'..Sage nun, Karin, wann soll unsere Hochzeit sein?" Sie tippte ihm aus die Stirn.„Du bist verrückt, Algot! Was geht mich Deine Hochzeit an!" „Hort, hört! jetzt sängt er an zu sreien!" ries jemand von hinten. irr war ganz verstört. „Ja— aber— Tu hast doch das Kopftuch und die Schuhe ge- nommen.", „Du hast sie mir ja gegeben." „Gewitz, aber—" „Nun, sollt' ich sie denn nicht nehmen? War daS nicht recht?" „Ja, gewist war das recht!" „Ra ja! Was habe ich denn da Schlechtes getan?" „Gar nichts Schlechtes hast Du getan, Karin!" „Ra das den!' ich auch! Was willst Du denn von mir?" Damit drehte sie ihm den Rücken und ging wieder in die Tanzstube. Ja was wollte er nur von ihr? Er wußte es selbst nicht. Sie hatte ihm doch niemals gesagt, dast er sie heiraten solle. „Algot verschafft sich Körbe für seine neue Wirtschaft", höhnte ein Pojke. „Komm zu mir, Algot! Ich gebe Dir auch einen," spottete eine Töst.„Ich auch!" riefen mehrere zugleich. Algot hatte genug vom Slattergille. Er schlich sich fort wie ein gescholtener Hund. Anfangs wollte er einem Spötter auf den Leib fahren. Aber er fühlte sich gebrochen jetzt. Keine Kraft spannte seine Muskeln. Nicht einmal die Kraft des Haffes sprang aus seinem Herzen. Das Hohngelächter schallte ihm in die Ohren, als ob es ihn nichts anginge.— Auf dem Slattergille in Humlegard war ein Diebstahl der- übt worden. Ein Portemonnaie mit fünfzehn Kronen war ab- handen gekommen. Die Polizei konnte den Dieb nicht auffinden. Aber die Meinung der Leute hatte ihn rasch ermittelt. ES war Algot von Humlegard. Er mußte es sein. Denn er war ein der- schlosscner Mensch Konnte etwas Gutes in ihm wohnen? Das Gute geht ans Licht. Und Algots Wesen ging stets im Dunkeln. Er öffnete sich niemand. Warum nicht? Weil er das Böse lieber in sich verbarg. Algot versicherte zweimal, daß er das Geld nicht gestohlen habe, einmal vor seinem Husbonde.T) das zweite Mal vor dem Ord- föranden/) Als ihn der Prest� auch noch vor sich kommen liest, da schwieg er. Ja, der Prest war doch mindestens ebenso llug wie seine Gemeinde. DicS Schweigen verriet ihm seine Schuld. Er redete ihm ins Gewiffcn mit manch kräftigem Bibelwort. Aber der hartgesottene Sünder sah ihn an und sckwieg. Und was der Prest in seinem Auge las, das war noch schlimmer als der Dieb- stahl. Da war keine Demut, keine Furcht. Da war Verstocktheit und Trotz. Die Beweise fehlten. Algot konnte leider nicht eingesperrt werden. Aber am nächsten Sonntage hielt der Prest eine lange Predigt über die Kennzeichen eines Knechts der Finsternis. Alle wußten, wer gemeint war. Auch Algot wußte es. Und hätte er's nicht gewußt, die Blicke der Andächtigen hatten ihn darüber be- lehrt. Darin spiegelte sich der ganze Abstand, zwischen ihm und den Kindern Gottes. An diesem Sonntag war Algot das letzte Mal in der Kirche. Der Hu?bonde von Humlegard entließ ihn aus dem Dienst. Des Diebstahls wegen hätte er ihn vielleicht noch behalten. Aber nach der letzten Predigt war das unmöglich. Algot sagte nichts. Er packte seine Sachen und ging. Es gab ja andere Dienste. Ja, es gab sogar sehr viele andere Dienste, aber für ihn gab es keinen mehr. Das hatte er in der nächsten Woche festgestellt. Vor ihm schloffen sich alle Türen. Scheue Gesichter, abwehrende Mienen. Jeder war froh, wenn er den Hof wieder verlaffen. Da kam eine unsägliche Bitterkeit über ihn. Er hätte sein Mcnschenwm aus- speien uwgen und sich den Tieren des Waldes verähnlichen. Mitten im düstern Fichtenwalde stand eine verlassene Torp- Wohnung.