NnterhaltungMatt des Horwärts Nr. 90. Sonnabend, den 11. Mai. 1907 i] parpanefc» (Nachdruck verboten.) Von M. v. Reymond. Im Oktober 1849 wurde ich mit dem Kommando einer Exekution" betraut. Ich stand damals als blutjunger Leutnant bei einem österreichischen Infanterieregiment, das sich aus dem Venezia- nischen rekrutierte und in der Festung Olmütz   in Garnison   lag. Das Regiment hatte sich nach dem Ausbruch der italie- nischen Volkserhebung fast ganz aufgelöst und war nun eben wieder neu formiert worden. Wir hatten daher meist ganz junge Leute. Doch fanden sich bei jeder Kompagnie auch etlicheMalvivcnti". Landstreicher und andere Subjekte, die aus irgend welchen Gründen polizeiwidrig waren, und die man deshalb strafweise unter die Soldaten steckte. Da diese Leute meist schon bei ihrer Einstellung über das Rekrutenalter weit hinaus waren, so fanden sich etliche ziemlich angejahrte Burschen unter ihnen. Gewöhnlich gab man ihnen zum guten Ende denLaufpaß", d. h. man stieß sie aus dem Heere und überließ es den Zivilbehörden, sie auf irgend eine Weise um schädlich zu machen. Solch einMalvivente" war es, dem die Exekution galt. Er hieß Parpanese, war in der Gegend von Udine   zu Hause und mochte gut seine dreißig Jahre zählen. Er war der Flügelmann meiner Kompagnie, ein prächtig gewachsener Mann mit edlen Gesichtszügen, die allerdings durch einen hämisch-trotzigen Zug um den Mund und fahle Färbung der- unziert wurden. Welcher Art die polizeiwidrigen Handlungen waren, die ihn seinerzeit zumMalvivente" gestempelt hatten, wußte ich nicht; doch war er während seiner Soldatenzeit niemals wegen Eigentumsvergehen, sondern immer nur wegen Widersetzlichkeit, Gewalttätigkeiten und Desertion bestraft worden. Und das nicht zu knapp! Man rühmte ihm nach es hatte sich überhaupt schon eine förmliche Parpanese- Legende im Regiment gebildet, daß sein Strafkonto mit nicht weniger als 1929 Stockprügeln belastet war. Die Ziffer war vielleicht zu hoch gegriffen; außer dem Bereiche der Möglichkeit lag sie aber durchaus nicht, denn in jener Zeit, wo derHaslinger" mit der weißgekreideten Lederquaste noch an die Brust des Korporals als Abzeichen seiner Würde ge- heftet war und jeder Kompagniekommandant seinen Unter- gebenen ohne weiteres wohlgezählteFünfundzwanzig" auf- messen konnte, war man für den Begriff derSoldatenmiß- Handlung" noch sehr wenig zugänglich. In dem Falle, den ich hier erzählen will, handelte es sich aber nicht um Stock- Prügel, sondern um eine noch viel härtere Strafe, die sich im österreichischen Heere als ein allerdings wesentlich gemil­derter Rückstand aus der Landsknechtzeit noch erhalten hatte. Der einstige Spießlauf dasRecht der langen Spieße" war in einSpießrutenlaufen" umgewandelt worden: wie zur Zeit der Landsknechte bildete die Kompagnie eineGasse", die an beiden Enden durch Unteroffiziere mit kreuzweise gegeneinander gestellten Gewehren abgesperrt wurde. Durch diese Gasse mußte der Verurteilte mit ent- blößtem Oberkörper, die Arme unter einem vorgebundenen leinenen Brustlatz gekreuzt, sechs- bis zwölfmal auf- und niederlaufen. Die Exekutionsmannschaft war mit Weiden- ruten versehen und fuchtelte damit beim Herankommen des Delinquenten bedrohlich in der Luft herum, um sie dann aus seinen Rücken niedersausen zu lassen. Schon nach den ersten Läufen war die Haut zerfetzt und mit den abgebrochenen Spitzen der Ruten gespickt; zuletzt war der ganze Rücken eine einzige blut- und schweißdurchrieselte Wunde. Mancher brach zusammen, bevor er die ihm zuerkannte Tourenzahl vollendet hatte; dann folgte als Krönung des ganzen barba- rischcn Aktes derKontermarsch": der Unglückliche wurde auf eine Bank geschnallt, und statt seiner setzte sich nun dieGasse" in Bewegung und Umkreiste, die Züchtigung fortsetzend, den Delinquenten, bis die Zahl der Läuse erfüllt war. Merk- würdigerweise fanden nur die wenigsten dieser Exekutionen einen solchen greulichen Abschluß: in der Regel hielten die armen Teufel standhaft durch, und wenn sie keuchend und schweißtriefend aus der Gasse traten, wurde ihnen ein zu- sammengelegtes, mit brunnenkaltem Wasser getränktes Lein- tuch auf den wunden Rücken geklatscht, der Mantel über- gezogen, und dann führte sie der Profoß