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Der Berleger( gereizt): Wie? Bafouillot entlassen? Sie das prätentiöse Sichinteressantmachenwollen, das manirierte find wohl verrückt?! Ich denke ja gar nicht daran! Er hat mir ge- Spielerische, das paradore Verworrenheiten zu verstecktem Tiefsinn nügende Erklärungen gegeben und aufzubauschen trachtet. Hier spürt man nichts von Bose, sondern furchtbar nahe Lebensnot. Mit Herzblut ist das Stück geschrieben, und diese Empfindung hält an auch bei den schwächeren Stellen, wo die unmittelbare Illusion versagt und die Sprache aus dem Charakteristischen in das Abstrakte gleitet.
Der Chefredakteur( erstaunt): Seine Artikel fallen also in Zukunft nicht fort?"
Der Verleger( die Arme zum Himme! erhebend): Wie? Bafouillots Artikel sollten fortfallen? Diese kleinen Meisterwerke sollten fortfallen? Aber ganz im Gegenteil! Sie kommen in Bu unft auf die erste Seite unseres Blattes 1"
Der Chefredakteur: Sie sagten doch soeben selbst.
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Der Verleger( nachlässig): Ach fo! Sie meinen den Klatsch, den Sie mir vorhin aufgetischt haben? Aber das ist ja Unfinn, Verehrtester! Daran ist ja auch nicht ein einziges wahres Wort! Bafouillot ist der anständigste Mensch von der Welt!( mit Nachdruck) Ein Kämpfer des Gedankens!... Nicht um eine Million würde er den Lesern der„ Neuesten Nachrichten" ein zweifelhaftes, unsicheres Geschäft empfehlen! Sie könnten ihm noch so viel Geld anbieten, er täts nicht!"
Der Chefredakteur( beruhigt):„ Dann war die Geschichte mit dem Wagen also auch Schwindel?"
Der Verleger( verwirrt): Wie? Die Geschichte mit dem Wagen? N- nein. Er hat Erbschaft gemacht."
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Der Chefredakteur: Das freut mich um seinetwillen, wirklich! Denn mit seinen 75 Frank monatlich Der Verleger( sich die Nase reibend):, 75 Frant monat lich? Ach so! Richtig! Bald hätte ich's vergeffen! Bitten Sie doch den Staffierer, er möchte einen Augenblid zu mir kommen. Vafouillot wird in Zukunft nicht mehr 75 Frank beziehen."
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Der Chefredakteur: Sie geben ihm Bulage?" Der Verleger( zögernd):" Ja... das heißt: nein ( haftig) Gott ! Ihnen tann ich's fa fagen : von jest ab bezahlt Bafouillot mir 650 Frank pro Monat..
Kleines feuilleton.
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Vom Schmerz der Jugend, den das in der Erinnerung rosa färbende Alter so gern bergißt, spricht das Werk mit schneidend Ja, aber. ich glaubte... unbarmherziger Schärfe, vom Schmerze, den das Erwachen der Begierde über junge, ratlos im Dunkeln tappenden Knaben- und Mädchenseelen verhängt. Jeder kennt ihn, aber die Dichtung, bie doch das Spiegelbild des Lebens sein will, wenigstens die dramatische Dichtung, war noch immer geschlossenen Auges an diesem Leid, von dem eine hohle Brüderie nicht reden hören will, vorüber gegangen. Ganz neue Wege galt es da zu bahnen. Das darf man, will man die Originalität des Wedekindschen Stüdes in gerechter Weise würdigen, nicht vergessen. Wahr und tief ist der Zusammenstoß jugendlich idealistischer Dentart mit dem dumpfen Zwange des Instinktes in den beiden Freunden, dem überzarten Moriz, der in rastloser Arbeit sein Schülerpensum nicht bewältigen kann, und dem fräftigeren rasch jede Aufgabe erfassenden Melchior gezeichnet. hm... er hat eine fleinen abendlicher Dämmerung wagt jener dem Kameraden anzus deuten, welche Träume, welche Neugier ihn quälen; und als der erzählen will, was er aus Büchern darüber zusammengeleſen, bittet ihn Moriz in glühender Scham, er solle es ihm lieber aufschreiben. Es ängstet ihn, die Worte