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Unbekümmert um die anderen wandte er sich seinem

er der Toten geleistet hatte, gab seinen Gedanken der Nache gleichsam die Weihe und drängte ihn zur Tat. Er sagte sich Opfer zu, das er mit übereinander geschlagenen Armen be­und befestigte sich darin, daß er der Gefahr nicht glücklich ent- trachtete, bis man ihn fortriß. Ruhig folgte er in das Ge­gangen wäre, wenn er seinen Schwur nicht erfüllen sollte. fängnis, ruhig erwartete er sein unvermeidliches Los und Der Glaube an die Gerechtigkeit Gottes war dahin; an seine ruhig bestieg er das Blutgerüst. Dem Geistlichen, den man Stelle trat der Aberglaube. Helleren Geistern wie ihm ist es ihm schickte, gab er kein Gehör. im Unglück nicht anders ergangen.

( Nachdruck verboten.)

Leichtes Volk.

Von Paul Kirchhoff  .

Nehring hatte in seinen wühlenden Gedanken die Stadt berlassen, ohne des Weges zu achten, den seine Füße ver­folgten. Er fand sich an dem Meilenstein wieder, an dem er einst von seinem Leidensgefährten Abel Abschied genommen hatte. Er dachte einen Augenblick an diesen, er dachte, wie Die Lindenbäume rauschen draußen vorm Tor. Ihrer Blüten sein Leben eine ganz andere Wendung genommen haben schwülfüßes Duften quilt in den Balsam des letzten späten Flieders würde, wenn er damals Abels Rat gefolgt wäre und Alten- und schwillt und webt durch die sonnendurchtränkte Luft. Und in bach verlassen hätte! Der Meilenstein war zum Markstein all dem gleißenden, goldenen Glast ist ein leises, verlorenes Klingen, Der Meilenstein war zum Markstein feines Geschickes geworden. Er legte die Hand auf den Stein ist ein Flüſtern und Flehen und Werben, als sängen ferne Nachtigallen der jungen, brünstigen Erde ihr Brautlied. und wie er die Kälte desselben fühlte, ging ein Schauer Du," sagt der lange Edi und hebt den Kopf vom Kissen, um durch seinen ganzen Körper. Dann ward der Aufruhr in durchs Fenster ins goldene Blau zu sehen, Du, ich glaub', draußen ihm plöglich still und aus den düsteren Plänen und Ent- is Sommer!" würfen, die seit Mariens Tode seinen Kopf durchkreuzt hatten, trat einer klar hervor. Sein Entschluß war gefaßt. Ein unheimliches Lächeln umspielte eine Sefunde lang seinen Mund und seine Augen leuchteten von einem schrecklichen Glanze. Es war Abend als er wieder die Stadt erreichte. In einem Laden faufte er einen Revolver und Patronen.

Die Ruhe, die ihm bei dem Meilenstein überkommen war, berließ ihn nicht einen Augenblick. Sobald er zu Hause die Waffe geladen, legte er sich zu Bette und ein langer, tiefer, traumloser Schlaf umfing den Erschöpften.

Folgenden Tages sah man ihn etwa um ein Viertel auf zehn Uhr langsam aufrechten Ganges   über den Markt nach dem Amte schreiten.

Den Hut in der Hand, die Rechte auf dem Rücken in der Rocktasche, trat er in die Amtsstube, wo Fried und Regine wegen ihres Scheidungsprozesses eben vor den Schranken standen. Gottlieb stellte sich neben Regine, welche zur Rechten ihres Mannes stand. Mit dem Rücken gegen ihn saß der Amtsschreiber.

" Was wollen Sie, Nehring?" fragte Herr Mahhofer. Hat Ihnen der Bote nicht gesagt, daß ich beschäftigt sei?" " Ja doch," versezte Nehring.

Weshalb kommen Sie also?"

"

Es ist nur wegen der Rechnung, Herr Amtsrichter," Jagte Nehring.

Welcher Rechnung?" fragte Herr Mayhofer verwundert. Ich weiß von keiner."

"

Weiste weiter nischt?" fnurrt der fäbelbeinige Seff vom Sofa Her und qualmt eine dickgraue Nauchschwade in die Luft. Schweigen. Der Lange hat den Kopf wieder sinken lassen und räkelt sich auf dem Bett und pafft auch.

anderen.

" Ich denk', Deine Strümpfe waren' mal weiß!" fängt jezt der Seff" an und betrachtet prüfend die löcherigen Schuhsohlen des Ich kann mich nicht mehr erinnern!" qualmt der mit phleg matischem Gleichmut.

"

häufiger Folge graublane Rauchwollen zur Zimmerdede. Auf halbem Bege aber teilen fie sich in schwirrende, schwankende Ringe... in zitternde Florkringel dann... und verwehen. Vor'm Fenster fingen die Amseln.

Wieder Schweigen. Vom Bett und von Sofa her ziehen in

"

Einen Wunsch hätt' ich!" redet der Lange in die Stille. Auf Sommers Flügeln zum Tode weh'n, gelt, armseliges Dichterwrad?"

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Nee, daß meine letzte Habe, meine Zigarre, dieselbe Eigenschaft befäße, wie der Witwe Delfrüglein."

Verrückt und doch vernünftig!" Der Seff springt auf seine Säbelbeine, daß das alte wurmstichige Sofa ächzt und knarrt.

