und bor allem gab es ein paar hübsch individualisierte Szenen für Klein Dorrit selbst, in denen eine junge Anfängerin, Fräulein Eschborn, durch eine seltene Fülle liebeuswürdigster Natürlichkeit überraschte. Wie das gutherzige Geschöpf, der Trost und die Liebe der Gefangenen, die kleinen Kinder im Stricken und Singen unterwies, wie sie zärtlich den Vater bemutterte und den eleganten Artur Clennam, in der Meinung, er habe ihren leichtsiinngen Bruder zum Bummeln angestiftet, mit einer eifrigen Strafpredigt empfing, war eine Lust mitanzuhören, und zu sehen. In den beiden letzten Akten werden die spärlichen Ansätze zur Charakterkomödie mehr und mehr durch ein Gemisch von Nührsamkeit und billigen Possensituationen überwuchert. Clennam entdeckt gewisse Dokumente, die Mr. Dorret zum Millionenerben machen. Der Ehrgeiz des Alten, die enrinente Rolle, die ihm im Gefängnis zufiel, in der aristokratischen Gesellschaft weiterzufpielen, verivickelt ihn in allerhand Blamagen. bis er unter Assislenz eines aufgeklärten Prinzen zur Not kuriert lvird. Auch auf Klein Dorrit muß, um die fällige Verlobung noch hinaus- zuzögern, etwas von der fashionablen Narrheit abfärben. Nur die treffliche Darstellung, um die sich, neben den Genannten, namentlich auch P a t r y in der Episodenfigur eines derb-unverschämten Häft- lings und Böttcher durch die flotte Art, wie er die farblos undankbare Rolle des Clennam belebte, verdient machten, hielt den mattverlegenen Schlußakt einigermaßen über Wasser. Das Publikum schien mit dem Ganzen sehr zufrieden. dt. Musik. Central-Theater. Der Hochmeister der neueren Tanz- musik, Johann Strauß , war im Alter von 74 Jahren 1899 gestorben. Nun machte sich die Gewinnsucht an seinen Namen her- an, und wir bekamen seither ein oder die andere Operette, die unter jenem Namen schlechtweg vorgeführt wurde, tatsächlich aber nur eine Zusammenstückelung aus veröffentlichten oder nicht vcröffent- lichten Werken und Werkchen von ihm war. Wie frevelhaft und zemeinschädlich ein solches Beginnen ist, kann kaum klar genug ein- sefehen und scharf genug gesagt werden. Nun ist wiederum etwas ähnliches geschehen. Unter dem TitelTausend und eine Nacht ' bekamen wir am vergangenen Sonnabend im Central- Lcheater eine Operette zu hören. Der BezeichnungMusik von ohann Strauß' folgt ein Zusatz:Musikalische Einrichtung von rnst Reiter« r". Man schämt sich beinahe, so etwas zu lesen. Was heißt das:Musikalische Einrichtung'? Man mag etwa ein Fragment ergänzen, einen flüchtigeren Entwurf ausgestalten, ein Oratorium von Händel so durcharbeiten, daß der jetzige Eindruck dem vom Komponisten gewollten entspricht. Läge ein solcher Fall bor , so würden wahrscheinlich die Urheber jenes Zusatzes den Mut gehabt haben, deutlicher zu sprechen. So aber verrät dies bereits ein böses Gewissen, ein willkürliches Eingreifen in irgend eine Leistung des Komponisten, das dieser wahrscheinlich mit Entrüstung würde zurückgewiesen haben. Wie ich höre, handelt es sich um die Musik zu der ältesten von allen Strauß'schen Operetten, zu Indigo" von 1871; der Text dieser Operette soll als unbrauchbar durch einen anderen ersetzt und die vorhandene Musik diesem neuen Text angepaßt worden sein. Man weiß kaum, was man da mehr bewundern soll: die Unbekümmertheit, eine solche Uebertragung zu wagen, oder die Geschicklichkeit, sie so zu machen, daß