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feinen, nicht eine Träne! Es war aus und vorbei, und er war fertig damit; er wollte alles von sich abschütteln, die ganze Geschichte, noch in dieser Nacht, er wollte frei fein! Es sollte alles vergehen, wie ein böser, schwarzer Traum, und am Morgen wollte er ein neuer Mensch sein. Und jedes­mal, wenn der Gedanke daran ihn wieder anfiel eine zärt­liche Erinnerung, die Spur einer Träne, dann wallte seine Seele auf, dann fluchte er vor Wut und stampfte ihn unter die Füße.

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Er fämpfte um sein Leben; er knirschte in wilder Ver­zweiflung mit den Zähnen. Er war ein Narr gewesen, ein Narr! Er hatte sein Leben vergeudet, hatte sich zugrunde gerichtet in seiner verwünschten Schwäche; und jetzt war er fertig damit, jest wollte er sie ausreißen, mit allen Wurzeln und Fasern! Nichts mehr von Tränen und Weichherzigkeit; er hatte genug von ihnen, sie hatten ihn in dieSklaverei ver­fauft. Jetzt wollte er frei sein, wollte die Fesseln abwerfen, um sich in den Kampf zu stürzen. Er war froh, daß es zu Ende war; es mußte ja doch einmal kommen, und da war es schon besser, es kam gleich. Dies war keine Welt für Frauen und Kinder, und je cher sie aus ihr heraus waren, um so besser für sie! Was Antanas auch dort, wo er jegt war, leiden mochte, er konnte nicht schwerer leiden, als er gelitten haben würde, wenn er auf der Erde geblieben wäre. Und damit hatte sein Vater den letzten Gedanken auf ihn verwandt; von jegt an wollte er an sich selbst denken, wollte für sich selbst tämpfen; gegen die Welt, die ihn getäuscht und gemartert hatte. So fuhr er fort, so riß er alle Blumen aus, die im Garten seiner Seele wuchsen, und trat sie unter die Füße. Der Zug donnerte betäubend und ein Stauborkan blies ihm ins Gesicht; aber obwohl der Zug während der Nacht mehr­mals stillhielt, klammerte er sich doch an sein Versteck, er wollte ihn nicht verlassen, bis man ihn vertrieb, denn jede Meile, die er weiter von Padingtown hinweggetragen wurde, nahm eine Last mehr von seiner Seele.

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Jedesmal, wenn der Zug hielt, wehte ihm ein warmer Hauch entgegen, ein Hauch, der mit dem Tuft frischer Felder beladen war, mit dem Duft von Jelängerjelieber und blühendem Klee . Er sog ihn ein, und sein Herz begann heftig zu pochen, er war wieder draußen auf dem Lande! Als der Tag anbrach, spähte er mit hungrigen Augen hinaus und erhaschte bald einen Blick auf grüne Wiefen, bald auf Wälder und Flüsse. Schließlich ertrug er es nicht mehr, und als der Zug abermals hielt, kletterte er hinaus. Oben auf dem Waggon saß ein Bremser, der mit der Faust drohte und fluchte; Jurgis winkte höhnisch mit der Hand und wanderte ins Land hinein.

( Fortsetzung folgt.)

( Nachdrud verboten.)

Єin ruffifcher Urwald.

Von Dr. J. Wiese.

