Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 196.

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Der Sumpf.

Mittwoch, den 10. Oktober.

( Nachdrud verboten.)

Roman von Upton Sinclair . Autorisierte Uebersehung.

Der Lärm war erbarmungswürdig, furchtbar anzuhören; man fürchtete, der Ton würde zu mächtig für den Raum, er müsse die Mauern sprengen. Es gab da hohes und tiefes Gekreisch, Grungen und Wimmern der Todesangst; dann trat eine augenblickliche Stille ein und dann kam ein frischer Aus­bruch, lauter als je, zu einer betäubenden Höhe anschwellend. Einigen Befuchern wurde es zu viel, die Männer sahen ein­ander an und lachten nervös, die Frauen standen mit ver­schlungenen Händen, das Blut stieg ihnen ins Gesicht, Tränen traten in ihre Augen.

Indessen arbeiteten die Männer, ohne auf etwas zu achten, auf dem Fußboden weiter. Weder das Gequieke der Schweine noch die Tränen der Besucher machten auf sie irgend welchen Eindruck. Sie hockten bei den Schweinen und schnitten einem nach dem anderen die Kehle ab. Eine endlose Reihe von Schweinen starb hier zusammen unter Geschrei und fließendem Herzblut, bis zuletzt ein jedes noch einmal auf fuhr und mit Geplätscher in einem ungeheuren Kessel voll kochendem Wasser verschwand.

1906

der Tuberkeln im Nacken eines Schweines. Und während er sich so angenehm unterhält, kannst du nicht so undankbar sein zu bemerken, daß er ein Dußend Schweine ununtersucht vor­über läßt. Der Inspektor trägt eine blaue Uniform mit Messingknöpfen und bringt in die Szene eine Atmosphäre von Erhabenheit. Er drückt sozusagen symbolisch den Billi­gungsstempel auf alle Dinge, die bei Durham geschehen.

Jurgis ging mit den Besuchern, verloren in Staunen, und starrte mit offenem Munde alles an. Er hatte in den Wäldern von Litauen selbst Schweine geschlachtet, aber er hätte sich nie träumen laffen, jemals zu erleben, daß hundert Männer ein Schwein schlachten. Es war das für ihn etwas wie ein wundervolles Gedicht. Arglos nahm er alles hin, selbst die verdächtigen Zeichen des Mangels einer tadellosen Reinlichkeit bei den Arbeitern. Ja, er ärgerte sich, als der zynische Jakobus diese Unsauberkeit mit farkastischen Bemer­fungen hervorhob und etwas von Geheimkammern andeutete, in denen das verdorbene Fleisch chemisch bearbeitet würde. Die Gesellschaft stieg zum nächsten Stockwerk hinab, wo der Abfall behandelt wird. Dorthin kommen die Eingeweide, um abgefragt und gewaschen zu werden. Männer und Frauen arbeiteten hier in einem erstickenden Gestank, der die Besucher veranlaßte, fich schleunigst zurückzuziehen.

Es wurde alles so geschäftsmäßig gemacht, daß man wie bezaubert zusah; das war Schlachterei mit Maschinen, mathe- mochten die Besucher nicht weilen. Wieder an anderen matisch berechnet, und doch konnte selbst der nüchternfte Mensch es nicht unterlassen, an die Schweine zu denken; sie waren so unschuldig, fie tamen so vertrauensvoll und es lag fast etwas Menschliches in ihrem Protest. Und wie die Blutarbeit hier abgetan wurde, in dieser faltblütigen, unpersönlichen Weise, ohne Vorrede, ohne Entschuldigung, ohne eine Träne!- das machte die Untat schier zu einer Beleidigung. Dann und wann weinte einer der Besucher, aber die Schlachtmaschine ging weiter, ob Besucher da waren oder nicht. Es war wie ein schreckliches, in einer Höhle begangenes Verbrechen, unbe­achtet und unbedauert.

