Nnterhalwngsblatt des Torwarts Nr. 108. Freitag� i>en 1 Juni. 1907 (Nachdruck Beibultn.) 161 Verloren. Eine Leidensgeschichte aus dem Volke. Von Robert Schweichel Er hatte bei den letzten Worten tief aufgeatmet und Marie voll und fest angeschaut. Ach, Gottlieb, wie kann's denn sein?" rief sie mit traurigem Kopfschütteln. Er aber fuhr fort: Mann und Frau sind ein Leib und eine Seel'. Des Pfarrers Wort tut nichts dazu. Die Lieb' steckt nicht in seinem Segensspruch. Wir können auch ohne ihn mitsammen leben." Das denkst?" sagte Marie erschrocken, und ihr ganzes Gesicht übergoß eine glühende Röte. Joa," antwortete er fest,wenn Du mich liebst. Du sollst nicht elend werden." Ach, das ist ja nicht möglich nicht möglich. Gottlieb!" bebte sie, die Hände ringend. Ich hab's auch zuerst gemeint, daß es nicht möglich," sagte er mit Nachdruck:Aber dies Leben ist elend für uns beide, und wir können noch glücklich sein mitsammen. Was gehen uns die Menschen an und was sie von uns reden oder denken? Sie wollen's ja so, sie treiben uns ja dazu. Ich Hab' lang genug ausgehalten und ich laß mich nicht zertreten. Ich will auch niein Glück haben wie sie. Wir haben ja so gut ein Recht darauf wie sie. Wir sind vor Gott Mann und Frau, und was vor Gott gilt, daß muß auch Recht auf Erden sein, sie mögen dagegen schreien, so viel sie wollen. Und lass' sie nur schreien," rief er, indem er aufstand und seine kräftige Gestalt hoch und trotzig aufrichtete,ich will ihnen den Mund schon stopfen. Sag' ja, Marie," bat er dann, indem er ihre beiden Hände in die seinigen faßte.Sag' ja, und es ist alles gut." Ich vermag's nicht zu denken, Gottlieb I" stammelle sie. Wie können wir beide noch glücklich sein?" In diesem Augenblick trat Regine aus der Herrenstnbe. Es war Zeit, an ein würdiges Abendbrot zu denken, welches dem Gaste nicht nur die beste Meinung von der Kochkunst Reginens, sondern auch von dem Wohlstande des Hauses bei- bringen sollte. Regine trieb Marie in die Küche und zu dem Gesellen sagte sie, an ihm vorüberrauschend:Ja, die Marie hat jetzt nicht Zeit." Nehring entfernte sich zögernd. Wie viel Nachdenken und Kampf hatte es ihn nicht gekostet, bis der Vorschlag, den er Marie eben gemacht, in ihm zur Reife gediehen war und nun er ihn endlich ausgesprochen, mußte er sich ohne Ent- scheidung entfernen. Aber zugleich bestärkte ihn Reginens Aeußerung in seinem Entschluß. Marie sollte aufhören, nur nach der Pfeife anderer Leute zu tanzen. Auf dem Herd in der Küche Prasselle bald ein helles mächtiges Feuer. Alle Hände und Füße, über welche der blaue Engel gebot, wurden zu Ehren Fried Kloberharts in Bewegung gefetzt und Regine selbst blieb nicht müßig. Was man auch mit Recht an derselben auszusetzen haben mochte, die Wirtschaft verstand sie. Ja, der Kloberhgrt sieht sich wohl nicht weiter im Dorf um," sagte sie zuversichtlich, während sie anordnete, dort einen beaufsichtigenden Blick hin warf, hier dem Dienstboten die Arbeit ärgerlich über sein Ungeschick ans der Hand riß und selbst tat, und dazwischen Mehl, Butter, Eier, Gewürz heraus- gab und dann das weißeste Gedeck aus dem Schrank hervor- suchte. Ihre Kochkunst fand dann auch bei Fried die größte Anerkennung, sowohl durch Worte, als durch die Tat. Peter- mann lieferte dazu von seinem abgelagerten Felscnkellerbier, von dem Fried fast noch reichlicher als von den Speisen zu sich nahm. Die Zuversicht Reginens sollte nicht zu schänden werden. Fried war es so wohl in dein blauen Engel, daß er au keinen weiteren Besuch im Dorfe dachte. Auch konnte er unter dem Borwande, Kühe zu kaufen, nicht abends zu den Leuten gehen. Als das Abendessen aufgetragen wurde, machte er Miene, aufzubrechen. Es war schicklich, sich nötigen zu lasseil und er zeigte seine gute Lebensart, indem er sich recht lange nötigen ließ. Regine verstand, dem Gebrauch zu ihrem Vorteil Rech- nung zu tragen. Ihr Wesen war dabei so gewinnend, daß es Fried ganz warm um's