� Diese wählte er zu seinem Aufenthalt. Solange seine Ersparnisse reichten, lebte er hier unangefochten. Jeder fürchtete ihn und wich ihm aus. Und er suchte keinen. Rur zu Karin vom Kirchensce zog es ihn oftmals. Da lag er manchmal den ganzen Tag im Busch an dem Wege, der von Kirchensee zum Dorf hinuntcrführte Manchmal kam sie nicht. Manchmal kam sie. Und dann starrte er sie an aus seinem Versteck und starrte ihr nach noch lange, nachdem sie hinter den nächsten Büschen verschwunden war— Aber nun klopfte der Hunger an die Tür. Und ob Algot auch „hinaus" rief, er trat doch herein. Und nun saßen die drei in den kahlen Räumen des Torp- Hauses, der Hunger, der Haß und Algot. und überlegten, wie sie miteinander auskommen wollten. Und draußen rauschte der Herbst- wind durch die Wipfel der düstern Fichten und mahnte sie, ihre Beziehungen beizeiten zu ordnen. Denn ein vierter Gast war im Anzüge, der Winter. Der Haß war ein Gefährte, der sich mit seinen Forderungen vertrösten ließ. Er entwickelte zwar täglich seine Ansprüche. Aber er vertraute der Zeit. Er band seine Befriedigung nicht an den Augenblick. Aber der Hunger war von heftigerer Art. Harren und Hoffen ging ihm wieder die Natur. „Gehe in den Wald von Sutanäs und hole Dir ein Schaf", riet er.„Du hast doch soviel Recht ans Leben wie ein Fuchs?" ft Hausherr.*) Gemeindevorsteher.•) Pfarrer. „Sie halten Dich außerdem alle für einen Spitzbuben," setzte der Haß hinzu.„Wenn Du also tust, was sie von Dir erwarten, tust Du ihnen da unrecht? Du brauchst doch nicht besser zu sein, als die Menschen von Dir haben wollen." „Gehe nur getrost in den Keller nach Humlegard," crmahnte der Hunger wieder,„und nimm Dir den besten Schinken daraus." „Der dicke Bernde) mag sich nachher ärgern," ergänzte der Haß. „Und wenn es ein Unrecht ist!" fuhr der grimmige Hunger fort.„War es recht, wie sie Dich behandelt haben?" „Wer ich habe in meinem Leben noch keinen Knopf gestohlen," wagte Algot schüchtern einzuwerfen. „Darum hast Tu auch bald keine Hosen mehr!" höhnte der bittre Haß. Der Hunger lachte schneidend.„Das wird der Winter mit ihm ausmachen." „Ja. ich weiß nicht, wie ich den Winter ertragen werde." sagte Algot kleinlaut. „Was? Siehe Du zu. wie Du uns ertragen wirst!" riefen da die fiustcren Gäste. „Fürchtest Du mich weniger als den Winter?" fragte drohend der Hunger und richtete sich aus. Algot erbebte vor seinem düsteren Blick. Er fürchtete sich vor den knochigen Fäusten, die Eisen zerbrachen. „Wenn ich nur Arbeit bekäme!" seufzte er. „So gehe hin zum Prest," sprach der Hunger.„Küsse ihm die Hand. Weine und sage: Ich bin ein armer Sünder. Ich habe das Portemonnaie gestohlen." „Das ist doch nicht wahr!" schrie Algot. „Was tut das? Du bekommst Arbeit und zu essen." „lind wenn dann wieder ein Beutel verschwindet, bemerkte bissig der Haß. dann sperren sie Dich ein ohne Untersuchung. Denn wer sich Dieb nennt, der darf sich nicht wundern, wenn mau ihm das Stehlen zutraut." „Schweigt!" rief Algot empört.