Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 238.
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Der Sumpf.
Sonnabend, den 8. Dezember.
Roman von Upton Sinclair . Autorisierte Uebersetzung. „ Ja," sagte Jurgis, ich werde ein Glas Bier trinken." -All right," versette der andere, ich werde ihn wechseln." Er steckte den Schein in die Tasche, schenkte Jurgis ein Glas Bier ein und stellte es auf den Schenktisch. Dann trat er an seine Rasse heran und zog ein Schubfach auf. Schließlich drehte er sich zu Jurgis herum und begann das Geld aufzuzählen: zwei silberne Zehncentstücke, ein Vierteldollar und fünfzig Cent.„ Da!" sagte er.
Einen Augenblick wartete Jurgis, weil er dachte, er werde sich nochmals umdrehen." Meine neunundneunzig Dollar," sagte er. Was für neunundneunzig Dollar?" fragte der Aufwärter. Mein Geld!" rief er aus.„ Der Rest von meinen hundert Dollar!"" Das ist gut," sagte der Aufwärter.„ Sie sind wohl nicht bei Trost!"
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Jurgis starrte ihn mit wirren Augen an. Einen Augenblick pacte ihn ein Grauen, und dann kam die Wut, in wilder, reißender Flut, er brüllte laut auf, ergriff das Glas und schleuderte es dem anderen an den Kopf. Der Mann duckte sich, und das Geschoß verfehlte ihn um einen halben Zoll, er richtete sich wieder auf, und als Jurgis über den Schenktisch sprang, verfetzte er ihm einen dröhnenden Schlag ins Geficht, so daß er rücklings zu Boden stürzte. Dann, als Jurgis wieder auf die Füße kam und um den Schanktisch herumlief, schrie er aus vollem Halse:" Bu Hülfe! Zu Hülfe!"
Jurgis riß eine Flasche an sich, und als der Aufwärter einen Satz machte, schleuderte er sie mit aller Kraft nach ihm. Sie streifte seinen Kopf und zerschellte am Türpfosten. Da sprang Jurgis zurück und stürzte sich mitten im Simmer auf seinen Feind. Diesmal fam er in seiner wilden Wut ohne Flasche, und darauf hatte der Mann nur gewartet, e tam ihm auf halbem Wege entgegen und streckte ihn mit einem wahren Schmiedehammerfaustschlag mitten zwischen die Augen zu Boden. Einen Moment darauf flogen die Schwingtüren auf, und zwei Männer stürmten herein.
,, Achtung!" schrie der Aufwärter. Er hat ein Messer!" Dann stürzte er sich abermals auf Jurgis und streckte ihn wieder zu Boden, dann warfen sich alle drei auf ihn und wälzten sich, mit Füßen um sich stoßend, im Lokal herum. Eine Sefunde darauf raste ein Polizist herein, und der Aufwärter brüllte wieder:„ Gebt acht auf sein Messer!" Jurgis war schon wieder auf den Knien, als der Polizist auf ihn zu sprang und ihn mit seinem Knüttel quer übers Gesicht schlug. Obwohl der Schlag ihn halb betäubte, schäumte das wilde Tier in ihm doch noch einmal auf, und er fam auf die Füße und schlug um sich Da ging der Knüttel abermals nieder, mitten auf seinen Schädel, und er sank wie ein Klotz zu Boden.
Der Polizist fauerte neben ihm, den Knüttel in der Hand. Währenddessen stand der Aufwärter auf und hielt sich den Kopf. Herr Jesus !" sagte er, ich dachte, es wäre aus mit mir! Hat er mich gestochen?"- ch seh' nichts, Jake," sagte der Polizist. Was ist denn mit ihm?" Einfach wie toll betrunken," sagte der andere,' ne lahme Fliege, noch dazu! Aber er hätte mich um ein Haar unter den Tisch gefriegt."
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Jurgis rührte sich nicht, und der Aufwärter ging hinter den Schanktisch, brachte erst den Hundertdollarschein in einem sicheren Versteck unter und kam dann mit einem Glas Wasser zurück, das er über Jurgis ausschüttete. Dann, als der Letztere leise zu wimmern begann, zerrte der Polizist ihn hoch und schleppte ihn hinaus. Die Polizeiwache lag gleich hinter der Ecke, und nach wenigen Minuten befand sich Jurgis wieder in einer Belle. Er verbrachte die halbe Nacht in besinnungsTosem Zustande und den Nest stöhnend vor Qual unter rasenden Kopfschmerzen und verzehrendem Durst.
Am Morgen bekam Jurgis ein Glas Wasser und ein Stück Brot, dann padte man ihn in einen Polizeiwagen und brachte ihn nach dem nächstgelegenen Polizeigericht. Dort wurde er mit einer Schar von Leuten zusammengepfercht, bis er an die Reihe fam. Der Aufwärter der sich als be
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1906
fannter Faustfämpfer enthüllte, wurde aufgerufen. Er leistete den Eid und erzählte seine Geschichte.