Herz wurde, und in sich murinelte er:Ja, ja, die versteht ihre Sach'. Werden die Leute in Bäumlersdorf schauen!" Er blieb die Nacht im blauen Engel und schlief mit der Ueberzeugung ein, daß er die Rechte gefunden habe. Deshalb fuhr er denn auch am anderen Morgen ohne anzuhalten und mit lustigem Peitschenknallen zum Dorfe hinaus und nach Hause. Und wie ist's mit unserem Handel?" lachte er.Wenn Ihr mir die Kühe noch eine Weile stehen lassen wollt, so denk' ich schon, ich komm' und hol' sie. Muß doch jemand dazu mitbringen." Er sah dabei fortwährend Regine an, die auf der Schwelle der Haustür stand, und Regine begriff, daß er unter dem Jemand den Brautwerber meinte. Sie warf dem Burschen einen recht süßlichen Blick zu. Na, vergeßt nicht den Fried Kloberhart von Bäumlers- dorf, Jungfer Regine!" rief er noch und die Gäule zogen an. 9tegine blieb auf der Türschwelle stehen, bis sie sich ver- gewissert hatte, daß er nirgends in Rothenburg anhielt. Dann trat sie mit dem Ausdruck des Triumphs in das Haus zurück. Marie, welche sie verstohlen betrachtete, seufzte. Der Seufzer war lauter als sie beabsichtigte. Regine hörte ihn und ein Blick der Verachtung traf die Arme. Es geschah nicht das erste Mal, daß sie ein Blick dieser Art aus Reginens wasserblauen Augen streifte. Regine war in letzter Zeit mit solchen Blicken gerade nicht sparsam ge- Wesen. Und solche Blicke waren es, welche die Arme, indem sie ihr das Blut aus den Wangen trieben, mit größerem Ent- setzen vor der Zukunft erfüllten, als ihre eigenen schweren Gedanken, die ihr Ruhe und Schlaf raubten. Vorgetan und nachbedacht hat manchen in groß Leid gebracht!" murmelte Regine hörbar genug zwischen den Zähnen, indem sie vor den Spiegel trat und sich wohlgefällig betrachtete. Marie preßte die Hand auf ihr beklommenes Herz. Wie lange noch, und sie las dieses Urteil, welches Regine über sie ausgesprochen hatte, in den Blicken und Mienen aller Leute! Es war ein Urteil, welches schon mehr als einmal das Brausen des Gebirgsstromes in ihre Verzweiflung ver- lockend hatte hineintönen lassen. Dieser Blick, diese Wort» Reginens waren für Marie von einer größeren Ueberredungs- kraft, als sie Gottlieb auszuüben vermocht hätte. Sie hatte ihre Einbildungskarft vergebens mit Rettungsplänen ge- martert, und nun war das Aeußerstc, welches jede ver- rinnende Minute unbarmherzig näher rückte, plötzlich auf- geschoben, wenn sie Gottliebs Vorschlag annahm. Es lag eine Ausslucht darin, und wenn es auch nur ein Aufschub war. Gottlieb wollte es nicht gelten lassen, daß sein Vorschlag nur ein Aufschub sei. Er war überzeugt, daß sie beide noch glücklich werden könnten. Er kam bei seinen Besuchen wieder- holt darauf zurück, daß ihr Glück nicht gegen die Gebote Gottes und mithin kein Unrecht sei, und er sprach nicht nur so, um seine Schuld zu sühnen: seine Worte atmeten die alte ungeschwächte Zuneigung und Liebe, und Marie liebte ihn noch. Der Quell ihrer Liebe zu ihm sprudelte allmählich wieder lebhafter unter dem Steine des Elends hervor. Gott - liebs Hoffnung weckte die ihrige. Ein heller Schimmer leuchtete wieder in den Augen der Beiden an jenem Abend, als Marie endlich in Gottlicbs Vorschlag einwilligte. Die Vorkehrungen zu ihrem künftigen Leben, die Be- sprechungen ihrer Einrichtung bestärkte beide in ihren Hoff- nungen. Gottlieb fand in der Nähe des Nothenburger Tores eine passende Stube. Die Straße war zwar schmal, aber die Häuser waren niedrig, so daß die Sonne frei hineinscheineu konnte bis der. Schatten des altertümlichen Rothenburgcr Tores der Nacht seinen dunklen Arm entgegenstreckte. Am Neujahrstage führte er Marie in ihre neue Heimat ein. Er holte sie aber nicht aus dem Dorfe ab, sondern er- wartete sie auf der Brücke, welche vor dem Nothenburger Tor über den Fluß führte. Marie kam in ihren Sonntags- kleidern, ein Bündelchen in der Hand, welches ihre wenigen Habseligkeiten enthielt. Als sie mit Gottlieb in die Stube