über, eines Nachts gingen von tier Zentrale der Gewerkschaft Telegramme nach allen größeren Packzentren, nach St. Paul, South Omaha, Sioux City , St. Joseph, Kansas City , East St. Louis und New Aork ab und am anderen Tag legten zwischen 60. bis 60(MM) Leute die Arbeit nieder, und derBeef Strike" hatte begonnen. Jurgis ging zum Essen und nachher zu Mike Scully, der in einem schönen Hause wohnte in einer Straße, die um seinetwillen sauber gepflastert und mit Licht versehen worden war. Scully hatte sich teilweise von der Arbeit zurückgezogen und sah etwas nervös und verstört aus.Was wünschen Sie?" fragte er Jurgis, als er ihn sah.Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir wegen des Streiks nicht einen Platz verschaffen können?" antwortete der andere. Scully zog die Augenbrauen hoch und sah Jurgis scharf an. Jurgis hatte in den Morgenblättern einen wütenden Angriff auf die Pack- Herren gelesen, den Scully verfaßt hatte. Jurgis war des- halb nicht wenig erstaunt, als ihn der andere plötzlich fragte: Warum bleiben Sie denn nicht an Ihrem Platz?"Ich sollte als Streikbrecher arbeiten? rief Jurgis.Warum denn nicht?" fragte Scully,was schadet es Ihnen denn?" «Tie Packherren brauchen Leute, ob tüchtig oder weniger tüchtig," fuhr der andere fort,und sie werden einen Mann, der jetzt zu ihnen hält, schon gut behandeln. Warum be- nützen Sie die Gelegenheit nicht und verschaffen sich einen festen Posten?"Aber," sagte Jurgis,wie kann ich denn jemals für Sie von Nutzen sein in der Politik?"Sie können mir aus keinen Fall nutzen," erwiderte Scully furz. Warum nicht?" fragte Jurgis.Zum Teufel!" rief der andere,«wissen Sie denn nicht, daß Sie ein Republikaner sind? Der Brauer hat schon herausgefunden, wie wir ihn bedienten, und wir haben schließlich den Schaden zu tragen." Jurgis war ganz betroffen. Er hatte eine solche Sinnes- änderung nicht für möglich gehalten.Ich könnte ja auch Demokrat werden," sagte er.Ja," entgegnete der andere, aber nicht so glatt weg, ein Mann kann seine politischen An­sichten nicht jeden Tag wechseln. Bis zur Wahl ist aber auf jeden Fall noch Zeit, und was wollen Sie in der Zwischen- zeit machen?" Ich dachte, ich könnte aus Sie rechnen," erwiderte Jurgis. Das konnten Sie auch," antwortete Scully,aber ich verlasse mich nie auf meine Freunde. Halten Sie es für richtig, die Stelle zu verlassen, die ich Ihnen verschaffte, um nachher wegen einer neuen Stelle wieder zu mir zu kommen? Was können Sie von einem Streik gewinnen?"Ich hätte nicht gedacht," sagte Jurgis.Ganz richtig," meinte der andere,aber es wäre besser gewesen, Sie hätten gedacht. Nehmen Sie mein Wort darauf, der Streik wird in einigen Tagen vorüber und die Leute werden geschlagen sein. Was Sie aber in der Zwischenzeit daran profitieren können, das gehört Ihnen. Verstehen Sie?" Und Jurgis verstand. Er wandte sich wieder seinem Arbeitsplatze zu und ging in den Zwischenraums Tie Leute hatten eine lange Reihe von Schweinen in verschiedenen Stadien von Zurichtung hinterlassen, und der Vorarbeiter leitete die schwachen Versuche einiger Bureauangestellten und Laufburschen, die angefangene Arbeit zu beenden und die Schweine in den Eiskeller zu schaffen. Jurgis ging direkt auf ihn zu und meldete ihm:Ich nehme meine Arbeit wieder auf, Mr. Murphy." Des Vorarbeiters Gesicht hellte sich auf.Sie sind ein guter Kerl!" rief er,kommen Sie hier- her."Warten Sie einen Augenblick," sagte Jurgis, seinen Enthusiasmus etwas mindernd,ich glaube, ich kann etwas mehr Lohn verlangen." Natürlich," rief der andere.Wieviel wollen Sie?" Jurgis hatte sich's schon unterwegs überlegt, er nahm einen Anlauf und sagte:Ich glaube, drei Dollar sind nicht zu viel pro Tag."All riglit," sagte der andere prompt. Ehe der Tag zu Ende war, entdeckte unser Freund, daß die Buchhalter, Maschinenschreiber und Laufburschen 5 Dollar pro Tag erhielten. Er hätte sich ohrfeigen mögen, als er es hörte. So wurde Jurgis einer der neuen sogenanntenameri- konischen Helden", ein Mann, dessen Tugenden mit denen der Märtyrer von Lexington und Valley Farge verglichen zu werden verdienten.