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Synästhesien, z. B. der Verknüpfung von Farben mit Tönen, also so würde man auf diese Weise oft wertvolle Anlagen des Kindes, ber Umkehrung des bisher Geschilderten, von Geschmäcken und die einst gute Früchte hervorbringen könnten, schon im Steim er­Farbenempfindungen( Geschmadsehen), von Duft und Ton- ftiden. Max Brettfeld. wahrnehmung.

Kleines feuilleton.

Bom Kaputmachen". Es gibt eine große Menge Spielzeug, das zuerst die Kinder besticht, gar bald aber an Ansehen einbüßt und beiseite gelegt wird, weil es ihrem Spieltriebe nicht genug zu tun gibt. Es erregt zunächst durch sein schönes" Aeußere wohl Staunen und Bewunderung, hat aber nur Reiz, folange es neu ist. Ist der Reiz der Neuheit verblaßt, haben sich die Kinder satt­gesehen an den paar Kunststückchen ihres Spielzeugs, so wenden fie sich ab oder was am häufigsten vor' ommen wird fie be­friedigen ihren Spiel- und Tätigt.itstrieb durch das Kaputmachen".

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Es ist nur in seltenen Fällen Zerstörungssucht, wenn das Kind etwas entzwei macht. Man merkt es ihm übrigens augenblicklich an, ob es etwas kaput macht aus Lust am Zerstören oder aus Wiß­Begierde oder in Betätigung seines Spiel und Tätigkeitstriebes. In den letzteren Fällen fikt das Kind meist still da und probiert aufmerksam und bedächtig, bis sich die Teile des Spielzeuges lodern und lösen. Es ist erst dann befriedigt, wenn das Zerstörungswerk gelungen ist.

Nicht selten tritt der Fall ein, daß das Kind mit den Trümmern lieber spielt als mit dem Ganzen, weil es mit ihnen mehr an fangen kann, weil sie seinem Geiste mehr zu tun geben. Sali und Broneli in Gottfried Kellers herrlicher Kinderszene aus" Romeo und Julia auf dem Dorfe " spielen draußen auf dem Felde mit der Puppe. Der wilde Sali benußt sie aber auch einmal als Wurf geschoß, und so nimmt sie Schaden am Knie ihres einzigen Beines. Durch ein kleines Loch sidert die Kleie. Diese wird sorgfältig auf einem flachen Stein zu einem Häufchen gesammelt. Um dem Ur­sprung der Kleie nachzuspüren, vergrößern die Kinder das Loch mit den Nägeln. Mäuschenstill mit offenem Munde siben sie da und Berlegen gemeinsam den Marterleib der Puppe. Das einzige Feste ist noch der Kopf. Sie lösen ihn vom ausgequetschten Leichnam und gucken erstaunt in das hohle Innere. Nun füllen sie die be­Bentliche Höhlung mit der Kleie. Da fängt Sali plöblich eine glänzende Summflieg. Schnell wird der Kopf entleert und die Fliege hineingesperrt. Das Loch berstopfen sie mit Gras. Die Kinder halten den Kopf an die Ohren, sie sehen ihn feierlich auf den Stein und lauschen eine Zeitlang dem Summen der Fliege. Endlich wird der Kopf samt der Fliege in ein Erdloch begraben und über ihm ein stattliches Denkmal aus Feldsteinen errichtet.

