gezücktem Messer warf er sich auf einen der Kerle, die das Gespann zum Stehen gebracht hatten; ein Aufbrüllen, und der Raubgeselle wälzte sich auf dem Boden. Parpanese führte eine sichere Klingel Als die Anderen ihren Spieß- gesellen fallen sahen, fielen sie in blinder Wut über Parpa- nese her. Dadurch wurden die Pferde frei, und der Vettu- rino hatte dies kaum bemerkt, als er auch schon wie besessen auf- sein Gespann einHieb, das nun mit dem klapprigen Fuhrwerk in wilder Flucht davonjagte. Vergebens war all' mein Rufen, Warnen und Drohen; weder das Schicksal des armen Parpanese, der im Kampfe mit einer Ueberzahl von Gegnern zurückgeblieben war, noch die Gefahr, die in dieser finnlosen Rennfahrt für uns selbst lag, konnten den Menschen bewegen, den Wagen anzuhalten. Vielleicht war er— wie er wenigstens fortwährend beteuerte— wirklich nicht imstande, das scheugewordene Gespann zu meistern. Es war eine wahre Höllenfahrt; die jammernden Frauen, die schreienden Kinder, der Gedanke, daß unser altersschwaches, zur Not geflicktes Fuhrwerk jeden Augenblick zusammen- krachen konnte, und die schwere Sorge um unseren wackeren, treulos im Stiche gelassenen Retter, dessen rätselhaftes Er- scheinen und Eingreifen mir noch völlig unerklärlich war— alles das ließ mich die Zwangslage, der ich in dem engen, wie toll dahinpolternden Kasten völlig ohnmächtig preis- gegeben war, doppelt qualvoll empfinden. Endlich ermatteten die Pferde und nahmen von selbst eine gemäßigtere Gangart an; wir waren aber auch schon in der Nähe der österreichischen Vorpostenaufstellung angelangt, die sich längs des linken Torre-Ufers hinzog, und stießen bald auf eine von einem Offizier befehligte Feldwache. Hier ließ ich galten, um dem Kommandanten über das Vorgefallene Bericht zu erstatten. Zu meiner Ueberraschung erkannte ich in diesem einen ehe- maligen Kameraden, der seinerzeit„Schiffbruch" erlitten, nun aber bei dem während des letzten Feldzuges errichteten freiwilligen Wiener Jägerkorps wieder eine Offiziersstelle erhalten hatte. Leider war die Begegnung nur sehr kurz. und die Unterhaltung drehte sich fast ausschließlich um das eben Erlebte. Der Vetturino wurde ins Verhör genommen, und seine Aussage bereitete mir eine neue-Ueberraschung: Parpanese hatte mit seiner Zustimmung die Fahrt auf meinem Wagen mitgemacht und sie mit dem Goldstücke be- zahlt, das ich ihm geschenkt hatte! Er war mit dem geld- gierigen Vetturino schon in Cividedo handelseins geworden. Um aber einem Einspruch von meiner Seite vorzubauen, hatten die Beiden miteinander verabredet, daß Parpanese den Wagen außerhalb des Städtchens erwarten und dort erst seinen Platz auf dem Koffer einnehmen sollte; deshalb jenes plötzliche Anhalten auf offener Straße! Jetzt war mir alles klar: um mich vor der Gefahr zu schützen, von der er mich bedroht wußte oder glaubte, hatte der alte Verbrecher, der Auswürfling, der als„Malvivente" gebrandmarkte den Vetturino bestochen und sein Leben aufs Spiel gesetzt— vielleicht bereits verwirkt! Der Kommandant der Feldwache entsandte sofort eine Patrouille nach dem Orte, wo der Ueberfall stattgefunden hatte, und versprach mir briefliche Mitteilung über das Er- gebnis; auch wollte er über den Vorfall und das von mir und dem Vetturino bezeugte rühmliche Verhalten Parpaneses an fein vorgesetztes Kommando Bericht erstatten. Was für den Mann überhaupt getan werden könne, solle geschehen; dafür wollte er, schon aus Freundschaft für mich, nach besten Kräften sorgen. Ich war ihm von Herzen dankbar für dieses Versprechen; er erleichterte mir wesentlich den Entschluß, meine Reise unvcrweilt fortzusetzen. Hier konnte ich doch weiter nicht helfen, und meine Familie bedurfte nach den Aufregungen dieses Tages dringend der Ruhe und Er- holung. Nach Udine hatten wir nur noch etwa eine Stunde zu fahren; mein ehemaliger Kamerad gab mir der Sicherheit halber einen Unteroffizier mit, der dafür sorgen sollte, daß man uns ungehindert durch die Vorpostenkette passieren ließ. Ein kurzer, herzlicher Abschied, dann ging's wieder in die Nacht hinaus. Bald war der Torre erreicht, dessen mit Geröll bedecktes Bett den größten Strom hätte aufnehinen können, in Wirk- lichkeit aber nur von einem fadendiinnen Wasseräderchen durchrieselt war. Nach fast vieltelstündiger Fahrt über einen ziemlich leicht gebauten Holzsteg erreichten wir das jenseittge Ufer. Dort war von Vorposten nicht die Spur zu sehen, so daß wir ohne jeden weiteren Aufenthalt Udine erreichten. Es verging noch gut eine Woche, ehe wir in Bern , dem Ziele unserer Reise, anlangten, da wir noch an mehreren I Orten kurzen Aufenthalt machten und die Fahrt im Post- wagen über den Monte Crurre und Gotthard allein fast einen vollen Tag in Anspruch nahm. In Bern war aber mein erster Weg zum Postamt, und dort lagerte bereits der Brief meines gefälligen einstigen Kameraden. Er schrieb:„Der arme Parpanese hat wie ein Held geendet. Drei