sich in b«n ältesten mittelalterlichen Dokumenten chemischen Wissens zeigt. Auf dem Gebiete der organischen Synthese war es vor allem das Glyzerin, das er in zahlreickie neue Verbindimgen überführte und so beim Studium dieses Alkohols, als welcher das Glyzerin sich dem Chemiker darstellt, neue Methoden zum Aufbau organischer Körper entdeckte und Licht verbreitete, wo vorher Dtmkel war. Auch wirtschaftlich sind diese Arbeiten von Erfolg gewesen. Das Glyzerin ist nämlich ein Bestandteil sämtlicher Fette und Oele, die Verbindungen von Glyzerin mit Fettsäure darstellen. Und das Erkenntnis der cheniischen Natur der Fette hat dazu beigetragen, einen Industriezweig in Frankreich zu hoher Blüte zu bringen, in welchem Frankreich noch heute an der Spitze aller Länder marschiert: die Fabrikation der Seifen, der Stearinkerzen und des Glyzerins. Die Art, wie Frankreich seinen großen Toten durch ein Staats- begräbnis und Beisetzung im Pantheon ehrte, legte Zeugnis davon ab, wie tief das Verständnis für Berthelot gewesen und mit wie dankbarem Stolz man ihn für sich in Anspruch nahm I— Dr. 0. L. Kleines f einlleton* Ostern in Alt-Berlin. Unsere lieben Berliner waren im Mittelalter fromm, aber, wie sich das für gottesfürchtige Leute gehört, auch recht intolerant. Besonders zu Ostern trat diese bis zum Fanatismus gesteigerte Unduldsamkeit recht deutlich zutage. Weil angeblich die bösen Juden anno 33 Christus in Jerusalem gekreuzigt hatten, darum durfte im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert sich kein Jude während der Ostcrwochc auf der Straße sehen lassen. Der Unbesonnene, der in solcher leichtfinnigen Weise den Fanatismus der Christen herausgefordert hätte, wäre in der gemeinsten und rohesten Weise hingemordet worden. Bierzehn Tage, bis zum stillen Freitage, fasteten die Christen mit größter Strenge und Gewissenhaftigkeit. Sie enthielten sich jeder Lust und Fröhlichkeit und bewiesen auch damit der Mit- und Nachwelt ihre Frömmigkeit. In diesen langweiligen Fastentagen war der Palm- sonntag ein Freudcntag. Verschwunden waren an ihm in den Kirchen die schwarzen Altar-, Tauf- und Kanzeldeckcn. Zum An- denken an die blaue Lieblingsfarbe der Jungfrau Maria zierten blaue Decken die heiligen Gegenstände. Helle buntfarbige Kerzen, je stärker, um so besser, Geschenke gläubiger Gemeindemitglieder, erleuchteten die Kirchen. Ein mit bunten Tüchern und Decken geschmückter, reich bebändetcr, lieblich bekränzter Esel, der an die Eselin und das Füllen der Bibel erinnern sollte, wurde von aus- geputzten Chorknaben unter Leitung eines Priesters in der mit Palmen und Weidenkätzchen geschmückten Kirche herumgeführt. Je durchdringender das Grautier bei diesem Umzüge schrie, desto größer war die Andacht. Der grüne Donnerstag aber, der heute als öffentlicher Festtag eingegangen ist, wurde damals in Rückficht auf die Ein- setzung des Abendmahles als ein hoher Festtag in der römisch- katholischen Kirche mit Gottesdienst, Beichte, Absolution, Kommunion, gefeiert. In der Frühmette, im Hauptgottesdienst, erschienen die Berliner als die armen, buhfertigen Sünder. Sie beichteten gewissenhaft und empfingen die Vergebung ihrer Sünden. Nach empfangener Absolution ging aber der Geist in Sprüngen! Das Alte, die Sünde, war vergangen! Es war durch die Vergebung alles neu geworden. Diesen Wechsel der religiösen Gefühle verherrlichten die guten Berliner durch eine ungeheure Heiterkeit. Sie aßen und tranken nach Kräften und waren fröhlich und guter Dinge. Abends aber erreichte die Freude ihren Höhe- Punkt, sie entartete— und zwar in der Kirche— zur Ausgelassen- heit. Da wäre beim Läuten kein richtiges Berliner Kind, kein Köllner zu Hause geblieben! Alle eilten nach