Dieses Kaputmachen liegt tief in der Kindesnatur begründet. Das Kind ist nicht bloß ein kleiner Künstler, sondern auch ein leiner Philosoph. Gerade so, wie der Gelehrte, der Forscher nicht eher ruht, bis er eine wissenschaftliche Frage gelöst hat, wie er oft sogar seinem Forschertriebe Leben und Gesundheit zum Opfer bringt, genau so ist das geistig regsame Kind von einem unwider­Stehlichen Drange erfüllt, allen Dingen auf den Grund zu gehen. Das äußert sich schon in den vielen Kinderfragen nach dem Warum? und Wie? Was wollen unsere Kleinen nicht alles wissen? Sie bringen mit ihren Fragen die Weisesten der Weisen in Verlegen­heit. Genau so verhält sich das Kind gewissen Spielsachen gegen­über. Schenken wir unseren Jungen eine Taschenuhr, wie wir fie für wenig Geld in jedem Spielwarenladen bekommen. Er kann nicht viel damit anfangen. Es ist hundert gegen eins zu wetten, daß er nicht eher ruht, als bis er sie in alle ihre Teile zerlegt hat. Er wäre sonst wenigstens ein recht merkwürdiger Junge. Daraus erwächst für uns Eltern zunächst die Forderung, fleinen Kindern nur derbe, feste Spielsachen zu kaufen, mit denen sie wirf lich spielen, die sie derb angreifen können.

Es ist vollkommen falsch, wenn die Eltern einen kleinen Kaput­macher ohne weiteres strafen. Oft tragen sie ja selbst einen Teil ber Schuld, wenn sie den Kindern Dinge gekauft haben, mit denen nicht viel anzufangen ist, die nicht verändert werden können und beim Spiele feinen Wechsel gestatten, die die Phantasie nicht an­regen, der Illusion zu wenig Anknüpfungspunkte bieten. Ehe der Erzieher straft, muß er erst untersuchen, hat das Kind das Spiel­Beug faput gemacht aus Wißbegierde in Betätigung des Spiel­triebes oder aus bloßem Mutwillen. Nur in letterem Falle ist Strafe, und dann auch strenge Strafe am Plaze, denn es gilt, einen bösen Trieb zu beschneiden.

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Musik.

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Jm Münchener Hoftheater fam ein Weihnachtsmärchen Christelflein" von Jlfe von Stach zur Uraufführung, das durch Hans Bfigners Musik erhöhte Bedeutung erhält. Die drei Akte haben das Leiden, Sterben und die Auferstehung im. Himmel" eines jungen Mädchens zum Vorwurf, dazu das übliche Milieu von tanzenden Tannenbäumen, dem Knecht Rupprecht und dem sentimentalen Phrasengeklingel von Friede auf Erden" usw. Also ein tragisches Märchen, wozu Pfigner die kongeniale tragisch­pessimistische dekadente Musik geschrieben hat, die sich wohl krampf­haft bemüht, einfach und volkstümlich sich zu geben, aber dabei unserem überlieferten Schatz föstlicher alter Weihnachtsmärchen aus dem Wege geht. Der dritte Aft ist ganz in die naiv- reflektierende Sphäre von des Knaben Wunderhorn getaucht und somit am besten geraten. Die schaurige Szene des Todes des Kindes hat Hauptmanns Hannele auf dem Gewissen.

Die Münchener Pfigner- Gemeinde sorgte für einen lauten Erfolg. Das Wert wird auch nach Berlin kommen.

Notizen.

m.

- Die Berliner Freie Voltsbühne bringt Sonntag, den 16. Dezember, nachmittags 3 Uhr, im Neuen Schauspiel hause am Nollendorfplay Scribes Lustspiel: Das Glas Wasser" zur Aufführung.

Straußens Glüd und Unglüd. Der Komponist der vielumstrittenen Salome", deren Genuß die fönigl. Opernhaus­weisheit unserem Musikreferenten, zweifellos um seine Nerven zu schonen, nicht gestattete, erlitt einen Durchfall. Nicht auf der Bühne, sondern nur in dem Senat der Berliner Akademie der Künste. Seine Notenkollegen lehnten ihn bei der Wahl ab. Ver bieten können sie ihn ja nicht. Das besorgte man in Budapest , wo die bereits begonnene Einstudierung der Salome" plötzlich vom Ministerium des Innern sistiert wurde. Aus religiösen Gründen", weil Salome die christliche und jüdische Religion beleidige. Welche Feinfühligkeit! Hoffentlich wird derselbe Schuß dem gesamten Personale des alten und neuen Testaments zuteil und wird den Budapestern das- Mauscheln verboten.

