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Hiermit teschließt Wittner den ersten, so überaus inhaltreichen und interessanten, 452 Druckseiten starten Band seiner Hartmann Biographie. Er hat mit diesem Unternehmen sowohl dem Andenken des unvergeßlichen Pfaffen Maurizius" als auch der Literatur und der Geschichte Deutschlands   und Desterreichs einen großen Dienst er­wiesen. Und wenn, woran nicht zu zweifeln, der zweite Band sich hinsichtlich seiner stofflichen Reichhaltigkeit auf der Höhe des ersten halten sollte, so wird das ganze Werk gewiß als eine Be­reicherung der biographischen Literatur von dauerndem Werte zu be messen sein

( Nachdruck verboten.)

früblingskinderspiele.

war, floh Hartmann in die Schweiz  . Ich heiße auch Pfaffe des die Erde befruchtenden Wettergetvölts und der nachfolgenden Maurizius und habe die Chronik dieser schweren Zeit in Reime ge- wärmenden Sonne, Frija, von den Winterriesen entführt und in bracht, in higige und spißige, und mir wird nicht so leicht vergeben. der Wolkenburg in Haft gehalten. Donar, der Herr des himm Deshalb gehe ich in die Schweiz  , von da nach Frankreich   nach lischen und irdischen Feuers des Blitzes und Donners  , ihr Gemahl, Paris  . Die Zeit mag dann alles lichten und schlichten." hat mit dem Schwinden der warmen Jahreszeit seinen Blithammer berloren und muß ihn während des Winters suchen. Endlich findet er ihn, zertrümmert mit flammendem Wurf die Riesenfeste und befreit die Geliebte. Das ist der Frühlingsanfang, an dessen Er­scheinen alle Welt frohlockend teilnimmt, das aber die kindliche Anschauung primitiver Völker sogar mitherbeiführen zu können­meint, und zwar vermittelst verschiedener, besonders um die Weih nachts- und Osterzeit geübter zauberischer Bräuche, welche die bösen Mächte einschüchtern dem fämpfenden Gotte Hülfe leisten sollten. Dies ist die Hauptquelle der Spiele ohne Reigen, während die Reigenspiele die getreuen Abbilder der ehemaligen Festtänze sind, bei denen Frauen und Männer sich in langer Reihe bei den Händen faßten und unter Anführung eines Vortänzers mit Gesang in allerlei, dem Sagenstoffe gemäßen Bewegungen und Windungen den heiligen Platz umschritten. Als die christliche Kirche Donar zum Unhold und Teufel, Frija zur Here und Teufelsgenossin degradierte, gab sie letzterer zur Nachfolgerin als Himmelskönigin und Sonnenjungfrau die Gottesmutter Maria. Aus den Kinder­feelen, mit denen Frija als Berchta oder Holda umgeht, sie pflegend und beschirmend, machte die Kirche Engel und deutete ihr Auf­und Niedersteigen samt Donars Befreiungswerk zu einem Kampf zwischen Engeln und Teufeln vor der Himmelstür um. Gewiß läßt diese Auffassung manche sinnige Deutung und Enträtselung im Gebiet des Kinderspiels zu. Da sollen z. B. die Wurfspiele( Ball, Klider, Murmel, Plumpfad), welcher Art sie auch seien, sämtlich den Schwung des Blizhammers darstellen; der Angriff auf die Wolkenfeste und ihre Verteidigung durch die Winterriesen soll trotz vielfacher Entstellungen mehr oder weniger deutlich hindurchblicken. Die Spiele mit Tor- oder Brückenbildung, mit Ziehen und Durchkriechen, drehen sich in der vorliegenden Form um den Kampf der Engel und Teufel am Eingange zum Himmel, der anscheinend als Zugbrücke mit Torbogen gedacht wird. Die dabei gesungenen recht eigenartigen und schwer zu deutenden Terte verraten ein hohes Alter, doch ist der heidnische Urgedanke schon start verschleiert.

Bon H. Humbert.