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Dafür aber erreichen die anderen Bäume, ganz besonders die Siefer, auf feuchten Stellen die Fichte, und von Laubhölzern die Eiche, die Linde, Hainbuchen, Birken, Ellern , Bappeln und Weiden und eine folossale Stärke. Alle diese Holzarten kommen in der ein unerhörtes Alter, eine an das Wunderbare grenzende Höhe buntesten Vermischung vor, und finden sich von der verschiedensten Altersstufe und dem ungleichsten Umfange dicht neben einander. Hier hat ein Sturmwind mehrere alte Riesenstämme entwurzelt und zu Boden geschleudert. Wo sie hinstürzen, da sterben und ver­wesen sie auch! Weber ihnen aber erheben sich Tausende von jungen fonnten und nun im regen Wetteifer nach oben streben, nach Luft, Stämmchen, die im Schatten der alten Bäume nicht gedeihen nach Licht, nach Freiheit. Ein jedes sucht sich zur Geltung zu bringen, aber doch können nicht alle das gleiche erreichen. Bald zeichnen fich einige von den anderen aus, und einmal erst mit dem Kopfe oben, fangen sie an, sich breit zu machen, wölben eine prächtige Krone und erdrücken erbarmungslos die schwächeren Pflanzen, die nun traurig zurückbleiben und berkümmern. Aber auch diese über­mütig Emporstrebenden werden einst in das Greiſenalter treten, ihre Wurzeln werden von den Stürmen gelodert und heraus geriffen werden, bis auch über ihren Sturz Freude unter dem jungen Nachwuchs sein wird, und dasselbe Spiel, derselbe Kampf beginnt.

Außerhalb der gebahnten Wege, die der Jagd wegen in Ordnung gehalten werden, ist der Wald kaum zu betreten, nicht einmal an Stellen, wo die Bäume lichter stehen, da gerade dort ein lichter Unterwuchs von allen möglichen Straucharten wuchert. geworfen, die so verworren über und untereinander liegen, daß An anderen Stellen hat der Sturm Hunderte von Bäumen um­selbst das Wild Mühe hat, sich durchzuarbeiten. Ab und zu ge wahrt man allerdings bedeutende Lichtungen durch das Didicht des Waldes schimmern, schon glaubt man an der Waldesgrenze zu sein, oder doch eine Dorfschaft vor sich zu haben, aber wenn man auf eine solche Lichtung zuschreitet, gewahrt man, daß fie ihre Ent­geit dieses ungeheure Loch fraß, und dann genug hatte, denn stehung einem Waldfeuer zu verdanken hat, das sich in furzer menschliche Kräfte bermögen wenig oder nichts über die Gewalt des Feuers in diesen Riesenwaldungen. Alle 8 bis 10 Jahre kommt durchschnittlich ein Brand von gewaltiger Ausdehnung vor, kleinere Waldbrände aber sind häufig an ber Tagesordnung.

An Wildarten finden wir daselbst vor allem den Wisent ( oder Bison), den Glenhirsch in großer Zahl, obwohl nur im Winter, da er im Sommer die benachbarten Brüche aufsucht, und den Bären in drei verschiedenen Gattungen. Sind das nicht schon drei Achtung erweckende Namen? Von den lettgenannten ist der mittelgroße braune am häufigsten, seltener der große schwarze und der Kleine filbergraue. Der schwarze Pek lebt ausschließlich von Vegetabilien und Honig, doch sind auch die beiden anderen nicht so furchtbar als gemeinhin angenommen wird, da sie fast nur ge­fallenes Wild zerreißen, selten oder nie gesundes, und den Menschen nur in der Notwehr angreifen. Rote und Damwild ist sonder barer Weise gar nicht vorhanden, und das Reh kommt verhältnis­mäßig nur selten vor, vermutlich wegen der Menge reißender Tiere, die ihm nachstellen. Schweine leben immer in Rotten von 50 bis 60 Stüd beisammen; Dachsbaue find allerorten zahlreich, und an Hasen, den gewöhnlichen, sowie den weißen, ist kein Mangel.

