Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 200.

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Der Sumpf.

Dienstag, den 16. Oktober.

1906

( Nachdrud verboten.) die der aus eigener Kraft Emporgekommene seinem Sohne mit den Millionen hinterlassen hatte.

Roman bon Upton Sinclair . Autorisierte Uebersehung. Der alte Antanas hatte von Kindheit an gearbeitet; er war mit zwölf Jahren von Haus weggelaufen, weil sein Vater ihn geschlagen hatte, als er lesen lernen wollte. Und er war stets ein zuverlässiger Mann gewesen; ein Mann, den du monatelang allein lassen konntest, wenn du ihm klar ge­sagt, was er in der Zwischenzeit tun sollte. Und nun saß er hier, an Leib und Seele gebrochen, und fand in der großen Welt so wenig ein Plätzchen wie ein franker Hund. Er hatte hier ein Heim und es sorgte jemand für ihn, auch wenn er niemals Arbeit bekam, aber seinem Sohne kam doch ab und zu der Gedanke, es wäre besser anders. Antanas Rudfus war wohl in jedem Gebäude Packingtowns gewesen, beinah in jedem Raume; er hatte morgens unter der Menge der Arbeitsucher gestanden, bis der Polizist aufmerksam auf ihn wurde und ihn aufforderte, nach Hause zu gehen. Ebenso war er in allen Läden und allen Hallen gewesen und hatte um eine leine Arbeit gebettelt, aber allerwärts hatte man ihn hirausgewiesen, oftmals unter Verwünschungen. Nicht einmal gefragt hatte ibn jemand.

Alles das untergrub das Fundament des sicheren Ge­bäudes, das Jurgis sich in seinem Glauben an die Folgerichtig feit der Weltdinge aufgebaut hatte. Der Riß im Fundament war groß, so lange Dede Antanas auf der Jagd nach Arbeit war aber er vertiefte sich noch, als der Alte endlich eine Arbeit fand.

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Eines Abends fam Antanas in großer Erregung heim. E: war in einem der Korridore bei Durham einem Manne begegnet, der ihn gefragt, was er dafür bezahlen wollte, wenn er ihm eine Stelle verschaffte. Er hatte zuerst nichts aus dem Verfall zu machen gewußt, aber der Mann hatte ihm mit großem Freimut erklärt, daß er ihm Arbeit verschaffen fönne, vorausgesetzt, daß Antanas gewillt sei, ihm ein Drittel seines Lohnes zu überlassen. War es ein Aufseher gewesen? Antanas hatte danach gefragt, worauf der Mann geantwortet, daß das niemand etwas anginge, aber er fönne halten, was er versprochen. Inzwischen hatte Jurgis einige Freunde ge­wonnen, und suchte jetzt einen davon auf und fragte ihn um feine Meinung. Der Freund mit Namen Lamoszius Kuszleika war ein forscher Kleiner Mann, der früher an den Schlacht­bänken Felle aufgerollt hatte. Dieser hörte Jurgis, ohne große Verwunderung zu zeigen, an. Derartige Fälle von gemeinen Schröpfungen waren nichts Ungewöhnliches; es war einfach ein Aufseher gewesen, der nicht abgeneigt war, sein Einkommen ein wenig zu vergrößern.

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Jurgis würde das alles wohl aus sich selbst heraus er fannt haben, wenn er lange genug in der Fabrik gewesen wäre. Er gehörte zu den Männern, denen alle schmutzige Arbeit überlassen wird den alleruntersten- und so gab es keinen, den er hätte betrügen können. Am Ende aber wurde ein jeder von dem Geist des Ortes ergriffen und tat, was alle taten. Jurgis war hierher gekommen und hatte gewünscht, sich nützlich zu machen, zu steigen und ein geschickter Arbeiter zu werden. Er mußte seinen Irrtum bald einsehen, denn in Packingtown steigt niemand, weil er gute Arbeit verrichtet, das gilt als Regel, und siehst du einen Mann in Bading­town steigen, dann war es sicher ein Schurke. Der Mann, den der Aufseher zu Jurgis Vater gesandt der würde steigen. Ein Mann, der spioniert und Geschichten von seinen Genossen weiterträgt er wird steigen. Aber der Mann, der nur seiner Arbeit lebt und seine Pflicht erfüllt ihn werden sie hetzen, bis er abgearbeitet ist und ihn dann hinauswerfen. Mit benommenem Kopfe ging Jurgis hinein. Noch fonnte er alle diese Jämmerlichkeiten nicht glauben das fonnte ja doch nicht wahr sein. Tamoszius war einfach einer von den Unzufriedenen. Brachte er doch seine ganze Zeit mit fiedeln hin. Er ging nachts zu den Gesellschaften, kam nicht bor Sonnenaufgang heim, und so konnte er natürlich den Segen der Arbeit gar nicht erfassen. Er war ja auch ein schwächlicher kleiner Bursche und im Wettlauf zurückgeblieben. Daher seine Bitterkeit! Jedoch Jurgis selbst machte alle Tage seltsame Erfahrungen. Er bestimmte seinen Vater, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Aber der Alte hatte so lange gebettelt, daß er aufgerieben war und alle Geduld verlor.

