Md paaren sollten? Ist nicht eher anzunehmen, daß die Paarung mit einem der nicht abgeänderten Hasen erfolgte und so das Merk- mal wieder verwischt würde? So lange daher nützliche Variationen nur vereinzelt auftreten, werden sie sicher in der Regel wieder aus- gerottet und kommen für eine Zuchtwahl nicht in Betracht. Es ließe sich nun aber denken, daß bei einem Wechsel derLebens- b e d i n g u n g e n, der ja in der Erdgeschichte häufig zu beobachten war, durch die veränderten äußeren Einflüsse, die in gleicher Weise auf alle Individuen einer Art wirken, gleichzeitig bei zahlreichen Tieren entsprechende nützliche Abänderungen hervorgerufen würden. Ist aber eine große Zahl gleichgerichteter Varianten gegeben, dann vermöchte die Zuchtwahl in der Tat die Umwandlung zu be- schleunigen. Ja nur unter dieser Voraussetzung ist es begreiflich. wie eine natürliche Zuchtwahl ihre Wirksamkeit zu entfalten der- mag. Dem Zufall wird dadurch allerdings sein Reich beschränkt und ein Teil der bildenden Macht in den Organismus selbst ver- legt. Es ist das Zugeständnis, daß der Organismus aus inneren Gründen zweckmäßig auf äußere Einflüsse zu reagieren vermag oder, wie Pauly es ausdrückt, daß das erwachte Bedürfnis selbst schon die Mittel zu seiner Befriedigung erzeugt. Daß in dieser Annahme durchaus mchts Mystisches liegt, braucht nicht besonders ausgeführt zu werden. Eine andere Schwierigkeit der Selektionstheorie liegt ferner darin, daß im allgemeinen die Variationen viel zu geringfügig sind und ihren Trägern zu wenig hervorstechenden Nutzen bringen, als daß man ihnen wirklich einen züchterischen Wert zumessen könnte. Erinnern wir uns nur an die Entstehung der weißen Farben- anpassung in den Schneeländern. Es entsteht doch nicht plötzlich unter den dunkelen Tieren ein rein weißer Hase, sondern zuerst machen sich doch höchstens etwas hellere Varietäten bemerkbar. Ist es aber wirklich anzunehmen, dieser geringe Farbenunterschied ver- möchte den betreffenden Tieren ein solches Uebergewicht zu ver- leihen, daß sie im Kampfe ums Dasein verschont blieben? In gewisser Weise vermag die de Vriessche Mutationstheorie dieser Schwierigkeiten Herr zu werden. De Vries zeigte nämlich, hauptsächlich freilich an pflanzlichen Objekten, daß bisweilen in einer Art Sprungvariationen oder Mutanten austreten, das heißt Individuen, die sich von den Eltern in so vielen Punkten unter- scheiden, daß man sie direkt als besondere Arten austasten muß. Da die Mutanten»hre Artmerkmale häufig rein auf ihre Nach- kommen vererben, kann die Sprungvariation in der Tat zur Art- bildung führen. Die schwächste Seite der Darwinschen Zuchtwahllehre bildet fraglos die geschlechtliche Selektion. Jedem ist bekannt, daß sich bei vielen Tieren die Männchen vor den Weibchen durch größere Schönheit auszeichnen. Männliche Schmetterlinge und Vögel besitzen prächtige Schmuckfarben, das Haupt des Löwen wird von einer pattlichen Mähne umrahmt, der Hirsch trägt ein Geweih. Da diese Eigenschaften, besonders die Schinuckfarben, den Tieren keinen Vorteil bringen, ist ihre Ensttehung durch natürliche Zucht- wähl nicht möglich. Darwin meinte nun, daß hier ein anderer intelligenter Züchter die Auslese besorgte, nämlich die Weibchen, indem sie immer das schönste und stattlichst« Männchen mit ihrer Liebe beglückten. Wenn man sich aber nur die wundervollen symmetrischen Zeichnungen eines Schmetterlingsflügels oder des Psauenschwanzes betrachtet, hieße es da nicht die Intelligenz der Tlere erheblich überschätzen, wollte man ihrer willkürlichen Auswahl die Entstehung solcher Kunstwerke zuschreiben? Doch wir müssen hier abbrechen, wenn auch noch zahlreiche Punkte