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( Nachdruck verboten.)

Mufikpbantome.

Von Hermann Berdrow.

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einstimmung zwischen beiden, wobei noch zu bemerken ist, daß die drei letzten Säße der Sinfonie in einem Zuge gespielt wurden, was A. nicht wissen konnte. Beethovens Programm iautet: Erster Saz: Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande. Zweiter Saz: Szene am Bach. Dritter Saz: Lustiges Vierter Sah: Gewitter, Sturm. Eins der vorzüglichsten Mittel, Inspirationen, göttliche Ge- Zusammensein der Landleute. fichte" hervorzurufen, ist von jeher die Musik gewesen. Gegen Fünfter Satz: Hirtengesang. Frohe und dankbare Gefühle nach wärtig freilich scheint man ihr in dieser Hinsicht nicht mehr so viel dem Sturm. Vielleicht sind auch in manchem Leser beim Hören charakteristi­wie früher zuzutrauen; denn häufig wird uns im Konzertprogramm eine ausführliche Analyse der Ideen, Gefühle oder Tatsachen, die scher Musifstücke neben den spezifischen Gefühlserregungen, die dem Komponisten bei der Schöpfung seines Werkes vorgeschwebt die Tonwelt ohne Hinzutritt irgend welcher Vorstellungen aus­haben, vorgesetzt, damit wir nur ja nicht an den Intentionen des zulösen vermag, derartige als Mufitghantome zu bezeichnende, der Stünftlers vorbeifühlen oder vorbeidenken und, etwa in der Gesichtsphäre angehörende Bilder aufgetaucht, wenn auch nicht in Sinfonie Don Quigote", nicht nur die Gefühlsregungen des solcher Deutlichkeit und Fülle wie bei Dr. Ruths Bersuchspersonen. melancholischen Helden und seines hasenherzigen Schildknappen on gewöhnlichen Vorstellungen unterscheiden diese Phantome sich miterleben, sondern auch den Kampf mit den Windmühlenflügeln durch die plastische Deutlichkeit, die sie mit Traumgebilden, be­sonders den im Moment des Einschlafens auftauchenden, teilen, und das Abenteuer mit der Hammelherde bewundern. Komponisten, die ihre Hörer in dieser Weise zu bevormunden sowie durch ihre Unabhängigkeit vom Willen und von dem gewöhn suchen, können sich allerdings auf ein großes Vorbild berufen. lichen Borstellungsverlauf. Wie aber haben wir uns ihre Eut­Beethoven hat den fünf Säßen seiner Pastoralsinfonie ebenfalls eine stehung zu denken? furze, prägnante Bezeichnung der Stimmungen gegeben, die ihn beim Schaffen der Pastorale beseelten und die er durch sein Wert wieder hervorzurufen wünscht. Aber diese Stimmungen sind durch Beethovens Mufit in so vollendeter Weise verkörpert, daß das Ge­müt des Hörers sie auch ohne Programm reproduziert, daß seine Phantasie sogar versucht, die Töne zu gestalten, mit Fleisch und Bein zu umfleiden und zu entsprechenden Beispielen zu berkörpern. Dann entsteht das, was man ein Musikphantom nennt und was, bevor auf seine Entstehung und Erklärung eingegangen wird, zu­nächst an einem besonders ausgeprägten Beispiel erläutert werden

möge.

Dr. Chr. Ruths, der Entdecker dieses psychischen Phänomens, hatte das Glück, mehrere Personen mit dieser seltsamen Begabung fennen zu lernen. Eine derselben führte ihn durch gelegentliche Bemerkungen bei einem öffentlichen Orchestertonzert auf die Unter­suchung der Musikphantome. Bei der Ouvertüre zum Fliegenden Holländer" sagte A., wie Dr. Ruths ihn nennt:" Da sehe ich ab und zu, wie eine weithin gedehnte Wasserfläche auftaucht, dunkel­grün und in Wellen gehend." Es ließ sich leicht feststellen, daß diese Vision bei A. immer auftauchte, wenn das Leitmotiv einsetzte, das das Erscheinen des Holländers bezeichnet. Zwar trat in dem Phantom teine Gestalt und kein Schiff auf, aber es war doch merk­würdig und entsprach durchaus den Intentionen des Komponisten, daß sich bei diesem Motiv die weite Meeresfläche auftat. Bu be merten ist, daß A. die Wagnersche Oper noch nie gesehen und auch die Ouvertüre zuvor nie gehört hatte. Durch diese und ent­sprechende Bemerkungen A. aufmerksam gemacht, begann Dr. Ruths eine Reihe von Experimenten mit A., deren erstes sich auf Beethovens Pastoralfinfonie bezog. Der Versuch, in der General probe des Konzerts borgenommen, war so eingerichtet, daß A. feine Ahnung davon hatte, was das Orchester spielen würde. Dr. Ruths und noch ein Beobachter saßen während der Probe neben A. und ließen sich nach dem Schlusse eines jeden Sazes rasch die be­obachteten Phantome mitteilen. Das danach aufgenommene Proto­toll ergab bei den einzelnen Säßen die folgenden charakteristischen Phantome.

