Madame d'Ora   wandte sich an Evanston   und rief ge­bämpft aus:

" Ah! Herr Evanston, das muß ich sagen, Sie wählen die Gegenstände für Ihr Mitleid mit Geschmad. Sie wünschen dem Reiche Gottes nur Engei zuzuführen."

Herr Evanston   wandte sich hastig um und heftete seinen Blick auf Madame d'Ora  . Er schwieg eine Weile, während ein halb zynisches, halb warnendes Lächeln seinen Mund umspielte.

Meine Absichten sind immer nach der einen oder der anderen Richtung hin reell," sagte er frech. Sie, Madame, waren ficher feinen Augenblic in Zweifel über meine Motive, als wir auf dem Achterdeck über der Schraube miteinander plauderten."

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Ach! Er beißt!" rief Madame d'Ora   und lachte laut. Cave canem!"( Hüte Dich vor dem Hunde.) Sie ent­fernte sich von ihm und lachte wieder mit einem unheil­verkündenden Blick.

Die junge Armenierin wurde indessen förmlich begraben unter einem Dugend Damen  , die sich unter lauten, weh­flagenden Rufen über fie stürzten. Ihr ärmlicher Schal wurde untersucht und von einer zitternden Dame für ver­schlissen und schmuzig erklärt. Die älteren Damen Schnoben bor Entrüftung, daß dies möglich sei, junge Mädchen ließen leife Wehrufe hören. Armes Kind!" rief man. Wir wollen wahrlich etwas für Sie tun!" Zwei große Gesandten­frauen wandten sich an Evanston   und sagten ihm, fie schuldeten ihm aufrichtigen Dank, weil er hierbei an sie ge­dacht habe. Aber das junge Mädchen stand stumm und ver­loren wie ein kleiner, fremder Vogel zwischen Elstern und Papageien da. Madame d'Ora   sah das und führte sie an eine Bank. Sie sprach mit ihr und fand heraus, daß fie Deutsch verstand, fie machte, daß die großen, berängstigten Augen wieder ruhig wurden und sich mit Tränen füllten, fie machte die Kleine sicher, nur indem sie die Hand auf ihr Haar legte.

Sieh doch ihre Augen! Sie gleichen den Nächten am Nill"

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Die Uranfänge dieser aus dem Volksliede und dem Heldenepos ertvachsenen Dichtgattung reichen in die nordisch- germanische Frühzeit zurüd. Etwa im vierzehnten Jahrhundert beginnt die Kristallisation toren, wendet sich an das Gefühl und tritt von jetzt an in der ihr der eigentlichen Ballade. Sie hat die behagliche epische Breite ver­eigentümlichen strophischen Geschlossenheit auf. Somit steht fie zur Lyrik, zum fangbaren Liede in naher Beziehung. Wie dieses verlangt sie nach Vortrag, also nach lebendiger Ber­förperung. Aus innerster Gesetzmäßigkeit heraus. Wille aber bedingt Handlung. Denmach zeigt ihr Wesen dramatische Züge. Man kann daher die Ballade sehr wohl als Sendbotin des Dramas ansprechen, mit dem Unterschiede nur, daß dieses noch immer in der Weiterentwickelung begriffen ist, während die Ballade in ihrem Wesen wie in ihrer Form endgültige Abgeschloffenheit auf­weist. Wollten die Jüngst- Deutschen das Drama als höchste Dicht­gattung fultivieren, so durfte auch die Ballade nicht verpönt werden. Sie hat wie jenes ihre unabweisbare Berechtigung. Freilich war ihr ursprünglicher Charakter durch die epigonische Bänkelsängerei bis zur Unkenntlichkeit verwischt und verpfuscht worden. Nur indem man diese Periode durch die Lupe abwägender Kritik von gemessener Ferne betrachtete, konnte man sich zum Wesen der Ballade wie zu ihren im Urwald der deutschen Dichtung vergrabenen Goldschäßen machen, daß Form und Charakter der Ballade mit dem fluttuierenden zurückfinden. Bei diesem Prozeß konnte man dann die Erfahrung Stoff nicht identisch ist, was man im ersten Ansturm wahrscheinlich geglaubt hatte. Aber es ließ sich doch erkennen, daß die erstarrte Abgeschlossenheit dieser Dichtgattung sowohl in ästhetischer wie stoff­licher Hinsicht einige Wandlungen recht wohl vertragen konnte, nämlich psychologische Vertiefung, moderne Gegenständigkeit und modern- sprach­liche Ausdrucksmittel. Die stofflichen Borivürfe brauchen doch nicht aus­fchließlich aus einer geschichtlichen Zeit oder gar aus dem Borne nebelhafter Sage geschöpft zu sein. Der Begriff des tragischen Heldentums wechselt mit den Anschauungen; jedenfalls ist das heroische Tatbewußtsein des modernen Menschen ein wesentlich anderes als jenes. Ein im Fabrifgetriebe oder im sozialen Existenz­tampf erliegender Arbeiter beweist zum mindesten soviel Helden­haftigkeit wie irgend eine hochgepriesene Herrscher oder Rittergestalt der Bergangenheit. Jener Bergmann, der bei Richard Dehmel  über das gefrorene Moor mit Flugblättern ins Nachbardorf wandert, um dort durch deren Verbreitung für die Wahl des Kandidaten der Arbeiterpartei 811 zum Reichstag agitieren, jedoch in dem

