Er blickte zaghaft auf die Türe, hinter der man die Stimmen der Weiber hörte, unterdrückte das Schluchzen und sagte laut; »Leben Sie wohl, junger Mannt Entschuldigen Siel"' kleines Feuilleton. Die graphische Reklame der Prostitution. Im letzten Reichstag protestierte der liberale Abgeordnete Müller-Meiningen mit einem Schwall sittlicher Entrüstung gegen den Ausspruch des Abgeordneten Dirksen:Deutschland in der Welt voran, auch in der Porno- graphiel* Hätte er die Broschüre des Schriftstellers Dr. Ludwig K e m m e r gelesen, die vor kurzem unter obigem Titel in einem Münchener Verlag erschien, seine Entrüstung lväre wesentlich vor- fichtiger ausgesallen. Kemmer weist nämlich an der Hand von reichem statistischem Material nach, dag auf dem Gebiet der porno- fjraphftchen Postkarte und der photographischen Darstellung exueller Perversitäten deutsche Fabrikate quantitativ und qualitativ an der Spitze der Zivilisation marschieren. Deutsche Schmutzhandel- Grossisten wandern ins Ausland und zeigen den Franzosen denliederlichen und sittlich verderbten Galliern", wie sie gerne von allteutschen Großmäulern genannt werden, Holländern und Türken, wie die Pornographie industriell am Vorteil­hastesten miszubeuten ist. Und unter den deutschen Fabrikaten stehen wieder an erster Stelle die bayrischen! Hauptreizmittel der gra- phischen Bordellkunst find: illustrierte Postkarten, sogenannteAkt- Photographien für Künstler", Lichtdruckbilder, Inserate und Kataloge. Das weitaus bedeutendste Arbeitsfeld stellt aber die porno- graphische Postkarte dar. Ein prinzipieller Unterschied ist zwischen den deutschen und französischen Karten: die deutschen biete» illustrierte Zoten, die stanzöfischen pikante Situationen ohne Text. Graphisch-technisch eingeteilt gibt es, locus ao non lossncko, »Küustterkarten", Lichtdruckkarteu, Bastarde zwischen der Postkarten- und der Spielwarenindustrie, Photographien. Als die tiefste Stelle des pornographischen Infernos bezeichnet Kemmer auf Grund seiner MaterialsanMilung 12 Karten, die ein Paar im Hochzeitsschmuck darstellen, das sich mit dem Blick aufs Objektiv in den schamlosesten Stellungen dem Geschlechtsgenuß hingibt, 2 Karten, auf denen drei Mädchen zwischen 814 Jahren, mit feinen Zügen und ernstem Blick, Gebetbücher in der Hand, im Geschlechtsverkehr mit einem jungen Priester gezeigt werden. Unter den sognannten Künstlerkarten aus dem Kemmerschen Material von 613 Mustern deutscher, französischer, holländischer, italienischer, ungarischer und türkischer Herkunft darf keine Anspruch aus diesen Ehrennamen erheben. Rohes Kolorit, unfreie Technik, un- fähige Formcnsprache, und doch sind es vielleicht arme Teufel von Künstlern, richtiger von Kunstproletariern, die der Schmutzfabrikaitt für seine Zwecke ausbeutet. Wie steht es nun mit den Aktdarstellungen fiir künst­lerische Zwecke mit Zuhiilfenahme der Photographie? Liegt für solche Aktstudien ein künstlerisches, ästhetisches und prakttsches Be- dürfnis vor? Das ist natürlich rückhaltlos zu bejahen, wenn das Künstlerauge aus der keuschen Nacktheit des menschlichen Körpers Anregung finden kann. Wenn die Formen und Linien weib- licher und männlicherNuditäteu", wie die Sittlichkeitsschnüffler sagen, zu künstlerischen Zwecken, sei es als Bewegungs- oder anatomiiche Studie, sei es als plasttsche Pose von der photo- graphischen Platte festgehalten werden, dann kann man sogar das winzige Postkartenformat in Kauf nehmen und muß freie Paffage für diese Bildchen fordern. Nun zeigen aber Stil und Stellung, Situation und Milieu aller Aftbilder der Kemmerschen