Erster Satz: Feierliche Stimmung. Die einfachen Themen geben ein Gefühl harmloser Heiterkeit, ähnlich wie wenn ich eine reine Kinderstimme singen höre. Eine ländliche Gegend taucht auf, einmal ein Kirchturm. Es ist wie ein Morgenflimmer, wie ein leichter Morgennebel über der Landschaft; darüber liegt der Sonnenschein.

Zweiter Satz: Ganz andere Bilder. Mitten im Wald, Felsen. Vor allem viele Quellen. Einzelne Männer in Sonntagskleidern kommen daher. Im Hintergrunde spielt sich etwas von Menschen ab, ich erkenne es nicht. Manchmal ist eine Bewegung in den Bäumen, ein Zusammenschlagen der Aeste, das in das ganze, ruhige Bild nicht zu passen schein. Die Flöten geben Quellen­bilder. Das Cello und die Biolinen erzeugen in den mittleren Lagen das Grau des Himmels zwischen den Bäumen. Bei hohen Tönen wird der Himmel blau, bei ganz tiefen ist alles Schatten. Dritter bis fünfter Saz: Versammlung von Landleuten, Männer, Frauen, Kinder. Abes es sind keine Landleute, wie ich sie persönlich im Leben kennen lernte. Sie haben etwas Typisches, Schablonenhaftes. Troßdem sind sie in starter Bewegung, ich jehe, wie sie sich im Gespräch unterhalten. Es ist kein Tanz, manchmal nur hüpfen die Kinder. Plöblich ein Ton, alle Landleute reden die Köpfe, stehen einen Moment wie festgebannt. Im nächsten Augenblick find sie alle verschwunden und ganz andere Bilder tauchen auf. Eine Waldlandschaft. Wilde Bewegung in den Bäumen. Abwechselnd hell und dunkel wie von flammenden Blizen. Plötz­lich ein greller Ton, ein Pfiff, wie es scheint, ein Piccolo( fleine Flöte); ein roter Blitz geht senkrecht herab. Weiterer Sturm im Wald, viele dunkle Wolken am Himmel. Dann mit einem Male ist das ganze Bild wiederum berschwunden. Es taucht eine Land­schaft auf, ähnlich wie im ersten Saz. Aehnliche Ruhe ,, aber nicht mehr der Morgenflimmer über dem Tal, nicht mehr der leichte Nebel. Sehr intensive Farben, das Grün ist sehr klar. Auch ein paar Landleute.

Vergleichen wir nun das Programm Beethovens mit diesen Phantomen, so ergibt sich Satz für Saß eine erstaunliche Ueber­

Bisweilen werden die Musikphantome, die sich durchaus nicht immer auf die Gesichtssphäre beschränken, sondern in allerdings felteneren Fällen auch als Gerüche auftreten, als bloße Er innerungsbilder zu erklären sein. Aber diese Erklärung wird doch nur für eine beschränkte Anzahl von Fällen zutreffen. Für die meisten werden wir den Grund in den Qualitäten der Töne, Afforde, Ton- und Affordfolgen selbst zu suchen haben. Raum eine Kunst ist so unerschöpflich an Mitteln des Ausdrucks wie die Mufit; es fragt sich nuu, ob diesen Mitteln die Macht innewohnt, sich über die Sphäre des Gehörs hinaus auch in der des Gesichts geltend zu machen. Darüber vermögen uns Künstler und sensitive Frauen die beste Auskunft zu geben.

