Nun trat wieder Ruhe in unserem Hause ein. Aber weder ich noch mein Nachbar konnten schlafen. Auf allen Vieren, damit man seinen Schatten nicht bemerke, kam er zu mir gekrochen und unterhielt sich mit mir noch eine Zeitlang im Dunkeln. Am nächsten Morgen machte mir meine Wirtin eine Szene und äußerte ihre Unzufriedenheit bald in der Weise, daß sie mich in der Miete steigerte. Ich frühstückte noch, als ein Schutzmann erschien und mir die Weisung brachte, ich möchte aufs Polizeiamt kommen. Ich ging hin, es wurden aber nur meine Personalien genau festgestellt. lForisetzung folgt.) l�aturwinenfcbaftUchc dcberficbt. Von Dr. C. T h e s i n g. Wenn man über den herrlichen Golf von Neapel fährt und eins der zahllosen Stücke Treibholz oder Bimstcin aus den azurnen Fluten fischt, dann findet man die im Wasser hängende Unterseite häufig bedeckt mit eigentümlichen Geschöpfen. Sind es Muscheln? Fast möchte man sie dafür halten und dennoch spricht manches da- gegen und hält einen ab, ein endgültiges Urteil zu fällen. Ein derber, lederartiger Stiel, fest auf der Unterlage angeheftet, trägt eine klaffende Schale, die sich aus mehreren kräftigen Kaliplatten zusammensetzt. Aus dem oberen Teile der Schalen ragen weit her- vor dünne, rankenartige Fäden. Auch Schiffe, die von langer Reise aus fernen südlichen Gewässern heimkehrend, in unsere Häfen ein- laufen, bringen häufig auf ihren Planken festgewachsen in reicher Anzahl diese rätselhaften Organismen zur Heimat. Seit Alters hat ihnen der Volksmund den Namen Entenmuschel gegeben und darunter sind sie wohl bekannt geworden. Dieser Name knüpft sich an eine alte Fabel des frühen Mittelalters. Sollten sich doch aus den Entenmuscheln die Bernikelgänse entwickeln. Geschickt wußten sich die Mönche des Mittelalters dieses Märchen zunutze zu machen, um sich eine schmackhafte Fastcnspeise zu verschaften. Nach den älteren Anschauungen, die sich in gemilderter Form selbst bis ins borige Jahrhundert herübergerettet hatten, hielt man alle Lebe-- Wesen, die keiner freien Ortsbewegung fähig, sondern festgewachsen waren, für Pflanzen, während die Bewegungsfreiheit das sicherste Merkmal für die Tiere bildete. Aus diesem Grunde wurden Ko- rallen und Seerosen, Schwämme, Meßtierchcn und Mantelticre usw. bis in die neuere Zeit den Kindern Floras zugerechnet. Wer durfte da zweifeln, daß auch die an ihren Wohnsitz gebannten Entenmuscheln Pflanzen waren? Galt das aber als erwiesen, dann konnten auch Gänse und Enten, die aus ihnen hervorgingen, unmöglich als Tiere angesprochen werden und dem ungestörten Ge- nuß auch dieser so wohlschmeckendenPflanzen" stand kein Ver- bot entgegen. Man muß sich nur zu helfen wissen. Die systematische Stellung der Rankenfüßer(Cirripedien), von denen die Entenmuschel, Oepas anattferra, nur die be­kannteste Art ist, war lange Zeit von einem undurchdringlichen Schleier umhüllt. Fast allgemein rechnete man die Tiere, das sagt ja schon der Name, den Muscheln zu. Die kalkigen Panzerplatten, welche den Körper der Rankenfüßer umschließen und in der Tat mit Muschelschalen Aehnlichkeit haben, gaben Anlaß zu dieser Bor» irrung, die sogar von einem so bedeutenden Forscher wie Georges Cuvier noch geteilt wurde. Und wahrlich dieser Irr- tum ist sehr wohl zu verstehen, entfernen sich die Cirripedien doch so weit von dem Bilde, das wir uns auf Grund der übrigen bekannten Krustentiere von dieser Klasse entworfen haben, daß einem unwill- kürlich immer von neuem Zweifel an ihrer Zugehörigkeit zum Stamme der Krebse aufsteigen. Erst die Kenntnis der