Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 3.

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Freitag, den 4. Januar.

( Nachdrud verboten.)

Madame d'Ora.

Roman von Johannes V. Jensen. Hall schwieg, sehr erregt. Madame d'Ora fühlte, wie er litt.

" Ich kann es Dir anhören, daß Du Dich nicht wohl fühlst," sagte sie leise. Ich kenne das aus alten Zeiten, Edmund. Es tut mir so leid. Damals begriff ich auch nie so recht, was Du Dir eigentlich so zu Herzen nahmst. Mein Fehler war wohl, daß ich Dich nicht genügend verstand. Aber ich fühlte mit Dir, Edmund. Das tue ich jetzt auch, ich kann

nicht anders."

" D, Leontine!" rief Hall aus und lachte kopfschüttelnd, weshalb mißhandle ich Dich jetzt? Du bist ja doch unver­Teglich."

,, Seße Dich, Edmund," bat sie, und er setzte sich müde neben sie. Die Glocke unten auf der Back bewegte sich klanglos im Winde. Die Zwischendeckpassagiere vorne hatten sich auf­gestellt, um den Mond zu betrachten, einige von ihnen fangen. " Höre sie singen!" sagte Hall schmerzlich versonnen. Wie kommt es nur, daß primitive Menschen, wenn sie luftig sein wollen, Klagelieder singen müssen? Hör nur, wie sie in Not sind!"

" Ja, Edmund."

Madame d'Ora   saß da und wurde schöner und schöner in ihrem Gesicht, während sie Hall, der den Kopf tief vornüber sinken ließ, unverwandt ansah; ihre Augen glichen zwei Lichtern. Die Zwischendeck passagiere fuhren fort, ihre miß­tönende Melodie zu singen, die noch eine lange Zeit weiter flang. Dann sagte Madame d'Ora   sanft:

Was für eine kleine Tasche ist das, die Du da hast. Edmund? Du trägst sie fast immer in der Hand, wie ich bemerkt habe. Hast Du etwas sehr Wichtiges darin? Mir deucht, Du zuckst zusammen, Edmund.... Du bist doch nicht etwa mit irgend einer Kasse durchgebrannt?"

Hall lachte unnatürlich und tastete nach ihrer Hand, die sie auf seine Schulter gelegt hatte.

,, Nein, Du Liebe! Wie ähnlich es Dir sieht, auf den Einfall zu kommen!"

Entweder bist Du frank, oder auch Dich friert, Edmund," sagte Madame d'Ora   bestimmt, fomm her mit Deinen falten Händen. So! Wir können hier ganz gut beide unter meinem Abendmantel sigen. So, Du. Nun ruhig, ganz ruhig!"

,, Du hast Dich seither nicht verändert, Leontine," flüsterte Hall nach einer Weile, dann fühlte er, wie Ruhe über ihn kam. Leontine, Du bist noch immer so warm. Du bist warm ge­wesen, und Dein Herz hat ununterbrochen, Tag und Nacht, gepocht, seit wir zuletzt zusammen waren wenn es auch nicht für mich schlug."

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Bist Du dessen, was Du sagst, wohl so ganz sicher," entgegnete fie mit einem so warmen Klang weiblicher Hoch­herzigkeit, daß es ihm in die Seele drang. Aber nun gehört mein Herz Dir ja wieder."

Leontine!"

Siße ganz still, Edmund, ganz still. Was willst Du mit der Tasche da, sie steht ja ganz gut. Erzähle mir doch, was für wichtige Sachen Du darin hast."

Ein Paar Hanteln, ein altes Hufeisen, ein Uhrgewicht," antwortete Hall näselnd wie im Halbschlaf.

Wie magst Du Dich nur mit dem alten Eisenkram herumschleppen?" fragte Madame d'Ora   verwundert und ein wenig unheimlich berührt. Mein Gott, wie schwer die Tasche ist! Und was für einen gräßlichen ledernen Gürtel mit einem Haken daran hast Du um!"

Im selben Augenblick begriff sie den Zusammenhang, Gerstand, daß Hall hatte sterben wollen. Sie blieb fizzen, ohne sich vom Fleck zu rühren, lehnte nur den Kopf zurück und sah zu den Sternen auf. Ach, Edmund!" hauchte sie kaum hör­bar in die Luft hinauf und dann fing sie an zu weinen. So faß sie lange da. Endlich atmete sie tief auf und so vorsichtig, daß Hall es nicht merkte.

Wie glücklich ich bin, daß wir uns getroffen haben, Edmund," flüsterte sie bebend.

1907

" Ja, das war ein sonderbarer Zufall!" antwortete Hall geistesabwesend.