schließlich doch nur eigene Nachforschungen den Zusammenhang und die Zu- sammensetzung ergründen könnten. Indem wir nun weiterhin über jene, für Berlin erste, Auf- führung berichten sollen, sind wir in der unangenehmen Lage, für diesen Bericht nicht völlig gutstehen zu können. Das uns von der Direktion übermittelte Billett erwies sich durch seine Lage in irgend einem Seitenwinkel als so ungünstig, daß wir statt eines wirklichen Ausblickes auf die Bühne mehr nur Studien über die Silhouetten des davorsitzendcn Publikums machen konnten. Soviel wir nun aus einem stückweisen Schauen und Hören sowie aus dem Text- buche, das aber nicht mit der Aufführung stimmte, ersehen konnten, ist der Inhalt der Sache kurz folgender. Der Sultan irgend eine? orientalischen Phantasielandes will dort europäische Reformen ein- führen und stößt Natürlich auf Widerstand, zumal auf den der HaremSwelt. Inzwischen liebte und liebt er eine Magiernichte Leila. Unerkannt liest sie ihm ein Märchen aus 1001 Nacht vor; und nun bedeuten die nächsten zwei Akte den Inhalt de? Märchens, das den Fürsten wie ein Traum umfängt. Das Grundmotiv dieses Spieles im Schauspiel baut sich auf die Aehnlichkeit eines armen Fischers mit dem Fürsten auf. Durch dessen Ratgeber wird jener für einen Tag zum Sultan gemacht und muß die Reformen wider- rufen, bis der wirkliche Fürst Zeit gewinnt, größere Macht zu sammeln. Diese Zeit benützt er jedoch hauptsächlich für seine Leila, die inzwischen Gattin jenes Fischers geworden ist. Dem Armen gibt sie den Laufpaß, dem Fürsten ihre Liebe und dem Verfasser des Textes Gelegenheit, das Zwischenspiel mit Wohlgefallen zu schließen. Das Textbuch ist hier zu Ende; in der Berliner Auf- fuhrung erscheint noch ein traumhaftes Lichtbild und schließlich das Ende der Märchcnerzählung: der Sultan erwacht und findet seine Leila nun in der Wirklichkeit abermals wieder. Die Abweichungen vom Textbuche sind eineBerliner Text- bearbeitung von B. Jacobson'; sie verwandeln auch noch Wally, die Frau jenes Ratgebers, aus einer Wienerin in eine Berlinerin. Nennen wir endlich die Textautoren selber: Leo Stein und Verantwortl. Redakteur: Hans Weber. Berlin. Druck u. Verlag: Carl Lindau , den Bauenmeister LouiS Gundlach aus Wien , das Ausstattungsatelier Hugo Baruch u. Co. und nicht als Geringsten den energischen Dirigenten Fritz Redl , so sind die nächsten Helfer des Direktors und Jnszenierers Jose Ferenczy aufgezählt. Der Darstellung kam eine alte Stärke jenes Theaters zugute und eine alte Schwäche von ihm zu Uebel. Jene Stärke ist das Bestreben, den Gesangsvortrag sprechend und reich an Gestaltung herauszubringen; die Schwäche ist das überwiegende Interesse an der Unterhaltung des Publikums. Diesmal trat nun eine be- sondere künstlerisdje Leistung hinzu: die des Tenors Oskar Braun. Er hatte hier die bekannte schwierige und dankbare Auf- gäbe einer Doppelrolle, indem er sowohl den Fürsten wie auch den Fischer darstellte, zum Teil in rascher Abwechselung. Er bemühte sich, den Gegensatz der beiden Figuren auch gesangstechnisch zu kenn- zeichnen, mit einem sonoren Klang als Fürst und einem kindlich hellen als Fischer. Dazu kam nun, daß er als Fürst(übeMes auch noch als verkleideter Fischer) mit einer Sängerin zusammen zu singen hatte, Rosa Schmid-Günther, die einen analog klingenden dramatischen Sopran von schöner Fülle und Bildung