" Du," sagt er, und sein schmurrbärtiges Knochengesicht guckt nach dem phlegmatisch Liegenden hinüber, wenn Dein Geist Deiner törperlänge entspräche, könntest Du mir jetzt fünfzig Pfennige

pumpen."

" Wenn ich die Hälfte befäße, würd' ich Dir einen indischen Bauchtanz gratis vorführen und Dir obendrein' nen Doppelkümmel fredenzen!" fangt und lutscht an seinem Stummel, der mit beängstigender Seff zieht die breite Höckerstirn in nachdenkliche Falten und Schnelle kürzer wird.

Doch, doch, Herr Amtsrichter!" entgegnete Gottlieb mit Dann beginnt er zu deklamieren: Auch in der tiefsten Not einem eigentümlichen Nachdruck. Es ist wegen der Marie." hält sich das Menschenherz an schwachen Troft! Wieviel Erbtanten Der Amtsrichter blickte ihn scharf an und seine außer haste, Edi?" ordentliche Blässe, sein unheimliches Auge bemerkend, überkam" Ich hab' Dir's zwar heut schon dreimal gesagt. Zuviel is ih: der Gedanke, daß das Unglück, vielleicht der Sturz, von gegen die Abmachung," redet der Lange faul vom Bett her, aber dem er bereits gestern gehört, Gottliebs Berstand verwirrt wenn's Dir den Datterich vorübergehend aus den Knien nimmt, hätte. Er sagte deshalb. mit dem Tone der Beschwichtigung: dann war's Reden nicht überflüssig. Lausch mit Andacht, Proletarier: " Ach, wegen der Marie! Aber Sie sehen, Nehring, daß ich Ich befize vier effektive Erbtanten, alle vier die sechzig... dreie lebig. jetzt feine Zeit habe. Kommen Sie in einer Stunde wieder." Stopfnickend fährt Seff mit ernster Miene fort: Eine ist finder Gottlieb schüttelte den Kopf. Ich kann nicht wieder- los verheiratet; ihr Mann ist ein hoher Siebziger und leidet seit kommen," sagte er mit einem seltsamen Lächeln. Wohin ich Jahren an Asthma!" von hier gehe, von da fommt feiner wieder, Herr Amtsrichter. Und also, Herr Amtsrichter," fuhr er fort, die Marie ist tot, das Kind ist tot und ich bin ein ruinierter Mensch. Und es steht geschrieben:" Auge um Auge, Bahn um Zahn!" Das ist die Rechnung!"

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Nehring!" rief der Amtsrichter, indem er von seinem Size aufsprang und die Hand nach der Klingelschnur über seinem Tische ausstreckte. Jedoch bevor er diese erfassen fonnte, erfolgte ein Blitz, ein Knall, und blutend, zum Tode getroffen, stürzte er vornüber auf den Tisch. Regine fuhr mit einem Schrei des Entsetzens zurück. Fried, der den Revolver hatte blinken sehen, aber das Abfeuern desselben wegen seiner Frau nicht hatte verhindern fönnen, warf sich auf Gottlieb. Dieser aber schlug ihm mit dem Gewehr, das er noch in der Hand hielt, in das Gesicht, daß er blutend zurüdtaumelte. Dem Schreiber, der Fried zu Hülfe eilte, erging es nicht besser. Auch den Amtsboten, der schnell hereinstürzte, von anderen Leuten gefolgt, die den Stnall ge­hört hatten, stieß er mit riesiger Kraft zurüd. Dann warf er die Waffe fort und rief:

Narren, die Ihr seid! Denkt Ihr, ich werd' fort Taufen? Ruft den Schließer, fag' ich; aber binden laß ich mich nicht. Ich bin fertig. Auge um Auge, Zahn um 3ahn! Gr bat es remont."

Wahr gesprochen!" schließt Edi die Rede würdig ab. Sinnendes Schweigen. Dann zwei... drei Schritte vor der Tür: es klopft.

vom Bett. In seinen braunen Jungenaugen ist das Erstaunen auf­Mit den beiden langen Schlenterbeinen zugleich springt der Edi geazudt, und das magere, bartlose Gesicht mit der stets tagfrohen Farbe legt sich in harrende Falten.

" Hat's geflopft?" fragt er, als sei ein Wunder geschehen. " Herein!" sagt der Seff gleichmütig.

Die Tür geht, und die magere, schmale Gestalt eines kleinen Mannes schiebt sich herein: Der Hausherr und Wirt Zum zahmen Biegenbock" nimmt zuerst gewohnheitsmäßig die buntgestickte Haus­irgendwo, so hierdie Ehrerbietung nicht am Blaze iſt. Er stülpt tappe von der Glaze. Sofort aber besinnt er sich, daß das Käppchen wieder auf. Sein pfiffiggelbes Gesicht befieht sich die beiden, und diese besehen ihn.

Roch keene Arbeit nich?" fragt er dann.

wenn

" Nee 1" topfschüttelt der lange Edi, auf'm Arbeitsamt haben sie uns abgewiesen. Verliederte Studenten seien zu nig zu ge brauchen, nich mal als Straßenfehrer. Ueberhaupt gäb's zu viel arbeitsloje Familienbäter. Die Ledigen könnten besser hungern, die hätten noch junge Magen und tröstende Illusionen." Der fleine Hauswirt gudt mit seinen listigen Aeugelchen von der Seite. Wenn Se aber mal," sagt er dann, und se brauchen' n Prä­fendent von'n Lügenverein, da melden Sie sich bloß, da kriegen Se die Stelle!"