Säh' ich die Mägdlein am Weg doch den Ball werfen, so tam' uns der Vöglein Schall," sang Walter von der Vogelweide  bor   siebenhundert Jahren in seiner Frühlingssehnsucht". Also schon damals galt das Barometer, das uns auch heute noch mit der größten Pünktlichkeit, fast mit der Unfehlbarkeit eines Natur­gesetzes das Ende des Winters und die Rückkehr des holden Lenzes anzeigt: das Frühlingskinderspiel. Raum lockt das erste linde Lüftchen, kaum hat die Sonne den Schnee völlig von Straßen und Gassen geledt, da taucht in Stadt und Land eine Reihe von Epielen auf, die nur zu dieser Jahreszeit üblich sind, vorher wie nachher aber in völliger Bergessenheit zu schlummern scheinen. Während die Kleinen, Knaben wie Mädchen, raftlos die Peitsche über ihrem Kreisel oder Triesel schwingen, tauern die Größeren um ihre Kreise oder Gruben und betreiben das Klinter- oder Vurmelspiel in seinen verschiedenen, oft ganz komplizierten Ab­arten mit einem Eifer und einer Ausdauer, daß die Welt um fie herum verfinfen könnte; sie merkten's nicht. Wo größere Bläge der freien Bewegung Raum gönnen, wenden sich die Knaben den Hintespielen, wie Fuchs aus dem Loch und Bärenklopper zu, während die Mädchen ihre Reigen und Begegnungsspiele mit uralten Weisen und nicht minder alten, meist bis zur Ünverständ­lichkeit verstümmelten Reimen begleiten. Hier tanzt der Ball in Lüften, dort tut sich eine Schar zu dem interessanten Brüde spielen zusammen, und allerorten bedecken sich weg und Steg mit den rätselhaften, teils mit Kohle oder Kreide aufgezeichneten, teils in die lockere Erde gerigten Bezeichnungen des Himmel­und Höllespiels.

Ein Abglanz und Rest der früheren Spielfreudigkeit des Boltes, die ehedem auch die Alten auf Markt und Anger zu froher Luft vereinigte und durch die Einführung der fremden Sportspiele gegenwärtig fünstlich wiedererweckt werden soll, haben diese Früh­lingsfinderspiele lange wie das Veilchen im Verborgenen geblüht, bis die Volkskunde anfing, auch ihnen ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Da entdeckte man bald, welch ehrwürdiges Alter auf den Kinderspielen ruht, wie tief in die Urzeit unseres Boltes, ja der Menschheit, sie hinabreichen. Man begann, die Volksspiele und die mit ihnen verknüpften Reime und Melodien aufzuzeichnen, man versuchte nicht ohne Glüd ihre ursprüngliche Bedeutung zu enträtfeln, und wenn dabei im ersten Eifer auch vielfach über das Biel hinausgeschossen wurde, so haben diese Forschungen doch manches schöne und auch weitere Kreise interessierende Ergebnis gebracht.

Wie weit reichen doch manche dieser Spiele in die Vorzeit zurück! Wer das Nationalmuseum in Neapel   besucht, kann dort dieselben hölzernen Kreisel, aus den Ruinen Pompejis stammend, finden, wie sie unsere Kleinen treiben. Schliemann   fand in der fogenannten dritten Stadt bei seinen trojanischen Ausgrabungen Kreisel aus Terrakotta. Marbeln oder Klider hat man sogar in dem vorgeschichtlichen Urnenfriedhof zu Dargun   entdedt. Er­staunlich ist auch die große Verbreitung mancher dieser Kinder­spiele, die sich vielfach wohl nur durch Wanderung und Ueber­tragung von einem Volk zum anderen erklären läßt.

Gegen eine derartige Deutung unserer Frühlingskinderspiele, die auf das heidnisch- germanische Altertum zurüdgeht, wendet sich eine andere Richtung der Volkskunde, die inzwischen zwischen Göttern und Dämonen genauer zu unterscheiden gelernt hat. Diese Dämonen, niedrige Gottheiten, spielen im Geistesleben des Boltes, wie man noch heute beobachten kann, meist eine weit wichtigere Rolle wie die großen fernen Gottheiten des Himmels. Was man früher als Personifitationen einzelner Eigenschaften dieser Gottheiten deutete, werden vielfach solche Dämonen, niedrige Geister oder Gespenster sein. Selbst Frau Holle, die wahrscheinlich nur aus dem bekannten Märchen in das Kinderspiel eingedrungen ist, scheint an sich keine Göttin, sondern als Führerin des wilden Heeres eine Dämonenfürstin zu sein.