" Ich wußte sehr wohl, daß Du auf dem Schiffe seiest, sagte Madame d'Ora   und erstickte lachend einen tiefen Seufzer.

Das wußtest Du?"

" Ja, und da fuhr ich mit, Edmund. Ich sah in einer Beitung, daß Du in Europa   auf Besuch warit, und ich fand heraus, daß Du mit dem" Bacharach  " gehen wolltest. Ich habe mich so nach Dir gesehnt, Edmund... Edmund!" Hall fuhr in Zuckungen aus dem Schlaf auf.

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Du hast doch nicht geschlafen?" flüsterte sie liebevoll. Wie ich Dich jetzt wiedererkenne, Edmund, Du kannst nur schlafen, wenn ich bei Dir bin. Hast Du nicht gut geschlafen, feit wir uns trennten? Hast Du gerechnet und studiert und nimmer geruht?" Er antwortete mit einem schwachen Laut in der Kehle, und sie fielen sich um den Hals und saßen lange schweigend da. Hörst Du, da spielt jemand die Maundharmonika?" flüsterte Madame d'Ora  ." Das ist die Melodie, die wir so oft in Paris   gehört haben. Weißt Du noch die Abende, wenn die Tauben Sacré- Coeur   umschwärmten? Wie alt find wir jetzt, Edmund? Geht es Dir gut in Amerika? Ich habe von Dir gelesen, Du bist groß und erfindest neue Dinge..." ,, Leontine, Du weinst!"

Weile.

" Ja, ich weine. Es war gut, daß ich mitreiste." " Ja," murmelte Hall.

Wie stark Du geworden bist," flüsterte er nach einer Trinkst Du wohl zu viel, Leontine?"

Sie antwortete nicht, sondern weinte und trocknete ihre Augen. Dann rückte sie vorsichtig fort und bat:

,, Edmund, laß mich einen Augenblick aufstehen. Bleibe Du nur ruhig sitzen, Edmund!"

Sie bückte sich schnell, ergriff die Tasche und ging damit an die Schiffsreling. Im selben Augenblicke ward ein lauter Sprung auf den Deckplanken hörbar, und aus irgend einem Versteck, in dem er sich verborgen gehalten hatte, tauchte ein Mann auf. Es war Thomas Mason, er stürzte auf Madame d'Ora   zu.

,, Ah!" schrie Hall und sprang von der Bank auf. Die drei standen einander ganz schweigend gegenüber und sahen fich an. Mason streckte eine Hand aus und zeigte auf die Tasche. Aber Madame d'Ora   übergab sie ruhig an Hall. Durch das Skylight( Decklicht) klang die Musik von unten aus dem Salon deutlich herauf.

" St!" sagte Madame d'Ora   mit großer Selbst­beherrschung. Da sind sie alle!"

3.

Die Passagiere waren vom Tisch aufgestanden und fingen an, auf Deck hinaufzuströmen. Da das Wetter so schön war, blieben nur wenige auf dem unteren Promenaden­deck, die meisten wollten hinauf und den Mond sehen, und bald war das ganze obere Deck und die Aufsichtsbrücke mit einer plaudernden, lustwandelnden Menge angefüllt.

Hall saß auf der Bank, und an seiner Seite stand Madame d'Ora.   Sie sprachen nicht. Mason hatte sich ent­fernt. Die Passagiere famen oft an der Bank vorüber, um sich über Madame d'Ora   zu wundern, die dort groß und mächtig und mit einer eigentümlichen Miene neben einem Manne stand, den niemand beachtet hatte. Einige wenige wußten, daß es Edmund Hall war, und diese wunderten sich am meisten. Alle Damen wollten wissen, wer der bleiche Mann sei, und als man ihnen erzählte, daß es der große Anthropologe war, wurden sie sehr ernsthaft und streiften wieder an der Bank vorbei, um ihn zu sehen. Er war ein Mann mit langen, reinen Zügen und einem glatten Bart, der den Mund nicht verbarg, seine Augen waren blau und erschienen matt. So wie er jetzt da saß, schien er überhaupt nicht zu leben. Aber wie schön Madame d'Ora   war. Die Damen kannten sie kaum wieder. Hielt sie Wache bei diesem Kranken? Was war geschehen? Woher war sie plötzlich so schön geworden? Madame d'Ora   verwandte kein Auge von Edmund Hall. Das Mondlicht fiel auf die dunklen Augäpfel und die großen, schwarzen Lider, die ihr einen so tiefen Aus­druck verliehen und so reich an Gnade. Die Nasenflügel, die