zeigte; daß er aber andererseits als Fischer(und verkleideter Fürst) mit der Sängerin Mathilde Portl zusammenzuwirken hatte, deren spitzer und nicht ganz glatter Soubrettensopran nun wieder für diese andere Stimmart eine gute Ergänzung war. Von den übrigen Beteiligten möchten wir noch Marie Wellig-Bertram nennen, die sich in der Rolle der sehr konser- vativen Haremsdame Zoraide gut bewährte. Durch all' das Entsetzliche des Textes und der meist possenhaften Aufführung hindurch war aber doch echterStrauß' zu erkennen und zu würdigen. Wie der Meister dämmernde Erinnerungen und dergleichen zu charakterisieren versteht, mit wirkungsvollster und effektloscster Instrumentierung, das konnte uns selbst über die dies- maligc Misere hinüberhelfen. sz. Kunst. e. s. Am Sonnabend wurde die vom Verein Berliner Künstler veranstaltete Ausstellung von Werken Reinhold Begas ' (Skulpturen und Gemälde) ohne Sang und Klang eröffnet. Die alte Hochschule für Musik(Potsdamerstr. 120) ist für solche Zwecke nicht günstig. Der große Saal gestattet nicht eine sinngemäße, künstlerische Gruppierung: er macht den Eindruck eines Warenmagazins. Die Wände sind blau getönt. Die Skulpturen heben sich gut davon ab. Für Begas selbst bedeutet diese Ausstellung keinen Ruhmestitel, sie ist keine Ehrung. Abgesehen davon, daß wenig Originale da sind, so daß gerade der Vorzug des Bildhauers, den Stein warm leben zu lassen in den Konturen und Massen, gar nicht zur Geltung konnnt (Gips macht alles tot), abgesehen davon empfängt man von dieser nutzlosen Anstrengung die Suggestion, daß der Künstler längst tot sein müsse. Es wird also das Gegenteil von dem erreicht, was man im Auge hat. Nicht ein Werk ist da, das unmittelbar Freude macht und in der Erinnerung haften bleibt. Mühsam crquält sich der gut- gesinnte Freund auf dem Umwege durch Geschichte und Vergangen- heit einen Genuß. Weshalb? Das soll der Entwickeümgsgang des Künstlers, der von erheblichen, Zeitinteresse ist und in Kürze folgen wird, zeigen. Notizen. Ei»Neues biographisches Theaterlexikon". das die Biographie aller lebenden deutschen Bühnenangehörigen nebst Abbildungen bringen soll, plant der Berliner Schriftsteller Ludwig Brauner. Komische Oper. Die ersteCarmen'- Aufführung wurde wegen Erkrankung einer Mitwirkenden auf unbestinunte Zeit verschob.« n. Drei menschliche Tragikomödien', Karl Böttchers Einakterzyklus, bestehend aus den StückenWegen Preßvergehen',.Dämonen' undDie berühmte Tragödin', kommt am 21. September im Hamburg.! CarlSchultze-Theater zur Erstaufführung. Die Leipziger Stadttheater erfordern für das Jahr 1907 einen städtischen Zuschuß von 129 046 M. Der deutsche Naturforscher- und Aerzte- k o n g r e ß wurde gestern in Stuttgart eröffnet. Ein neues Mineral hat Prof. Berwerth in Wien bei der Untersuchung einer Meteorinasse gefunden. Im durch- fallenden Lichte ist eS farblos durchsichtig und gehört dem rhom- bischen Kristallsystem an. Der Entdecker nannte esWein- bergerit'. Zur Förderung der Obstzucht hat der Eisenbahn- minister die Eisenbahndirektionen veranlaßt, alle geeigneten u»- genützten Trennstücke, die an Böschungen liegen, mit Obstbäumen zu bepflanzen. Die Nutzung der Anpflanzungen kann den mit der Pflege betrauten Eisenbahnbeamten für die ersten fünf Jahre unentgeltlich überlassen werden. Vorwärts Buchdruckcrei u.VcrlagSanstalt Paul Singer L-Eo., Berlin LW.