Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 50.
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Dienstag, den 12. März.
1907
sträubt habe, Sie fortzulassen. Er wird es mir hoffentlich ( Nachdruck verboten.) nicht übelnehmen. Also auf baldiges Wiedersehen!"
Im Kampf für Rußlands freiheit. Strede bis Archangelst schneller zurück, als auf der Hinreiſe.
Ich fragte ihn, ob er nicht Luft hätte, mit mir zu fliehen, denn ich hätte so viel, daß es für zwei ausreichte. Nein, meinte er, das kann Ihrem Plane schaden, da würde der Isprawnik stußig, denn meine Abwesenheit müßte sofort bemerkt werden. Entweder verbringe ich hier meine Zeit bis zum Ende, oder ich fliehe bei einer anderen Gelegenheit." Wir besprachen noch die Einzelheiten der Flucht, und Nadeschdin sagte zu mir:„ Sie machen am besten eine Visite bei dem Jsprawnik in seiner Privatwohnung. Er wird sich dadurch geschmeichelt fühlen, und Ihnen fallen solche Förm lichkeiten doch nicht schwer. Vielleicht können Sie schon jetzt so nebenbei erwähnen, daß Sie nach Archangelst möchten. Er wird Ihnen gewiß gestatten, auf ein paar Tage zu verreisen. Das weitere werden wir dann heute abend mit Ihnen besprechen."
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In scharfem Tempo zogen die Pferde an. Ich legte die Vorsichtshalber entließ ich auf der Station den Kutscher und mietete mir einen Privatschlitten.
Ohne Unterbrechung reiste ich nun Tag und Nacht von Archangelsk nach Wologda , von wo ich dann die Eisenbahn nahm und nach Moskau gelangte.
Es wurde mir während der Fahrt immer klarer, daß ich jetzt ein ganz neues Leben beginne. Von nun an würde ich all das Gute, das ich gewollt und worüber ich nachgedacht hatte, in Taten umseßen. Wie meine Tätigkeit sich gestalten würde, das wußte ich noch nicht genau, aber wenn ich in Ruß land blieb, so konnte ich ja mit meinem Geld eine Reihe von geheimen Druckereien eröffnen, und jede Druckerei würde der Sache der Aufklärung, der Befreiung des russischen Volkes einen unermeßlichen Nußen bringen. Ich war froh, meine Berbannung so rasch beendet zu haben. Nun fonnte ich mit frischen Kräften und ungebrochenem Mut für die Sache fämpfen, die mir heilig geworden war.
Ich ging zum sprawnik und wurde dort sehr zuvorkommend ich möchte fast sagen devot empfangen. Der Mit dem Gelde, das ich in Archangelsk erhalten hatte, Isprawnik kam direkt aus der Kanzlei, flagte über die fonnte ich nicht lange reichen, ich beschloß daher, direkt nach Menge Arbeit, über die Trägheit seiner Beamten und die Petersburg zu meinem Onkel zu reisen und von ihm mein vielen Sorgen, die sein Amt mit sich bringe. Seine Frau Privatvermögen zu verlangen. Als ich nämlich im GeStrahlte förmlich vor Glück, bei sich einen Mann empfangen fängnis saß, hatte ich meinen Onkel auf seine Bitte formell zu können mit einem wirklichen Titel, der in Petersburg beauftragt, meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen in der Gesellschaft verkehrt hatte und mit dem Gouverneur und meine Geldmittel in Berwahrung zu nehmen, denn gut stand. man konnte ja möglicherweise mein Vermögen konfiszieren
Die Unterhaltung drehte sich hauptsächlich darum, wie gütig der Herr Gouverneur sei, und daß ich wahrscheinlich entweder verwandt oder gut bekannt mit ihm sein müßte, denn er habe so liebenswürdig und nett über mich an den Jsprawnik geschrieben. Ich hielt jezt den Augenblick für gefommen, so nebenbei zu erwähnen: Es wäre mir ganz angenehm, in den nächsten Tagen, vielleicht schon morgen, wenn es zulässig ist, auf furze Zeit nach Archangelsk zu reisen. Ich muß mit dem Gouverneur sprechen und möchte mir doch auch ein paar Sachen anschaffen, um mir meine Wohnung gemütlicher zu machen."
Er ging sofort darauf ein:„ Eigentlich, nach dem Gefet," sagte er, kann ich nicht so eigenmächtig handeln. Aber in diesem Falle könnte man ja eine Ausnahme machen. Ich glaube nicht, daß der Gouverneur mir das übel nimmt." Ich antwortete ihm, ich würde schon dafür sorgen, daß er feine Unannehmlichkeiten hätte. Uebrigens handelte es fich ja nur um ein paar Tage.
wollen.
