Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 198.
9]
Der Sumpf.
Freitag, den 12. Oktober.
( Nachdruck verboten.)
Roman von Upton Sinclair . Autorisierte Uebersehung. Sie gingen wieder heim; den ganzen Tag und den ganzen Abend gab es ein Rechnen und Debattieren; es war ein förmlicher Kampf, um zu einem Entschlusse kommen zu können. Niemals ſtimmten sie ganz überein. Jeder führte andere Gründe für seine Ansicht an. War der eine eigenfinnig und hatten ihn die anderen dann endlich überzeugt, so fam's zutage, daß seine Gründe einen anderen wieder wankend gemacht hatten. Einmal, als sie gerade in bester Harmonie waren und das Haus so gut wie gekauft hatten, tam Szedvilas und machte sie wieder irre. Szedvilas zeigte wenig Neigung, Eigentum zu erwerben, er erzählte schreckliche Geschichten von Leuten, die zugrunde gegangen waren an diesen Haustauschschwindeleien. Es war ganz sicher, daß sie ihr Geld verlieren würden; das Haus konnte ja am Ende vom Giebel bis zum Keller nichts wert sein. Auch waren die Ausgaben nicht abzusehen. Sie beschwindelten euch ja doch mit dem Kontrakt, denn was versteht ein armer Schluder von so einem Kontraft? Es war das alles doch nichts anderes als Räuberei und es gab für sie mur eine Sicherheit, nämlich die Hände davon zu lassen. Und Miete bezahlen?" fragte Jurgis. O, ja, gewiß!" antwortete der andere.„ Das ist auch Räuberei. Alles ist Räuberei gegen den armen Mann." Nach halbstündlicher, schier niederschmetternder Unterhaltung waren sie der Ansicht, vor einem Abgrund errettet zu sein. Aber dann ging Szedvilas heim, und Jonas, der ein forscher junger Mann war, machte darauf aufmerksam, daß das Delikatessengeschäft, nach Aussage des Eigentümers, einen Fehlschlag darstellte und diesen pessimistisch gemacht hätte. Das gab der Sache gleich eine andere Wendung. Ein weiterer treibender Faktor aber war, daß sie nicht bleiben konnten, wo sie jetzt wohnten. Sie mußten ausziehen. Wenn fie auf den Hauskauf verzichteten und sich für's Mieten entschieden, so schien ihnen die Aussicht, 9 Dollar monatlich für Miete zahlen zu müssen, gerade so hart. Den ganzen Tag, die ganze Nacht, ja fast die ganze Woche quälten sie sich mit der Sache herum, dann übernahm endlich Jurgis die
-
Verantwortung.
-
Bruder Jonas hatte seine Arbeit gefunden, er bediente einen Rollwagen bei Durham ; und da die Schlachtleute bei Browns von früh bis spät arbeiteten, so ward Jurgis von Tag zu Tag vertrauensvoller. Er sagte sich, daß er der Mann in der Familie sei, der zu entscheiden habe. Andere mochten in ihren Entschlüssen fehl gehen, er nicht. Er wollte den anderen schon zeigen, was zu tun war. Er würde Tag und Nacht arbeiten, wenn es nötig war, er wollte ficht rasten und ruhen, bis das Haus bezahlt war und seine Leute ein Heim hatten. Das sagte er ihnen; hierauf ward die Entfcheidung getroffen. Sie hatten zwar darüber gesprochen, noch andere Häuser vor dem Abschluß des Kaufes zu besehen, aber sie wußten nicht, wo andere Häuser standen, wußten nicht, wie sie es erfahren sollten. Das eine, das sie gesehen hatten, behielt in ihren Gedanken den Vorzug vor den anderen. Wenn immer sie sich in einem Hause wohnend vorstellten, so war es das Haus. So gingen sie zu dem Agenten und teilten ihm mit, daß sie zu dem Handel geneigt seien. Sie wußten zwar als nüchterne Leute, daß in Geschäftssachen alle Menschen die geborenen Lügner sind; aber sie konnten sich dem Einflusse des redegewandten Agenten nicht entziehen. Sie wurden von ihm vollkommen davon überzeugt, daß sie das Haus durch ihr Zögern beinahe verloren hätten. Sie atmeten tief auf, als er fagte, daß es gerade noch Zeit sei.
Am anderen Morgen sollten sie wiederkommen, Sann würden die Papiere bereit sein. Diese Papiere Jurgis sah ein, daß dabei alle Vorsicht nötig war, und konnte dennoch nicht selbst zum Geschäftsabschluß gehen. Ein jeder sagte ihm, daß er niemals einen freien Tag bekommen würde, ja, daß er seine Stelle schon durch eine derartige Frage verlieren fönnte. So mußte er sich auf die Frauen verlassen und auf Szedvilas, der versprochen hatte, mitzugehen. Jurgis aber gab sich den ganzen Abend die größte Mühe, um ihnen den Ernst der Sache flar zu machen. Und dann famen aus un
1906
nennbaren Verstecken, an ihrer Person und unter ihrem Gepäck die kostbaren Bündel mit Geld zum Vorschein, um fein ordentlich in einen fleinen Sack gesteckt und fest in Teta Elzbietas Kleid genäht zu werden. Früh am Morgen wanderten sie fort, Jurgis hatte ihnen noch viele Lehren mit auf den Weg gegeben und sie vor so mancherlei Gefahren gewarnt, daß die Frauen ordentlich blaß vor Furcht waren und jogar der Delikatessenhändler, der stolz darauf war, ein Geschäftsmann zu sein, sich unbehaglich fühlte.