Sieh doch ihre Augen, Leontine!" Edmund Hall sprach. Seine Stimme war wie verbrechenden Eise den Tod findet- ist er nicht ein Held, würdig des größten? Da haben wir eine moderne wandelt. Madame d'Ora   sah ihn an. Er war selbst ver- Ballade! Bürgerliche Aestheten mögen angesichts dessen wandelt, schien alles andere über dem fremden jungen von sozialistischer" Tendenz" schwagen soviel sie wollen. Für mich Mädchen vergeffen zu haben. Sein Blick war durchdringend existiert sie in jener Ballade nicht; das Menschliche darin überragt und lebend. das scheinbar Tendenziöse, denn es wird durch echteste dichter­schöpferische Kräfte über seine Sphäre hinausgehoben. Im Grunde genommen ist der Protest der Modernen" gegen die Romanzen oder Balladen sein sollende Historiengedichtfabrikation der Belebung der echten Kunstballade zustatten gekommen: er hat unbewußt den Antrieb zum neuzeitlichen Balladenstil gegeben. Unzweifelhaft er­fuhr diese Dichtgattung gerade in den letzten Jahren eine beachtens­werte qualitative Bereicherung; trotzdem ist sie, was das moderne Element angeht, nicht viel über erfreuliche Ansätze gediehen. Wir können deshalb auch felbft Detlev b. Liliencron gegenüber nur bedingungsweise von einem Schöpfer moderner Balladen reden.

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Ach, Du mit Deinen Vergleichen," rief Madame d'Ora  aus und lachte ungeduldig.

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Sie sind noch tiefer, noch eigentümlicher. Wie dunkel und flar ihre Augen sind wie ein Rätsel, das leuchtet! Gleicht fie Sakuntala? Nein, sie ist viel weiter her, ihre Augen find ja wie Sternenschein, über Kohlenwäldern und der heißen Erde."

( Fortsetzung folgt.)

Detlev von Liliencron  

als Balladendichter.

Von Ernst Kreowski.