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Frau Duse brachte im Florentiner Pergolatheater ein heraus, in" dem der Kampf der Geschlechter veranschaulicht wird. Schauspiel Maria Salvestri" von Enrico Corradini Der ehebrecherischen Frau, die von ihrem Manne feine Verzeihung will und zum Schlusse von ihm getötet wird, lieh die Duse die volle Kraft ihrer Kunst.

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An der Berliner Universität studieren in diesem Wintersemester 783 Frauen, unter der schönen Etikette Gast­zuhörerinnen", die ihnen der preußische Kulturstaat gnädigst ver­gönnt hat. Viele der Maßgebenden würden am liebsten außer den Scheuerfrauen sämtlichen Personen weiblichen Geschlechts die Tore die in Wahrheit ein arger Stiefvater ist- der alma mater verschließen. Es gelingt nur nicht mehr. Vor zehn Jahren waren erst 96 Frauen zugelassen. Von den 783 studierenden Frauen sind 601 aus Deutschland , 71 aus Rußland , 47 aus Amerika , 17 aus England, nur

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ganz

7 aus Frankreich und 3 aus der Schweiz . West- und Nordwesteuropa ist danach auffällig schwach ver­treten. 695 Studentinnen sind ledig, 69 verheiratet, 15 verwitwet und 4 geschieden. Die Hauptstudienfächer sind neuere Philologie und Literatur( 271), Kunst und Kunstgeschichte( 97), Medizin( 94), Geschichte und Kulturgeschichte( 86), Theologie( 761), Philofophie ( 55), Naturwissenschaften( 42), Staatswissenschaften( 20 Hörerinnen).

Die Frau des russischen Dichters Leonid Andrejew , mit der er seit einigen Monaten in der Kolonie Grunewald lebte, ist einer Operation in einer Berliner Klinikt erlegen: Die jang Ber­storbene sie wurde nur 25 Jahre alt war dem Dichter in feinem Ringen ein tapferer Kamerad.

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Der König amüsiert sich. Der Schah von Persien soll im Sterben liegen. Aus seinem Leben wird folgendes berichtet: Der Schah vergnügt sich damit, auf einem kleinen telegraphischen Apparat zu telegraphieren, spielt mit seinen Ministern Buff, wobei sie sich die größte Mühe geben müssen, daß der Schah nur ja nicht verliert, jetzt in seinem Garten Pflanzen und gräbt Beete um und photo­Gewiß müssen unsere Kinder dazu erzogen werden, ihr Spiel- graphiert. Außerdem hat er die Manier, sich selbst in allen nur geug zu halten und es nicht leichtfertig oder gar mutwillig zu zer möglichen Stellungen und Kleidungen photographisch aufnehmen zu stören, aber sie müssen mit ihm auch nach Herzenslust spielen lassen. Ein englischer Reisender sah Photographien des Schahs in tönnen, ohne Furcht, daß es gleich in Trümmer geht, wenn sie es der preußischen Soldatenkleidung und im Gewande eines einmal herzhaft anfassen oder fallen lassen. englischen Geistlichen. Der Schah ist ganz im Gegensatz zu seinem water durchaus Abstinent, auch sein Harem ist im Verhältnis zu dem, den sein Vater unterhielt, sehr flein. Er hat nicht mehr als 60 Haremsfrauen, die ihm 4 Söhne und 23 Töchter geboren haben, während beim Tode seines Vaters 1720 Frauen in dem Serail

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Zum Schlusse will ich noch darauf hinweisen, daß die allgemein gebrauchte Redensart wenn Kinder still werden, so machen sie ge­wiß etwas Dummes" in vielen Fällen gar nicht zutrifft. Wenn lärmende Kinder beim Spiel, beim Kaputmachen verstummen, so ist das durchaus nicht eine Folge des bösen Gewissens, sondern meist ein Zeichen gespanntester Aufmerksamkeit und tiefsten Inter­esses. Wollte man in tem Falle immer strafend dazwischenfahren, Berantwortl. Redakteur: Hans Weber, Berlin . Drud u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin SW.

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waren.