743

-

über die er sehr gut unterrichtet war. Als er mein Erstaunen dar- I standen, so gab es doch genügend andere Themata, die man bes über merkte, blieb er plötzlich stehen und fragte:

" 1

Kennen Sie mich?"

Ich habe erst seit einer Stunde das Vergnügen " Ich meine, haben Sie nichts von mir gehört?" „ Nicht daß ich wüßte

-

4

Dann muß ich mich wohl vorstellen. Mein Name ist Wolf Wolf von Meerane   der berühmte Wolf von Meerane!" Ich war wie verdonnert. Das war Wolf von Meerane, der Gesellschaftsretter, der Sozialistentöter, von dessen Heldentaten der Boltsstaat" beständig berichtete? Gleißnerisch lächelnd stand er bor mir im lichten Sonnenschein, der seinen weißen Zylinder strahlen machte.

-

-

er­

" Ich bin nicht so schrecklich," erklärte er, als wir uns wieder in Bewegung setzten, wie mich Ihre Parteigenossen hinstellen Sie werden das bemerkt haben aber ich mache eben einen Unterschied, einen großen Unterschied! Ich glaube, ich behandele jeden, wie er es verdient." Und nun begann er zu flagen, mit welchen Menschen er es oft zu tun habe und was sie ihm alles zu Leide getan hätten es war schauderös!

-

Ein Opfer seiner Pflicht, sagte ich mir, oder Wir hatten uns wieder der Stadt genähert weit vom Bahnhof entfernt, als mein Begleiter Einfall hatte.

-

- ein Dichter.

und waren nicht einen brillanten .Es ist schrecklich heiß," sagte er, indem er mit dem Taschentuch den Schweiß aus seinem Zylinder wischte. Wie wär's, wenn wir ein Glas Bier trinken würden?"

" 1

Der Antrag wurde von mir mit Afflamation zum Beschluß er hoben, und wir lenkten unsere Schritte gegen eine Gartenwirtchaft bei der Station, in der wir, wie mir Wolf versicherte, völlig un­gestört wären.

" Die Wirtschaft ist um diese Zeit wenig besucht," beruhigte er sich selber, und dann ist ja die halbe Stadt in Ihrer Versamm­lung. Hier können wir auch am besten den Abgang des Zuges er­

warten.'

-

-

-

handeln konnte! Ein wißbegieriger Arbeiter mit einem pfiffigen Vogelgesicht, der an unserem Tische saß, eröffnete die Verhandlungen mit der Anfrage an mich, wie es mit dem Kohlengräberstreik in Süd- Wales   stehe. Da ich aus England komme, werde ich wohl etwas davon wissen.