(Eine Anspielung auf eine Rede eines amerikanischen Professors über Streikbrecher.Vorwärts".) Der Vergleich hinkt zwar, denn Jurgis wurde nobel bezahlt sind ging gut gekleidet und war mit einer Bettstelle und Matratze versehen, hatte drei ausgiebige Mahlzeiten am Tage, hatte es auch sonst ganz bequem und war sicher vor aller körperlicher Gefahr, ausgenommen in dem Falle, daß der Wunsch nach Bier ihn verleitete, sich außerhalb der umzäunten Lagerplätze zu wagen. Und selbst dann war er nicht ohne Schutz, ein gut Teil der unzulänglichen Polizeikräfte Chicagos waren plötzlich bei der Jagd nach Verbrechern entbehrlich und wurden nach den Lagerplätzen kommandiert zum Schutz der Arbeitswilligen. Die Polizeimannschaften und die Streiken- den waren überein gekoimnen, keine Gewalt anzuwenden; aber eine andere Partei war gegentelliger Meinung, und dieser Teil war die Presse. Am ersten Tage seiner Tätigkeit als Streikbrecher verließ Jurgis früh seine Arbeit und forderte im Gefühl eines Bravado drei seiner Bekannten auf, zu einem Glase Bier nach auswärts zu gehen. Diese willigten ein, und sie gingen durch das große Halsted-Tor, an dem mehrere Polizisten Wache hielten. Ein Streikposten von der Gewerkschaft paßte sck)ars auf, wer aus und einging. Jurgis und seine Gefährten wanderten alsdann die Halstedstraßs entlang, am Hotel vorüber, als plötzlich ein halbes Dutzend Leute von der anderen Seite der Straße auf sie zugingen und versuchten, im Vorbeigehen mit ihnen anzubändeln. Die Auseinandersetzung wurde heftiger und ging schließlich zu Drohungen über, und plötzlich wurde einem der vier der Hut vom Kopf geschlagen und über den nächsten Zaun geworfen. Der RufStreikbrecher" ertönte und ein Dutzend Leute stürzten aus den Kneipen und Haustüren heraus. Jurgis und die vier anderen blieben lange genug stehen, um sich Ge- nugtuung zu verschaffen und eine tüchtige Portion Prügel auszuteilen, doch dann flohen sie nach den Lagerplätze� zurück. Inzwischen kamen Wachmannschaften angerannt, und als sich eine große Menge ansammelte, wurden die Polizisten nervös und baten um Unterstützung, weil sie einen Aufstand be- fürchteten. Jurgis wußte nichts davon. Als er nach der Packer-Avenue zurückkam, sah er einen seiner Gefährten atemlos einer immer mehr anwachsenden Menge erzählen, wie die vier angegriffen und von einem heulenden Mob umzingelt worden seien, der sie beinahe in Stücke gerissen hätte. Es dauerte keiue zwei Stunden, und Zeitungsjungen rannten die Straßen entlang mit Armen voll Abendblättern, die in großen roten und schwarzen Lettern die Aufschrift trugen: Aufruhr in den Lagerplätzen! Streikbrecher von einer wahnsinnigen Menge umzingelt!" Wenn Jurgis imstande gewesen wäre, am anderen Morgen alle Zeitungen in den Vereinigten Staaten aufzu- kaufen, so hätte er vielleicht wahrnehmen können, daß seine Bierreise von etwa 40 Millionen Menschen eifrig untersucht und besprochen wurde, und daß sie von der Hälfte der besseren Blätter für einen Leitartikel ausgeschlachtet worden war. Am anderen Morgen, da Jurgis sein Frühstück beendigt hatte, wurde er von Murphy zu einem der Inspektoren ge- sandt, der ihn über seine Erfahrungen im Schlachtraum examinierte. Sein Herz begann ihm vor Aufregung zu schlagen. denn er ahnte sofort, dpß seine Stunde gekommen sei und daß er Vorarbeiter werden würde. Einige der früheren Vor- arbeiter waren Mikglieder der Gewerkschaft, und selbst solche, die es nickst waren, legten mit ihnen die Arbeit nieder. In den Schlachtabteilungen waren die Packherren am schlimmsten in der Klemme, gerade dort, wo sie es ani wenigsten vertragen konnten. Das Salzen, Räuchern und Verpacken des Fleisches konnte am Ende aufgeschoben werden, nur frisches Fleisch war für die Restaurants und Hotels dringend nötig, da diese einen Ausfall sofort spüren würden. Auch die öffentliche Meinung würde sich in diesem Falle gar bald gegen sie wenden, was sie wohl wußten. Eine solche Gelegenheit würde sich Jurgis nicht zum zweitenmal geboten haben, er griff da- her mit beidert Händen zu. Auch verstand er diese Arbeit durchaus und konnte auch die anderen anlernen. Wenn Jurgis aber den Posten annahm und zur Zufriedenheit ausfüllte, konnte er dann auch erwarten, daß er ihn behalten würde, und man ihn nach Beendigung des Streiks nicht wieder auf die Straße setzte? Auf diese Frage antwortete ihm der In- spektor, daß er Turham trauen könne. Jurgis sollte fünf Dollar den Tag erhalten, so lange der Streik dauerte, und 25 Dollar die Woche, wenn er beendet wäre. Unser Freund verschaffte sich nun das nötige Arbeitszeug und ging an seine Aufgabe. Sie boten einen widerwärtigen Anblick, diese Schlachtbänke: an ihnen fand ein Gedränge stupid drein» blickender Neger und Ausländer statt, die kein Wort per-