Nach dieser Auffassung haben wir im Kinderspiel nicht Götter, sondern Dämonenvorstellungen zu sehen, die uns nicht nur in die germanische, sondern sogar in die indogermanische Vorzeit zurückführen. Auch der Dämonenkultus führte zu dramatischen Spielen, bei denen allem Anschein nach ein die Maste des tier­gestaltigen Dämons Tragender die Umstehenden zu fangen suchte. Dabei scheint die Maske der Augenlöcher entbehrt zu haben, sei es einfach, um das Fangen zu erschweren, sei es, um den bösen Blick des Dämons auch in der Nachahmung zu vermeiden. Da hitt als Fänger auf die Here, der dämonische Wolf( Wehrwolf), die Blindekuh. Auch durch Rätselraten, durch Kauf und Verkauf fann der Dämon sich seines Opfers bemächtigen. Damit soll jedoch feineswegs behauptet werden, daß nun jedes Haschespiel, jedes Kauf- und Verkaufspiel der Kinder auf alten Dämonenfultus der auf Nachahmung ehemaliger Dämonenspiele Erwachsener zurüd zuführen sei. Aber in den Spielen, in denen der Kobold, der schwarze Mann, das böse Tier die Hauptrolle haben, scheint immer hin etwas derartiges durchzuschimmern.

Die alte Zeit dachte sich manche Dämonen einbeinig. Hierauf können wir die Hinkespiele wie Fuchs aus dem Loch und ähnliche zurückzuführen; Fuchs, Wolf, Bär sind ja ficherlich eher als Ber­förperungen alter Dämonen, denn als Götterverkleidungen an zusehen.

Für die Deutung der Kinderspiele kommen zwei Gesichts­Eine andere abergläubische Uebung setzt das Brückenspiel punkte in Betracht. Bis vor nicht allzulanger Zeit sah man in ihnen Nachahmungen und Reste jener dramatischen Darstellungen, voraus, nämlich den uralten Brauch, einen Bau durch Ein­durch welche die Alten das in den Wettervorgängen des Jahreslaufs mauerung eines lebendigen Wesens, des Bauopfers, haltbar zu fich ihnen offenbarende Leben und Schidsal der Gottheiten nach machen. Ziemlich deutlich schimmert das durch in dem Reime: ahmten. Solche Nachahmungen, einstmals ein wichtiger Bestand teil der Gottesdienste und Festfeiern, wurden troß der Annahme des Christentums nicht vergessen. Doch verloren fie allmählich ihren religiösen Charakter und gingen aus den Kreifen der Er­wachsenen als Spiele auf die Jugend über. Die wichtigfte unter diesen Feiern war die altgermanische Frühlingsfeier, das be­deutendste Ereignis im Verlaufe des Jahres, das Aufhören der bitteren Winternot und der Einzug des Frühlings. Diese Feier hat deshalb auch in Sitten und Bräuchen vielfache Spuren bis auf den heutigen Tag hinterlassen.

In den wichtigsten Spielhandlungen jener Zeit scheint sich die folgende Vorstellung wiedergespiegelt zu haben. Die sieben Wintermonate hindurch, vom Oktober bis April, ift die Göttin

Holl up de Brügg, holl daal de Brügg Den letzten wöllt wie fangen Mit Isen   und mit Stangen, De   blifft darin behangen.

Meistens hat das Spiel noch einen nicht unbedingt dazu ge hörigen Anhang, in dem der Gefangene zwischen den beiden Kindern, welche die beiden Hälften des Brückenbogens bilden, zu wählen hat; sie führen im geheimen besondere Namen, und der Wählende wird je nach seiner Wahl Engel   oder Teufel. Man könnte nun bei dem Drängen und Ziehen der beiden Rotten an einem Kampf zur Befreiung oder Lösung des Opfers denken, doch find solche ins einzelne gehenden Deutungen immer eine mißliche