-

-

Unser unfreiwilliger Vorsitzender hustete sehr ausdrucksvoll, aber ich verstand ihn nicht und begann mein Referat, das ich so­zusagen ratenweise hielt. Als ich die erste Frage beantwortet hatte, wurde mir eine zweite und dritte aus der Menge gestellt und so weiter, bis ich die Löhne, die Arbeitszeit, die Organisation der Ar­beiter und die Aussichten des Lohnkampfes, kurz den ganzen Gegen­stand gründlich behandelt hatte. Ein alter Zigarrenarbeiter, dent der Schelm im Nacken saß, erzielte einen Heiterfeitserfolg durch die Erklärung, daß ihm die gleitende Lohnstala"( sliding scale), die in England der Brauch ist und von der ich auch gesprochen hatte, gar nicht gefalle. Da müßten die Löhne ja immer kleiner werden, denn hinauf rutschen oder-gleiten könne doch nichts in der Welt. Alles zusammengenommen war es eine gute originelle Ver­sammlung, ausgezeichnet auch durch die gespannte Aufmerksamkeit der bürgerlichen Teilnehmer, die noch immer auf ihren Putsch warteten. Der Vorsitzende saß auf glühenden Kohlen es ist dem Armen die Erlösungsstunde. wahr aber das gab ja dem Ganzen den Reiz. Endlich schlug Der Zug sollte in einigen Mi­nuten eintreffen. Die ganze Menschenmasse brach deshalb nach dem Stationshause auf. Neben mir ging immer noch sichtlich besorgt um den Ausgang der Geschichte der Bürgermeister, um mich herum drängten sich die Genossen, welche mir zuraunten, daß außer dem Wachtmeister noch zwei Fahnder bis nach fagen wir Scheidewith wo die Bahn in die Hauptlinie einmündet, mit mir gehen sollten. Aus der Menge erschollen Rufe: Alle mit wir fahren alle mit!" " Das geht nicht, nein, nein!" erklärte mir nervös der Bürger­meister." Ihre Leute haben sich bis jetzt sehr gut benommen, aber nein, nein das geht nicht. Bitte, dulden Sie es nicht." Es erbarmte mich des Mannes, und ich antwortete ihm:„ Herr Bürgermeister, Sie geben mir drei Mann mit bis nach Scheidewih; ich nehme auch drei mit, das ist nur billig." Und ohne auf den Einwand Wolfs   zu achten, sagte ich zu Müller, der neben mir ging: Sie und noch zwei andere, sonst soll niemand mit." Die Menge strömte auf den Bahnsteig, der Zug hielt, und ich stieg mit den drei Polizisten und den drei Genossen in ein Coupé, das man uns in zuvorkommender Weise festgehalten hatte. Die Arbeiter schwenkten Thre Hüte und Müßen, und fort ging's wahrscheinlich geschwinder als gewöhnlich so daß mir die beabsichtigte Abschiedsrede an die Arbeiter, unseren Vorsißenden und eine ehrsame Bürgerschaft kurzer­hand abgeschnitten wurde. Als ich mich einen Augenblick danach zum Wagenfenster hinaus­lehnte, sah ich in der dunklen bewegten Masse vor dem Stations hause einen weißen Flecken. Es war der von der Abendsonne be­leuchtete Zylinder des Wolfs von Meerane  .

-

-

-

-

"

-

-

-

Kleines feuilleton.

