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Eidam, Schnur an, die durch die jetzt allgemein üblichen Schwieger- neigt oft zu allerlei Seltsamkeiten. Er versteht nicht, sich in den bater, Schwiegermutter, Schwiegersohn und Schwiegertochter ersetzt ungewohnten Luxus zu finden und umgibt sich mit Möbeln und werden. Wie künstlich und unnatürlich sehen diese Wörter aus! Tand, ohne den Gebrauch davon zu kennen, und fühlt sich in seinem Aber gerade darin iiegt die Stärke unserer Schriftsprache: mit Hause und in den modernen Kleidern niemals wohl. Aus Liebe der gestaltenden inneren Sprachform besiegt sie zum Lurus, oft aber auch aus Berechnung um seinen Kredit das rohe material und schafft sich damit eine zu erhöhen entwidelt der russische Kaufmann sehr häufig eine Lebenskraft, mit der sie jedem Kulturfortschritt Freude am Aeußerlichen, am Schein und Prunt, die selbst in Ruß auch neue Wörter liefern tann. Es ist klar, daß sie in land, wo diese Neigung allgemein ist, in anderen Klassen doch nicht folge eines solchen Verfahrens auch weniger Anforderungen an das in solchem Maße vorkommt. Wie den obenerwähnten Kaufmann, ohnehin schwer belastete Gedächtnis stellt. so gibt es Nabobs der Provinzstädte, die eine Reihe von Zimmern haben, die sie nicht bewohnen, pruntende Salons, die sie nur Fremden öffnen, Tafelgeschirr, von dem sie nicht essen, und Betten, neben denen sie nach alter russischer Weise auf Teppichen oder Diwanen schlafen. Literarisches.

Für die Bereicherung des schriftsprachlichen Wortschatzes kommen die größeren Städte um so mehr in Betracht, mit anderen Worten: um so sicherer führen sie Wörter aus dem Bereich ihrer Mundart der Schriftsprache zu, je mehr Bedeutung sie für den Ver­tehr und die Literatur besißen.

Von den Landschaften hat vor allen Dingen die Schweiz  , die, wie die Niederlande   Gefahr lief, eine selbständige Schriftsprache entwickeln zu wollen, nicht nur unseren heutigen Wortschatz in hohem Grade bereichert, sondern hat unserer Sprache auch manche syn­taftische Züge gegeben. Die Aufforderungen: gehen wir!, tun wir das!" wurden im vorigen Jahrhundert noch nicht allgemein verstanden, sondern waren rein schweizerisch; ebenso: das tuend, ging er von dannen", also die Partizipialfügung, haben von der Schweiz   aus besonders durch die schöne Literatur bei uns Eingang gefunden. Dem Wortschatz der schweizerischen Mundart verdanken wir Wörter wie: tagen, anstellig, geistvoll, kernhaft, Unbill, Föhn, Gletscher, Firnen und das schöne Wort Heimweh. Die übrigen Abschnitte des Klugeschen Büchleins behandeln besonders den Einfluß des Christentums auf die deutsche Sprache und den Anteil, den die Berufssprachen, wie die Studenten- und Waidmannssprache, und die Geheimsprachen, wie das Rotwelsch und die Kundensprache mit ihrem Wortschatz an der Bildung unseres Hochdeutschen Wortmaterials gehabt haben. Der Inhalt dieser Ab­schnitte ist so reich und interessant, daß ich jedem eindringlichst empfehle, sich näher damit bekannt zu machen, denn sein Wissen von seiner Sprache wird dadurch ungemein bereichert und damit feine Bildung um ein beträchtliches gehoben.