oer Erwähnung wert wären. Bereits nach diesen kurzen Ausführungen sehen wir, daß die Selektionsthcorie als einziger Entwickelungsfaltor nicht imstande ist, die Entstehung der Arten befriedigend zu erklären, ja, daß die Bedeutung der natürlichen Auslese wesentlich überschätzt wurde. Wie sich aber auch spätere Geschlechter zu der Lehre dieses genialen Mannes stellen mögen, sein Verdienst kann dadurch nicht geschmälert werden; den Ruhm kann ihm niemand rauben, daß er es war, der durch seine um- fassenden Arbeiten die Abstammungslehre zum endgültigen Siege geführt hat._ Kleines femlUton. Tbeate». fharlottenburger S ch i l l e r-T heater:„Molo ch", ragödien-Fragment von Friedrich Hebbel . Auf keinen seiner dramatischen Entwürfe hat Hebbel solche Hoffnungen gesetzt wie auf den„Moloch". Daß er bei allem Enthusiasmus für den Plan das Werk nicht durchzuführen vermochte, war wohl nicht so sehr in irgendwelchen unerklärlichen Stockungen der poetischen In- fpiration, worüber er so oft klagt, als in der ganzen Anlage der Tragödie begründet. Die Gedankcnfracht, mit der er das Fahrzeug hatte beladen wollen, mußte es notwendig zum Sinken bringen. Sie ließ, schon die beiden ersten Akte beweisen das, für Ausgestaltung einer geschlossenen Handlung, für eine ins Innere dringende Charakteristik keinen Raum. An die Stelle dichterischer Symbolik, die aus konkret lebendigen Vorgängen ein„Allgemeines". die„Bedeutung" hervorschimmern läßt, tritt hier ganz unvermeid- lich die Allegorie, die auf jedes Streben, den Schein des Wirk- lichen, auch nur des Möglichen in ihren Bildern festzuhalten, ver- zichtet. Was Hebbel in dem merkwürdigen Vorwort zu„Maria Magdalena" als höchste dramatische Aufgabe bezeichnet, dem Weben des WeltgeisteS in der Geschichte nachzugehen, die Stufen, in denen sich die EntWickelung des Menschengeistes vollzieht, getrennt von allem nur äußerlichen Beiwerk zur Darstellung zu bringen—- dieses überschwängliche Kunstideal, das sich bei nüchterner Be« trachtung in Rauch und Nebel auflöst, sollte, so träumte der Dichter, durch einen mit dem„Moloch" als erstes Glied anhebenden Dramenzyklus realisiert werden. Der Moloch, der mitleidslose, unablässig Menschenopfer hei- schende Götze der Phönizier gilt ihm als Repräsentant der primi» tiven Religionen, in denen sich der Geist noch dumpf und zitternd, aus der unmittelbaren Befangenheit durch das sinnlich Gegebene losringt, das Priestertum als eine despotische Gewalt, die— welcher Art auch die Motive sein mögen— die Völker aus dem Zustand dämmernden Hinvcgetierens in die dornenvollen Bahnen der Arbeit und Kultur zwingt. Wie die Germanen als Typus eines UrVolkes, in der Zucht solchen Priestertums heranreifen— ein rein fingierter Vorgang— das auszuführen, war nach den ersten beiden Akten und Hebbels gelegentlichen Aeußerungen der wesentliche Inhalt seines Plans, die Läuterung des religiösen Be» wußtseins wollte er daran anschließend in einem Ehristus-Drama behandeln. Hieram, ein hundertjähriger Greis aus Karthago , hat daS riesige Erzbild des Götzen, als seine Heimatstadt von Rom erobert wurde, nach Thüle, dem mystischen Germanenland, entfiihrt. Er selbst glaubt nicht mehr an Moloch. Ehemals der Diener des Gottes, will er jetzt selbstherrlich ihn benutzen als bloßes Werkzeug seiner Rache gegen die verhaßten Römer. Er läßt Moloch vor den Augen der staunenden Barbaren die üblichen Wunder vollbringen, entreißt einer Mutter ihr Kind und schleudert es in den glühenden Schlund des Ungeheuers. In scheuer Demut beugt das Volk, voran der junge Teut, der Königssohn, die Knie. Das Furchtbars erhöht die Ehrfurcht vor dem Gotte. Wem so geopfert wird, der muß von