Der Agent hatte die Sache schon fir und fertig und lud fie zum Sißen und Durchlesen des Kontraktes ein. Szedvilas las, eine mühevolle Arbeit, während welcher der Agent auf seinem Pulte herumkramte. Teta Elzbieta war so verlegen, daß die Schweißtropfen auf ihrer Stirn perlten. Bedaß sie an seiner Ehrlichkeit zweifelten? Jokubas las weiter wies dieses Vorlesen dem Herrn nicht direkt ins Gesicht, und weiter, und plöblich zeigte es sich, daß er guten Grund hatte, in die Ehrlichkeit zweifel zu feben. Ein fürchterlicher Verdacht stieg in seinem Sirne auf. Je länger er las, desto finsterer faltete sich seine Stirn. Dies war überhaupt kein aufgeschäft, soweit er es übersehen konnte, denn der Kontraft stellte nur die Miete für das Haus sicher. Es war das ia bei all den fremden Ausdrücken schwer zu begreifen, aber machte es folgender Passus nicht sonnenklar? Der Zahler der ersten Rate verpflichtet sich hiermit, der Gesellschaft von der zweiten Nate Zinsen zu zahlen!" und dann wieder ,, eine monatliche Zinszahlung für 8 Jahre und 4 Monate von 12 Dollar!" Szedvilas nahm seine Brille ab, sah den Agenten an und stotterte eine diesbezügliche Frage hervor. die gebräuchliche Form; es würde immer so gemacht, daß man Der Agent tat sehr höflich und erklärte, das wäre so das Eigentum eigentlich nur vermietete. Er machte den Verdas Eigentum eigentlich nur vermietete. such, ihnen darauf einen Passus im nächsten Paragraphen zu zeigen, aber Szedvilas konnte nicht über das Wort„ Zinsen" hinwegkommen und als er es Teta Elzbieta überfekte, erschrat auch fie. Sie würden also ihr Heim vor neun Jahren nicht ihr eigen nennen fönnen! Mit unendlicher Geduld begann der Agent noch einmal seine Erklärung. Aber es half nichts. In Elzbietas Kopf faß die letzte feierliche Warnung Jurgis feft: st da etwas nicht in Ordnung, gib ihm das Geld nicht, sondern geh weg und nimm einen Advokaten!" Es war ein verzweifelter Moment; sie saß in ihrem Stuhl, bleich und mit verschlungenen Händen, machte einen übermenschlichen Versuch, ihre Kräfte zu sammeln und brachte ihre Absicht dann stotternd heraus.
Jofubas übersetzte ihre Worte. Sie erwartete, der Agent würde in Zorn geraten. Aber er blieb zu ihrem Erstaunen freundlich und höflich wie zuvor. Er machte ihr sogar das Anerbieten, einen Advotaten holen zu lassen, aber sie lehnte das ab. Sie ging selbst und suchte lange Zeit, um einen Mann zu finden, der kein Verbündeter des Agenten war. und stellt euch ihr Pech vor als sie nach einer Stunde mit einem Advokaten wiederkam, hörten sie ihn den Agenten mit seinem Vornamen begrüßen.
Jetzt fühlten sie, daß alles verloren war. Sie faßen da wie Angeklagte, die ihr Todesurteil erwarten. Sie konnten nichts weiter tun, sie faßen wie gelähmt in der Falle. Der Advokat las den Kontrakt durch und nachdem er gelesen, berichtete er Szedvilas, daß alles in Ordnung sei. Der Kontrakt fei genau so abgefaßt wie jeder Kontrakt bei solchen Verfäufen. Und welcher Preis war vereinbart?" fragte der alte Mann. 300 Dollar in bar als Anzahlung und der Rest in Monatsraten von 12 Dollar, zahlbar, bis die Totalsumme von 1500 Dollar voll war."
"
Ja, das ist richtig. Und die Summe gilt als Kaufpreis für das Haus, für Grund und Boden, kurz für alles?" " Ja;" der Advokat zeigte ihm die Stelle, wo all das zu lesen stand.
Und es war alles in Ordnung, feine Sniffe waren dabei? Sie wären arme Leute und hätten nichts weiter in der Welt; falls etwas Hinterlistiges bei dem Kontraft wäre, so seien fie verloren. Und so fuhr Szedvilas fort, eine zitternde Frage nach der anderen zu tun, während die Augen der Frauen in stummer Verzweiflung an ihm hingen. Sie verstanden nicht, was er fagte, aber sie wußten, daß ihr Schicksal von dem abhing, was er sagte. As nichts mehr zu fragen war und für