Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 7.
F
7]
Donnerstag, den 10. Januar.
( Nachdrud verboten.)
Madame d'Ora.
Roman von Johannes V. Jensen.
Hall ging, und Madame d'Ora sette sich in die Ecke und sah in die Stadt hinab. Gerade hinter ihr gruben sie den Grund zu einem neuen Hause aus, der Bauplak und die Kiesgrube wimmelten von Arbeitern.
1907
Wie konnte der wissen, daß Du hier bist?" fragte Hall fühl verwundert, und wie kann es ihm einfallen, Dich beim Essen zu stören?"
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sch hatte ihn wegen eines Bescheids um ein Uhr hierher bestellt, und die Uhr ist, wie Du siehst, gerade eins." Wie beliebt?" Hall zog die Brauen sehr hoch auf die Stirn hinauf.„ Willst Du mir sagen, daß Du die Absicht hattest, diesen Mann unter allen Umständen zu diesem Glocken. schlag hier zu empfangen?"
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Natürlich!" antwortete Madame d'Ora ebenfalls mit ihren allergrößten Augen. Deshalb schlug ich Dir vor, bei Martin zu frühstücken. Sonst hätte ich ja ein ganz anderes Restaurant wählen können."
Da standen ein paar Pferde und sahen von oben ganz sonderbar aus, sie bewegten sich wie Fische auf dem Boden des Wassers. Oben über den Häusern und all dem weißen Fieberdampf hing die Brooklynbrücke, man hörte sie tönen, wenn man sie ansah. Waggons und Straßenbahnen liefen Hall grübelte ein wenig mit umwölkter Stirn. Dann durch das Gitterwerk da oben wie die Schiffchen in einem brach er in ein Gelächter aus. Gewebe. Je mehr man hinauf sah, um so mehr verstand Ganz wie Du!" sagte er höchlichst ergößt. Du bist man von ihren großen Tönen; man unterschied trabende Gott in leibhaftiger Person, Leontine. Du bist mein Schicksal. Pferde dort oben. Die Brücke sprach oder sang wie ein Eis- Erst hinterher entdecke ich, daß alle meine Willensäußerungen gletscher, der vom Berge hinabgleitet, lebend, und sie selber in Wirklichkeit die Deinen waren. Ich war nun eine Beute hing schlummernd im Sonnennebel. Madame d'Ora fühlte der angenehmen Illusion, daß ich Dich mit fünfundzwanzig das dunkle Dröhnen und versuchte unbewußt, den Ton zu Pferdekräften dahin führte, wohin ich wollte. Auf Dein finden, aber er war so tief, daß sie ihn nicht erreichen konnte. Wohl!"
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Sie stöhnte, sah auf den blankgeschliffenen Schienenweg" Deine Augen sehen jetzt wieder so rot aus, Edmund," hinab, wo die Waggons, die in rasender Fahrt um die Ecke sagte Madame d'Ora plöglich, und Du zwinkerst so viel gekommen waren, so plötzlich auf dem Halteplaz anhielten, damit. Fehlt Dir etwas?"
daß es einem im Kopfe surrte. Die Pferde standen noch Hall senkte den Kopf und rieb sich die Augen, ließ immer da unten auf dem Bauplatz und bewegten die Schwänze aber die Frage unbeantwortet. Madame d'Ora betrachtete wie in einem Strom. Jezt langweilte Madame d'Ora sich, ihn, ihre Fürsorge war wach geworden. fie stand auf und fah sich im Laboratorium um, stemmte die Hände gegen ihr frachendes Korsett, zählte eine Reihe Totenschädel auf einem Bort und nickte, als es sich herausstellte, daß es genau zwanzig waren.
" Ed- mund!" rief sie laut und verdrießlich. Hall erschien einen Augenblick später im Straßenanzug, eine Müße auf dem Kopf, und sie führen hinab. Das Automobil hielt vor dem Portal, eine große, schwere Maschine, rot lackiert und mit dicken Rädern. Der Chauffeur, der damit gekommen war, setzte sich auf den hinteren Siz und Hall ergriff das Steuerrad. Sie fuhren erst eine Strecke den Broadway entlang, da aber das Gedränge so stark war, daß Hall kein Wort auf Madame d'Oras Fragen zu antworten vermochte, bog er in eine Quergasse ein, die zu einer der Avenuen führte, wo es ruhiger war. Hier schaltete er höhere Uebersetzung ein, so daß die Maschine mit einem Stoß vorwärts flog, unter fleißiger Benutzung der Huppe fuhren sie in großen Bogen an den Wagen vorüber. Madame d'Ora befand sich jetzt wohl. Sie sah von der Seite Hall an, dessen behandschuhte Hände leicht auf dem Steuerrad lagen, und der mit großer Ruhe die Maschine führte, während er unverwandt auf den Weg achtete. Jezt kannte sie ihn wieder, das war ihr eigener Edmund, der nie den Eindruck machte, als besäße er Mut, der aber keine Furcht kannte.