Saminlung auf den ersten Blick, daß sie durchaus nicht künstlerischen Zwecken, sondern nur zur Belebung der erschlafften Triebe impotenter Lüst­linge dienen sollen. Photographien von schüchternen, unreifen Schul- mädchen in unsäglich verlegenen und Hülflosen Stellungen, die als sogenannte fruits verts(grüne Früchte) auf den pornographischen Markt kommen; verfettete ausgediente VenuSpriesterinnen in der Monna Vanna-Pose, auf Sektkisten hockend, als Odalisken, vor dem Piano; »Aktstudien" von erbarnmngöwürdigeit rachitischen Kindern, von Schwangeren, von armen alternden Proletarierinncn, die in der Not des grauen Leben? ihren verblühten Leib noch rasch vor dem letzten verfall dem Schmutzhändler verkauften; Mißbrauch sogar der ge- heiligten Jdeenverbindung Mutter und Kind: nichts ist Hülflos, elend genug, nichts zu rein und erhaben, uin nicht von gewissen­losen Seelenverkäufern in die Armee der Erotischen Aphrodisiaca durch objektiv unzüchtige Postkarten aufgenomn,en zu werden. Musik. Das neue Schilkertheater zu Charlottenburg be. sitzt einen Zuhörerraum, der durch seine amphitheatralische Form und seine anscheinend gute Akustik auch für Konzerte schlichter Art sehr geeignet ist. Seit einiger Zeit finden dort Sonntags. konzerte(mittags 12 Uhr) statt. Wir hörten am neulichen Sonntag die Fünfte Kammermusik-Beranstaltung. Professor Florian Zajic leitete die Veranstaltung und be- teiligte sich selbst an ihr durch den Vortrag eines Violinkonzertes von I. S. Bach und, mit zwei anderen Herren, des großen Klavier» trios op. 97 von Beethoven , eines Werkes, dessen tiefe Macht, zumal im Adagio immer wieder aufs neue wirkt. Dazwischen gab es Ge- sangsvorträge von dem Konzertsängcr Paul Reimers , dessen Tcnorstimme besonders Treffliches in der Anpassung der Klang färbe an den jeweiligen Inhalt leistet. Unter den von'ihm ge- sungenen Liedern möchten wir zwei erwähnen, welche I. O. Grimm(1827 1903, zuletzt Musikdirektor in Münster ) nach plattdeutschen Texten von Klaus Groth komponiert hat; auch diese Mundart eignet sich gut für den Klang einer Singstimme. Sollen jene Sonntagskonzerte die von ihnen beabsichtigte Volks- tümlichkeit wirklich erreichen, so empfiehlt es sich doch, ihnen etwas von dem Lehrhaften zu geben, das nun einmal heute sowohl bei populären wie auch bei nicht populären Konzerten bereits bekannt und beliebt ist. Wir meinen programmatische Erklärungen, sei es mit oder ohne Notenbeispiele, einschließlich einiger Mitteilungen über die Komponisten usw. Wie erwünscht derlei ist, konnte wieder der Mendelssohn- Abend des Berliner Volks- Chores(in derNeuen Welt") zeigen: das kleine Programm- büchlein gab wirklich einen guten Ueberülick undschmeckte nach mehr". Für das Hauptverdienst dieses Abends und speziell des' Dirigenten Dr. E. Zander halten wir die Auswahl der Stücke. Felix Mendelsohn-Vartholdy steht heute noch im Kampfe der Meinungen und erfährt nicht mit Unrecht manche herbe Kritik über sentimentales und äußerliches bei ihm. Jenes Programmbüchlein nahm zu dieser Kritik in richtiger Weise Stellung. Wir möchten aber noch hinzufügen, daß es wesentlich darauf ankommt, an welche Werke des Komponisten man herantritt. Je mehr er ältere und fremde Formen nachzubilden sucht, wie namentlich in seinen Ora- torien, Orgelsonaten, Streichquartetten, desto mehr an Gekünsteltem und dergleichen bekommen wir zu spüren. Dagegen sind seine Konzertstücke engeren Sinnes, seine Kammermusiken für mehr als vier Streicher und für Klavier mit Streichern, sodann die meisten Lieder mit und ohne Worte und endlich einige Cantaten wirklich