Anterhaltuilgsblatt des vorwärtsNr. 92. Mittwoch, den 13. Mai. 1907(Nachdruck verdoten.)61 parpancfe.Von M. v. Rehmond.(Schluß.)Die Erzählung des armen Parpanese hatte mich tiefergriffen. Als ich mich endlich von ihm verabschiedete, drückteich ihm einen Napoleondor in die Hand. Er schien heftigbewegt, wollte aber das Goldstück nicht annehmen. Dagegenrückte er jetzt ganz unvermittelt mit der Bitte heraus, ihnmit nach Udine zu nehmen; er sei dort zu Hause, und ichhätte ja selbst gesehen, wie schlecht man ihn hier behandelthabe. Diese Bitte mußte ich ihm jedoch abschlagen; meinFuhrwerk war wirklich schon über Gebühr belastet, und ichdurfte meine Familie nicht der Gefahr eines neuen Zu-sammenbruches aussetzen.„Nehmen Sie ruhig mein kleinesGeschenk an" sagte ich scherzend,„damit können Sie zweimalnach Udine und zurückfahren!" Darauf nahm er den Na-Poleon an sich, aber ich merkte es an seiner traurigen Miene,daß ihm die Ablehnung seiner Bitte weh getan hatte. Esfiel ihm augenscheinlich schwer, mich zu verlassen; im Fort-gehen wandte er sich noch einmal um und sagte:„GebenSie auf Ihren Vetturino acht, er ist ein arger Schwätzerl"—„Das habe ich erfahren!" entgegnete ich lachend, des Unfallsvom Vormittag gedenkend;„ich verspreche Ihnen aber, daßich bis Udine nicht ein einziges Wort mit ihm sprechen werde."Diese scherzhafte Bemerkung schien Parpanese nur noch mehrzu verstimmen; er zuckte nur stumm die Achseln, drückte mirnoch einmal die Hand und ging.Erst nachdem Parpanese sich entfernt hatte, kam mir derin den letzten Minuten unseres Beisammenseins so plötzlicheingetretene Wandel in seinem Benehmen klarer zum Bewußt-sein. Ich fand nur eine Erklärung dafür: er glaubte mirnicht, daß ich ihm die Mitfahrt lediglich wegen der Un-Zuverlässigkeit meines Fuhrwerkes abgeschlagen hatte, sondernwitterte Mißtrauen oder gar Verachtung dahinter und fühltesich dadurch beleidigt. Aber wenn das der Fall war, wasbestimmte ihn, mein Goldstück, das er erst zurückgewiesenhatte, schließlich so ohne weiteres an sich zu nehmen? Dasstimmte doch garnicht mit seinem sonst so stolzen und trotzigenWesen überein I Und was hatte die Warnung vor der Ge-schwätzigkeit meines Vetturino zu bedeuten? Daß diese dieUrsache unseres Mißgeschickes gewesen, konnte er doch gar-nicht wissen, wenigstens war es höchst unwahrscheinlich, daßder Schuldige selbst dies verraten hatte. Hegte er irgendeinen Argwohn gegen den Mann? Wollte er wohl gar dieFahrt nach Udine mitmachen, um mich gegen jenen zu schützen?Ich war nicht ängstlich und überdies gut bewaffnet; aberdiese unklaren Punkte gaben mir doch zu denken, schon meinerFamilie wegen.'Ich rief den Wirt herbei; vielleicht konntemir dieser über den Fuhrmann und auch über Parpanesenäheren Aufschluß geben.Was ich vom Wirt erfuhr, beruhigte mich dollständig,soweit der Vetturino in Frage kam. Der Mann war ihmschon seit Jahren bekannt; er kam sehr häufig nach Cividaleund galt dort allgemein als ein durchaus zuverlässigerMensch, wenn er sich auch mit Vorliebe zu seinem Vorteilverrechnete und durch sein großsprecherisches und schwatzhaftesWesen sich manchen zum Feinde machte. Als ich Parpaneseswarnende Worte zur Sprache brachte, fand der Wirt soforteine sehr glaubhafte Erklärung dafür.„Natürlich," meinteer,„hat der Prahlhans vor den Leuten, die ihn zur Schmiedebegleiteten, von seinem vornehmen und weitgereisten Passa-gier viel Wesens gemacht, und da seine Zuhörer nicht geradedie saubersten Leute waren, so konnte er Sie durch sein Ge-schwätz allerdings in Gefahr bringen. Wer weit reist, mußviel Geld bei sich haben, und die Straßen find in jetzigerZeit nicht allzu sicher. Das weiß der alte Landstreicher, derParpanese, nur zu gut, und schließlich war es doch auch beiihm selbst nur die Hoffnung auf Beute, die ihn veranlaßthat, sich an Sie heranzuschleichen!"Darin konnte ich nun dem Wirt allerdings nicht Unrechtgeben, wenn auch zwischen Beutemachen und aus ehrlicheWeise Verdienst suchen ein gewaltiger Unterschied ist. Daaber nun die Rede auf Parpanese gekommen war, so wollteich doch auch über diesen etwas Näheres erfahren. Die brutaleArt und Weise, in der ihn der Wirt aus dem Garten hatteverjagen wollen, gab mir den besten Anknüpfungspunkthierfür.