— 254—wird selbst bestimmen, wo Sie am bequemsten landen könnendas müsszA Sie ihm ruhig überlassen."Wir fuhren zum Dampfer. Kein Mensch, außer demKapitän und einem Matrosen, hatte uns gesehen. Es warein großer Lastdampfer. Nachdem wir eine Weile in derKajüte des Kapitäns gesessen hatten, trieb er uns zum Aufbruch. Ich nahm Abschied von Petroff, und mir wurde ganzwehmütig bei dem Gedanken, wann wir uns wohl wiedersehen wurden. Ossip war sehr gerührt, küßte Petroff,schüttelte seiner Frau herzlich die Hand, und wir fuhren indie Stadt zurück. Auf dem Wege sagte er zu mir:„Gehenwir noch in ein Restaurant und trinken wir eine FlascheWein auf eine glückliche Reise und das Wohl unsererFreunde! Es sind gar zu liebe Leute."Im Restaurant blieb es nicht bei einer Flasche, und wirsaßen bis tief in die Nacht hinein. Ossip sprach ununter-krochen von den beiden Flüchtlingen und erwähnte dabei auch,daß der Dampfer erst früh am Morgen auslaufen würde.«Jetzt sind sie geborgen. Kein Mensch wird erraten,wo sie stecken, und wie sie fortgekommen sind! Der Kapitänsoird mir telegraphieren, wann sie an Land gegangen sind.und hoffentlich wird Ihnen Petxoff auch mitteilen, wo er sichniedergelassen hat. Sie müssen mir die Adresse geben; ichmuß ihnen doch einmal schreiben."Der gute Mensch hatte keine Ahnung, daß er zweiRevolutionären zur Flucht geholfen hatte. Ich blieb nocheinige Tage in Odessa, um Nachricht von Petroff abzuwarten.Unterdessen suchte ich nun auch meine Kameraden auf.(Fortsetzung folgt.)Der Garten cles Laubenkolonirten.April.Am l. April verlieb Herr Prietzke trotz des Streikes der Zieh-leute seine alte Wohnung mit Kind und Kegel, um sich in dem vonseiner Frau ausgesuchten neuen Heim häuslich niederzulassen.Wo er hingezogen ist, darf ich leider nicht verraten; er will nicht,daß feine neue Wohnung in weiteren Kreisen bekannt wird, weil«r befürchtet, von ratsuchenden Kolonisten überlaufen zu werden.Er ist nun einmal als Autorität in Fragen der Laubcnkulturgegen seinen Willen in weitesten Kreisen bekannt geworden undmöchte sich nach Möglichkeit den Konsequenzen entziehen, die dasfür ihn im Gefolge hat. Mir persönlich hat er ganz im Vertrauenmitgeteilt, daß er aus der alten Wohnung, nahe der Ackerstrahe,in welcher er im nächsten Jahre sein Löjähriges Mieterjubiläumhätte feiern können, nur ausgezogen sei, weil er es satt habe, nochlänger auf der Schattenseite zu wohnen. Wohl hatte er sich einsogenanntes Blumenbrett bor dem Fenster angenagelt, aber eswollte dort partout nichts wachsen und Frau Prietzke jammerteihm Abend für Abend das alte Lied von den blumcngeschmücktenBallonen der andern vor. bis ihm schließlich die Sehnsucht nachsolchem„Schwalbennest" und Luftkurort überkam, daß er sich Knallund Fall hinsetzte und den obligaten eingeschriebenen Kündigungs-brief abfaßte. Es muß schon weit gekommen sein, wenn Prietzkedie Feder und das Tintenfaß zur Hand nimmt.Nun sind sie alle glücklich in der neuen Wohnung angelangt,mit ihrem Hausrat und ihren Blumentöpfen. Die Blumentöpfewurden sorgfältig in die Ehestandsequipage gepackt, die seit18 Jahren unbenutzt auf dem Boden gestanden hatte und gründlichverstaubt war. Diese Töpfe liefern einen neuen Beweis fürPrietzkes gärtnerische Fähigkeiten. Er hatte sie mit Kürbissen,Gurken und Tomaten bepflanzt, die er in Ermangelung von Saat-gefäßen in halbierten Hühnereiern aus Samenkörnern gezogenhatte. Es ist dies nämlich eine in manchen Kreisen verbreitete undhöchst einfache