originale und echt anmutende Werke. An diesem Abend hörten wir zwei Vokalwcrke von ihm, die sonst nicht häufig aufgeführt werden: Tie erste Walpurgisnacht" und eines der wenigen Bruchstücke. welche Mendelssohn zu einer Loreleh-Oper komponiert hat. Es wird nicht viel Kompositionen geben, die ihrer Vorlage in einer so meisterhaften Weise gerecht werden, wie diese beiden Stücke und namentlich das erstgenannte. Dem Chor und Orchester sowie den Solisten all das ihnen Zukommende zu sagen, reicht unser Raum nicht. Doch darf darauf hingewiesen werden, daß die Sopranistin, welche die Loreley sang, Frau Schauer-Bergmann (Breslau ), einen sehr wohlgebildeten wahrhaft heroisch dra- matischen Sopran zeigte, der es auch an Wucht vielleicht mit allem. was musikalisch tönen kann, aufnimmt, so daß wir einer beachtens« werten Zukunft dieser Sängerin entgegensehen dürfen. sz. Kunst. Kräfte, die gleichen Zielen zustreben, müssen sich in unserer Zeit zusammentun. Niemandem wird heutzutage freiwillig etlvas gegeben. Die eigene Vertretung ist die beste. Ans diesem Grunde haben sich die K ü n st l e r i n n e n, die ja unter der Ungunst der Verhältnisse in den sonstigen Ausstellungen genügend zu leiden haben, zusammen« getan und im Lyceumklnb eine Ausstellung veranstaltet. Diese Ausstellung ist durchaus ernst zu nehmen, und es ist zu wünschen, daß die Vereinigung nicht nur von vorübergehender Dauer ist. Durch eine stvenge Kritik, die die Kommission übte und die sie auch gegen sich selbst anwandte, ist eine interessante Auswahl geschaffen worden. Im Landschaftlichen gaben selbständige, gute Arbeiten Stört, Fischer. Mehls, Wurmb. Im Porträt lefften Tüchtiges G e r h a rd i, Bock, Zitz, Wolffhorn, Eickhoff. Das Dekorative pflegen P e i z k a, Pelikan, Finck. Geschmackvolle Slilleben stellest Dehrmann und Lübbes aus. In Ilse Schütze-Schur kommt ein neues Streben hoch, das Form und Linie mit der modernen Farbe wieder verbindet. Die Graphik zeigt in Käte Kollwitz, Jselin-Jäger, Sievert, die Plastik inOuittmann selbständige und eigenartige Vertreterinnen. Bor einem Jahre fand im Gurlittschen Kunstsalo» eine ähnliche Ausstellimg statt. Damals war das Bestreben vorherrschend, durch eine pseudomännliche Art zu verblüffen. Diese Arbeiten hier sind äußerlich bescheiden, der Pinsel wird nicht mit posierender Berve geschwungen, die dem Kenner die Schülerin verrät. Die Arbeiten sind dadurch innerlich reifer, eigener. Solche Ausstellung ist also nicht überflüssig. Sie erweitert das Gesamtbild der kiinstleri- schen Betätigung und wird das um so mehr tun, je selbständiger die Frauen werden. Dazu fördert sie nichts mehr als eigene Ver- tretung. Frauenarbeit wird gewöhnlich über die Achsel angesehen, besonders in bürgerlichen Kreisen, die sie nur gelegentlich, als Zeit- vertteib und bei Gelegenheit von WohltätigkeitSveraustaltungen gelten lassen. Da ist es gut, daß diese Künstlerinnen ihre Sache selbst in die Hand nehmen und damit zeigen, daß es ihnen ernst mit ihrer Arbeit ist. Und der einsichttge, vorurteilsfreie Kritiker wird feststellen, daß eine erfreuliche Summe von tüchttger Arbeit» ehrlichem, selbständigem Können hier zutage tritt. Darin liegt der Wert der Ausstellung. Hygienisches. Schule und ansteckende Krankheiten. Die gesetz- liehen Borschriften legen den Amtsärzten die Verpflichtung auf, in Fällen von ansteckenden Krankheiten sofort Ermittelungen über die Quelle der Ansteckung anzustellen, damit durch entsprechende Maßnahmen der Weiterverbreitung der Krankheit Einhalt getan werden kann. Zu diesem Zwecke ist ja auch die ärztliche Anzeige-