Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 19.
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Sonnabend, den 26. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Madame d'Ora.
Roman von Johannes V. Jensen. " Verzeih!" jammerte sie heiß vor Reue und schmiegte sich eng an ihn. Er wandte sich ab, aber fie lief um ihn herum, bis sie ihm ins Gesicht fah, und brannte ihre elenden Augen in die seinen, machte fich flein vor ihm und flehte an seiner Brust: Verzeih! Verzeih!" Und wieder stürzen Tränen aus ihren Augen, sie weint aus dem Herzen heraus, bebt vor Weinen, so daß sie es fast zermalint.
Hall sieht, daß es nicht nüßen kann, mit ihr zu kämpfen, feine Redlichkeit läßt ihn im Stich, er streckt die Hand aus und berührt ihre nasse Wange. Da schlägt sie mit einem tiefen Seufzer der Erlösung die Arme um seinen Hals und hält ihn fest, ruht ihren Kopf an seiner Brust mit geschlossenen Augen, bis sie still wird. Er steht geduldig da und sieht über ihre Schulter hinweg vor sich hin mit einem Gesicht wie ein Mann in herbstlichem Wetter.-
" Darf ich schlafen?" flüstert sie endlich und wird im selben Augenblick schwerer.
Er streichelt sie betrübt, antwortet aber nicht. Nach einer Weile zittert jie leise. Er sieht zu seiner Verwunderung; daß sie mit geschlossenen Augen lacht.
Du hast mich so oft gebeten, schlafen zu dürfen," sagt sie mit ihrer tiefen, glücklichen Stimme. In alten Zeiten, Edmund."
Ja, Leontine."
Endlich schlägt sie die Augen auf und tritt an ihren Stuhl heran, gedankenlos. Sie trinkt ein wenig Eiswasser, dreht an ihren großen Saphirringen.
In einer Stunde kommen Menschen", sagt Edmund Hall schonend. Willst Du nicht ein wenig auf dem Sofa
schlafen. Du bist sehr müde, Leontine."
Sie ging sofort nach dem Sofa hinüber und legte sich hin. Sie lächelte glücklich, indem sie die Augen zufallen ließ. Dann kehrte sie mit einem legten Tränenseufzer die Augen nach der Sofaecke zu und schlief fast im selben Moment.
Als Hall jie Dreiviertelstunden später weckte, hatte sie fich ganz wieder erholt.
„ Wer kommt denn, Edmund?" fragte sie.
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Versprichst Du mir, nicht von mir zu gehen?" „ Das kann ich Dir nicht versprechen. Ich muß ja meine Arbeit verrichten, meine Aufzeichnungen, die Instrumente aber ich will Dir über den ersten Eindruck hinweghelfen. Nachher, dafür stehe ich ein, wirst Du Dich vollständig ruhig fühlen."
,, Gut, ich bleibe," sagte Madame d'Ora und nahm sich mitig zusammen. Aber ihre Augen fingen an, scheu umher zu schweifen. Sie erblickte das Zelt aus schwarzem Sammet, das an der inneren Wand des Laboratoriums stand, geschlossen und mit unbeweglichen Falten. Sie erbleichte.
„ Ist das das Kabinett?"
" Ja, Du. Aus diesem Zelt famen eines Tages in der vorigen Woche acht verschiedene Wesen, so lebendig wie ich und Du. Aber sie waren sonst das, was wir tot nennen."
Madame d'Ora schwieg. Nach einer Weile wurde an der Türglocke geschellt, und Hall ging hin, um zu öffnen. Madame d'Ora trocknete die Schweißperlen von ihrer Oberlippe und schnappte nach Luft. Die Hiße war außerordentlich jetzt. zu dieser Zeit des Tages. Es war gegen zwei Uhr, die heiße Luft hing still in den offenstehenden Fenstern; der Lärm der Stadt drang herauf, gedämpft, aber mehr noch als Plage wie sonst. Der L- 3ug faufte unten auf dem Schienenweg vorüber, die erhisten Schwellen sangen unter ihm. Die Brücke da unten verschwamm in einem Kupfernebel mit ihren langsam wandernden Wagenreihen. Eine auseinander gefaltete Zeitung schwebte von dem Gitterwerk herunter und flatterte lange in diesem nebeligen Raum umher, bis sie das Wasser erreichte. Das Haus, das man vor vier Monaten zu bauten angefangen hatte, ragte wie ein offener Turm aus roten und schwarzen eisernen Balfen auf ein betäubendes Hämmern scholl aus seinem Innern; tief unten auf dem sonnenweißen Bürgersteig lag die Leiche eines Pferdes, das infolge von Sonnenstich gestürzt war.
