finrb auch nach Set Verhaftung fortgesetzt; es passiert sogar schr oft, daß in einer Wohnung, wo eine Verhaftung vor- genommen worden ist, sich ein Paar Geheimpolizisten ein- quartieren und jeden Besucher, der nach dem früheren Besitzer der Wohnung fragt, ausspionieren und ebenfalls verhaften. (Fortsetzung folgt.) (Nachdruck verboten). Em Galgen. Von Ossip Dymow . Autorisierte Uebersetzung von Paul Barchan . Der Himmel zwischen den hohen Mauern, die jetzt schwarz schienen, war sternlos und ließ erbost einen scharfen Wind herniederpfeifen. Ein jeder hier fühlte es: wenn der Morgen durchbricht, wird er das Herz nicht erleichtern, graue, kalte Wolken werden da oben hängen bleiben, etwas Bleiernes wird sich auf den Kopf lagern, Wagen werden da irgendwo borüberrollen und den Ohren weh tun. Und in dieser erdrückenden Herbstnacht schien der Gedanke so nahe, daß man Menschen foltern dürfe, hängen... Es war, als hätte man sich verabredet, durch den Hof lautlos zu schleichen. Niemand blickte nach oben, jedoch ein jeder Wichte, daß da droben durch die kalten eisernen Fenstergitter all die Geängstigten, die die ganze Nacht keinen Schlaf gefunden, hinnnter- horchen und ausschauen.... Sicherlich konnten sie nichts erspähen, und doch empfanden alle etwas Drückendes im Nacken und auf den Schultern von diesem stechend bösen Blick, der sich krampfhaft in die Finsternis hinunterbohrt. Da drüben, an der üblichen Stelle,— hinter dem zweiten Hof, an einer kahlen Mauer,— da sollte gehängt werden.--- Den ganzen Abend über hatte man wiederholte dumpfe Schläge gehört, die von dort herüberhallten. Jetzt war alles wieder still. Der Schall der Axtschläge hatte sich in den engen Zellen gelagert, war an den trostlosen Steinen hangen geblieben, hatte sich ins Ge- dächwis gebohrt.... Dereinst kommt der Tag, da er wieder zum Leben erwacht. Der Verurteilte zitterte; es war, als friere ihn. Sein Gesicht konnte man nicht sehen, und blickte ihn nieniand an; man hörte nur, wie er wiederholt gähnte. Das linke Bein schleppte er nach und konnte darauf nicht fest auftreten. Dies störte und wirkte hemmend. Alle ärgerten sich über ihn, man empfand nur das Bedürfnis, schnell zu enden und davonzugehen, nur schneller weg von hier.... Dem Staatsanwalt fiel es ein, es wäre angezeigt, ihn zu stütze»; und als hätte er diesen geheimen Gedanken gelesen, trat der Arzt sofort an den Verurteilten heran und faßte ihn am Arm. Dieser schien es wohl als etwas Furchtbares zu verstehen, denn er begann mit einer blinden, wilden Stimme zu brüllen, die sinnloses Enlictzcn heraufbeschwörte. Und gleich darauf erschollen von allen dunkeln Fensterchen da oben verzweifelte, die Finsternis durchreißende Schreie der Frauen und die herabflutcnden Verwünschungen der Männer. Es war, als hätten selbst die Mauern rote, gellende Schreie aus- fiestoßen. Der Arzt zog entsetzt die Hand hastig zurück, und der Ge- ängnisaufseher ganz sinnlos vor Wut, versetzte ihm einen Schlag auf den Kopf, um ihn zum Schweigen zu bringen. Jedoch niemand vermochte es mehr, die aus all den nnsicht- baren Fensterchen auflodernden Schreie zu ersticken. Alle Stimmen übertönend weinte jemand, jammerte und fluchte wie ein Rasender, und es war geradezu, als wäre es Verstellung. Wahnwitzige Worte der Rache Hagelten von oben hernieder, rissen, zerrten an der Finsternis. Der Staatsanwalt zog sich gleichsam in sich zusammen und drückte den Kopf in die Schultern