Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 206.

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Der Sumpf.

Mittwoch, den 24. Dktober.

( Nachdruck verboten.)

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1906

Kehrichthaufen Häuser bauen und sie verkaufen konnte. Dann verkaufte er der Stadt seine Ziegel zu Preisen, die er be stimmte, und die Stadt kam und packte sie auf ihre Wagen. Auch die andere Grube daneben gehörte ihm, worin das Roman von Upton Sinclair . Autorisierte Uebersehung. stagnierende Wasser war, und er war es, der das Eis hackte Als Jurgis drei Wochen bei Browns gearbeitet hatte, fam Wahrheit sprachen- nichts dafür bezahlen. Ja, er hatte fo und verkaufte, und er brauchte sogar wenn die Leute die eines Abends ein Mann zu ihm, der als Nachtwächter beschäf- gar das Eishaus aus Holz gebaut, das der Stadt gehörte, und tigt war und ihn fragte, ob er sich nicht naturalisieren lassen auch dafür nichts zu bezahlen gehabt. Die Zeitungen hatten und amerikanischer Bürger werden wollte. Jurgis wußte damals die Geschichte aufgenommen, und es hatte einen nicht, was er meinte, aber der Mann machte ihm die Sache und Skandal gegeben. Aber Scully hatte irgend einen Menschen die Vorteile klar. Erstlich, es würde ihm nichts kosten und ihm gekauft, der alles auf sich nahm und dann außer Landes ging. einen halben freien Tag ohne Lohnabzug verschaffen, wenn der Es wurde auch gesagt, daß Scully seinen Ziegelofen ebenso ge­Wahltag fam; er durfte mitwählen, und das bedeutete schon baut hatte wie das Eishaus, und daß die Arbeiter in Stadt­etwas. Jurgis nahm den Rat dankbar an, der Nachtwächter John gestanden hätten, während sie bei ihm arbeiteten. Aber sprach mit dem Aufseher, und Jurgis bekam den Tag frei. alle diese Geschichten mußte man förmlich aus den Leuten Später, als er einen freien Tag verlangte, um zu heiraten, herauspressen. Es ging fie nichts an, und Mike Scully war ein wurde er ihm abgeschlagen. Der Himmel mochte wissen, welche Macht im anderen Falle das Wunder vollbracht hatte. ganz guter Sterl, mit dem man sich nur gut stehen mußte. Ein Er ging mit dem Manne, der noch einige andere frische Emi- Bettel von seiner Hand war zu jeder Beit so gut wie eine Stelle granten auflas, Polen , Litauer und Slowaken, er nahm fie nur acht Stunden arbeiten und zahlte die höchsten Löhne. im Backhause. Er selbst beschäftigte eine Menge Leute, ließ fie alle mit hinaus zu einem eleganten, vierspännigen Wagen, Das verschaffte ihm viele Freunde, die er alle in der War der schon mit 15 oder 20 Mann besetzt war. Es war eine Whoop League" zufammengebracht hatte. Das aber war schöne Gelegenheit, die Stadt zu sehen, und die ganze Gesell- der größte Klub mit dem größten Klubhause in Chicago . Die schaft hatte einen guten Tag und bekam biel Bier zu trinken. Mitglieder veranstalteten dann und wann Fauftkämpfe und So fuhren sie zur Stadt und hielten endlich vor einem impo- Sahnenkämpfe, sogar Hundekämpfe. Die Polizisten des fanten Granitgebäude, in welchem sie von einem Beamten empfangen wurden. Dieser hatte die Papiere schon fertig, nur Distrikts gehörten auch mit zu dem Klub, und anstatt die die Namen wurden noch eingetragen. Dann mußte jeder einen Kämpfe zu verhindern, verkauften sie dazu die Billetts. Auch Eid nachsprechen, von dem er kein Wort verstand, und bekam der Nachtwächter, welcher Jurgis zum Naturalisieren geraten, ein hübsch verziertes Dokument geschenkt, das mit einem war einer von den Indianern", wie die Mitglieder des Klubs großen roten Siegel und dem Wappen der Vereinigeten genannt wurden, und an Wahltagen waren Hunderte von Staaten geschmüdt war. Es wurde ihnen angekündigt, daß ihnen mit großen Geldbeuteln unterwegs, und boten Frei­Sie Bürger der Republik geworden und der Präsident jetzt trunt an in allen Trinkhallen. Alle Trinkstellenbefizer mußten ihresgleichen sei. Einen Monat später hatte Jurgis eine neue Indianer" werden und hohe Beiträge leisten, sonst konnten Busammenkunft mit demselben Mann. Der sagte ihm, wo er fie Sonntags fein Geschäft machen und durften überhaupt kein sich nun als Wähler einschreiben lassen müsse. Spiel in ihren Zimmern dulden. In derselben Art hatte Scully alle Stellen im Feuerdepartement zu seiner Disposition. Er baute irgendwo an der Ashland Avenue einen Häuserblock mit Wohnungen, und der Bauführer bezog feinen Gehalt als Stadtinspektor der Kanäle. Der Stadtinspektor der Wasser­leitungen war tot und begraben, aber irgend jemand bezog noch immer feinen Gehalt. Der Stadtinspektor für Straßen­wesen war der Wirt in der War Whoop League", und man raunte sich untereinander zu, daß es jedem Handelsmann teuer zu stehen kommen konnte, der nicht für Scully eintrat.