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Herr Mc. Carthy und Frau sowie Mirjam traten ein, alle ganz angegriffen und bleich von der Size. Madame d'Ora sab sofort, daß Mirjam leidend war. Das junge Mädchen hatte kein Licht in den großen Augen, ihr Kopf sah sonderbar flein aus und wie dünn sie war! Namentlich aber war der arme, feine Mund verändert, er war so bleich und elend und still, als habe sie eben eine Verblutung gehabt.
" Der Kreis. Fräulein Karekin und eine Menge Sie blieb mitten im Zimmer stehen, als sie Madame d'Ora Menschen, die assistieren."
Wollt Ihr jetzt eine Sigung, veranstalten?" Hall nickte.
Jetzt!" Mitten am hellen Tage. Ich dachte, man täte dergleichen mur des Nachts."
sah, veränderte aber im übrigen ihren Ausdruck nicht. Ma dame d'Ora trat an sie heran, strich ihr liebkosend über das Saar, türzte sie.
„ Sie ist ja sehr frank," flüsterte Madame Edmund Hall besorgt zu, ihr Mund ist ganz falt."
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Wir schaffen uns unsere lokale, unsere private Nacht,"" Hochehrwürden, Herr Mc. Carthy, Frau Me. erklärte Hall und zeigte auf die schweren Stoffvorhänge an Carthy," stellte Hall vor und Madame grüßte. Sie empfand den Fenstern. Madante d'Ora jab von ihm zu den Vorhängen augenblicklich Mißbehagen, als sie die beiden hysterischen hinüber, und als ihr Blick auf die Stadt fiel, die mit ihren kleinen Menschen sah. Es war lange her, seit sie in GesellTurmhäusern unter dem blendenden Himmel in einer un- schaft mit anderen als Leuten ihrer Art gewesen war, und ruhigen Weiße von sonnenbeschienenem Dampf dalag, nahni diese beiden bürgerlichen Erscheinungen versetzten sie gleichihr Gesicht plötzlich den Ausdruck des Unglaubens an.
„ Willst Du hier bleiben und der Situng beiwohnen?" fragte Hall. Sie sprang auf den Stuhl, ihre Zähne schlugen susammen.
,, Nein," rief sie entsetzt. Ich sterbe, wenn ich etwas sche! Kommt Eld? Nein, nein!"
" Du stirbst nicht," saate Hall und lachte so ruhig. Sie Starrte ihn in wildem Zweifel an, es zog sie doch, das Schreck liche zu sehen.
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sam zu etwas zurück, was sie vor undenkbaren Zeiten verlassen hatte. Sie erblickte im Grunde nur ein Paar niedrigere Tiere in den beiden; aber sie bemühte sich ehrlich, sie nicht einzuschüchtern. Frau Mc. Carthy stellte sich vor ihr auf, bedrückt von Verlegenheit und Zuvorkommenheit, sie gab verliebte Blicke von sich und wußte offenbar keinen anderen Ausweg. als über etwas zu schwaben. Madame befreite fie, indem sie irgend ein Thema aufgriff. Die fleine, verblühte Frau war bald ein seliges Lächeln, unter dem der Speichel auf ihren blanken, falschen Rähnen eintrocknete. Herr Mc. Carthy sprang währenddes im Laboratorium geschäftig auf und nieder, schwaste mit Edmund Hall, und Madame d'Ora , die ihn nicht aus den Augen ließ, bemerkte, daß er sich ziema, aber es ist doch dunkel. Ach! Weshalb müssen lich vertraut mit der Umgebung benahm. Dies ärgerte fie solche Dinge immer im Dunkeln vor fich gehen?" und machte sie eifersüchtig, und sie dachte bei sich, daß es wohl „ Aus demselben Gründe, aus dem man photographische das best: fei, wenn sie bei Gelegenheit diesen beiden schmeichPlatten nicht im Tageslicht behandeln kann. Das Dunkel lerischen Barafiten einen Fußtritt versette. Sie hielt inist chemische Bedingung. Und wenn wir doch die Geheimnisse dessen vorläufig die Unterhaltung mit Frau Mc. Carthy sehr der Finsternis untersuchen, ist das vom logischen Gesichts gnädig in Gange. Miriam saß auf einem Stuhl und starrte punkt aus wohl ziemlich notwendig. Uebrigens haben wir vor sich hin. Lange währte es nicht, bis Fran Me. Carthy ein wenig fünftliches rotes Licht, damit wir uns sehen von dem einzigen sprach, was sie wirklich interessierte, von fönnen." Iden Sigungen.
Es ist gar nicht wunderbar oder angreifend, einen Geist zu sehen," fuhr Hall freundlich fort. Du wirst fein anderes Gefühl des Unbehagens haben, als wenn Du mich ansiehst."
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