EntWicke- lungsgeschichte muß alle Bedenken niederschlagen, und sie war es denn auch, die zur richtigen Einsicht führte. In dem Entwickelungsgange aller niederen Krebse, der söge- nannten Entomostraken, tritt nämlich eine eigentümliche, freischwimmende Larve auf, der N a u p l i u s. Es ist ein kleiner munterer, ungegliederter Geselle, der mit Hülfe seiner drei Paar Gliedmaßen das vorderste Paar ist einfach, die beiden hinteren aber zweiästig und gute Ruderfüße lustig im Wasser umher- schwimmt. Auffallend ist uns an der Larve noch im Gegensatz zu den erwachsenen Krebsen ein mitten auf der Stirn gelegenes un° PaaresZyklopenauge". Durch eine mehr oder minder verwickelte, allmähliche Umwandlung(Metamorphose) geht aus dem Nauplius dann das fertige Tier hervor und so ähnlich die Larvenformen sind. so verschieden kann das Aussehen der ausgebildeten Kruster sein. Da nun auch die Entcnmuscheln aus einem derartigen Nauplius sich entwickeln, so ist damit über ihre systematische Zugehörigkeit entschieden und kein Zweifel möglich, daß es wirklich echte Krebse sind. Ich sagte vorhin, in dem Entwickelungsgange aller niederen Krebse träte ein Naupliusstadium auf. Da könnte mich leicht einer meiner Leser eines Fehlers überführen; man soll mit solch allge- mein gehaltenen Behauptungen doch immer etwas vorsichtig sein. Vielleicht hat der eine oder andere schon selbst einmal die all- bekannten Wasscrflöhe oder Daphniden gezüchtet und unter dem Mikroskop beobachtet. Ein Wunder wäre eS nicht, bilden die zier» lichen Tierchen doch das beliebteste Futter für unsere Süßwasser- Aquarienfische. Ist das aber der Fall, so wird mir der betreffende triumphierend entgegenhalten, daß bei den Daphniden von einer Naupliuslarve keine Rede wäre, vielmehr die jungen Tiere gleich in der Gestalt der Erwachsenen das Ei und den Brutraum der Mutter verließen. Gemach, das ist schon richtig und trotzdem bleibt die Wahrheit auf meiner Seite. Ein freischwimmender Nauplius wird freilich bei den Wasserflöhen nicht gebildet, wohl aber wird in der Eischale, eingeschlossen vom Embryo, ein typisches Nauplius- stadium durchlaufen. Ja die Daphniden sind geradeswegs Muster- beispiele für das zähe Festhalten der Ontogenese(d. h. der spe- ziellen EntWickelung jedes einzelnen Lebewesens) an früheren Sta- dien der Phylogenese(Stammesentwickelung). selbst wenn beränderte Lebensbedingungen usw. die betreffende Einrichtung überflüssig gemacht haben. Die Tiere werden dadurch auch zu wert- vollen Zeugen für die Wahrheit der Abstammungslehre. Es ist bekannt, daß die heranwachsenden Krebslarvcn und jungen Krebse sich beim Heranwachsen mehrfach häuten. Der Zweck der Häutung liegt hauptsächlich darin, dem Tiere ein Größenwachs- tum zu ermöglichen, dem sein fester Chitinanzug ein unüberwind- liches Hindernis entgegensetzt. So sehen wir also den jungen Kruster im wahren Sinne des Wortes- von Zeit zu Zeit aus seiner Haut fahren, doch nicht eher, als bis sich unter dem alten, starren Harnisch ein neuer, anfangs sehr dehnbarer Panzer angelegt hat. Fast in demselben Augenblick des Ausschlüpfens nimmt das Tier » bisher in seiner Haut aufs äußerste zusammengepreßt, plötzlich ge- waltig an Größe zu. Geradeswegs erstaunlich ist es, seinen nun- mehrigen Umfang mit dem der soeben verlassenen Schale zu ver- gleichen. Man begreift es nicht, wie das Tierchen darin überhaupt Platz finden konnte. Allmählich erhärtet jedoch auch das neue, weiche Kleid und damit ist bis zur nächsten Häutung dem Wachs- tume wieder ein natürlicher Riegel vorgeschoben. Wenden