St. Marien und St. Nikolai. Niemand wollte die berüchtigte, die beliebte Rümpel - messe versäumen! War sie doch nur einmal im ganzen Jahre und gab es doch in ihr soviel zu sehen, zu hören und— zu lachen. Die überfüllte Kirche war hell erleuchtet. Die Altäre, der Taufftein, die Kanzel waren mit weißen Decken, mit den Farben des Lichtes und der Unschuld geschmückt, die Priester trugen weiße Meßgewänder, die Alba, und prangten mit bunten Binden. Räch- dem das Eingangslicd gesungen war, wurde zum Amüsement der Gemeinde eine Kerze nach der anderen angezündet, bis die ganze Kirche in einem Lichtmeer schwainm. Christus, das Licht der Welt, erleuchtete den Erdkreis! Hatte endlich der Gottesdienst in der Predigt seinen Höhepunkt erreicht, erglänzte die Kirche in einer Feuerglut, dann klatschten die guten Berliner, die großen Kinder, fröhlich in die Hände, dann jauchzten sie ihr„Eia Popaia"! Run- raehi; aber fingen die Kirchenlliener an, eine Kerze nach der anderen auszulöschen, bis beim.Benedicitc" nur noch eine, ftn der großen Kirche kaum sichtbare Kerze, die große Ostcrkcrzc, brannte, und auch diese eine, Christum darstellend, wurde benn „Miserere", beim„Kyrie Eleison ", beim„Herr erbarme Dich meiner", unter den Altar gestellt, so daß nunmehr die ganze Ge- meinde in tieffter Finsternis saß. Sobald das Licht erloschen, tönte durch die Finsternis ein all- gemeines Seufzen, ein lautes Wehklagen, dann aber folgte ein wüstes, wildes Geschrei. Man pfiff, man klopfte mit Händen und Füßen, man warf sich sogar mit kleinen Steinchcn, die man zur Belebung der Erbauung, zur Häufung der Verwirrung mit- genommen hatte. Um Leben in die Szene zu bringen, um zt» Hülfeleistungen größerer und Neinerer Art berechttgt zu sein, warfen sich die Gläubigen unter dem Schutz der Finsternis mit Rosinen und Mandeln, mit Kringeln und Zuckerwerk, mit ge- trockneten Zwetschen. Man wollte Judas , den bösen Verräter- steinigen! Run hatte die Erbauung den Gipfelpunkt erreicht. Die Liebe war tätig im Trösten, im Streicheln, im. Verbinden, im Herzen und Küssen. Schließlich lagen in buntem Gemisch beim Trösten, Herzen und Küssen mehr Gläubige auf dem Fußboden, als ehrbar auf Stühlen und Bänken saßen. Jetzt fingen die Kirchen- diener an, eine Leuchte nach der anderen anzuzünden, bis der alte Lichtglanz das hohe Kirchenschiff freudig durchdrang. Verschämt tauchten nach und nach die Gesichter vom Fußbode» empor und verhüllten sich fittsam, froh, daß der Priester sprach:„Dax vobiscum!" Aus ist die Feierlichkeit! Das Osterfest wurde als ein Freudenfest angeschen, daher war es liturgischer Gebrauch, an diesem Wonnetage keine Ostcrpredigt zu halten, sondern eine Osterposse zu veranstalten. Die Prediger wetteiferten, sich gegenseitig an diesem Tage in blühendem Unsinn zu übertreffen, ihren Gemeinden einen gründ- lichen Ostcrulk zu bereiten. Die christliche Gemeinde belohnte ihre Seelsorger für ihre Witze und Scherze, für ihre Schwänke und Zoten, in denen besonders der Apostel Petrus gehänselt, der Teufel und seine Großmutter genarrt wurden, durch das sogenannte Osterlachcn, ein so giganttsches, die Nerven betäubendes Wiehern, daß selbst das berühmte homerisch« Gelächter dagegen in nichts verschwand. Die Priester„spielten auf der Kanzel förmlich Ver» steck, verkleideten sich, verstellten ihre Stimincn, krähten in der Erinnerung an Petri Fall wie die Hähne, schrien wie die Esel, grunzten wie die Schweine, brüllten wie die Kühe, bäumten sich auf wie die Hengst«, wieherten wie die Pferde, schnatterten wie die Gänse, schrien wie der Kuckuck", sagt C. Müller in seiner umfang» reichen Osterstudie. Auch Schauspiele, Stücke aus dem alten Testament, Szenen aus dem neuen, vornehmlich hergenommen