Dann wurde der Gefangene vereidigt ein jammervolles Subjeft, hohläugig und unrasiert, einen Arm in schmugstarrende Binden gewickelt, mit Blut auf dem Kopfe und der Wange und einem fast gänzlich zugeschwollenen blauen Auge. Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?" fragte der Beamte.
,, Euer Gnaden," sagte Jurgis, ich ging in das Lokal hinein und fragte den Mann, ob er mir einen Hundertdollarschein wechseln wollte, und er sagte, er wollte es tun, wenn ich etwas zu Trinken kaufte. Ich gab ihm den Schein, und da wollte er mir nicht' rausgeben." Der Beamte blickte ihn verblüfft an. Sie gaben ihm einen Hundertdollarschein?" rief er aus.„ Ja, Euer Gnaden," sagte Jurgis. hatten Sie ihn her?"-„ Ein Herr hat ihn mir gegeben. „ Ein Herr? Was für ein Herr? Und wozu?"„ Ein junger Mann, dem ich auf der Straße begegnete. Ich hatte gebettelt."
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„ Wo
Ein leises Kichern lief durch den Saal; der Polizist, der Jurgis festhielt, hob die Hand empor, um ein Lächeln zu verbergen, und der Beamte lächelte, ohne es zu verbergen. Es ist wahr, Euer Gnaden!" rief Jurgis leidenschaftlich. ,, Sie hatten gestern abend nicht nur gebettelt, sondern auch getrunken, nicht wahr?" fragte der Beamte.„ Nein, Euer Gnaden," versicherte Jurgis. Sie hatten nichts getrunken?"
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Doch, Euer Gnaden, ich hatte denn?" Ich hatte eine Flasche bekommen- recht, was es war, aber es brannte
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Was war es - ich weiß nicht
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Jetzt entstand lautes Gelächter im Saal, das plötzlich verstummte, als der Beamte sich stirnrunzelnd umsah. Sind Sie schon jemals verhaftet worden?" fragte er. Jurgis erschrak; darauf war er nicht vorbereitet." Ich- ich" stammelte er. ,, Sagen Sie die Wahrheit!" mahnte der Beamte streng.
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" Ja, Euer Gnaden."- Wie oft?" Nur einmal." ,, Weil ich meinen Meister geschlagen Weswegen?" hatte," Euer Gnaden. Ich arbeitete in den Schlachthöfen, " Ich verstehe," sagten Seine Gnaden. Nun, das genügt wohl. Sie sollten das Trinken lassen, wenn Sie sich nicht beherrschen können. Zehn Tage und Kosten. Nächster Fall!"
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Jurgis stieß einen Schreckensschrei aus, der jedoch kurz abbrach, als der Polizist ihn am Kragen packte. Er wurde beiseite gezerrt, in ein Zimmer mit verurteilten Gefangenen, und da saß er und weinte wie ein Kind in seiner ohnmächtigen Wut. Es kam ihm ungeheuerlich vor, daß sein Wort den Polizisten und Richtern im Vergleich mit dem des Aufwärters so gar nichts galt; der arme Jurgis konnte nicht wissen, daß der Schankwirt dem Polizisten nur für sonntägliche Privilegien und allgemeine kleine Gunstbezeugungen jede Woche fünf Dollar zahlte, noch daß der Aufwärter nicht nur Borer, sondern einer der geschäßtesten Knappen des demo. fratischen Distriktanführers war.
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Jurgis wurde zum zweitenmal nach dem Bridewell- Gefängnis gefahren. Bei der Schlägerei hatte er sich den Arm wieder verletzt, so daß er vom Arzt wieder in Behandlung genommen werden mußte. Auch sein Kopf und sein Auge mußten verbunden werden, und so bot er keinen hübschen Anblick, als er am zweiten Tage auf den Hof hinausging, um sich Bewegung zu machen, und dort Jack Duane begegnete.
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Der junge Mensch war so erfreut, Jurgis wiederzusehen, daß er ihn fast umarmt hätte. Herr Gott , wenn das nicht der Stinker" ist!" rief er aus. Was gibt's denn? Sind Sie in die Wurstmaschine hineingeraten?"" Nein," ſagte Jurgis, aber ich habe einen Eisenbahnunfall und einen Faustkampf erlebt." Und dann erzählte er seine wilde Geschichte, die einen ganzen Kreis von Zuhörern herbeilockte; die meisten von ihren glaubten ihm nicht, aber Duane wußte, daß Jurgis gar nicht imftande gewesen wäre, sich eine solche Geschichte auszudenken.
Pech, mein Alter," sagte er, als sie allein waren, aber „ Ich habe vielleicht ist es für Sie eine ganz gute Lektion." überhaupt allerlei gelernt, seit ich Sie zum letztenmal fah."