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Broklamationen wirkten. Die Straße war überfüllt von Arbeitern, die in fleinen Haufen standen und über ihre Lage berieten. Wir trafen Maximoff, und alle drei eilten wir zu der großen Maschinenfabrik Guseff. Vor dem Tore der Fabrik hatte sich eine große Menge versammelt. Wir wurden bon einigen Arbeitern erkannt und aufs lebhafteste begrüßt. Maximoff eilte von einem zum anderen, wechselte mit ihnen ein paar Worte und bat sie, ruhig abzuwarten, was die Fabrikverwaltung bewilligen werde, vor allem keine Aus­schreitungen zu begehen.

Es war ein Komitee gebildet worden, das die Forde­rungen der Arbeiter dem Direktor überreichen sollte. Mari­moff war auch unter den Gewählten. Sehr bald kehrten Marimoff und seine Kameraden zurück. Was hat er gesagt? Was hat er gesagt?" wurden fie von allen Seiten gefragt.

Der Direktor wollte nicht mit uns sprechen, nannte uns Aufrührer und sagte, er würde uns empfangen, wenn die Kosaken hier wären."

Schau mal, wie wichtig er sich macht!" sagte jemand. Wir sind doch keine Leibeigenen!" meinte ein anderer. Maximoff aber rief der Menge laut zu:

" Kameraden, haltet zusammen! Wir werden siegen, wir sind in unserem Recht! Verhaltet Euch ruhig. Die Polizei soll nicht sagen, daß sie gezwungen gewesen sei, gegen Euch loszugehen, weil Ihr sie dazu herausgefordert habt. Wir verfechten eine gerechte Sache. Geht jett ruhig nach Hause und versammelt Euch später in kleinen Trupps bei

Bekannten".

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Die Menge zerstreute sich, und vor den Toren der Fabrik blieben nur der Wächter und zwei Schußleute, die den ganzen Vorgängen ruhig zugesehen hatten.

( Fortsetzung folgt.)

Volksftämme des Kaukafus.

Von Dr. J. Wiese.

Kaukasien, wohlbewässert und fruchtbar, könnte 30 bis 40 Millionen Einwohner ernähren, zählt aber nur 10 Millionen mit Einschluß des Gouvernements Stawropol und nur Mill. ohne diefes Gouvernement; seine Fortschritte sind indessen be­trächtlich gewesen und bei weitem größer als die Fortschritte anderer Teile des russischen Reiches; denn noch vor 25 Jahren zählte der Kaukasus nur Millionen Einwohner. Trotz der triegerischen Verwickelungen hat sich durch eine bedeutende Ein­wanderung von Kosaten, russischen Bauern und armenischen Flüchtlingen der Bevölkerungsstand bedeutend gehoben.

Der bedeutendste Volksstamm Kaukasiens sind die Tataren in Stärke von fast Millionen Seelen. Sie sind über ganz Kautasien verbreitet und bilden in den Gouvernements Baku  , Jelisawetpol und Eriwan   eine kompakte Bevölkerung. Sie find aber auch über das ganze Land verbreitet, und nicht selten trifft man unter anderen Völkern Kaukasiens auf geschlossene Tataren­dörfer, deren Einwohner ihren Sitten und Gebräuchen streng treu bleiben. Man darf sie indessen nicht mit den an der Wolga   und in der Krim   lebenden Tataren verwechseln, da diese ein türkischer Boltsstamm, die kaukasischen Tataren aber mongolischer Ab­stammung sind. Die Tataren sind körperlich wohlgebildete Menschen, strenge, der Sekte der Schiiten angehörige Mohammedaner. Sie besigen große, geistige Fähigkeiten, regen Fleiß und eine dem Orientalen meist fehlende Zuverlässigkeit, Eigenschaften, die sie dazu befähigen, in der Kaukasien bevorstehenden Kulturperiode unter allen anderen Voltsstämmen die wichtigste Rolle zu spielen. Die wichtigsten Produkte der tätarischen Landwirtschaft sind Gerfte, Weizen, Reis und Baumwolle, in den Gärten zieht der Tatar neben verschiedenen Obstsorten und Weintrauben haupt­fächlich Melonen, Arbusen und Gurken; mit Gemüsebau befaßt er fich fast gar nicht, dafür desto eifriger mit dem Anbau von Zwiebeln, die im rohen Zustande massenhaft genossen werden. Die Weintrauben werden nicht zur Weinfeltern benutzt, fie sind im frischen Zustande ein wichtiges Nahrungsmittel der ärmeren Klasse, außerdem werden sie getrocknet. Ihr ausgedrückter Saft wird teils ungegoren getrunken, teils zu dem beliebten Duschab ( Weinbeerensyrup) eingedampft. Die Viehzucht des Tataren er­streckt sich hauptsächlich auf das Schaf( Fettschwanz); seine wichtigsten Arbeitstiere sind das Pferd, der Esel und das Kamel; dem Rindvich dagegen schenkt er nur untergeordnete Auf­mertjamteit.