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Er wollte Arbeit haben, irgend eine Arbeit. So ging er am nächsten Tage doch wieder hin und fand auch dent Mann, der mit ihm gesprochen hatte. Er versprach ihm ein Drittel seines Lohnes und an demselben Tage hatte er Arbeit in Durhams Kellern. Es war ein Pökelraum, in dem es feine trockene Stelle gab, um sich daraufzustellen; so mußte Antanas den ganzen Lohn der ersten Woche dran geben, um sich ein paar dickbesohlte Stiefel zu kaufen. Er war Auf­mischer; seine Arbeit bestand darin, den ganzen Tag mit einem Scheuerlappen herumzugehen und den Boden abzu wischen. Ganz abgesehen davon, daß es im Keller feucht und dunkel war, konnte niemand diese Arbeit eine angenehme, nennen. Besonders nicht im Sommer. Aber Antanas Rudkus war der bescheidenste Mann, den Gott je auf die Welt geschickt hatte, und so war es für Jurgis die eklatanteste Bestätigung dessen, was die Männer ihm vorher gesagt hatten, als fein Vater schon nach zweitägiger Arbeit mit den bittersten Ge­fühlen heimkam und Durhams Fabrik mit der ganzen Kraft feiner Seele verwünschte. Er hatte den Ausguß auswischen müſſen!

Aus folchen Vorfällen lernte Jurgis einsehen, daß die Fabriken eigentlich weiter nichts darstellten wie verrottete Bienenstöcke. Die Aufseher sogen die Arbeiter und die Ar- Die Familie saß um ihn herum und hörte mit Staunen, beiter jogen die anderen aus. Einer den anderen! Und was er da erzählte, wußte nicht, was es bedeutete. Dem An­eines Tages bekam der Oberaufseher die Manipulation des schein nach hatte er in dem Raum gearbeitet, wo die Männer Aufsehers heraus und preßte diesen wieder bis aufs Blut. das Fleisch für die Büchsen vorbereiteten. Das Fleisch lag Sich an dem Gegenstand begeisternd, fuhr Tamoszius fort, die dort in großen Fässern mit Chemikalien, die Männer spießten ganzen Verhältnisse aufzuklären. Da war z. B. Durhams es mit großen Gabeln heraus und packten es auf Karren, Fabrik. Der Eigentümer wollte unter allen Umständen so um es in die Kochräume zu schaffen. Als sie alles, was sie viel Geld als mur irgend möglich gewinnen und fragte durch erreichen fonnten, aufgespießt hatten, schütteten sie das Faß aus nicht danach, auf welche Weise das geschah. Und unter um, schaufelten den Nest auf und packten ihn auch auf die ihm stand, sozusagen in Neih und Glied, eine fleine Armee Starren. Der Boden war schmutzig, aber trotzdem hatten sie bon Führern, Obmännern und Vorarbeitern, und jeder von Antanas befohlen, die letzten Reste mit seinem Scheuertuch in ihnen peitschte seinen Untergebenen und suchte das Möglichste ein Loch zu schieben, das mit einer Versenkung verbunden an Arbeit aus ihm herauszuschinden. Alle die Männer, die war, wo die Fleischstücke erfaßt und wieder zum weiteren denselben Rang befleideten, machten sich gegenseitig das Gebrauch zurecht gemacht wurden. Und nicht genug damit Leben sauer; ihre Berichte wurden gesondert eingefordert, es gab da noch einen Ausguß, worin alle Reste und Abfälle und jeder lebte in ständiger Angst, seine Stelle zu berlieren, im Schmutze liegen blieben, und des alten Mannes Arbeit wenn ein anderer es vielleicht besser machte als er. So stellte sollte es nun sein, alle paar Tage das Angesammelte heraus­die Fabrik vom obersten Beamten bis zum legten Arbeiter zunehmen und in die Karren mit dem Fleisch zu schaufeln! einen brodelnden Kessel voller Eifersucht und Haß dar. Es Das hatte Antanas mitmachen sollen. gab da keine Rücksicht, keine Höflichkeit, ja keinen Menschen, Dann tischten Marija und Jonas ihre Geschichten auf. der mit etwas anderem rechnete als dem Dollar. Schlimmer Marija arbeitete bei einem der unabhängigen Backherren; - es gab auch nicht einmal Ehrlichkeit. Und der Grund? sie war froh und glücklich in dem Gefühle des Triumphes ob Wer konnte ihn nennen? Er war wohl von dem alten Dur­ ham auf alle diese Leute überkommen. Es war die Erbschaft,

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ihres hohen Lohnes für das Bemahlen von Büchsen. Aber eines Tages wanderte sie heim in Begleitung eines blassen