Zum Schlusse verweise ich noch besonders auf die Kapitel von der Sprachreinheit und Sprachreinigung, in denen diese wichtige Frage mit dem Weitblick und dem Ueberblick eines tüchtigen Gelehrten ohne alle Engherzigkeit behandelt wird. Im allgemeinen ist Kluge der Ansicht, daß die Fremdwörter mit Unrecht aus dem Grimmschen   Wörterbuch verbannt worden sind, und daß die Sprache nach wie vor Wörter, die ihr lautgerecht erscheinen, zu ihrem Vorteil einverleibe, daß Wörter aber, die das nicht. tun, wie früher allmählich wieder abgestoßen werden. Für die deutsche Sprache liege gar keine Gefahr vor, ihren Charakter etwa in der Weise aufzugeben, wie das Englische, das ja zur reinen Mischsprache geworden sei.

Am Ende des Büchleins empfiehlt der verdiente Verfasser eine Reichsanstalt für die deutsche Sprache zu gründen, in der die mannigfachen Aufgaben der Sprachforschung, die die Kraft eines einzelnen übersteigen, von den Kräften vieler und von der Mitarbeit der Allgemeinheit gelöst werden könnten. Diesen Wünschen gegenüber möchte ich aber darauf aufmerksam machen, daß die überwiegende Masse des deutschen Sprachgelehrtentums im Banne der klassischen Philologie steckt, und sein Einfluß immer noch die öffentlichen Lehranstalten, und damit ihre Schüler, die späteren maßgebenden Beamten bis zu den lichtesten Höhen" hinauf be­herrscht, so daß es gar nicht verwunderlich ist, wenn vier bis fünf Akademien sich zusammentun, um den lateinischen Wortschatz bei Teubner herauszugeben, der Staat aber für die deutsche Sprache is jetzt nichts übrig hat. Ernst Wrede.

Kleines feuilleton.

Das Lurusbett. Der Gebrauch der Betten verbreitet sich in Rußland   erst mit den Eisenbahnen, in einigen Gouvernements sind fie heute noch ein Lugusgegenstand, der dem Reisenden nicht immer zu Gebote steht. Als Leroy- Beaulieu, dem wir durch sein großes Werk über Das Reich des Zaren und die Russen" vielfach eine bessere Kenntnis dieses Riesenlandes und seiner Bewohner ver­danken, in den Jahren 1872 bis 1880 Rußland bereiste, konnte er sich bisweilen nur mit Mühe ein Bett für die Nachtruhe verschaffen und setzte manchen Gastwirt in großes Erstaunen, wenn er mit einem Diwan nicht zufrieden war. Anders die Russen. Cha­rakteristisch dafür ist eine höchst komische Geschichte, die der Eng­länder Herbert Barry in seinem Buche über Rußland   erzählt. Ein russischer Kaufmann zeigte einem englischen Ingenieur sein Schlaf­gemach und sein reich geschnigtes Bett mit einem noch reicheren Spisenüberzug und sagte hierbei mit schelmischem Lächeln:" Das Bett hat mich ein höllisches Geld gekostet, aber sehen Sie, ich schlafe nicht darin, ich schlafe darunter!"

Solche schnurrigen Kauze gibt es heute noch; namentlich der reich gewordene Händler, der in den modernen Lugus vernarrt ist,