hinein; der Gendarmerie- offizier verzog die Lippen und schüttelte sich immer wieder. Niemand schien mehr darum besorgt, daß man lautlos gehe, alle beeilten sich, den Hof hinter sich zu habe», und es war, als hätte die größie Eile der Verurteilte selbst. Einmal hob er sogar den Kopf in die Höhe, als wollte er etwas sagen; als gelte es jedoch, etwas zu verspäten, eilte er weiter, am linken Bein holpernd. Es war, als hätte eine unheimliche Nacht, die eine lange Reihe von Jahren stumm gewesen, ihren Schlund geöffnet und ein Gebrüll ausgestoßen. Dem Staatsanwalt, der noch ganz jung war, wurde es plötzlich klar, daß er nie und nimmer diese grauenvolle, eilige Flucht über den finsteren Gefängnishof wird vergessen können; die stechenden Schreie, die von oben herniederhageln... Etwas Ekelvolles, grauenhaft Abscheu- erregendes kroch an ihm herum. Diese Nacht hat ihn umgewandelt, als wäre er in einen Abgrund gestürzt. Nun gab eS auf Erden nichts mehr, das ihn schreckte, das ihm teuer sein könnte. •• Für das Henkeramt konnte man keinen Spezialisten ausfindig machen, man nahm einen früheren Kriminalverbrechcr. den Heizer in den Badestuben. Er schielte stark und litt an einer üblen Krank- heit; man betrank ihn, und nun verbreitete er um sich einen scharfen, widerlichen Spritgeruch. Er näherte sich ehrfürchtig dem Staats- aulvalt und flüsterte ihm mit grimmiger Unterwürfigkeit etwas zu. Der atembenehmende Alkoholdunst verdrängte alles andere, ver- schlang die Schreie, die vom andern Hof herüberdrangen.— Eine Handlaterne wurde angezündet, einige Reihen Ziegelsteine zeichneten sich ab— das zur Seite verschobene Meßgewand deS Geistlichen— einige glänzende Knöpfe.— Der Arzt trat zur Seite. er hatte sich eine Zigarette angesteckt, ein gelblich- rotes Feuer- klünrpchen hing in der kalten Luft. Dann nahnr der schielende Badestubenheizer einen weißen Sack, der einem Leichentuche glich, und indem er sich auf die Zehenspitzen emporstreckte, zog er ihn den, Verurteilten über den Kopf, und ob- wohl er zum erstenmal einen Menschen hängte, tat er es mit ge- wohnheitsgemäßen Bewegungen. Und so war unter der Gruppe nächtlicher Menschen ein un- geschlachter, formloser Sack aufgetaucht, darin es sich bewegte. Das rötliche Feuerllümpchen der Zigarette senkre sich tiefer, wurde dunkler, schwächer. Es kam ein Windstoß und bewegte die Haare auf dem Kopfe des Heizers. In den Zellen verstummten so- fort die Schreie, und es trat Stille ein, gleichsam als hätten sie alles gesehen.— Es trat Stille ein, eS war wie ein langer, dauernder Alp. Uebcr den lebendigen Sack senkte sich ein beweglicher Strick, der an einem Balken in der Wand befestigt war. Der betrunkene Heizer begann die Schlinge herzurichten, schnob und reckte sich dabei ui die Höhe. Der Gefängnisaufseher stellte die Laterne aus die Erde und legte auch Hand mit an. Und nun sah man nur noch die Füße, elende, nicht mehr junge Menschenfüße, feuchte Steine und den Streifen eines formlosen weißen Sackes. Und plötzlich begann dieser Streifen sich aufwärts zu heben, entschwand dem Lichtkreis und an dessen Stelle kamen noch einige feuchte Steine zum Vorschein. Das war alles. Der Staatsanwalt schloß die Augen. Es war wie ein Knattern und der weiße Sack klatschte polternd zu Boden: der Strick war gerissen. Das entfernte Feuerllümpchen der Zigarette begann kleine ge- brocheue Linien zu beschreiben. Der GefängniSauffeher kauerte auf den