Methode. Man nimmt ein Hühnerei, läßt es fünsMinuten kochen, bis es hart ist, kühlt es dann ab, schlägt es miteinem Küchenmcsser in zwei Teile, ißt das Innere aus diesenheraus und hat dann zwei Schalen, die mit angefeuchtetem Torf-müll oder Erde gefüllt und dann mit Samen bestellt werden.Wenn sie nach dem Einfüllen der Erde nicht stehen wollen, so machtman es wie weiland Kolumbus; man stößt sie mit dem gewölbtenunteren Teil auf eine Tischplatte und sie stehen nun fest wie jederTopf.Nachdem durch die keimende Saat Leben in die Eierhüllen ge-kommen war und die Sämlinge die ersten Keimblätter entfaltethatten, pflanzte Prietzke sie unter Verwendung guter Misterdeeinzeln in kleine Töpfe. Zurzeit sehen die Dinger noch etwasschwindsüchtig aus, weshalb sie Prietzke zum Umzüge auch sehrsorgfältig einwickelte. Wenn sie aber jetzt in der neuen Wohnungan die Sonnenseite kommen, so werden sich aus den bleichsüchtigenPflanzenkindern bald dunkelgcfärbte und kraftstrotzende Staudenentfalten, die, im kommenden Monat auf die Parzelle gepflanzt,bald weithin alles mit Blättern, Blüten und Früchten bedecke».DaS Einzige, was Prietzke in diesem Jahre Freude bereitethgt, das waren, von d-.n Hyazinthen seiner Frau abgesehen, dieauch im Schatten erblühen und noch heute duften, daß eS eine Lustist,— diese kleinen Samenpflänzchen. Er sagte mir, er behandlesie, als wenn es seine eigenen Kinder wären und in Wirklichkeitfeien sie ja auch feine Kinder. Draußen auf der Parzelle hat erin diesem Jahre noch wenig Freude gehabt. Die Mäuse und dieKarnickel, die im Winter gelegentlich durch den Zaun schlüpften,haben ihm nicht nur seine Nelkensenker, sondern auch den Grün-und Rosenkohl gefressen. Abgesehen hiervon hatte ihm der ver-flossene Monat viel zu schaffen gemacht und zu denken gegeben,es war kein richtiger März, wie er meinte, zu wenig Sonne, zuviel Regen und zu kalte Nächte. Zum April hat er, offen gc-standen, auch nicht das richtige Vertrauen, den kennt er schon vonfrüher genügend. Aber die Erbsen, die Herr Prietzke schon imMärz gelegt hat, die werden jetzt im April ganz gewiß heraus-kommen, und auch Salat, Kresse und Radieschen werden keimen,und auf all das freut er sich natürlich. Frau Prietzke rechnet schonmit den neuen Kartoffeln. Sie hat unten im Keller die Saat-karwffeln herausgesucht und da sah sie zu ihrer Freude, daß diesebereits große Augen machen, d. h. an den Stellen, die man bei denKartoffeln Augen nennt, kleine Knospen zeigen. Bei einer gutenSaatkartoffel sollen, das weiß Frau Prietzke auch, die Augen nichtzu tief liegen, denn Kartoffeln mit tiefliegenden Augen geben beimSchälen zu viel Abfall. Frau Prietzke hat nun die Saatkartoffelnin einer flachen Kiste in Torfmüll eingebuddelt, feuchtes Moos undSägespäne tun dieselben Dienste, und den ganzen Kasten über dergeliebten Kochmaschine aufgestellt, so daß ihm die Ofenwärme zu-gute kommt. Unter dem Einflüsse dieser Wärme keimen die Kar-toffeln vorzeitig aus, ja sie schlagen bereits Wurzeln, und wennman sie dann nach dem 10. April, früher soll man in unseremKlima keine Kartoffeln legen, so borsichtig in die Erde bringt, daßdie vorgebildeten Triebe nicht abbrechen, so kann man sicher sein,die ersten Frühkartoffeln nnndestcns 2— 3 Wochen vor den übrigenSterblichen zu ernten, und das ist ein großer Vorteil. Wer wartetnicht im Vorsommer auf neue Kartoffeln? Die allerfrüheste unterden frühen Kartoffeln ist immer noch die sogenannte Sechswochen-kartoffel, die man