grenzenloser Macht sein. Nur der alte König trotzt im Bewußtsein seiner Stärke, biS der eigene Sohn aus das Geheiß des Priesters ihn bewältigt. Der Greis, durch Teut allmächtig, ruft nun das Volk zur Arbeit. Der Urwald soll gelichtet, der Erde ihre Schätze abgenommen werden, ringsum ein neues Leben blühen. So hofft er, wird die Zeit nicht fern sein, wo sich sein Rachewunsch erfüllt und germanische Heerscharen wohlgerüstet ausziehen können zum Kampf wider Rom . Mit diesem Ausblick schließt der zweite Akt. Im weiteren Verlauf des Dramas sollte der Moloch dem Greise gegenüber, der ihn zum Werkzeug seines Eigenwillens de- gradierte, sich als der Stärkere erweisen, als Kulturmacht, die, einmal wachgerufen, mit innerem Zwange sich loeiter durchsetzt. Die beiden Hauptrollen, der alte König und der alte Priester, erhielten in dem Spiele P a t e g g s und Richard Wirths eine treffliche Verkörperung. Den Abschluß des Abends bildete eine sehr muntere und ge- lungene Aufführung von Kleists „Zerbrochenem 5t r u g". Neben Leopold Thurner, der den Dorfrichter Adam gab, zeichnete sich namentlich Frau F a n n y Wolf in der Figur von Evechens Mutter und Emil R a m e a u in der des Schreibers durch Frische des Humors aus. ät. Veranstaltuug des Vereins zur Förderung jüdischer Kunst.(Ensemble-Gastspiel des Lristspielhauses) im Schiller-Theater dl.:„Familie Zwi", Drama in 4 Allen von David Pinski . Ein seiner ganzen Zusammensetzung nach den Intentionen dcS Dichters günstig gesinntes Publikum— und doch wurde PinSki» Drama unzweideutig abgelehnt. Trägt auch die Hauptschuld daS bis auf zwei oder drei Ausnahmen geradezu jämmerliche Gemime des Gassspielensembles, so kann doch dem Dichter der Vorwurf schludriger Arbeit nicht erspart werdeu. Das ist bedauerlich: denn Ansätze zu allerlei Feinheiten mangeln den. Sticke nicht. Aber es bleibt bei den Ansätzen, und deni Blaustift des Regisseurs, der offenbar fürchterliche Musterung nehaltsn hat, dürsten niehr Breiten und Längen als— Tiefen zum Opfer gefallen sein. In einer kleinen russischen Stadt geht's loö mit der Judenhetze. Reb Zwi-Großvater hat nur einen Gedanken: seine„Orgmiisation" — die Synagoge— zu verteidigen. Und wie Diogenes ausging, um Menschen zu suchen, so geht der Greis hin, Inden zu suchen, tue ihm helfen möchten, sein Heiligtum zu schützen. Aber den „stammen" Juden gebricht's an Mut, sie verbergen sich im Walde oder im— Schweinestall. Der reiche Jude sitzt sicher in seinem vornehmen Hanse, vor das ihm Se. Exzellenz, der Herr Gouverneur eine Schildwache gestellt hat! Und der jurmen Geilerosion ist die Synagoge nicht wichtig genug, um ihr Leben für dieses tote Ge- rümpel zu opfern. Sie gedenkt der bedrohten Männer, Frauen und Kinder, sie gedenkt— der Dichter selber merkt es nicht— der Menschen, nicht der Juden.... Allein mit einer stummen, wahnsinnigen Bettlerin harrt der schwache Greis im Tempel der schwarzen Hundert. Die aber— kommen nicht. Dagegen kommt des Rabbi Enkel, um den Großvater, den Menschen— nicht den Juden— zu schützen. Entseelt sinkt der Greis zu Boden, das Drama ist zu Ende— der Dichter hat den Faden verloren und der Kritikus den Abend.-- Es ist schade, daß David PinSki mit seinem Stück so verunglückte; denn sein Mut, gewisse Dinge, die den Orthodoxen aller Bekennt- nisie tabu sind, mit schommgslosem. fast teuflischem Humor zu peitschen, dieser Mut ist heutzutage selten und deshalb um so lobens» würdiger. Während Eugen Tschirikoff in seinem bekannten Drama „Die Juden " die Nerven des Publikums hart nsitnimint, indem er
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24 (20.4.1907) 77
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