, als seien sie mit dieser Brannt- Beitung lesen konnten, oder ganz einfach, um zu trinten. weins feuchtigkeit durchzogen. Mürbe und schief, mit großen Es waren Männer wie der alte Schuster Semberlin, der Flecken an den Mauern und schmutzigen Fenstern erinnerten jeden Abend, wenige Minuten nachdem er seinen kleinen fie an Trunkenbolde, die wütend, mit umnebelten Blicken zu- Stellerladen in der Bootsmannstraße geschlossen hatte, mit einander hinüberschielten. einer behenden Bewegung zur Tür hereinschlüpfte, seinen Hut an einen Nagel am Ofen hängte, mit zwei steifen Händen vorsichtig glättend über seine glänzend schwarze Berücke fuhr( die wie mit Wichse geschwärzt aussah), seine Beinkleider in die Höhe zog und sich endlich mit großer Um­ständlichkeit auf dem Stuhl niederließ, wo er dann bis zum Schluß der Wirtschaft siten blieb, denselben Num- Grog vor fich, fich hin und her wiegend, die langen, dürren Hände zwischen die Knie gesteckt, während sein fleines, runzeliges Gesicht die merkwürdigsten Grimassen schnitt, als ob er mit sich selber über etwas debattiere. Es waren arme Kerls, wie der Drehorgelspieler Ole Nielsen von den Düppler Schanzen, der auf seinem hölzernen Bein ebenso regelmäßig hier hereinhumpelte mit seinem berühmten Kasten", der vier nationale Melodien mit Trommel und Horn enthielt. über den er mit einem finsteren, schwermütigen Argwohn wachte, der im Verhältnis mit seiner Trunkenheit zunahm. Sein friegerischer Sinn wurde nur von dem Respekt für In der Dunkelheit des Hintergrundes stand der Schenk- Madam Jakobsen im Zaum gehalten, denn wo es sich um tisch mit hochaufgestapelten Flaschen und Gläsern und da- die Ehre ihres Geschäfts handelte, war nicht mit ihr zu hinter thronte in einem Korbstuhl Madam Jakobsens scherzen. Jedermann wußte, wie sie einmal in eigener Person monumentale Gestalt, schwach beleuchtet von einer kleinen einen großen Kohlenträger zur Tür hinausgeworfen hatte, Lampe , die beständig über der Geldschieblade brannte. weil er sie in verblümter Weise daran erinnert hatte, daß Hier verkehrten vielerlei Leute. Namentlich an falten sie bei einer gewissen Gelegenheit wegen Kuppelei angeklagt Wintertagen, wo hier die Wärmftube für die Hafenarbeiter, gewesen war. Kohlenträger, Fuhrmannskutscher, Dienstmänner, Ver Hin und wieder konnten ja einmal ein paar zufällige fäuferinnen und hintende Drehorgelspieler der ganzen Um Gäste von der Straße hereinschneien, oder ein halb­gegend war, konnten die Tische so bejezt sein, daß Madam betrunkener Hafenarbeiter, der die Sitten des Hauses nicht Jakobsen noch das Lokal" aufmachen mußte, ein fleines, fannte, fonnte vor seinem Bier dasigen und drudsen und lauf daneben gelegenes Zimmer, das etwas heller und nobler losbrüllen oder singen, bis er zu seiner größesten Ueber­war, mit grauangestrichenen Wänden und einem großen raschung und seinem maßlofen Schrecken hinausgeworfen Deldruck- Prämienblatt über einem Wachstuchsofa. Wer die wurde. Aber im allgemeinen verliefen die Abende äußerst Ehre genoß, hier untergebracht zu werden, wo man weder an friedlich, ja Madam Jacobsen saß meistens hinter dem Schenk­die Erde spucken noch die Pfeifen ausklopfen und auch nicht tisch und schlief, während Oline in einer Ede am Halse ihres mit Kreide auf den Tisch schreiben durfte, empfand das in Freundes" hing, eines jungen, blassen Burschen mit der Regel als eine Verpflichtung, etwas extra zum Getränk gläsernen Augen, der ihre Lieblojungen mit einem gesättigten zu nehmen, ein Stüd Preßkopf oder eine warme Kalbs- Lächeln hinnahm. Die Stille fonnte dann so tief sein, daß leber. Und dies verlockte wieder andere draußen in dem man nichts hörte als die kleinen, bestimmten aufflatschenden äußeren Zimmer, so daß es im allgemeinen ein gutes Ge- Laute von dem undichten Hahn einer Biertonne irgendwo schäft wurde, sowohl für Madam Jakobsen, wie auch für die hinter dem Schenktisch, von dem die Tropfen in regelmäßigen Kellnerin Oline, die hübsche Oline mit der mächtigen Zwischenräumen in eine Schale auf dem Fußboden fielen, Haarfrisur, dem ausgeschnittenen Kleid und den dicken und man konnte es fast als Spektafel empfinden, wenn einer Kohlenstrichen unter den Augen. Sie strich bei solchen Ge- der Gäste fich im Halbschlaf mit einem Geräusch von steifen legenheiten manch ein Zwei- und Fünf- Derestück ein, indem Kleiderit gegen die Wand scheuerte, oder wenn der Düppler sie sich den Anschein gab, als bemerke sie nicht die verschiede- Ole Nielsen wie das hin und wieder wohl einmal vor­nen, feineswegs zartfühlenden Untersuchungen, die an ihrer kam das Bedürfnis empfand, seinen Mannesmut zu be­Perfon vorgenommen wurden. zeugen, indem er demonstrativ flott in die Stube hineinspie.

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