im Gespräch zu hören. Der Quell des Lebens scheint ihnen schmutzig trübe, das Leben selbst dadurch zur Gemeinheit entwürdigt. Ein rüdsichtsloser Jugendgeist regt seine Schwingen; mißt an seinen Maßstäben die Welt und stürmt dann borwärts zu den letzten Konsequenzen. Erfüllt die Welt nicht, was fie foll, was wir berlangen, so ist sie ein bernunftloses, blindes Un gefähr, der Glaube Lug und Trug. Wie Melchior mit der vier zehnjährigen luftigen Wendla im Walde zusammentrifft, da zwingt er die Verwirrung, in die ihn ihre nedischen, noch unbewußt fofetten Zutraulichkeiten treiben, nieder, indem er vor der Kleinen darüber zu philosophieren anfängt, ob eigentlich der Mensch für seine Tugenden und Schlechtigkeiten verantwortlich zu machen sei. Die Jungen, schwärmen für den" Faust", aber die Liebesgeschichte mit Gretchen scheint ihnen fleinlich, ein Absturz von der dichterischen und Gedankenhöhe. Seltsam rührend und ergreifend tamen all diese Stimmungen und Züge im Spiele Moissis( Morit) und Bernhard b. Jakobis( Melchior) heraus. Die schlanken, ge schmeidigen Gestalten unterstützten die Wirkung aufs glüdlichfte. Man glaubte ihnen ihre sechzehn Jahre. Die kleine Wendla, in der der Trieb, ihr selbst verborgen, die Form des unbestimmten Zärtlichkeitsverlangens annimmt, die vergeblich ihrer Mutter mit Fragen, woher die Kinder kommen, zuseßt, und ohne Ahnung der Gefahr die Sinne Melchiors aufreist, bis das Traurige geschieht das ungludselige Kind, das Mutter wird und an der Mutterschaft zugrunde geht, fand eine schlechthin meisterliche Darstellung durch Fräulein Eibensch üb. Der Dichter hat für diese Rolle weniger getan als für die beiden Knaben. Um so bewunderungswürdiger war es, welche seelische Fülle die Schauspielerin hier zu entfalten vermochte. Das reizvolle und immer findliche Mienenspiel, gleich vollendet im Ausdrud liebenswürdiger Schelmerei, wie tiefsten Schmerzes, hielt die Zuschauer in ständigem Bana. In die Tragit des Schlusses mischen sich burleske Szenen echt Wedekindscher Art. Morih, der nicht versezt wird und die Vor würfe des Vaters nicht überleben zu können meint, erschießt sich. In der lebten Stunde bietet sich ein leichtfertiges Mädel, ein Malermodell,( die episodische Figur war ausgezeichnet mit Gera trud Gysoldt besetzt) ihm an. Mächtig empfindet er die Lockung, doch die tief wurzelnden Hemmungen wiegen noch stärker. Dann folgen in grotest ironischer Karikatur die Lehrerkonferenz, vor der sich Melchior wegen des in Morit' Hinterlassenschaft gefundenen Manuskriptes über die Fortpflanzung verantworten soll, und das Begräbnis. Melchior wird von den Eltern Fräulein Wangel und Herr Steinrüd gestalteten die Rollen mit intimfter Charakteristik aus- ins Korrektionshaus geschickt, entspringt der Haft und schleicht im Mondschein auf den Kirchhof, der feines Freundes Leiche birgt, er will fich dort erhängen. Der Tote fteigt aus seinem Grabe, den Kopf unter dem Arme tragend, und preist das Glück der Abgeschiedenen. Da erscheint ein unbekannter Herr mit Maske, weißen Handschuhen und Zylinder( von Wedefind gespielt), um mit fühlem Spott den Sput der visionären Schwärmerei zu verscheuchen, den erlahmenden Instinkt der Selbit erhaltung in Melchior von neuem anzustacheln. Er wird weiter leben. Der Fremde ist, wenn ich die Intention des Dichters richtig deute, das eigene Jch des Knaben, wie es das spätere Leben, alle weicheren Gefühle niederstampfend, formen wird. Aber freilich die Kraft hat hier nicht ausgereicht, für den kühnen Gedanken eine poetisch überzeugende Symbolik zu schaffen, und so befremdet der Ausgang wie der Einfall einer plötzlichen, den Zusammenhang des Ganzen kreuzenden Laune.
