Zlntcrhaltungsblatt des Horwärts Nr. 22. Donnerstag, den 31. Januar. 1907 (NcichduKl verboten.) 22])VIadamc d'Ora» Roman von Johannes V. Jensen. Die dicke Dame fing an zu spielen, ganz gedämpft: man fuhr fort, leise miteinander zu reden. Mitten im Kreise stand Edmund Hall an einem kleinen Tisch mit Papieren und der- schiedenen Dingen, und neben ihm stand Mirjam in ihrem langen, glatten Sammetgewand. Edmund Hall räusperte sich und verlas die Bestimmungen für die Satzungen, Punkt für Punkt. Man hörte es seiner Stimme an, daß er dieselben Ar- tikel schon oft verlesen hatte. Sie gingen alle darauf hinaus, daß Fräulein Karekin von Damen untersucht sei, daß die Türen versiegelt seien, und daß das Laboratorium im übrigen mit den Kontrollapparaten versehen sei, die Edmund Hall, natürlich ohne Mitwissen des Kreises, konstruiert und ange- bracht habe. Eins der Mitglieder des Kreises sei bereit, alles zu stenographieren, was gesagt würde, sobald ein betreffender Wink gegeben werde: die photographischen Platten, die zur Anwendung kommen sollten, seien gestempelt und in den der- schlossenen feuerfesten Schrank gelegt und so weiter. Edmund Hall schärfte darauf die Regeln ein, die der Kreis zu beob- achten hatte, um das Medium nicht in Gefahr zu bringen, er- innerte daran, daß keiner von den Anwesenden unter irgend einer Bedingung die Stühle verlassen dürfe, es sei denn unter seiner Leitung, und legte dann ganz kurz Rechenschaft von dem Programm der bevorstehenden Sitzung ab, das, soweit die Umstände es gestatteten, Aufnahme von Photographien sowie wissenschaftliche Versuche über denStoff", in dem die materialisierten Geister auftreten, umfassen sollte. Nach dieser Einleitung führte Edmund Hall Mirjam an das Kabinett und schlug die Draperien zurück, so daß alle das Innere sehen konnten. Es war nur wenige Fuß tief, den Hintergrund bildete ein großes Bort mit Büchern, und auf dem Fußboden stand ein langer Divan. Weiter war da nichts. Fräulein Karekin setzte sich und senkte sogleich den Kopf in den Schoß hinab. Edmund Hall trat zurück und ließ die Draperien fallen, worauf er an seinen Tisch mitten im Kreise trat und etwas in seinen Büchern verzeichnete. Er mußte die Augen fast unmittelbar über das Papier halten, um zu sehen. Einen Augenblick später trat er an Madame d'Ora heran und stellte sich neben ihren Stuhl. Die Mitglieder des Kreises fuhren fort, zu sprechen, hatten aber alle die Augen auf das Kabinett gerichtet. Die dicke Dame spielte noch immer auf dem Har- monium und plötzlich fing sie auch an zu singen. Sie hatte jene dünne, sonderbar heulende Stimme, wie sie engbrüstigen Frauen eigen ist. aber sie sang nicht ohne Geschmack, die langen, kraftlosen Töne erinnerten in Verbindung mit denen des Harmoniums an das melodische Klagen des Windes in undichten Türen. Einige Minuten vergingen. Aus dem dunklen Kabinett heraus vernahm man ein seufzendes Atem­holen, gefolgt von einem schwachen Jammern, das gleich wieder verstummte. Noch einige Minuten verstrichen. Es wird so sonderbar hier," flüsterte Leontine plötzlich und sieht angstvoll zu Edmund Hall hinauf.Die Lust ist so dick. Es rührt sich etwas, eine kalte Zuglust streicht durch den Raum... sind hier drinnen Vögel?" Sie ballt die Hände und streckt die Arme kranipfhaft aus, sie schließt mehrmals die Augen, muß sie aber wieder öffnen und daS Kabinett anstarren. Jemand seufzt schwer wie ein schlafendes Wesen dadrinnen. Madame d'Ora zittert sichtbar am ganzen Körper, und sie ist halb gelähmt im Gesicht, sie sieht aus wie jemand, der vor Kälte umkommt. Aber nach einer Weile wird sie von selber ruhiger, sie atmet tiefer, und die unwillkürliche Spannung legt sich, sie sinkt zusammen, einer Ohnmacht nahe. Bis ein heftiger Zugwind sie erfaßt, unter dem sie erstarrt und Halls Gesicht mit weit geöffneten, glasähnlichen Augen sucht, ein Ruf hat sie erschreckt, es ist eine Dame im Kreise, die die Stimme erhoben hat und in der Richtung des Kabinetts ruft. Eld! Komm, liebe Eld!" Die kleine Frau Mc Carthy stimmt dicht neben Madame d'Ora mit ein und meckert, sich vor Zärtlichkeit windend: Komm. Eld, wir wollen Dich so gern sehen!" Da ergreift Edmund Hall Leontinens