Der Wolf ist stark vertreten und zwar findet er sich von der größten, fünf bis sechs Fuß langen Art. Er ist der Jagd sehr schädlich, da er den Wildkälbern nachstellt und jährlich eine be­deutende Menge derselben seinem Heißhunger opfert. Im Winter, und besonders, wenn ein stärkeres Rudel oft 30 bis 40 Stüd beisammen ist, wagt sich der Wolf sogar an Auerochsen und Glen, die er solange umherjagt, bis es ihm gelingt, ein Stück von der Herde abzutreiben, das dann stets sicher seine Beute wird. geus, der im Bialowiezaer Walde keineswegs fehlt. Er hält Noch gefährlicher als der Wolf ist in dieser Beziehung der fich fast immer an den Waldsäumen auf, und lauert dort, zu fammengekauert hinter einem Baumstamm, auf das arglos vor­überschreitende Wild. Mit einem gewaltigen Sake stürzt er sich auf dasselbe und tötet es, indem er ihm die Kehle zerbeißt. Dieje bei den Rehen. Springt er aber einmal fehl, so macht er feine Methode gelingt ihm selbst bei größeren Tieren, besonders aber Anstalt, das flüchtige Tier zu verfolgen, sondern sucht sich mürrisch einen anderen Hinterhalt, in der Voraussetzung, daß der nächste Angriff einen glücklicheren Ausgang haben werde.

Der in den Ereignissen der russischen Revolution viel nannte, berühmte und doch wenig bekannte Wald von Bialowieza ist ein künstlich erhaltener Urwald. Rings umgeben von einer waldlosen Ebene im russischen Gouvernement Grodno , Kreis Brushany, erstreckt sich der Wald in einer Längenausdehnung von 7, einer Breite von mehr als 6 deutschen Meilen und bedeckt einen Flächenraum von etwa 30 Quadratmeilen. Dieser großartige Wald­fomplex liegt ganz besonders für sich, ja, man tönnte ihn mit einer Insel vergleichen, so umgeben ist er vor Feldmarken, Dorfschaften und baumlosen Heiden. Im Innern des Waldes finden sich einige wenige Kolonien, die, wie die an den Außengrenzen befindlichen Ortschaften nur von Forstbeamten bewohnt sind. Die Forstleute etwa 80 im Walde angesiedelte Familien sind militärisch organisiert. Rings um den Wald sind noch 103 Familien zum Heu­machen für die Wisente angesiedelt. Der Hauptort und zugleich die älteste Ansiedelung mitten im Walde ist das Dorf Bialowieza , das man erst von der Forstgrenze aus nach einer halben Tagereise erreicht. Werfen wir einen Blick auf den Urwald selbst.

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Auf seine Vegetation hat die europäische Kultur noch nicht eingewirkt. Wir befinden uns in einem vollständigen Urwalde, in dem die Spuren der Menschen noch gar nicht, oder doch nur in dem beschränktesten Maße erkennbar sind. Aber es darf nicht vergessen werden, daß dieser Urwald ein nordischer ist, daß er also einen ganz anderen Charakter haben muß, als jene Urwälder auf der füblichen Halbtugel unserer Erde, die gewöhnlich bei dem Worte Urwald uns vorjchweben. Nur die im Norden Deutschlands ein­heimischen Waldbäume trifft man im Walde bon Bialowieza an, und auch diese nicht einmal alle. So fehlt a. B. die Rotbuche gänglich.

die wilde Stage und natürlich auch Füchse, sind in Menge vor­Alle Arten von Wieseln und Mardern, früher auch der Zobel, handen.

Das wilde Geflügel ist im Bialowiezaer Walde in jeder Art zahlreich vertreten und in besonders großer Menge findet sich das Auer- und Birkhuhn sowie die Schnepfe vor. Auch Rackelhähne gibt es, diese sehr seltene Spielart zivischen Auer- und Birkhähnen. Von Raubvögeln zeigt sich häufig der Steinadler, selten der Geier.

Bemerkenswert ist auch das Vorkommen einer großen Schild­fröte, deren Fleisch indes wenig schmachaft sein soll.

Unstreitig ist es aber das Vorhandensein des Wisent oder Bison, was uns den Wald von Bialowieza ganz besonders interessant macht. Sein Körper ist mit kurzen, weichvolligen Haaren bedeckt; dagegen ist die Stirn in ihrer ganzen Breite, der Naden, der Höder und die Kehle bis unter den Bauch mit langen Haaren be wachsen, die, besonders bei höherem Alter der Tiere, äußerst struppig und borstenartig sind. Im Sommer ist der Wisent hell­