au? der Leidensgeschichte Christi , wurden, anfänglich mehr pantomimisch, später völlig dramatisch, in den Kirchen, Klöstern, ja selbst auf den Straßen mit unverwüstlichem Humor öffentlich aufgeführt. Prato . Astronomische Märchen. Für die ältesten Väter der Astronomie war der nächtliche Himmel ein großes Märchenbuch mit schönen Bildern, in deren Symbolik sich das geistige Auge gern vertiefte. Wie sinnig und volkstümlich- solche astronomische Märchen oftmals sein können, möge uns das Sternbild lehren, mit welchem für die Kinder der nördlichen Halbkugel stets die Sternkunde beginnt, näm- lich der große Wagen, oder wie man ihn mit einem bekannteren aber bloßem Mißverständnis entsprungenen Namen nennen muß: der große Bär. Jedes Kind kennt diese uns nie entschwindende herrliche Zierde unseres nordischen Himmels, aber nur höchst wenige unter ihnen.werden wissen, daß sie darin die Illustration, ja wahr- scheinlich den Ursprung eines ihnen allen bekannten Volksmärchens zu erblicken haben, das Märchen vom kleinen Däumlina Die Väter, welche ihren Kindern das Märchen am Himmel zeigen wollen, sollten die nähere Erklärung hinzufügen, welche schon die alten Griechen den Römern überlieferten. Die vier Sterne, welche zusammen ein Viereck bilden, sind danach als die vier Räder eines Wagens anzusehen, während die drei in gebogener Linie daranstoßcnden Sterne drei Zugtiere(Rinder oder Pferde) vorstellen, die, wie es in vielen Ländern, z. B. jenseits des Rheins, allgemeine Sitte ist, nicht nebeneinander, sondern hintereinander angespannt sind. Bei genauer Betrachtung bemerken wir, daß der Wagen rückwärts geht, als wenn er umwenden wollte, und so er- klärt sich nun leicht die schiefe Stellung der Deichsel und der drei Zugtiere. Wo aber steckt der Fuhrmann, der den Wagen rückwärts lenkt? Wenn wir den mittleren der drei als Zugtiere gedeuteten Sterne genau betrachten, so werden wir bei leidlich guten Augen bald, ganz klar aber mit einem Opcrnglase, dicht über ihm einen zweiten, ganz winzigen Stern erblicken, der also, wie es Fuhrleute tun, auf dem einen Ochsen oder Pferde seines Gespanne? gleichsam reitet: das ist das Reiterchen der Araber, der Postillion der Franzosen , der Fuhrmann Hans Dümchcn oder Däumling der Deutschen . Sein Austauchen über dem größeren Stern bietet uns für das bloße Auge fast dasselbe Schauspiel, wie die Zerlegung eines sogenannten Doppelsterns durch das Fernrohr. Wie jene in uncudlicher Ferne umeinander kreisenden Sonnen des Weltalls dem bloßen Auge stets als einfache Sterne erscheinen und sich erst durch stärkere Fernrohre in zwei, meist komplementär(das heißt grün und rot oder orange und blau) gefärbte Sterne trennen lassen, so erscheint dem ersten Blick auf unserem Sternbild Zugtier und Reiterchen stets verschmolzen, und die Araber betrachten es als einen Prüfstein guter Augen, beide voneinander getrennt zu er- blicken. Bei Anwendung eines gewöhnlichen Opernglases stehen sie fingerbreit voneinander entfernt. Der Träger deS Reiterchens ent- puppt sich in stärkeren Ferngläsern als ein wirklicher, aus zwei umeinander kreisenden Sonnen bestehender Doppelstern. Aus dieser eigentümlichen Erscheinung des Nur bei völlig dünstefreiem Himmel dem bloßen Auge erkennbaren Reiterchcns scheint nun der Volks- witz der Germanen und Slaven jenes reizende Märchen von dem kleinen, schlauen Däumling„geschnitzt" zu haben, der seinem Vater auf dem Felde vorschlug, ihn in das Ohr des einen WagenpferdeS zu setzen, um von dort unsichtbar das ganze Gespann mit hüh und hohl mit hott und har! zu lenken, wie es in dem Grimmschen
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24 (29.3.1907) 63
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