wir uns jetzt zurück zu unserem Naupliusstadium im Ei. So wunderlich es klingt, auch dieses macht im bestimmten Alter eine Häutung durch, eine Häutung, deren Zweck vollkommen verfehlt wird, da die starre Eischale ja eine Grötzenzunahme aus- schließt. Läßt sich dieses anders verstehen, als daß auch die Daph- nidcn gleich den anderen Krebsen in alten Zeiten einen frei- lebenden Nauplius besaßen? Kann diese zwecklose Häutung im Ei etwas anderes sein, als ein zäh erhaltener Ueberrcst einer einst für das Leben bedeutungsvollen Einrichtung? Alljährlich werden die jungen Studenten der Zoologie an der Berliner Universität auf einer der zahlreichen wissenschaftlichen Exkursionen herausgeführt an die freundlichen Ufer des Tegeler- sees, um hier die interessante Kleintierwclt zu studieren. Süß­wasserschwämme, verschiedene Krebse und Insektenlarven sind rasch erbeutet. Jetzt reicht der Leiter der Exkursion ein wassergefülltes Glas herum. Scheinbar enthält es überhaupt kein lebendes Wesen, nur hin und her entdeckt ein scharfes Auge kleine, bräunliche Pünktchen, die sich ruckweise fortbewegen. Nun wird der ganze In- halt des Glases durch ein feines Sieb geschüttet, und wo wir nur klares Wasser vermuteten, bleibt ein ganzer Hausen glasheller, zappelnder Tierchen zurück. Nehmen wir eine Lupe zur Hülfe, dann erkennen wir zahlreiche, etwa einen Zentimeter lange Krebschen, Angehörige der Daphnidengattung und wahre Riesen unter ihresgleichen. Der Name dieser zarten Geschöpfe ist Oeptockora hyalina, ihr Verbreitungsgebiet zahlreiche Süß- Wasserseen Europas und Nordamerikas . Man kann sich kaum einen besseren Fall von Anpassung eines Tieres an seine Umgebung denken wie bei Leptodora. Der glasklare Körper von dem gleichen Lichtbrechungsvermögen wie das Wasser läßt das Tierchen in seinem Elemente fast unsichtbar werden. Ein unschätzbarer Vor- teil, da das Tierchen auf diese Weise leicht feindlichen Nach. stellungcn entgeht, sich selbst aber unbemerkt an seine Beute, andere kleine Krebse, heranzuschleichen vcrniag. Nur der von Nahrung erfüllte Magen konnte nicht, auS leicht begreiflichen Gründen, die Tarnkappe der Unsichtbarkeit erwerben. Die winzigen bräunlichen Striche, die wir vorhin in dem von Leptodora bevölkertem Glase wahrnahmen, waren denn auch nichts anderes als die in lebhafter Verdauung befindlichen mit Speise gefüllten Mägen. Gleich ihren Verwandten, den übrigen Daphniden, produziert auch unser Krebschen zwei verschiedene Arten weiblicher Fortpflan- zungszellen, die man als Sommer- und Wintereier unterscheidet. Während aus den elfteren in ganz normalem Verlauf die jungen Tiere vollständig fertig ausgebildet schlüpfen, das Larvenstadium also in der Eischale durchlaufen wird, entsteht aus dem Wintere! der Leptodora ein freischwimmender Nauplius, den erst allmähliche Metamorphose zum reifen Tiere werden läßt. Ich meine, ein schla- gendercr Beweis für unsere Anschauung läßt sich kaum finden. Der Grund, der diese Verschiedenheit bedingt, ist wahrscheinlich darin zu suchen, daß die Wintereier im Gegensatz zu der anderen Eiform bereits frühzeitig aus dem mütterlichen Körper ausgestoßen werden. So kommt es. daß der Nahrungsdotter für die ganze Ausbildung nicht ausreicht, soll das junge Krebslein in seiner Eischale nicht elendiglich verhungern, so mutz es schon auf diesem frühen Ent» wickclungsstadium selbständig für sein Leben sorgen. Die Sommer- eier dagegen erhalten in der mütterlichen Bruttasche bis zuletzt reiche Nahrung von ihrer Mutter und können deshalb ruhig in der Eischale verharren-