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Sm!"
st da sonst niemand?
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Nein, noch nicht. Aber jetzt können Sie einen Augenblick hier unten bleiben. Nielsen da hinten hat sieben Schnäpse und ein kleines Glas Bier, nichts davon ist bezahlt." Madam Jakobsen schloß die Geldschublade ab, steckte den Schlüssel in die Tasche und watschelte hinaus.
( Fortsetzung folgt.)
( Nachdruck verboten.)
Der Wolf im Schafspelz.
Eine Erinnerung von Heinrich Scheu. Der Zug hielt vor dem Stationshause. Da standen sie, wie verabredet, auf dem Bahnsteig, die Taschentücher als Erkennungszeichen in der Hand. Ach, ich hätte sie in ihren ärmlichen Sonntagskleidern, die Gesichter von freudiger Erwartung belebt, auch ohne cin Abzeichen erkannt. Sie waren in Erscheinung und Haltung nicht mit einer abseits stehenden Gruppe von Bürgern zu verwechseln, die mit hinaufgezogenen Brauen und sonstigen Beichen gelinden Entsehens zusahen, wie ich aus dem Wagen sprang, um meine Parteifreunde zu begrüßen.
Im Städtchen, das wir auf dem Wege zum Versammlungsorte zu passieren hatten, machte sich eine ähnliche Erregung über meine Ankunft offenbar, wie auf dem Bahnhofe. Die Leute in den Straßen blieben stehen, blickten mit sorgenvoller Stirn dem„ Agi= täter" nach und zeigten mit Fingern nach mir; neugierige und entsekte Gesichter erschienen an den geöffneten Fenstern.
" Was ist denn los, Müller?" fragte ich den Führer der Genoffen, die mir das Geleite gaben. hat man hier noch keinen Sozialisten gesehen?"
" O, doch," erwiderte der, aber wissen Sie, die Stadtverordneten haben gestern beschlossen, Sie nicht reden zu lassen, sondern Sie auszuweisen. Das hat die Bevölkerung natürlich aufgeregt." " Na," sagte ich, das wird ja lustig. Ich weiß zwar nicht, warum man so furzen Prozeß mit mir machen will, aber die Stadtverordneten werden es schon wissen. Man agitiert wieder mal für uns."
Am Versammlungsplatz, einem großen Garten an der Stadtgrenze, waren schon viele Teilnehmer versammelt, die ein wenig erregt, aber äußerlich ruhig der kommenden Dinge harrten, als wir dort eintrafen. Sie standen in einem Haufen um die Tribüne geschart und machten mich nach der ersten Begrüßung mit beredten Blicken und im Flüstertone auf eine kleine, aber schöne Gruppe aufmerksam, die bescheiden in einem Winkel des Gartens Posto gefaßt hatte.
Richtig, dort stand er, der Hüter des Gesetzes, ein Polizeiwachtmeister in vollem Wichs, groß, dick, glänzend, mit gewaltigem Schnauzbart, links und rechts wie zur Folie des prächtigen Bildes von zwei schäbigen Gesellen in Bibil flantiert, mit Gefichtern, so erbärmlich, wie ihr spikelndes Handwerk.
Das ist alles für dich, sagte ich mir mit großer Genugtuung. Der Wachtmeister ließ mir aber keine Zeit, das erhebende Gefühl ganz auszufosten. Er schritt majestätisch über die Wiese auf mich zu und lud mich mit echt sächsischer Höflichkeit ein, ihm auf das Rathaus zu folgen, wo der Bürgermeister mich zu sprechen wünsche. Jah fragte:„ Warum?" Aber der gute Mann wollte es nicht wissen. Die Versammlung, die mir in corpore feierliches Geleit auf das Rathaus geben wollte, bat ich entschieden, auf dem Platze zu bleiben und ruhig meine Rückunft abzuwarten. Nur Müller ließ ich mit mir fommen, als Zeugen und im schlimmsten Falle als Boten meines Schicksals.
