Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 25. Dienstag, den 5. Februar. 1907 (Nachdruck verboten.) 25] ]Vladame d'Ora. Roman von Johannes V. Jensen. Im Kreise herrscht die größte Unruhe. Alle Mitglieder sind von einer Begeisterung erregt, die sich zu steigern scheint, nachdem der Eindruck aufgehört hat, und sie wollen alle etwas Besonderes gesehen haben, sie bekräftigen habsüchtig ihre Er- lebnisse, sie werfen den Kopf in den Nacken, sie blähen sich... plötzlich aber werden sie still und richten alle ihre Aufmerk- samkeit auf das Kabinett. Die Falten davor bewegen sich, als sei jemand im Be- griff, sie zurückzuschieben. Sie erwarten Eld wieder zu sehen, entdecken aber zu ihrem Erstaunen eine Gestalt, die viel kleiner ist als Eld... Chor:Ach nein! Seht doch die Chinesin!" Die Erscheinung bleibt zwischen den Falten im Kabinett stehen, zögert und scheint nicht den Mut zu haben, weiter vor zu treten. Die kleinen, blanken Jett-?lugen drehen sich so vorsichtig in der schiefen Einfassung, sie schielt wie ein See- Hund, der an die Oberfläche des Wassers kommt, blinzelnd, ohne Wimpern, und sich umsieht, auf Verderben vorbereitet. Chor:Sei nicht bange! Komm nur. Du lieber Geist!" Ein Herr aus dem Kreise, derPidgin -Englisch" kann, denkt, daß sie das vielleicht besser versteht und lockt sie: Keine Furcht! Du kommen. Wir nicht böse Leute!" Und nun tritt sie wirklich weiter vor, nähert sich auf ihren winzig kleinen, verkrüppelten Fiißchen. Sie hält sich ein wenig vornüber bei dem sonderbaren, stotternden Gange und wiegt sich unbehülflich in den jungen Hüften. Die Knie zeichnen sich rund von den Beinkleidern ab, die von gras- grüner Seide sind und große Falten schlagen. Sie bleibt mitten in dem Kabinett und dem Kreise stehen, voll be- leuchtet, und sie sehen, wie fein sie ist. Ter kleine Hals ist rund und voll, und aus deu himmelblauen Sackä.rmeln hängen weiße und lebhafte kleine Hände mit einem Grübchen auf jedem Knöchel, schwer von goldenen Spangen und Finger- ringen, in denen grüne und blaue Steine schimmern. Das pechschwarze Haar liegt eng an dem kleinen, kugelförmigen Kopf und ist mit echten Perlen geschmückt, die in schwachen Negcnbogenfarben schillern wie die Haut einer Leiche; in der schwarzen Binde iiber der Stirn trägt sie einen glatten Diamantknopf. Der Mund ist brennend rot und hebt sich üppig ab von den safranbeschatteten Wangen, ihre Nasen- löcher sind schmal und offen, aber wunderbar verfeinert, und die Kiefern runden sich in zarten Linien, vollkommen un- merklich, aber ohne Schwäche. Die ganze kleine Mädchen- gcstalt gleicht einem Kinde des Waldes, das Sonne und Wind verhätschelt haben, cineni schönen und jungen Affen, sie ist wie eine kleine Waldgöttin, auf die gütige Jahrtausende Glätte und Anmut herabgeträufelt, die sie geliebkost und ge- streichelt haben, liebevoll, wieder und wieder, der sie aber niemals die Stärke und die Fülle des Urtieres genommen haben. Ihre Augen haben jenen stummen Blick, der der Aus- druck einer wilden und doch sanften Seele ist. Alles kann von ihr kommen. Und wie sie nun dasteht, lächelt sie, sie schürzt höflich die Oberlippe und entblößt die Zähne, um sehen zu lassen, daß sie hier ist, aber beißen wird sie wohl nicht. Es liegt weder Güte noch etwas Drohendes in ihren Mienen, vielniehr ein unbewußter, grausamer Witz: sie grüßt, wie sie das aus den Wäldern gewohnt ist, wo die Tiere einander einsam angrinsen: nian sieht, daß sie eine Frau ist und daß sie lebt... Sie ist ja völlig angekleidet in einem richtigen Kostüm, gar nicht im Geistergewand," flüstert Frau Mc Carthy Madame d'Ora eifrig zu.Ach, jetzt geht sie!" Die kleine Chinesin hat sich umgewandt und watschelt nach dem Kabinett zurück, dessen Falten sich über ihrer blau- seidenen Jacke und ihren grasgrünen Beinkleidern schließen. Im selben Augenblick tritt eine andere Gestalt vor und wird mit frohen Zurufen aus dem Kreise begrüßt, eine Japanerin, eine noch kleinere Ausgabe des ewig Weiblichen. Aber sie tritt schnell vor, schlürft lveich über den Fußboden hin mit einwärts gekehrten Zehen, bis sie in volle Beleuchtung kommt,, da bleibt auch sie stehen