Die Frauen der tatarischen   Landbevölkerung sind außer ordentlich fleißig, neben den häuslichen Arbeiten befaffen sie sich noch mit Spinnen und Weben; die großen und dauerhaften Teppiche, die das wichtigste Ausstattungsstück der Wohnungen sind, werden zum größten Teile von Frauen aus selbstgesponnener und -gefärbter Wolle verfertigt. Die Frauen und erwachsenen Töchter

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dürfen sich nie vor einem im Hause anwesenden Fremden sehen laffen, sollte jedoch ein Begegnen unvermeidlich sein, so müssen fie dem Gast den Rücken zukehren oder das Geficht verdecken. Ausnahme des Teret- Bedens nur wenig die russische   Invasion Daghestan   und die öftliche Gegend des Kaukasus haben mit verspürt. Die Tschetschenzen und die Lesginer bewohnen in An­zahl von 700 000 Seelen den größten Teil dieses Bezirkes. Die Tschetschenzen, sunitische Mohammedaner, find am mittleren Terek und seinem Zuflusse verbreitet, sie stehen unter allen Kau­fasiern unstreitig auf der niedrigsten Stufe. Sie sind geborene Räuber, denen die Blutrache ein heiliges Gebot ist, und bewohnen. hoch auf den Bergen wirkliche Höhlen. Ihre Zahl schätzt man auf etwa 206 000 Stöpfe. Zur Gruppe der Tschetschenzen rechnet man auch die Inguschen, Galgaier und Karabulaten.

Die Lesginer oder Reschiner, auch Lekier und Didos   genannt, sind die Bergbewohner im wahrsten Sinne des Wortes; sie werden auf 460 000 Seelen geschätzt und sollen in 55 verschiedene Stämme zerfallen, die den größten Teil Daghestans im Westen und Süden von Derbent bewohnen. Die Lesginer find wie die Tataren sunitische Mohammedaner, meist schöne Menschen von schlanker, aber fräftiger Gestalt; ihrem Charakter nach könnte man sie die Raub­ritter des Kaukasus nennen, deren Tapferkeit sprichwörtlich ist. Zu dieser Mannestugend gesellen sich leider bei dem Lesginer eigene Lust am Räuberwesen, unbändige Rachgier und eine grenzenlose Trägheit, infolge deren er sein Weib mit den schwersten Arbeiten überbürdet, während er selbst dem Müßiggang   frönt. Die lesginischen Dörfer sind meist auf Felsenterrassen oder am Rande von Abgründen, überhaupt an Orten angelegt, die leicht in Verteidigungszustand gesetzt werden können. Auch die Bauart seines Hauses, das noch jest häufig mit Schießscharten versehen ist, entspricht dem kriegerischen Charakter des Lesginers; ge­wöhnlich hat es zwei Stockwerke, wobei der untere Stock als Stallung für das Bieh, der obere als Wohnraum dient. Landwirtschaft betreibt der Lesginer nur wenig, was ja auch bei dem nur spärlichen Vorhandensein kulturfähigen Bodens in seinen Felsenbergen und bei seiner Faulheit, die mit außerordent­licher Genügsamfeit in der Nahrung gepaart ist, nicht zu ber­wundern ist. In einigen lesginischen Dörfern hat sich eine be= sondere Hausindustrie entwickelt, die Anfertigung eines sehr dauer­haften Tuches aus Schaf- und Kamelwolle. Dieses Tuch ist unter dem Namen lesginisches Tuch auf dem ganzen Kaukasus   gesucht, aus ihm fertigt man mit Vorliebe die Tscherkeste, das lange, mit Patronenhaltern an beiden Brustseiten versehene Oberkleid der Tscherkessen, Lesginer und Tschetschenzen. Als äußerst leidsame Tracht ist die Tscherkeste eine beliebte Mode bei fast allen Kau­fafiern, auch den Armeniern und Grusinern geworden.