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Karl Loewe , der große Balladenkomponist, vergleicht die Baß­Stimme des späteren Hofopernsängers zu Berlin , Krause, mit schwarzem Samt, und von der Baßpartie der Apostel zu Philippi" berichtet er, daß sie von Höfer mit schöner schwarzsamtner Stimme" gesungen wurde. Das ist ein Vergleich, und doch steckt noch mehr darin: die Tiefe der Tonlage verbindet sich mit der Vor­stellung von etwas Tiefdunklem, Weichem, regt also Vorstellungen aus anderen Sinnessphären an. Zwei hochgebildete Damen, Mutter und Tochter, beide sehr musikalisch und die Tochter Musikerin von Fach, verbinden mit bestimmten Bokalen bestimmte Farbenvorstellungen, mit A rotbraun und rot, mit weiß, mit

blau, mit gelb oder orange, mit U dunkelgrün. Bei Diph­thongen und Umlauten stellen sich zwei Farben ein, entsprechend der Zusammensetzung des Doppelvokals. Ein Wort erscheint um so farbiger, je mehr Bokale es enthält.

Diese Synopfien, Erregungen des Gesichtssinnes gelegentlich einer Schallempfindung, sind durch physiologische Vorgänge bedingt und müssen darauf zurückgeführt werden, daß bei gewissen Schall­eindrücken die Sehnerven mit erregt werden. Sie kommen ohne Zutun der Ueberlegung, sozusagen zwangsmäßig zustande, und die Anlage dazu ist vererbbar. Die Statistik über Farben­empfindungen zeigt deutlich, daß den hellen Bokalen die hellsten Farben, den dumpfen Vokalen die dunkelsten mit Vorliebe, wenn auch nicht in allen Fällen entsprechen, so daß die Farben immer dunkler werden, je weiter man in der akustisch geordneten Vokalfolge ie a o u fortschreitet. Je zahlreichere und lautere Obertöne also ein Gehörsreiz enthält, um so intensiver und heller ist meistens die ihn begleitende Farbenempfindung. Auch die Töne der ver schiedenen Instrumente lassen Farbenempfindungen auftreten, die Flöte rot, die Klarinette gelb, die Trompete gelb oder hochrot, das Waldhorn Purpur, das Violoncell indigo, die Violine ultra­marin usw. Es bleibt dabei vorläufig unentschieden, ob die Klangs farbe der Instrumente oder, wie andere Erklärer wollen, einfach die Färbung des Instrumentes, also ein Erinnerungsbild, das Ausschlaggebende ist.

Eine andere Grundlage für das Auftreten von Musik­phantomen bilden die Tonarten und die Tongeschlechter. Schon Dur und Moll lösen ganz verschiedene Empfindungen und in Ver­fnüpfung damit entsprechend heiterer oder trüber gefärbte Vor­stellungsreihen aus. Gewisse Tonarten tragen entschieden einen ganz objektiven, von der Gemütsart des Hörers durchaus un­abhängigen Charakter in sich, worauf auch der Umstand zurück­auführen ist, daß ein Mujitstüd transponiert, in eine andere als die vom Komponisten gegebene Tonlage versett, viel von seiner Eigenart verliert. E- dur wird als die glänzende, prachtvolle, edle Tonart bezeichnet, als eine der hellsten, stärksten Farben, ver­gleichbar mit brennendem Gelb, als heiter und leuchtend wie lauteres Gold. Der Feuerzauber" in der Walküre ", diese wunderbare musikalische Wiedergabe des zuckenden, lodernden Elements, ist in E- dur geschrieben. Ebenso scheinen F- dur( Ge fälligkeit, Ruhe), Fis- moll( finster, voll wilder Leidenschaft), Des- dur, C- moll und D- moll bon besonders hervorstechendem Charakterausdruck zu sein.

Das alles sind nur einige der Elemente, aus denen sich die wirklichen Musikphantome aufbauen. Eine ebenso wichtige, viel leicht noch größere Rolle spielen die dadurch geweckten unbewußten Erinnerungen, das Wiederauftreten von Vorstellungen, die in der Bergangenheit mit gewissen Zoneindrücken zeitlich oder ursächlich verknüpft waren. Sie sind auch vielfach die Quelle anderer