Endlich, als der Wahltag kam, wurde in den Schlacht­häusern angekündigt, daß die Männer, welche zu wählen wünschten, bis 9 Uhr des Morgens frei hätten. Derselbe Nacht­wächter nahm Jurgis und den Rest seiner Horde mit in das Hinterzimmer eines Schanklokals und zeigte jedem, wie er einen Wahlzettel zu zeichnen hatte. Dann gab er jedem zwei Dollar und nahm sie mit zu dem Wahllokal, vor dem ein Polizist darauf acht gab, daß sie richtig hineinkamen. Jurgis war sehr stolz über diesen Glücksfall, bis er heimfam und Jonas traf, den ein Obmann beiseite genommen und ihm heimlich vier Dollar geboten hatte, wenn er dreimal seine Stimme abgeben wollte- welches Anerbieten selbstverständ­lich dankbar von ihm angenommen worden war.

In der Gewerkschaft ward Jurgis später das Geheimnis enthüllt, und er erfuhr, daß Amerika sich in der Hinsicht von Rußland scharf unterschied. Es stellte eine demokratische Re­ publik dar. Die Beamten, welche die Verwaltung in Händen hatten und alle Aemter besetzten, mußten erst gewählt werden. Nun gab es zwei rivalisierende Gesellschaften von Aemter­jägern, sogenannte politische Parteien, und wer von den beiden die meisten Stimmen zu kaufen vermochte, erbeutete die Aemter; zuweilen aber war der Ausgang der Wahl sehr ungewiß und dann hatte der arme Mann auch mal eine Ge­Legenheit, mitzureden. In den Viehhöfen war das nur bei National- und Staatswahlen der Fall, bei Lokalwahlen hatte die demokratische Partei alles in der Hand. Der demokratische Führer des Distrikts war ein kleiner Irländer mit Namen Mike Scully. Scully hatte ein mächtiges Parteiansehen im Staat und beaufsichtigte sogar den Bürgermeister der Stadt, so sagte man wenigstens. Er prahlte damit, daß er die Viehhöfe in der Tasche hätte. Er war ein enorm reicher Mann und hatte bei allen guten Geschäftsgelegenheiten in der Nachbarschaft seine Hand im Spiele. Scully gehörte z. B. der größte Wassertümpel, welchen Jurgis und Dna am ersten Tage ihrer Ankunft gesehen hatten. Aber nicht allein der Wassertümpel war sein Eigentum, sondern auch die Ziegel­fabrik daneben. Er nahm zuerst den Sand heraus und machte Biegel daraus, und dann hatte die Stadt Nehricht zu bringen, um die Löcher wieder auszufüllen, damit er auf diesen

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Selbst die Packherren hätten Angst vor Scully, sagten die Leute. Ja, es machte ihnen Vergnügen, derartiges zu glauben, denn Scully war Boltsmann und prahlte damit, wenn ein Wahltag kam. Die Packherren hatten eine Brücke an der Ashland Avenue haben wollen, aber sie hatten keine bekommen, bis sie Scully darum gebeten. Dasselbe war mit Bubbly Creek" der Fall, mit dem die Stadt den Packherren hatte schaden wollen, bis Scully diesen zu Hülfe gekommen war. Bubbly Creek ist ein Arm vom Chicago - Fluß und bildet die füdliche Grenze der Höfe. Aller Abfluß der Backhäuser ergießt sich in ihn hinein, so daß er zu einem offenen Sanal von hundert bis zweihundert Fuß Breite geworden ist. Ein Ende des Kanals ist ohne Abfluß, und der Schmutz steht dort und ist fest geworden wie Lava. Das Fett und die Chemikalien, welche in den Kanal hineinfließen, machen natürlich alle mög lichen Veränderungen durch, deshalb der Name Bubbly Creek. Es herrscht beständige Bewegung in ihm, als wenn un­geheuere Fische fich darin wälzten oder große Leviathane sich in der Tiefe belustigten. Blasen von Karbongassäure steigen zur Oberfläche, plazen und bilden Ringe von zwei bis drei Fuß Umfang. Hier und da haben Fett und Schmutz große Suchen gebacken, und die Bucht gleicht einem Lavabett. Hühner laufen auf dem Schmuß umher und suchen sich Futter; manchmal hat schon ein unvorsichtiger Fremder hinüber­zugehen versucht und war zeitweise verschwunden. Die Pack­herren ließen im Creek alles, wie es war, bis seine Ober­fläche auf einmal Feuer fing und ein furchtbarer Brand aus­brach. Die Feuerwehr mußte ihn löschen. Einmal kam ein genialer Fremder und wollte den Schmutz in Boote sammeln um Schmalz aus dem Dreck zu machen. Von dieser Absicht