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Jezt hat er alle seine diesbezüglichen Dichtungen unter dem Titel, Balladenchronik") zu einem stattlichen Bande von 270 Drudseiten vereinigt. Im ganzen sind es 73 Stücke. Nicht alle haben Anspruch auf die Bezeichnung Ballade". Einige Lyrika ( Heimgang in der Frühe"," Arger Morgen"), Pantasiestüde( Un überwindlicher Widerwille"," Feudal  "," Heißhunger"," Die Vorüber­fahrt"), Legenden( Das Haupt des heiligen Johannes auf der Schüffel"," Legende"," Das verschüttete Dorf"," Die Legende vom

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beiligen Nikolaus"," Die Kleine Kirche Jesusblödlein", geschlagene Hand") sowie epische Chronikstücke( Das Opfer", Der fchivermütige König"," Krischan Schmeer", Ehler Wittfoth"," Allerlei Im Aufmarsch der modernen literarischen Bewegung wurde auch haben wir mit dem überwiegenden Teile der Dichtungen als Tumult in Hamburg  ") find jedenfalls auszuschalten. Dagegen der Romanze und Ballade das Grablied gesungen gleich der Lyrik Balladen zu rechnen. Zu jenen mit neuzeitlichem Hintergrunde von gestern". Wessen Leier hin und wieder doch solche Klänge zähle ich den" Haidebrand"," Fatinga", hören ließ, der wurde als rüdfälliger Schwerverbrecher, wenigstens Der Zod"," Bellevue"," Der Mörder"," up de eensame Hallig", Mit der Pinasse", als unsicherer Kantonist angesehen und demgemäß behandelt. Dies Mißtrauen hatte allerdings eine gewisse Berechtigung. Seit Ludwig wo"," Der Zapfenstreich"," Kleine Ballade". Die Regimentsfahnen", " Die Falschmünzer" nebst den militärischen Balladen Wer weiß Uhland  , dem unbestrittenen Altmeister der deutschen Ballade, war Bhaeton ist gefallen"," Tragisches Liebesmahl" und" Kampf um diese schwierigste aller poetischen Gattungen unheimlich ins Kraut bie Wasserstelle". Alle anderen Balladen behandeln Stoffe aus alt­gefchoffen. Wer fich lyrisch irgendwie erblich belastet wähnte, durch nordischer und vorzugsweise schleswig  - Holsteinischer Vergangenheit, töberte didleibige Geschichtswerke, Chroniken und Anekdoten teils auf Sagen, teils auf historische Begebenheiten und Vorgänge fammlungen nach Balladenstoffen. Dann wurde der Hippogryph fich stüßend. Es ist heimatlicher Grund und Boden. Wie froh, wie gefattelt und die Harfe geschlagen. Leider erwies fich das sicher, wie stola redt fich der Dichter! Aber was für Brachtstüde Gesungene meistens als versifizierter Kram. Von bildnerischer Eigenart, bon fünstlerischer Persönlichkeit teine Spur. zaubert da seine Phantasie hervor;" Pidder Lüng", Truz, Blanke Aber Das Gewehr im Hans". Jiern Hinnert"," Wiben Peter", gerade diese Note war es ja, welche Jüngste welche das Deutschland  " nach Goethes Vorbild in den Vordergrund alles Baun"," Die Kapelle zum finstern Stern", König Abels Tod"," Herzog Knut", dichterischen Schaffens stellte. Berbrochener Keilertopf", Daß beides ausschließlich auf die unmittelbare Gegenwart, nicht rüdwärts gerichtet sein müsse, war Wege" usw.:- eine toftbare Perlenschnur; fast alle müßte man Mantel"," Erwartung"," Wiebke Bogwisch"," Vier Augen sind im die nächstwichtigste Forderung. So kam die Pflege der Balladen- Wege" usw.: dichtung von selber ins Hintertreffen. Ich sagte vorhin, daß hierfür nennen. Bulveilen pirscht Liliencron   in fern gelegenen Revieren: einige Berechtigung war. Aber doch nur scheinbar. Man hatte nämlich zwei Umstände übersehen: das historische Alter und die besondere Wesenheit der Ballade.

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Der rote

*) Verlag Schuster u. Loeffler, Berlin   und Leipzig  . Geheftet 3, gebunden 4 M.