und lächelt. Sie hat tiefe Grübchen in beiden Wangen, ihr schwarzes Haar, das in spiegelblanken Puffen und Kringeln aufgesteckt ist, scheint zu lachen, ihre Ellenbogen lachen, die ganze Person lacht. Aber was trägt sie verborgen in den Armen? Bringt sie etwas? Als sie still steht, senken sich ihre Schultern, so daß der geblümte Kimono sich vorne öffnet... ein kleiner, schwarzhaariger Kopf guckt heraus! Sie trägt ein Kind in dem duftenden Nest an ihrem Gürtel, da liegt ein Kleines mit allen vier Gliedern eng an ihre kleinen Mutterbrüste gedrängt. Es streckt den Hals ein wenig und sieht sich mit dunklen, schwimmenden Augen um, taucht dann wieder unter, und die kleine Mutter, die selbst nicht viel mehr ist als eine Handvoll, bedeckt den kleinen Haarschopf wieder und lacht. Bei dem Anblick des Kindes erheben die Damen im Chor ein wahres Heergeschrci, sie fordern ihr Recht mit aus- gestreckten Armen und in die Luft greifenden Fingern, sie wollen alle heran und das Wickelkind auf der Stelle auf- fressen. Aber ihr glücklicher und milder Kehlgesang geht in tiefe Ausrufe der Enttäuschung über, sie murren klagend, die kleine Mutter wendet sich und geht. Sie sehen ihr schön geformtes und solides Kreuz und ihre ganz kleinen, harten Fersen, als sie in das Kabinett verschwindet. Alles ist still, nachdem sie gegangen ist. Heraus tritt Eld. Sie steht vor dem Kabinett und. sucht Hall mit lächelnden Augen. Einen Stuhl," sagt sie gedämpft.Einen kleinen Stuhl." Sie tritt rückwärts in das Kabinett. Während sich der Kreis wundert, was in aller Welt Eld mit einem kleinen Stuhl will, verläßt Hall den Kreis und bringt einen Schemel, den er vor das Kabinett stellt. Er ist kaum zurückgetreten, als sich die Vorhänge öffnen und die Chinesin zur freudigen Ucberraschung aller wieder erscheint. Sie schickt einen Blick zu Hall hinüber, der neben seinem Tisch steht, dann schwankt sie vor und setzt sich auf den Schemel. Jetzt sehen sie, daß sie in der linken Hand ein Instrument hält, eine kleine zwei- saitige Violine aus Bambus. Sie stemmt sie gegen das Knie und fängt gleich an zu spielen. Es ist keine eigentliche Melodie, aber die Violine hat einen gellenden und feurigen Klang und sie versteht es, ihr ein Gezwitscher zu entlocken, das wie musikalisches Gekreische wirkt, das hitzig ist wie das messerscharfe Zirpen der Insekten in den tropischen Wäldern. Alle sind so davon in Anspruch genommen zu lauschen und die Chinesin anzusehen, deren seine, juwelenbesetzte Finger auf dem Instrument spielen, daß sie eine Veränderung, die sich hinter ihr vollzieht, nicht bemerken, bis sie geschehen ist. Da ist kein Kabinett, da ist keine Wand mehr, es ist ein anderer unbestimmbarer Raum, und darmis hervor sind zwei Gestalten getreten, zwei junge Chinesinnen in strahlenden. goldenen Gewändern. Jede von ihnen hält einen dünnen Spieß mit silberschimmcrndem Schaft über dem Kopf in die Höhe. Plötzlich gehen sie vor, die Brust herausfordernd ge- schwellt, und wirbeln mit den Spießen in der Luft, und nun beginnt ein seltsamer, wilder und dabei feiner Tanz zu dem immer kunstfertiger variierenden Gekreisch der Violine. Die beiden jungen Töchter des Himmels verwickeln sich in einen kühnen und schönen Streit, die Spieße verschlingen sich wie Blitzstrahlen in ihren weißen Händen, sie gehen vorwärts und rückwärts, umkreisen einander, mit stolzer Haltung und hochcrhobencm Haupt, sie recken den Hals bald lang aus, bald ziehen sie ihn ganz kurz ein, rollen unerschrocken mit den Augen und schieben den Bauch trotzig vor. Ihre kleinen, lackroten Münder stehen offen, als wollten sie einen Atem» zug stehlen, und hinter der blenden Sicherheit ihrer Be- wegungen ahnt man das hämmernde Herz. Die Musik schneidet und schreit immer schneller, und die Tanzenden winden sich ini Fiebertakt, drehen sich umeinander, die Spreße Wirbeln so hastig in der Luft, daß sie aussehen wie Glorien - scheine... und dann kommt ein Augenblick, wo sie ver- schwunden, wie in der Luft zerplatzt sind! Die Musik hat aufgehört, plötzlich, und als man hinsieht, ist auch die Chinesin mit der Violine fort. Der Schemel steht verlosten an der Erde.