Hand, die sich zuckend und ruckend bewegt und eiskalt ist, und während sie sich unter seinem Einfluß einigermaßen beruhigt, steht er da und sieht sich nach dem Kabinett um, aus dem kein Laut mehr ertönt. Nach einer Weile ist es, als ob das schwache Licht im Laboratorium noch einen Grad fällt, und im selben Augen- blickt drückt Hall Leontinens Hand und hält sie lange mit hartem Griff umspannt.Sieh!" flüstert er ruhig. Die Ringe, an denen die Draperien des Kabinetts hängen, klirren gedämpft... Leontine sieht auf und begegnet ein paar warmen, dunklen Augen, sie sieht ein feines Mädchenantlitz, dasllächelt und ihr zunickt, gerade ihr. Es ist ein junges Weib in weißen, losen Gewändern, das im Eingang zu dem Kabinett steht, die Draperien mit beiden Armen zurückhaltend. Jetzt läßt sie sie fallen, so daß sie hinter ihr zusammenschlagen, jetzt nähert sie sich einen Schritt, kommt... Das ist Eld," hört sie Edmund sagen. Alle sagen etwas und sind entzückt. Musik'und Gesang verstummen. Man nähert sich nun einer andern, schallenden Musik, saust das Meer zu den Fenstern herein?... Madame d'Ora verliert einen einzigen Augenblick das Bewußtsein, nur Edmund Hall bemerkt es. Als sie wieder sieht, steht die weiße Fremde dort mitten im Kreise, dasselbe schöne, mystische Lächeln um den Mund. Aber dar-, was Madame d'Ora vorhin instinktmäßig so tief erschreckte, daß nämlich diejenige, die aus dem Kabinett herauskam, eine andere war als Mirjam, bringt sie jetzt völlig wieder zur Besinnung. Kein Ueberlegen sondern etwas, das sozusagen in ihren Organen vor sich gegangen ist. trägt sie auf die andere Seite des Wunders hinüber und stellt sie in Sicherheit auf Grund sinnlicher Eindrücke, sie weiß ganz ein- fach, daß Eld zugegen ist, Eld, die eine wirkliche Person ist. Und da lacht Madame d'Ora , lacht laut und herzensgut wie ein Kind, daß ein Kunststück sieht. Aber nachdem sie gelacht hat, lächelt sie, sie kann nicht anders, denn Eld ist so jung und so schön. Die beiden Frauen lächeln sich zu, jede mit ihrem Ausdruck von Freude. Edmund Hall entfernte sich langsam von Madame d'Ora , er wußte, sie würde jetzt allein fertig, und näherte sich Eld. Es war beinahe still im Raum: alle hatten Eld begrüßt und sie willkommen geheißen. Nur Frau Mc Carthy und ein paar andere Damen konnten nicht inne halten mit den trunkenen Ausrufen, die für Frauen, wenn sie einen Anfall von Be- lvunderung haben, gleichbedeutend mit Atemholen sind. Eld stand da und ließ ihre unbeschreiblich klaren und heiteren Augen vor? deni einen zu dem andern hinllberschweifen, je nachdem man bemüht war, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Als Hall auf sie zukam, nickte sie ihm lebhaft zu, und nun hörte Madame d'Ora zum ersten Mal ihre Stimme. Sie war zart aber von reichem Klang, mit tief innerer Lebenslust gesättigt. Sie sprach Englisch mit stark ausländischem Akzent, und wie es sich herausstellte, nur sehr unvollkommen. Es be- nahm Madame d'Ora den Atem, nicht vor Entsetzen, sondern vor Verwunderung und Dankbarkeit, daß sie dies Wesen ihren Mund über einer Reihe weißer Zähne öffnen sah: das bewegte sie, so daß sie heiß ward von verwirrtem Glück bis in ihr Inneres hinein, denn gleichzeitig erzählte Etwas, daß das junge Mädchen tot war und nicht von dieser Welt. Die Luft ist uns heute günstig," sagte Eld.Aber ist es nicht sehr warm?" Befindet Mirjam sich wohl?" fragte Edmund Hall. Gut und ruhig," antwortete Eld.Wir können heute lange zusammen sein. Ich habe eine Menge Sachen mitge- bracht, die wir besehen wollen. Und viele werden erscheinen, wenn sie können..." In diesem Augenblick ertönte aus dem Kabinett ein leises Husten, Madame d'Ora stand das Herz still, als sie Mirjam Karekins Stimme erkannte. Es raucht wohl jemand Tabak," sagte Eld und lächelte geheimnisvoll schelmisch Madame d'Ora zu, die sie nicht ver- stand und sich errötend nach Beistand umsah. Niemand aus dem Kreise darf rauchen," flüsterte Frau Mc Carthy erklärend.Mirjam wird krank davon, selbst wenn man nicht im Laboratorium raucht, ja, wenn man sich nicht wenigstens drei Wochen des Tabaks enthalten hat. Denken Sie nur, in der ersten Zeit erbrach sie sich nach jeder