Man konnte nicht lange dabei stehen, ohne sentimental zu werden, ohne nach Symbolen und Gleichnissen zu suchen und an das Schweinequieken der ganzen Welt zu denken. it es erlaubt zu denken, daß es irgend auf der Erde oder über der Erde einen Himmel für Schweine gibt, wo sie ge­tröstet für alle Leiden werden? Jedes dieser Schweine war ein eigenartiges Geschöpf, einige waren weiß, andere schwarz; einige braun, andere geflect, einige waren alt, andere jung, einige waren lang und schlank, andere geradezu Ungeheuer, und jedes von ihnen besaß eine Individualität für sich. Der Schweinekörper wurde durch eine Maschinerie aus dem Kessel geschaufelt, paffierte eine Maschine mit zahlreichen Messern und wurde am anderen Ende herausgeschleudert. Dann wurde er wieder durch eine Maschinerie heraufgezogen und weiter auf die Reise geschickt, zwischen zwei Reihen von Männern hindurch, die auf einer erhöhten Plattform saßen. Und jeder von ihnen verrichtete an dem Schwein eine bestimmte Arbeit, wenn es an ihn herankam. Der eine kragte die Außenseite eines Beines, der andere die Innenseite. Einer schnitt einmal durch den Hals, ein anderer schnitt den ganzen Kopf ab, der in einem Loch des Fußbodens verschwand. Ein anderer schnitt den Bauch auf, ein Zweiter öffnete den Körper weiter; ein Dritter fägte die Brustknochen durch, ein Bierter löste die Ein­geweide, ein Fünfter zog sie heraus; fie fielen ebenfalls durch das Loch im Boden. Da waren Männer, welche die linke Seite frazten, ander fragten die rechte, die einen wuschen inwendig, die anderen auswendig. Wenn man den Raum entlang blickte, so sah man eine Reihe schwankender Schweine dahinkriechen. Endlich war ein jedes der Schlachtopfer in den Kälteraum ge­rollt, wo es vierundzwanzig Stunden blieb und wo ein Fremder sich in einem Walde frierender Schweine verirren konnte. Bevor aber das Schwein dort zugelassen ward, mußte es bei einem Inspektor Revue passieren. Er untersuchte die Drüsen und Tuberkeln. Der Regierungsinspektor sah nicht aus, als ob er sich zu Tode arbeitete, oder als ob er fürchte, bas Schwein könnte ihm vor der Untersuchung entwischen. Bist du eine gesellige Natur, so zeigt er sich einer Unterhaltung nicht abgeneigt und erklärt dir freundlich die tödliche Natur

In einen anderen Raum tamen alle Stücke, die ,, tanked", d. h. gekocht und zu Schmalz und Seife verarbeitet wurden. Unten trugen sie den Auswurf hinaus; auch hier Plätzen waren Männer mit dem Zerschneiden der Kadaver beschäftigt, die aus den Kälteräumen herausgekommen. Da waren zuerst die Berteiler", die erfahrensten Männer in der Fabrik, welche 50 Cents in der Stunde verdienten und den ganzen Tag weiter nichts taten, als Schweine in der Mitte durchzuschneiden. Dann waren die" Hacker " da, Riefen mit Muskeln von Eisen, von denen jeder zwei Gehülfen hatte, um die halbierten Körper vor ihm auf den Tisch zu legen und zu halten, während er den Körper zerhackte. Sein Hacke­messer hatte eine zwei Fuß lange Schneide; er machte immer nur einen Schnitt und machte ihn so genau, daß sein Werkzeug niemals durchschlug und beschädigt warder wandte gerade so viel Kraft an, wie sie der richtige Schnitt verlangte und nicht mehr. Die einzelnen Stücke glitten dann durch ver­schiedene Löcher durch den Fußboden, hier die Schinken, dort die Vorderteile usw.

Man konnte nun hinunter gehen, um die Pöfelzimmer zu sehen, wo die Schinken in Fässer gelegt wurden und die großen Rauchkammern mit den luftdichten Eisentüren waren. m anderen Zimmer bereiteten fie Salzfleisch. Ganze Keller waren voll davon. In weiten Räumen wurde Fleisch in Büchsen und Fässer gepackt und Schinken und Speck in Del­papier gewickelt, versiegelt, gestempelt und eingenäht. Von diesen Zimmern aus gingen Männer mit beladenen Karren nach der Plattform, wo Frachtwagen auf ihre Fracht warteten. Wenn man dort heraus trat, stand man voller Staunen endlich am Grundstock des gewaltigen Gebäudes. Dann überschritt die Gesellschaft die Straße und ging dorthin, wo die Rinder geschlachtet und wo in jeder Stunde vier- oder fünfhundert Stück Vieh in Fleisch verwandelt werden. Im Gegensatz zu der Arbeitsart, die vorhin zu betrachten war, wurde hier alles auf einem Flur erledigt und statt der einen Reihe Kadaver, die dort hingen, waren hier fünfzehn oder zwanzig Reihen zu sehen und die Männer gingen von einer zur anderen. Das gab der Szenerie einen intensiv geschäftigen Eindruck, stempelte sie zu einem Bild der menschlichen Kraft, welches wundervoll zu sehen war. Alles geschah in einem großen Raum, wie in einem Amphitheater, mit einer Galerie für die Zuschauer.

An der einen Seite lief ein schmaler Gang entlang, nur wenige Fuß über dem Boden. In diesen Gang wurden die Rinder von Männern mit Stacheln getrieben, welche den Tieren elektrische Schläge versetten. Einmal drin, waren die Tiere gefangen, jedes in einer besonderen Abteilung, die so eng war, daß sie sich nicht rühren konnten. Und während sie brüllend ausschlugen, erschien vor dem Stall einer der Schläger" und wartete auf die Gelegenheit, dem Tiere mit einem Schlaghammer den Todesschlag zu geben. Der Raum dröhnte von der schnellen Folge der dumpfen Schläge und

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