Der berühmteste Stamm der Lesginer ist der der Avaren, aus ihm stammte der große Führer im Kriege gegen die Russen, Schamhl, der erst nach furchtbaren Kämpfen im Jahre 1859 in der Bergfeste Gunib gefangen genommen wurde; mit seiner Ge­fangennahme wurde auch der Widerstand der übrigen Gorzi ( Bergvölker) gebrochen.

An das Gebiet der Tschetschenzen reiht sich in der Richtung nach Westen bis zum Kasbet das der Offetiner an, die start mit tatarischen   und indo- europäischen Elementen gemischt sind und auf 110 000 Seelen geschätzt werden. Bei diesem, dem Namen nach christlichen Volke, dessen Christentum aber mit vielen heidnischen und mohammedanischen Begriffen verquickt ist, wollen einige Forscher in Sprache und Sitten Anflänge an die germanische Rasse nachgewiesen haben. Dies hat mehrfach zu der Behauptung geführt, daß das kleine Volt der Ofsetiner Abkömmlinge deutscher Ritter seien, die nach dem unglücklichen Verlaufe des letzten Kreuz­zuges hierher verschlagen wären und sich dann angesiedelt hätten.(?) Die Offetiner sind ein echtes Gebirgsvolt mit allen Tugenden und Fehlern der faukasischen Gorzi; die vielen, ihnen nachgesagten Lafter, wie Dieberei, Hinterlist usw., find wohl mehr auf üble Erfahrungen zurückzuführen, die einzelne Reisende unter ihnen gemacht haben. Sie sind ein hochgewachsener, starker Menschenschlag mit angenehmen Gesichtszügen, unter ihnen ist blondes Haar, das bei den übrigen Kaukasiern nur als Ausnahme vorkommt, nicht ganz selten. In Ossetien wird Ackerbau und Vieh­zucht getrieben. Aus der Gerste, dem von den Ossetiern am meisten gebauten Getreide, weiß nur er allein unter allen Kaukasiern ein schmackhaftes Bier zu bereiten, das er aus hölzernen Kannen trinkt.

Das Becken des Kuban  , das das nordwestliche Cis- Kaukasien bildet( ehemalige Cirkasien), ist die südliche Grenze des von den Kalmüden und Kirgisen bewohnten Landes; es hat fast boll­ständig seine ehemalige Bevölkerung, die der Tscherkessen oder Adighe, verloren. Diejenigen von den letzteren, die in den mostomitischen Eroberungskriegen nicht ihr Leben verloren haben, sind aus ihrem Lande vertrieben worden und in Massen( etwa einer halben Million Köpfen) auf ottomanisches Gebiet geflüchtet. In unserer Zeit trifft man in Rautajien nur noch wenige Adighe= oder Tscherkessen- Familien, die in der russischen Masse zerstreut wohnen. Den ritterlichen Adighe stehen am nächsten die Abchafen ( 72 000 Seelen), und die Kabardiner( 32 000 Seelen), ein fried­fertiges Volt im nordwestlichen Kaukasus  , das Ackerbau und Viehzucht treibt und dessen Pferde zu den edelsten der kaukasischen Raffe gehören. Auch in gewerblicher Tätigkeit entwickelt der Kabardiner großen Fleiß, feine gold- und filbergestickten Leder­arbeiten sind in ganz Kaukasien berühmt, aber von viel größerer