Ich hielt mich daher in Moskau nur so lange auf, als ich brauchte, um von einem Bahnhof zum anderen zu gelangen. Zum Glück ging gerade ein Schnellzug, so daß ich schon am anderen Morgen in Petersburg anfam.
Direkt vom Bahnhof fuhr ich zu meinem Onkel, stürzte unangemeldet die Treppe hinauf und begab mich in sein Schreibzimmer. Ich erinnere mich noch des erschrockenen Gefichtes des alten Stammerdieners, den ich im Vorzimmer traf; aber noch größer war der Schreck meines Onkels selbst. Er sprang vom Stuhl auf und sagte bloß:„ Du hier? Bist du wahnsinnig? Ich gebe dir genügend Geld, damit du sofort ins Ausland reisen kannst, und werde alles aufbieten, um später deine Rückkehr nach Rußland zu ermöglichen. Das ist der einzige Ausweg. Warum hast du das nur getan? ch habe schon Schritte unternommen, und mir ist versprochen worden, daß du nach höchstens einem Jahre zurückkehren dürftest, und jetzt durchkreuzt du meinen ganzen Plan.- Beim Abschied fragte ich ihn, ob ich morgen in die Du hast schon genug Schande über unsere Familie gebracht, Kanzlei kommen folle, um mir eine offizielle Erlaubnis zudu mußt jeßt für einige Zeit verschwinden. Kein Mensch holen. Nein, das brauchen Sie nicht. Aber ich würde mich darf wissen wo du bist, und ich werde alles versuchen, um fehr freuen, Sie vor Ihrer Abreise noch einmal zu sehen, dich auf den richtigen Weg zurückzubringen. und hoffe, daß Sie uns nach Ihrer Rückkehr oft besuchen werden."
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" Ich bin nicht gekommen," war meine Antwort ,,, mir Ich war sehr froh, daß ich so gut Komödie gespielt hatte, gute Statschläge zu holen. Ich weiß, was ich zu tun habe. und konnte die berabredete Stunde faum erwarten, um Na- In den früheren Verhältnissen fann ich nicht weiter leben; deschdin aufzusuchen. Als ich bei ihm anfam, waren nur er ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, daß mit den gesetzund der Pole anwesend. Er riet mir, doch über Archangelsk lichen Mitteln in Rußland nichts zu leisten ist. Ich gehöre zu reisen und von dort ohne Aufenthalt nach Wologda . Das a gan pang wäre der schnellste und bequemste Weg, und der Isprawnik die primitivsten Menschenrechte für das russische Volt erwürde erst Verdacht schöpfen, wenn ich schon längst in Mos- zwingen will. Bitte, geben Sie mir das Geld, das ich Ihnen zur Aufbewahrung gegeben habe, zurück. Ich brauche es."
fau wäre.
Sie gaben mir Adressen und Empfehlungen und rieten mir, mich einige Zeit in Moskau aufzuhalten. Ich legte nun dem Polen nahe, mit mir zu fliehen.„ Nein," antwortete er. Ich werde hier ruhig noch aushalten, und wenn Nadeschdin einmal flieht, dann werde ich mich ihm vielleicht anschließen. Wir raten Ihnen übrigens, so wenig Gepäck als möglich mitzunehmen und die Reise Tag und Nacht ohne Unterbrechung zu machen; gute Trinkgelder werden auch nicht schaden.
Am nächsten Tage stattete ich noch dem Jsprawnik in der Kanzlei einen Besuch ab. Er bat mich, ihm dem Gouverneur zu empfehlen, wünschte mir glückliche Reise und fragte nach der Zeit meiner Rückkehr.- Nun, es werden vier bis fünf Tage bergehen." So, das ist nicht viel. Aber vergessen Sie nicht, dem Gouverneur zu sagen, daß ich mich sehr ge
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Du bist vollkommen verrückt geworden, Junge! Woher hast du denn diese Worte Das sind ja alles nur leere Redensarten! Primitivste Menschenrechte für das russische Volk erzwingen! Wie willst du denn das bewerkstelligen? Willst du mit deinem guten alten Namen unter die Lumpen gehen, die einen Umsturz in Rußland anstreben zur Sättigung ihrer Ehrsucht? Willst du auch teilnehmen an der Wühlarbeit all dieser halbgebildeten, unzufriedenen Elemente? Das ist ja eine hirnverbrannte Idee! Du wirst noch mit dieser Bande zusammen am Galgen enden. Sei doch vernünftig!-Siehst du denn nicht ein, daß nicht einmal das Bolt, das diese Leute angeblich so lieben, etwas von ihnen wissen will? Nein, die Einsamkeit im Gefängnis hat deinen Verstand vollkommen verwirrt. Reise sofort ins Ausland und verhalte dich dort ruhig. Wir werden das weitere schon