„Ich gehe nicht zum Prest. Lieber laß ich mich totquälen von Euch." Da lächelte der Haß beruhigt und sagte freundlich:„Du bist töricht, Algot. Nicht wir sind Deine Feinde, sondern Deine Dumm- heit. Du willst nicht unehrlich sein. Aber Unehrlichkeit gibt es nur bei dem, der Arbeit und Essen hat. Du hast gar nichts. Du kannst weder ehrlich noch unehrlich sein."* Der Hunger nickte finster. „Der Haß hat recht. Uebrigens alles ist recht, was mir Recht schafft, d. h. etwas zu essen." Und der Haß bohrte und der Hunger drängte. Und draußen rauschte der Herbstwind und rüttelte an den losen Fensterscheiben. Da ging er in den Nebcnraum, nahm einen Strick und begab sich in den Wald von Sutanäs.— Der Prest und alle Sockenbewohner freuten sich über ihre Menschenkenntnis. Algot war aus einem Kartoffcldiebstahl er- tappt worden. Nun war es bewiesen, wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß er ein schlechter Mensch war, und daß er auch jenen Gelddiebstahl in Humlegard verübt hatte. Algot wurde ins BezirkSgefängnis eingeliefert. Der Ankläger beantragte Gefängnis. Aber auf das schwerwiegende Zeugnis d«S Sockenprest wurde er mit Rücksicht auf seine verderbte Gesinnung zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. kleines f einUeton. DaS Rmiisement deS Krieges. Ein charakteristische? Beispiel von der Frivolität, womit der fürstliche Absolutismus mit dem mensch- lichen Leben geschaltet hat, liesern die„Erinnerungen des Marquis von ValfonS", die von einem Nachkoinmcn des Memoirenschreibers kürzlich bei Emile Paul in Paris heraus- gegeben worden sind. Marquis von Valfons machte 1744 als Offizier den Feldzug in den österreichischen Niederlanden mit. als Ludwig XV. mit Madame de Chlltcauroux bei der Armee eintraf, um daS nominelle Kommando zu übernehmen. Die Truppen nahmen mühelos Menin, Dpern und Furnes, und der Krieg schien zu Ende zu fem. Aber der König und seine Freundin unter- hielten sich bei dieser Beschäftigung zu gut, und so»mißte da? Wer- gnügen verlängert werde». Der Ktiegsiniuister Arg eh» s o n bc- lchied Valfons in sein Kabinett zu Dünkirchen und sagte ihm, die Karte der Niederlande cntsaltend:„Wir sind allein. Die Jahreszeit ist noch nicht fortgeschritten. Was können wir jetzt tun,»im seinen großen König ünd seine siegreiche Armee zu beschästigen?" Während dieser Worte hielt er die Augen aus Narnur und Maestricht gerichtet. ValfonS aber, der als geriebener Höfling Bescheid wußte, erwiderte:„Herr Minister, wir sehen diese Karte umsonst an. DaS Ziel Ihrer Wünsche und Ihrer Operationen befindet sich nicht darauf."—„Sie zeigt doch genug Land."—„Mein Herr, ein Minister wie Sie hat immer größere Pläne. Wir müssen auf Freiburg »narschieren."—„Seine Ueber- raschung," fügt ValfonS bei.„bewies mir, daß ich richtig geraten hatte, öbzwar er, um mich irrezuführen, die Unmöglichreil dieser Operation beweisen wollte. Aber er war leicht zu über- >") Bauer.
Ausgabe
24 (15.1.1907) 10
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