Der Gedanke an unsere Versammlung, das war der einzige Tropfen Wermut, der in mein Glas Waldschlößchen fiel, als wir im schattigen Garten saßen, um uns an Speise und Trank gütlich zu tun. Sonst war alles so schön, wie man es auf dem Schub nur haben kann. Der Bürgermeister hatte mit dem weißen Zylinder den Tezten Rest seiner amtlichen Würde abgelegt, mit der Weste mir gegenüber auch seine Seele aufgeknöpft und war überhaupt so nett und menschlich geworden, daß es mich mächtig kihelte, mit ihm auf die sächsische Polizei anzustoßen. Aber ich tat es nicht. Nachdem der Mann glühende Kohlen auf mein Haupt gesammelt hatte, wäre es schwarzes Unrecht gewesen, ihn durch allzu große Vertraulichkeit zu kompromittieren. Und das hätte ich damit getan, denn wie ich von meinem Plaze aus sehen konnte hatten wir bereits unser Publikum. Gäste war zwar keine da, aber der Kellner hatte den Wirt gerufen und der wieder sein besseres Jch herbeigewinkt, das Schauspiel zu genießen. Dort standen sie hinter den Fliederbüschen und sahen mit offenen Mäulern zu wie wir der Bürgermeister und der rote Wühler- in Frieden und Freundschaft auf unseren Emmentaler   einhieben. Als wir dann gesättigt waren und das zweite Töpfchen vor uns stand, da sollte die wahre Gemütlichkeit erst ihren Anfang nehmen. Der Bürgermeister hatte sich eine Zigarre angezündet, die Beine von sich gestreckt und war eben im Begriff, t. Goethe und die Luftschiffahrt. Vor hundert Jahren hatte mir auseinanderzusehen, wie weit er für eine Arbeiterschutzgesetz- man zwar noch nicht den Ehrgeiz zur Erfindung eines lenkbaren gebung damals eine noch viel umstrittene Sache zu haben sei, Luftschiffes. Die Sehnsucht nach einer Betätigung auf diesem als plötzlich ein Wolfenschatten sein heiteres Antlik verfinsterte. Gebiete der Luftschiffahrt hatte aber schon am Ende des 18. Jahr­Er hielt inne. Was war das? Draußen erklangen wirre Stimmen hunderts viele der besten Geister zu beschäftigen begonnen. Feld­und Fußtritte, wie von einer nahenden Menschenmenge. Der Haus erinnert in den Illustrierten Aeronautischen Mitteilungen" Bürgermeister setzte sich ahnungsvoll in Bofitur, fnöpfie seine Weste an die Tatsache, daß auch Goethe nicht nur passiv an diesent Inter­da waren sie auch schon in der Gartentür! Das war effe teilgenommen, sondern sogar geglaubt hat, selbst der Ent­offenbar die ganze Volksversammlung, die, nach glücklich erledigter deckung des Luftballons nahe gewesen zu sein. Die wichtigste Tagesordnung, da hereinströmte. Voran die Arbeiter, die in Quelle dafür ist eine handschriftliche Aufzeichnung Goethes aus strablender Heiterfeit ohne weiteres auf uns zusteuerten, dem dem Jahre 1821, worin er den Entwurf zu einem größeren Auf­" Herrn Bürgermeister" und mir freundlichen Guten Abend" satz über den naturwissenschaftlichen Entwickelungsgang gegeben wünschten und sich neben uns an den großen Tisch ſetzten. Mein hat. Er spricht dort besonders von dem Glück, die zweite Hälfte liebenswürdiger Wärter warf rasch einen ängstlichen Blick in die des achtzehnten Jahrhunderts durchlebt zu haben und zählt an Runde, als er aber sah, daß kein Entrinnen möglich war, machte wichtigen Entdeckungen dieser Zeit, an denen er besonderen Anteil er gute, das heißt sauersüße Miene zum bösen Spiel, dankte den genommen habe, die Geschichte der Elektrizität, der Optik, der Leuten und schickte sich mit Würde ins Unvermeidliche. Der Zug Alchemie, der Chemie und des Galvanismus auf. In der Be­der Ankommenden wollte schier kein Ende nehmen. Als unser Tisch gründung seines Urteils sagt er wörtlich:" Großer Vorteil, gleich­besetzt war, brachten die Arbeiter Stühle und Bänke herbei und setzter zeitig mit großen Entdeckungen gewesen zu sein. Man sieht sie an sich in mehreren Streisen um uns herum, so daß wir schließlich in als Brüder, Schwestern, Verwandte. Ja insofern man selbst mit­einer großen Menschenmenge, die den ganzen Garten füllte, fest ein- wirkt, als Töchter und Söhne." Daß Goethe unter den Wissens­gefeilt saßen, aller Augen auf uns gerichtet. In unserer nächsten zweigen, die ihn während jener Zeit durch Entdeckungen besonders Nähe saßen die Arbeiter, denen die Geschichte offenbar eine riesige gefesselt hätten, auch die Alchemie nennt, berührt uns heute frei­Freude machte, weiter hinter standen mit besorgten und gespannter lich recht sonderbar. Dann folgt weiter die Notiz:" Die Luft­Gesichtern die höheren Stände". Jm hintersten Winkel des ballone werden entdeckt. Wie nah ich dieser Entdeckung gewesen. Gartens, mit seinem Schnauzbart die ganze Versammlung gewaltig Einiger Verdruß es nicht selbst entdeckt zu haben. Baldige überragend, sah man den Wachtmeister in Zivil, ein flemes Hütchen Tröftung." Eine Erklärung für diese wenig mehr als ein Jahr­fofett über dem linken Ohr und eine schwere vergoldete Kette über zehnt vor seinem Tode geschriebenen Worte liefern einige Brief­der blaugetupften Weste baumelnd, die sein Bäuchlein umschloß. stellen aus früherer Zeit. So schreibt er Ende 1783 an Knebel Was nun? Die Arbeiter, die untereinander tuschelten und folgendes:" Buchholz( ein Arzt und Besizer der Hofapotheke in heimlich lächelten, machten sich ohne Federlesen zu Herren der Si- Weimar) peinigt vergebens die Lüffte, die Kugeln wollen nicht tuation. Für sie begann jetzt die eigentliche Volksversamm- steigen. Eine hat sich einmal gleichsam bis an die Decke gehoben lung. Der Bürgermeister markierte ungewollt den Vorsitzenden, und nun nicht wieder. Ich habe nun selbst in meinem Herzen be­ich war der gegebene Referent. Und wenn ich nicht über den schlossen, stille anzugehen, und hoffe auf die Montgolfiers Art, eine Gothaer Kongreß sprechen durfte, wie es auf der Tagesordnung ge- lungeheure Kugel zuerst in die Luft zu jagen." Um dieselbe Zeit

zu und