Was ist die Natur? Von Wilhelm Bölsche.  ( Verlag Georg Bondi  , Berlin  . Preis 1,50 M.) Noch immer blickt den Forschenden die Natur mit ihren unergründlichen Sphinxaugen geheimnisvoll an. Zwar hat die moderne Naturwissenschaft Rätsel auf Rätsel gelöst, hat die Schöpfungsgeschichte längst lächelnd zum alten Eisen gelegt und ist tiefer und tiefer gedrungen; aber ein Rest ist geblieben. Auch vor Oedipus Bölsche stürzt die Sphinx nicht bom Felsen; auch in seiner Lösung geht das Rätsel nicht restlos auf. Aber es ist ein Versuch, mit dem bekannt zu werden sich lohnt. Der Autor kennzeichnet zunächst die hohe Bedeutung der von ihm aufgeworfenen Frage und geht dann dazu über, die Naturauffassung der verschiedenen Völker, Zeiten und Individuen zu schildern. An die ältesten Vorstellungen der Babylonier anknüpfend, zeichnet er eine Entwickelungslinie bis herauf zu Darwin  . Ganz allmählich werden wir bekannt mit der Deutung, die der Autor selber dem Wesen der Natur gibt. Sie gipfelt in der Erkenntnis, daß das Naturgeschehen ein von tiefer Logit erfüllter, urewiger Ordnungs­prozeß sei, ein ununterbrochener Aufstieg vom mehr Chaotischen zum Kosmischen, zum Harmonischen. Er stellt den Menschen mit all seinen Bestrebungen und Idealen mitten hinein in das große Werden und sieht auch in der emporstrebenden Kultur ein dem Naturwesen immanentes Geschehen. Jch zweifle, daß die pedan­tischen Perücken eine Freude an diesem Büchlein haben werden. Bölsche   ist viel zu ſehr Poet und Künstler und gar nicht zünftig". Wohl aber wird der Laie die bilderreiche und farbenprächtige Sprache mit Andacht genießen und teilnehmen an dem zukunfts­freudigen Optimismus, der auch dies neueste Werkchen des Friedrichshagener   Denkers und Dichters durchklingt.-

Notizen.

- Die Zensur in München  . Lustspiel von Baul Bliß, das bereits in behelligt aufgeführt wurde, darf in der werden. Gründe sind nicht vorhanden. Bensur Gründe?

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e. p.

Eine Marotte", ein Leipzig   und sonstwo uns Jfarstadt nicht gespielt Wozu braucht auch die

-Das unter der Leitung Antoines stehende Pariser Odeon hat Shakespeares, Julius Caefar" in einer glanzvollen Inszenierung mit ungeheurem Beifall zum ersten Male aufgeführt. Für die französische   Bühne ist diese Aufführung ein großes Ereignis. Denn der Geschmack des französischen   Bublikums hat sich lange gegen die Zulassung der Shakespeareschen Werke in ihrer Originalfassung gewehrt. Bestenfalls ließ man" Bearbeitungen" zu, aus denen der Geist des Dichters gründlich hinausgetrieben worden war. In den letzten Jahren sind indes Versuche, den wirklichen Shakespeare dem franzöfifchen Publikum vorzuführen, mit Erfolg unternommen. Antoine selbst war es, der auf seinem Theater auf dem Boulevard de Strasbourg   den" Lear" in der Urgestalt aufführte. Zur Leitung des zweiten nationalen Schauspielhauses berufen, nahm er sofort einen alten Plan auf, dessen Ausführung auf der allzu engen Bühne feines eigenen Theaters unmöglich war. Die sorgfältig vorbereitete Aufführung war ein Triumph.

-Frauen auf Forschungsreisen. Fran M. Selenta die Witwe des Prof. Selenka  , will die Arbeiten des holländischen Arztes Dubois, der Reste eines Mittelgliedes zwischen Mensch und Affen fand, in Java mit Unterstützung der holländischen Regierung und der Jubelstiftung der Stadt Berlin   fortseßen. Eine Nordpol  fahrt mit Eskimos bereitet Frau E. Dughman in Alaska   bor  .

Die erste italienische   Journalistenschule. Auch Italien   hat nunmehr seine Journalistenschule, die durch private Initiative in Neapel   vom Circolo di Cultura ins Leben gerufen worden ist. Die folgenden Unterrichtsfächer werden im ersten Jahre behandelt werden: Allgemeine Soziologie, Gefeßgebung über die Presse, soziale Gesetzgebung, Volkswirtschaft, Statistik und Demographie, politische Geschichte der Gegenwart, Geschichte der Diplomatie und der Verträge, Geschichte und Technik des Journalismus, Sozialgeographie, praktische journalistische Uebungen, soziologische Unterhaltungen über aktuelle soziologische Enqueten. Unter den Dozenten befinden sich drei Parteigenossen: Labriola  , Lucci und Nieeforo. Die Kurse haben am 1. Dezember begonnen.

Berantwortl. Redakteur: Hans Weber, Berlin  . Drud u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin   SW.

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