insStockhaus" zurück und brachte sie zum Ausheilen nach der dortigen s Lazarettstube. Für die Soldaten hatte dieses mittelalterlich l rohe Strafverfahren wenig Abschreckendes; wehleidig waren sie nicht, und Ehrgefühl konnte unter der Herrschaft des Prügelsystems nicht aufkommen. Die auf solche Weise Be- straften wurden, wenn sie sich tapfer hielten, als Helden und Märtyrer betrachtet, und bei den Deutschmeistern, dem Regiment der echten Wiener   Kinder, sang man sogar zu Ehren desGassenlaufens" ein lustiges Schnadahüpfel; Zehnmal auf, zehnmal ab, 's is no nöt aus A guata Deutschmeister, Der macht si' nix draus I" Zehnmal auf, zehnmal ab" so lautete auch das vom Kriegsgerichte über Parpanese wegen seiner letzten Missetat verhängte Urteil. Er hatte einen Racheakt verübt aber in einer Angelegenheit, die ihn persönlich gar nicht betroffen hatte. Soldatenschlägereien waren damals in Olmütz  , wo deutsche, slowakische, magyarische und italienische Truppen in Garnison   lagen, nichts seltenes; die Zeit, wo sich diese Nationen auf den Schlachtfeldern Italiens   und Ungarns   feindlich gegen, über gestanden hatten, war eben noch in frischem Gedächtnis. Bei einem solchen Raufhandel, der sich in einer Dorfschenke in der nächsten Umgebung der Stadt zwischen Italienern   und Slowaken abgespielt hatte, waren diese schlecht weggekommen, und die Wirtin, selbst Slowakin, hatte für ihre Landsleute Partei ergriffen und gegen die Italiener Anzeige erstattet. Das hierauf eingeleitete Verfahren war von verblüffender Einfachheit. Der Kommandant des Bataillons, dem die an der Schlägerei Beteiligten mutmaßlich angehörten, ließ die Mannschaften auf dem Kascrnenhof antreten und schritt an der Seite der Klägerin die geöffneten Glieder ab, um die Schuldigen durch diese, klassische Zeugin ermitteln zu lassen. Die racheglühende Slowakin war in der Tat scharfsichtig oder gewissenlos genug, um aus den sechshundert Leuten, die ihr in so seltsamer Weise vorgestellt wurden, vier herauszufinden. von denen sie steif und fest behauptete, daß sie an der Schlägerei teilgenommen hätten. Sofort wurden vier Bänke und vier Haslinger herbeigeschafft, und die vier Angeschuldigten er, hielten angesichts des Bataillons und ihrer Anklägerin je fünfzig Stockstreiche jede Minute einen! wobei der Kommandant mit der Uhr in der Hand das genaue Einhalten der Zwischenpausen persönlich überwachte. Parpanese war. wie schon angedeutet, an dieser ganzen Geschichte weder aktiv noch passiv beteiligt; er stand überhaupt gar nicht bei diesem Bataillon. Dennoch fühlte er sich berufen, seine Kameraden an der Denunziantin zu rächen, und wenige Tage später hatte er dieser ihren ganzen Wirtschaftskram kurz und klein ge, schlagen. Dafür sollte er nun büßen. Trotzig und stolz wie ein Gladiator trat Parpanese vor die Gasse. Nachdem ihm der Auditor das Urteil des Kriegs, gerichtes vorgelesen hatte und der hinter diesem stehende Tambour dem Reglement gemäßabschlagen"" wollte, warf ihm der Verurteilte seine Mütze auf die Trommel, was nach einer bei manchen Truppenteilen zu jener Zeit noch erhaltenen Tradition die Bedeutung eines Protestes gegen das Urteil haben sollte. Parpanese war übrigens selbst von der völligen Nutzlosigkeit dieses Scheinprotestes überzeugt, denn er ging so» fort daran, zu seinem grausigen GangeToilette" zu machen. Dann trat er in die Gasse, der Tambour schlug Wirbel, und der Lauf nahm seinen Anfang. Nachdem der Delinquent die Mitte der Gasse erreicht hatte, übernahm der am anderen Ende aufgestellte zweite Tambour der Kompagnie die schaurige Musikbegleitung zu dem barbarischen Schauspiel, und das ging abwechselnd so fort. Parpanese war trotz seiner herkulischen Gestalt und seines eisenharten Trotzes ein körperlich abgewirtschafteter Mann. Seine Nerven waren infolge des Uebermaßes schwerer Miß» Handlungen, die ihm die rohe Militärjustiz jener Zeit zugefügt hatte, vollständig zerrüttet; ihre Widerstandskraft reichte gegen diese Art Tortur nicht mehr aus. Es fehlten nur noch zwei Läufe da riß ihn ein Nervenchoc zu Boden. Mit wildem Gebrüll, wie ein Tobsüchtiger um sich schlagend, wälzte er sich auf dem Boden; Erde, Steinchen, Holzsplitter und Unrat aller Art kneteten sich in seinen zerfleischten Rücken ein. Was