„Dachten Sie denn, der Mann führe Uebles imSinn, daß Sie ihn so barsch fortwiesen?" fragte ich.„Dasnicht gerade," lautete die Antwort.„Aber ich hatte ihm ver-boten, mein Haus zu betteten!"—„Und warum?"—„Weilsich jetzt viel verdächtiges Gesindel in der Gegend herumtreibtund man nicht scharf genug auf der Hut sein kann!"—„Gut;aber Parpanese— gehört der auch zu dem verdächtigen Ge-sindel?"—„Das nicht— aber er ist doch ein„Malvivente,"und, Sie wissen ja, ein Malvivente..."„Bleibt immerund ewig ein Malvivente" lachte ich höhnisch auf,„und wenner so fromm und schuldlos wäre, wie der heilige Anton vonPadua!" Der brave Wirt merkte den bitteren Spott garnicht, der in meinen Worten lag, sondern stimmte vielmehrmit einem überzeugungsvollen„Davvero!" in mein Hohn-gelächter ein.Nach dieser Auseinandersetzung unterließ ich es, Parpa-neses Bitte, nach Udine mitfahren zu dürfen, zur Sprache zubringen; ich hätte dem armen Teufel damit nur schaden, mirund den Meinigcn aber nicht im geringsten nutzen können.Bei mir stand jetzt die Ueberzeugung fest, daß Parpanese inder Tat meine Sicherheit gefährdet glaubte und dafür viel-leicht triftigere Gründe als bloße Vermutungen hatte. Viel-leicht wußte Parpanese von der mir drohenden Gefahr mehr,als er sagen durste... auch Landstreicher haben ihre Ehr-begriffe und Ehrenpflichten! Ich bedauerte jetzt lebhaft, daßich Parpaneses Bitte abgeschlagen hatte; aber es war zu spät,er war fort, und wo hätte ich ihn aufsuchen sollen?....Als der Vetturino endlich in Begleitung des Schmiedesmit dem Wied« zusammengeflickten Fuhrwerk angerasseltkam, war es bereits Abend geworden. Das Gepäck wurde inaller Eile verstaut, das Verdeck aufgebaut, der große Kofferauf dem Trittbrett zwischen den Hinterrädern sestgeseilt; dieFahrt mußte sofort angetreten werden, wenn wir vor Mitter-nacht in Udine ankommen sollten. Das Wetter war übrigensschön, und wir hatten auch etwas Mondschein. Also addio,Cividale und buon viaggio!Unser Weg zog sich zum großen Teile zwischen den Ein-friedigungsmauern ausgedehnter Landgüter hin, hinter denennur in weiten Abständen hier und da ein Herrenhaus sichtbarwurde. Wir hatten Cividale kaum eine Viertelstunde hinteruns, als der Vetturino plötzlich anhielt, abstieg und sichhinter dem Wagen zu schaffen machte. Als ich mich zumWagenfenster hinauslehnte, um nach der Ursache des Auf-entHaltes zu sehen, sprang der Fuhrmann mit auffallendemDiensteifer herzu und erklärte, er wolle nur nachsehen, obsich die Verschnürung meines Koffers nicht gelockert habe.In der Tat kehrte er schon im nächsten Augenblicke mit derberuhigenden Versicherung, daß alles in Ordnung sei, aufseinen Sitz zurück, und die Fahrt ging weiter. Im Wagenwurde es nun allmählich ganz stille; die Kinder machten sichsin den Armen und auf dem Schöße der Bonne bequem undschliefen bald ein, meine Frau, der die nächtliche Fahrt nichtgerade heimlich war, verhielt sich schweigsam, und mich selbstüberkam ein Gefühl der Erschlaffung, das bald in einenfesten Schlaf überging....Ein heftiger Ruck schreckte mich auf. Der Wagen standstille. Der Vetturino stieß einen Fluch aus und rief imgleichen Atemzuge alle Heiligen um Hülfe an. Von obenher, durch das Wagenverdcck hindurch, ließ sich ein donnerndes„Zurück!" vernehmen.«Olk, Parpanese!" antwortetenStimmen von vorne her auf den drohenden Zuruf. Esklang wie ein vertraulicher Willkommensgruß, der aber eineschroffe Zurückweisung erfuhr.„Weg von den Pferden, oderIhr bekommt mein Messer zu kosten!" rief der Mann vomHinterwagen her, wo er sich offenbar auf meinen Koffer ge-schwangen hatte. Flüche und Drohungen waren die Ant-wort, und der Vetturino auf dem Kutschbock schrie unaufhörlich„.Ajnto, ajnto!" ohne indes ein Glied zu rühren. Ich griffrasch nach meinem Revolver und riß das Wagenfenster auf,um die Lage klarer zu erfassen; da sprang ein Mann vonhinten her dicht an meinem Gesicht vorbei und rief mir zu:.Keine Furcht, ich schütze Sie!" Es war Parpanese. Mit