Es war eine glückliche Fahrt. Während sie frühstückten, entfaltete Madame d'Ora ihre ganze goldene Laune. Ihre Züge rundeten sich, als sei sie daheim, während sie am Tische saß, Hall gerade gegenüber, sie glich schließlich einem großen jungen Mädchen vom Lande. Und Halls nervöses Gesicht rötete sich leicht. Die Stimmung von allen den vertraulichen Mahlzeiten, die sie in entschwundenen Zeiten zusammen genossen hatten, rückten nahe und löschten alles andere aus. Sie saßen da und erinnerten einander an so viele niedliche Unbedeutendheiten, die sich vor langer Zeit zugetragen hatten, und an den wunderbarsten Orten, die aber vor einem Tage hätten geschehen sein können. Sie seufzten und fingen an, leise zu zittern, tranken sich zu und vertieften sich gegenseitig in ihre Augen. Sie lachten über ihren Appetit. Madame d'Ora , die sich sonst beständig in einer Entfettungsfur befand, machte heute eine Ausnahme und aß alles, was sie wollte. Eine kleine Episode schien ihnen die Stunde verfinstern 31 wollen. Der Diener brachte eine Karte, und Madame d'Ora trat mit einer leichten Entschuldigung an einen Mann| heran, mit dem sie ein paar Minuten sprach. Hall saß mit der korrektesten Miene, aber schweigend da, als sie zurückfehrte.
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" Du hast auch kahle Stellen im Haar, an der einen Seite, was ist das, Edmund? Du bist doch nicht krank?"
,, Ach, ich habe einige Versuche mit chemischem Licht gemacht, die haben meine Augen angegriffen," murmelte Hall verdrießlich.„ Aber wir wollen doch jetzt nicht von meinem Geschäft reden!"
Du berbrennst Dich schließlich noch einmal felber," meinte Leontine in scheltendem Ton, wenn auch erleichtert, und dann sprachen sie von anderen Sachen.
Als sie gegessen hatten, fuhren sie weiter. Hall zeigte Leontine den märchenhaften Bau an der Ecke des Broadway und der dreiundzwanzigsten Straße, der sie so stark ergriff, daß sie sich im Automobil aufrichtete und eine Herausforderung zu der Zinne des Hauses hinaufschmetterte. Hall lächelte vergnügt.
Mein Schaz," sagte er, Du hast wieder einmal recht. Aber ich sage Dir, um diese Ecke herumzukreuzen, das ist so ungefähr die größte Situation, in die ein Sterblicher gelangen fann. Mit Dir in meinem Flieger bin ich ein glücklicher Mann."
Hall schlug den Griff nieder und sie bogen mit einer langen Surve in die fünfte Avenue ein, er bückte sich und stellte im Laufe einer Minute die Maschine auf die volle Kraft, stieß einen Trompetenstoß aus, und nun schleppten sie eine Wolfe von Staub mit sich, während sie mit Lokomotivgeschwindigkeit über den Asphalt dahinsausten, an einer Reihe von Millionärhäusern vorüber. Der Chauffeur hinter ihm rief um Hülfe, und Madame d'Ora hielt unter lautem Geschrei ihren Hut fest. In ebenso kurzer Zeit mäßigte Edmund Hall die Fahrt wieder. Er nidte Leontine zu und stieß ein zufriedenes Grunzen aus. Einen Augenblic später tauchte ein sausendes Motorrad mit einem Polizisten neben ihnen auf, und Hall mußte mit Namen und Adresse herausrücken. Er würde in Strafe genommen werden.
Sie fuhren nun lange Zeit in anständigem Tempo weiter, nach der Promenade am Hudson hinaus, vorüber an Grants Mausoleum und ganz hinaus nach den Vorstädten. Auf dem Rückwege ließen sie den Chauffeur das Rad übernehmen und saßen selbst hinten und unterhielten sich. Sie fuhren durch den Bentralpark, und hier stiegen sie aus und spazierten ein wenig in den Gängen umber. Es war ein heißer Maientag. Die Felsklippen, die aus dem Grün des Parkes aufragten, von der Eiszeit gefurcht und geschliffen wie die Schären in Norwegen , fimmerten an den Steinflächen von warmer Luft und prangten in dem Schmuck bunter Flechten und Kräuter. Die Bäume des Parkes standen im lichtesten Grün, und die blühenden Sträucher wölbten sich im Sonnenschein wie freihängende Nebel in Rosenrot und