Zehenspitzen, hielt die Laterne über dem Kopf und blickte vor sich nieder. Auf dem Boden lag ein weißer, unerkenntlicher, formloser Haufen und in den Fallen der Leinwand lagerten Schatten, gleich Fetzen der Nacht. Ein Gedanke blitzte auf: «Wie, wenn die Schatten sich zu regen beginnen..' „Sieh' da, die Schatten beginnen sich zu regen...' ES war als müßte man aufschreien. Die Schatten haben begonnen sich zu regen, zwei ringende Hände zeichneten sich ab, die gegen den Sack ankämpften und ihn abzustreifen sich mühten. Eine schwere, fremd klingende weiße Stimme begann zu sprechen, der des Verurteilten so ganz unähnlich; der Strick hatte die Kehle beschädigt. „Nun ist alles zu Ende. Gottlob. Jetzt bindet los I" Der weiße Haufen begann zu zappeln. Es war klar, die An- strengungen ivaren nicht sinnlos— der Haufen richtete sich auf, wandte sich um. Der Kopf hatte die Leinwand stramm gezogen und ein mächtig gewölbter, fürchterlich kluger Schädel zeichnete sich ab. „Was steht ihr dal Allein kann ich ja nicht. Staatsanwalt, ich werde mich beim Herrn Staatsanwalt beschweren." Es sollte zornig, eindringlich klingen, jedoch die flache, unbeweg- liche Stimme hatte die Eindrucksfähigkeit verloren, und die Worte klangen gleichmäßig, eintönig, leer. Die Leute, die dazu da waren, ihm zu entleiben, standen umher mit weitgeöffncten, unbeweglichen Augen, und der mächtige, fürchter- liche Schädel hielt über sie Gericht: „Ich werde mich beim Senat beschweren, beim Justizminister, in den ausländischen Zeitungen 1" fuhr der Schädel mit einförmiger, durchschnittener Stimme fort, als töne sie aus dem Schlafe.„Jetzt habe ich es satt, nun soll man mich nicht mehr hängen I Nun habe ich mir noch eben die Ferse verrenkt. Ich kann mein Leblang lahm bleiben I" Der weiße Sack, das weiße Leichentuch hatte den Verstand ver- loren. Das sahen nun alle. Der Badstubenheizer hatte den Kopf zur Seite geneigt und sah mit blödsinnigen, ratlosen Augen vor sich hin. DaS rötliche Feuerllümpchen war verschivunden. Der Staats- anwalt konnte den unsichtbaren Blick des Schädels nicht mehr er- tragen und wandte sich stöhnend ab. Die Hostie in den Händen des Geistlichen klirrte still. Der gesichtslose Irrsinnige fuhr mit seiner grauenerregend flachen Stimme fort: „Ihr hattet Befehl mich zu hängen. DaS habt Ihr getan. Nun hat es Euch nicht zu kümmern, ob ich da lebe oder nicht. Zwei- mal zu hängen, dazu habt Ihr nicht das Recht." In diesem Augenblick schlich sich der Gefängnisaufseher an ihn heran, warf ihn nieder, und der graue, böse Bart zitterte schon über der Leinewand— er packte daS Ende des Strickes und begann eS an sich zu ziehen. „Laßt mich wenigstens bedenken, was Ihr da ttit I" sagte der Sack; und sogar diese tote, eintönige Stimme drückte ungewöhnliche Qual aus.„Der einzige Fall in ganz Europa ... im Museum..." Der Heizer hatte vom Gefängnisaufseher einen Fußtritt be- komnien, kam zu sich und machte sich auch an die Arbeit. Nach zwei Minuten hatten sie ihn zusammen erwürgt, hier auf der Erde, auf den feuchten Steinen, ohne ihn erst hochzuziehen. Als sie sich anfrichtetcn, atmeten sie beide schwer, waren ver- schwitzt, die Mundwinkel waren heruntergezogen. Beim Staatsanwalt war auch der Kragen zum schwitzigen Hals zugeklebt. Der Wind blies stark und man nierkte ein'ckiwackeö
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24 (21.3.1907) 57
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