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Co ging's nun wieder durch das Städtchen, zu meiner Linken den Wachtmeister, rechts den treuen Genossen und hinter uns, in einiger Entfernung, die zwei Ehrenmänner in Zivil. Abermals Tiefen die Bürger an die Fenster, blieben in Gruppen auf den Straßen stehen und zeigten mich ihren Kindern. Sie atmeten erleichtert auf. Wenigstens las ich in allen Gesichtern Schadenfreude und Genugtuung darüber, daß das geplante Verbrechen im Keime erstickt worden, und der Uebeltäter dem Arme der Gerechtigkeit verfallen war. Der Wachtmeister neben mir schien auf seinem Triumphzuge in Länge und Breite zu wachsen.
Endlich kamen wir ans Rathaus, wo ich vom Bürgermeister, einem elegant gekleideten Herrn in mittleren Jahren, empfangen wurde. In dürren Worten teilte er mir mit, daß er vom Kollegium der Stadtverordneten den Auftrag habe, mich zu greifen und über die Grenze zu bringen. Ich sei durch Beschluß ich weiß nicht mehr, welcher Behörde im Jahre 1872 aus den sächsischen Landen" ausgewiesen worden und mein Erscheinen bedeute eine terbotene Rückkehr.
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Nun hatte ich meines Wissens noch keine Ausweisung aus Sachsen erlebt und war immer der Meinung gewesen, dazu gehörten Zwet. Aber ich erinnerte mich, im genannten Jahre ein harmloses Renkonter mit der Dresdener Polizei gehabt zu haben. Ich lebte damals für kurze Zeit still und harmlos in Löbtau meinem Berufe, als eines Tages ein uniformierter Mitmensch auf dem Bauernhofe erschien, in dem ich wohnte, um mich aus meinem Frieden zu reißen und vor das Polizeigericht Dresdens zu führen, allwo ein neurasthenischer Jüngling mit trüben Augen, niederer Stirn und
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etwas
aristokratischem Namen einen schwächlichen Versuch machte, mich „ auszuweisen". Da aber absolut nichts gegen mich vorlag als ein Empfehlungsschreiben meiner vaterländischen Polizei und ich mich energisch zur Wehr sehte, mußte er von seinem Versuch abstehen, entließ mich jedoch mit der tröstlichen Versicherung, man werde schon eine Handhabe gegen mich finden. Und da ich nach meinen Erfahrungen teinen Augenblick daran zweifelte, daß man mit einigem guten Willen, der ja den Leuten nicht fehlte, eine solche finden würde, schüttelte ich einige Wochen nach dem Vorfall früher, als ich beabsichtigt hatte den Staub Sachsens von den Füßen. Die dummen Nürnberger hängen keinen, den sie nicht haben; die hellen Sachsen dagegen haben das Kunststück zuwege gebracht, mich hinauszuwerfen, als ich längst nimmer bei ihnen war. Ich erklärte die Sachlage dem Bürgermeister und protestierte dagegen, daß man mich von der Ausweisung nicht benachrichtigt hatte, was leicht gewesen wäre, weil die Polizei ja gewöhnlich wisse, wo sich unsereiner aufhalte. Das heiße ja geradezu, einen in die Falle loden, erklärte ich entrüstet.
lassen.
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Der Bürgermeister bedauerte unendlich, gab auch bedingt zu, daß das Vorgehen gegen mich nicht ganz forrett sei, allein das gehe ihn im Grunde nichts an; er habe Befehl, mich auszuweisen und werde mich als Oesterreicher an die böhmische Grenze bringen Bis bierher hatte die Geschichte ihre amüsanten Seiten. Jetzt wurde ich warm. Das sei ja eine verkappte Auslieferung, behauptete ich, und eine Schande für das Kulturland Sachsen . dente niemand an eine Auslieferung, am allerwenigsten er. " Nichts weniger als das!" beteuerte der Bürgermeister. Es „ Liegt denn etwas gegen Sie vor in Oesterreich ?" fragte er teilnehmend.