u. Kunstmilch. Nahrungsmittelverfälschung wird mit Recht streng bestraft, denn erstena wird durch sie an dem laufenden Publitum ein Betrug ausgeübt, und zweitens scheuen die Nahrungsmittelfälscher sehr häufig auch nicht davor zurück, direkt gesundheitsschäde liche Stoffe zu verwenden. Die Tatsache allein aber, daß verfälschte Nahrungsmittel vielfach getauft werden, beweist schon, daß die unberfälschten Nahrungsmittel nach ihrer Menge für den Bedarf nicht ausreichen, oder daß sie so teuer sind, daß viele sie nicht kaufen können, trotzdem sie eigentlich unbedingt notwendig find. Die Abhülfe darf aber unter diesen Umständen nicht durch Fälschungen gebracht werden, sondern nur durch die Herstellung von Surrogaten, bie ganz offen als solche verkauft werden. Natürlich muß bei der Fabrikation solcher künstlicher Nahrungsmittel darauf geachtet werden, daß sie den natürlichen an Nährwert und Bekömmlichkeit möglichst nahe kommen. Leider wird aber gegen diese Forderung bielfach gefündigt, und es werden künstliche Nahrungsmittel ge liefert, die eigentlich Berfälschungen schon recht bedenklich ähnlich find. So wird vielfach eine Art von Kunstmilch angepriesen, die sich bei ihrer chemischen Untersuchung als wenig nahrhaft erwies. Sie besteht nämlich aus Syrup und Sesamöl, dem etwas Eiweiß beigemischt ist. Wenn man das Ganze dann in Wasser auflöst, entsteht allerdings eine äußerlich der Milch ziemlich ähnliche Flüssigkeit, die aber bezüglich der Nahrhaftigkeit hinter dieser so weit zurüdsteht, daß die Bezeichnung Kunstmilch eigentlich ganz ungerechtfertigt erscheint. Das Schlimmste daran ist aber, daß man nur schwer den direkten Zusatz des bedenklichsten in ihr enthaltenen Stoffes, des Sesamöles, nachweisen kann; denn dies ist oft auch in Margarine enthalten, und der Milchfabrikant tann sagen, daß er die erlaubte Margarine verwandt habe.-
Theater.
Kammerspiele des Deutschen Theaters: Frühlings Erwachen ", eine Kindertragödie von rant Wedekind . Das Wagnis, eines der größten, das Reinhardt in seiner furzen, an Experimenten so reichen Direktionszeit unternahm, ist über alle Erwartungen geglüdt. Die Aufführung der Wedekindschen Kindertragödie, deren Gefüge dem Bühnenrahmen durchaus zu widersprechen schien, hat, bon einer wunderbar fein abtönenden Regie und Schauspielfunft getragen, einen ungewöhnlich starten, die Wirkung, die das Drama beim Lesen hinterläßt, weit überflügelnden Eindruck erzeugt. Sie bedeutet eine neue Eroberung für das Theater, ein Hinausrüden seiner Grenzen. Die Schwierigkeiten, die aus dem Stoff wie aus der sprunghaft zerriffenen Form des Werkes erwuchsen, das an zwanzig szenische Berwandlungen erheischt, waren restlos überwunden.
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Um so bedeutsamer ist das Gelingen, als dieser so wenig befannte Dramenerstling die späteren Stücke Wedekinds, die von der Tagesmode so überlaut gepriesen wurden, an Kraft und innerem Die höchft originellen Dekorationen, die Walser komponiert Gehalt hoch überragi. Die Eigenart des Dichters, die Mischung hatte, waren mit feinstem Stilempfinden der Dichtung angepaßt. scharfäugig, falter naturalistischer Beobachtung und bunt willtür- Die neue Drehbühne gestattete es, die mannigfachen Bilder in un licher Phantastit zeigt sich schon hier in deutlichster Prägung. Aber unterbrochenem Flusse vorüberziehen zu lassen. Alles vereinigte es fehlt, was später namentlich in Hidalla" so störend hervortritt, sich zu sicherstem Zusammenwirken.
dt.