weißfleischig und auch in einer rotfleischigenSpielart in den Samenhandlungen erhält.Wenn man recht frühzeitig im Sommer Bohnen haben kann.so ist das auch eine schöne Sache. Das ist aber nicht so leicht, wiees aussieht, da Bohnen sehr frostempfindlich find und deshalbdraußen vor dem IS. Mai nicht gelegt werden dürfen. Wir er-reichen aber das Gewünschte, wenn wir jetzt einige Blumentöpfe,die oben etwa 8— 10 Zentimeter Durchmesser haben, mit Mistbeet-erde füllen und in jeden Topf 3— 4 Buschbohnen legen. Die besteund ergibigste ist die Sorte Kaiser Wilhelm. Am Zimmersensterkeimen die Samen nach 8— 12 Tagen. Die jungen Pflanzenwachsen kräftig heran und werden dann in der zweiten Hälfte desMai vorsichtig ausgetopft und mit dem ganzen, unverletzten Topf-ballen ausgepflanzt. Buschbohnen sind die empfehlenswertestensür den Laubenkolonisten, weil sie nicht an Stangen gezogen zuwerden brauchen. Für Stangenbohnen ist die Beschaffung derStangen umständlich und kostspielig, außerdem beschattet ein mitStangenbohnen besetztes Beet die Nachbarbeete, was sich beikleinen Parzellen sehr lästig fühlbar macht. Rankende Bohnenind höchstens für die Laube zu empfehlen, für welche die wirklichschön blühenden, sogenannten Feuerbohnen in Frage kommen.Sie sind nicht nur Zierpflanzen, sondern ihre Schoten schmeckenebeüso gut, wie die Schoten weitzsamiger Bohnen.Prietzke schwärmt für Schlingpflanzen, aber weniger fürStangenbohnen als für Rankroscn, Clematis, Glycinen und ähn-liche schön blühende, teils auch duftende Sachen. Zu seiner neuenWohnung gehört, wie gesagt, auch ein Balkon. Für diesen hat erich drei Blumenkästen zusammengenagelt und diese letzthin von»ußen zum zweiten Male mit grüner Oelsarbe gestrichen. Er hatich vor der Anfertigung von mir die Maße geholt. Ich habe ihmgesagt, daß die Kästen 22 Zentimeter breit und mindestens ebensohoch sein müssen, während sich die Länge nach den Größenverhält-nissen des Balkons richtet. Diese hat er sich genau ausgemessenund dann gesägt und genagelt. Nun soll aus dem Balkon eine mitBlüten bedeckte Laube werden. Prietzke ist wieder zu mir ge-kommen und hat gefragt, was ich von den Clematis. zu deutschWaldreben, halte. Ich habe sehr bedauert, ihm erklären zu müssen.daß diese sich ebensowenig wie Schlingrosen und andere holz-artigen, ausdauernden Schlinggewächse für Balkonkästen eignen.Diese Pflanzen wollen ihre Wurzeln in die Tiefe senden, der engbemessene Raum im Kasten hemmt ihr Wurzelwachstum und eskommt deshalb trotz bester Pflege keine gescheite Kultur zustande.Für Kästen gibt es nur zwei ausdauernde holzige Schlingpflanzen,wr Epheu und der wilde Wein; letzterer, weil er keine eßbarenFrüchte bringt, auch Jungfernrebe genannt. Beide kommen aberür Prietzke nicht in Frage, weil sie nur auf der Schattenseitewachsen, und Prietzke wohnt jetzt auf der Sonnenseite. Dagegengibt es viele einjährige Schlingpflanzen, die, jetzt gesät, im Laufe3es Sommers ihre vollständig« Eutwickelung erlangen, um dannabzusterben. Diese finden sich für solche kurze Zeit auch mit derErde des Blumenkastens ab, vorausgesetzt, daß sie alljährlich voll-tändig erneuert wird. Diese Erde holt man sich aber nicht in>em ersten besten Blumenladen, sondern in einer Gärtnerei undläßt sie sich hier vom richtigen Haufen geben, d. h. von demHaufen, der die wirkliche Mistbceterde, nicht die Abfallerde ent-hält. Dieser Erde mischt man dann, um sie gehaltreicher huniachen. etwas lehmigen Bauschutt von alten Häusern, oder w