seiner Gegner lagen entseelt neben ihm; einen vierten hat er, nach den vorhandenen Blutspuren zu schließen, ziemlich erheblich verwundet, doch ist es diesem gelungen, sich irgendwo zu ver- kriechen. Ein langgestreckter Blutstreifen zog sich vom Kampf- platz bis an den Straßengraben; dort verlor sich die Spur. Dein Retter ist einem Messerstiche erlegen, der ihm von hinten her in den Hals versetzt worden ist und die Kopf- schlagader durchschnitten hat. Ich habe die Leiche selbst ge- sehen; der Graubart sah, trotz seiner Lumpen, so schön und edel aus, wie ein Heros des klassischen Altertums." Das war das Ende des alten„Malvovente". IVatunvinenfcbaftUcbe Geber ficht» Von Dr. E. The sing. Es ist eine allgemeine Eigenschaft der organischen Welt, daß die Lebewesen und ihre einzelnen Organe in weitgehender Weise an die äußeren und inneren Bedingungen angepaßt und für ihre besonderen Verrichtungen geeignet erscheinen. In der ganzen Natur gibt eS aber kaum einen zweiten Fall, an dem man so klar die Anpassung eines Körperteils an seine Funktion und den formenden oder rückbildenden Einfluß des Gebrauches oder Nicht- gebraucheS zu verfolgen vermag, wie an der Ausbildung der Arme und Beine bei den Wirbeltieren(Vertebraten). So verschieden- artig die Gliedmaßen der Vertebraten auch immer erscheinen mögen, stets lassen sich an ihnen, wenn nicht am erwachsenen Tiere, dann doch wenigstens im Embryonallebon, im großen und ganzen die nämlichen Knochenftücke nachweisen und deuten unverkennbar auf eine gemeinsame Abstammung. Die niedersten Vertreter des Wirbeltierstammes find die Fische. Typische Wasserbewohner, sind bei ihnen die Gliedmaßen zu Ruderwerkzeugen, zu Flossen, ent- wickelt. Man unterscheidet paarige und unpaare Flossen. Wie die Entwickelungsgeschichte lehrt, entstehen die unPaaren Extremitäten als eine einheitliche Hautfalts, welche hinter dem Kopfe als ein Rückenkamm beginnt und sich über den Schwanz hinweg bis zum After hinzieht. Bereits in früher Jugend sondert sich bei den meisten Fischen dieser einheitliche Hauttamm in die unpaaren Rücken, Schwanz- und Afterflossen. Auch die paarigen Flossen legen sich zuerst als seitliche Hautfalten an, die sich dann im Laufe der EntWickelung in die paarigen Brust- und Bauchflossen gliedern. Skeletteile, die bald in den Flossen entstehen und mit der Wirbel- säule in Beziehung treten, geben den Rudern die notwendige Festigkeit. Von diesen beiden Gliedmaßcnarten sind die unpaaren stammesgeschichtlich die älteren, finden sie sich doch schon bei den niedersten Fischen, dem Urfisch Amphioxus und den Rundmäulern, denen paarige Flössen noch vollkommen fehlen. Andererseits ver- schwinden pe aber auch mit dem Aufgeben des Wasserlebens und so finden wir sie bei den Amphibien, wohl noch im Larvenleben, in Gestalt eines einheitlichen, aber nicht mehr von Skeletteilen geschützten Flossensaumes, bei den ausgebildeten Tieren werden sie aber in der Regel zurückgebildet. Die paarigen Extremitäten hingegen gelangen bei den höheren Wirbeltieren zu immer besserer und mannigfaltigerer Ausgestaltung und helfen den Tieren, zum Waffer auch noch das feste Land und die Luft zu erobern. So außerordentlich verschieden auch Beine und Arme der höheren Wirbeltiere gebaut erscheinen, so lassen sie sich dennoch entwickelungsgeschichtlich auf das sogenannte Jchthyopterygium zurückführen, wie es uns in den Flossen niederer, haiartiger Fische entgegentritt. Durch ungleiches Wachstum der einzelnen Knochen- stücke und eine erhebliche Rückbildung der Zahl ist aus dem Jchthyopterygium die fünfiingrige Extremität entstanden, wie sie für alle Wirbeltiere von den Amphibien an aufwärts bis zum Menschen charakteristisch ist. Doch noch weitere Umbildungen wurden durch die veränderte Lebensweise gefordert. So- lange die Extremitäten der Hauptsache nach als Ruder dienten, war es vorteilhaft, daß sie zu breiten, einheitlich wirkenden Platten ausgestaltet waren. Auf dem Lande wird das anders, da sollen die Beine und Arme als Hebelapparate den Körper tragen und be- wegen. Um dieses aber leisten zu können, müssen die Flossen in einzelne Teile zerlegt werden, die mit einander beweglich ver- bunden bleiben. Es kommt zur Ausbildung von Gelenken. Wer einmal das Knochengerüst emeS VogelflügelS gesehen hat, kann mir entgegenhalten, daß bei den Beherrschern der Lüfte von eine» fünffingrigen Hand nichts zu erkennen sei. läßt sich beim«r. wachsencn Vögel in vielen Fällen doch überhaupt nur noch ein Finger deutlich unterscheiden. Das ist schon richtig. entwickelungS- oder stammesgeschichtlich läßt sich aber nachweisen, daß auch die Tiere mit stark verringerter Fingcrzahl von fünf- oder wenigstens mehrzehigen Vorfahren abstammen. Betrachten wir uns z. B. den Embryo eines Pinguins in frühen Stadien der Bebrütung, dann
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24 (15.5.1907) 92
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