as weiß ich!" antwortete ich wütend. Gegen einen ordentlichen Menschen liegt immer etwas vor. Und je weniger vorliegt, um so länger behalten sie einen in Untersuchung, weil sie durchaus etwas finden wollen!" Ich unterdrückte mur mit Mühe die patriotischen Gefühle, welche in diesem Augenblicke in mir wach wurden. Ich wohne in London ," protestierte ich,„ habe dort mein Geschäft und nichts in Oesterreich zu suchen!"
ist am Ende gleich, an welche Grenze ich Sie bringen lasse. Ich Ter Bürgermeister wurde nachdenklich; endlich sagte er:„ Es habe darin keine Vorschrift. Nur abschieben muß ich Sie. Ich werde Sie also nach Halle bringen."
Aber auch Halle paßte mir nicht aus verschiedenen Gründen. agegen schlug ich Korbetha als Endstation vor, wegen der Nähe Nöjens, wo liebe Freunde weilten, denen ich einen Besuch zugesagt hatte. Und bei Korbetha blieb es.
" Das wäre in Ordnung, nun kommt aber eine unangenehme Geschichte," sagte darauf der Bürgermeister etwas verlegen, indem er seine goldene Uhr aus der Tasche seiner perlgrauen Piquetweste 303. Ihr Zug geht um 6,10 Uhr, also erst in zwei Stunden. Mittlerweile muß ich Sie hier im Hause behalten."
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Warum nicht gar; ich laufe Ihnen doch nicht davon! Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich mich zur rechten Zeit auf dem Wahahofe einfinden werde." Es war nicht bloß Sonntag, sondern auch ein prächtiger Sonnentag. Der Gedanke an einen mehrstündigen Arrest hatte nichts Erhebendes. „ Es geht nicht anders," versicherte der Bürgermeister. Und dann" setzte er entschuldigend hinzu die ganze Stadt beobachtet uns." Dagegen war freilich nichts zu sagen. Ich wüßte schon etwas," ja fuhr er fort, als er meine gelinde Verzweiflung sah, aber schen Sie wenn sich Ihre Leute verpflichten würden, keine Demonstration zu machen, dann könnten wir ja miteinander im Freien frazieren gehen."
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Das war ein Vorschlag, der sich hören ließ! Genosse Müller wurde aus dem Vorzimmer hereingerufen, um die Bedingung meiner Freilassung entgegenzunehmen. Da er nicht wußte, bon welcher Seite der Wind wehte, stellte er sich einfältig und meinte, er könne feine so große Verantwortung übernehmen; als ich ihm aber sagte, daß ich es wünsche, weil ich sonst ein paar Stunden in Haft bleiben müsse, war er Feuer und Flamme und hätte seinen Kopf für die Ruhe des Städtchens, ja ich glaube, des ganzen Königreichs Sachsen eingesetzt.
unterrichtet und beauftragt, zur rechten Zeit am Bahnhofe zu ſein, Der Wachtmeister wurde gerufen, vom Stande der Dinge und zwar in Zivil.
" Sie sehen," sagte der Bürgernieister selbstzufrieden, als er feinen neuen, weißen Zylinderhut vom Nagel nahm und sich mit mir zum Gehen anschickte, daß ich Ihnen alles Unangenehme ersparen will."
Durch einige menschenleere Straßen famen wir bald aus der Stadt ins Freie. Mein Begleiter führte mich auf einsamen Wegen zwischen wogenden Saatfeldern und grünen Wiesen in einem Bogen um die Stadt herum. Ueber uns blaute der Himmel und trillerten die Lerchen. Ich fand, daß meine Unfreiheit nicht nur ganz er träglich war, sondern auch einen eigenen Reiz hatte. Ich war ja manches Mal in den Händen der heiligen Hermandad gewesen, aber eine derartige Behandlung hatte ich noch nie erfahren. Es war mir gar nicht märtyrerhaft zu Mute. Nicht einmal langweilig war mir die Geschichte, denn mein Wärter erwies sich als ein gebildeter und für einen Bürgermeister aufgeklärter Mann. Wir sprachen über Gott und die Welt, die Arbeiterbewegung natürlich inbegriffen,
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