zu schärfen. Die Ausbeutung erzeugt Haß, Neid, feige Unter- würfigkeit, Vcrzweiflungswahn und Roheit." Die Ausbeutung hat die Arbeit entehrt." In Lumpen gehüllt, ein abgehärmtes Weib, mit dürren. schwieligen Händen, gebücktem Rücken, aufgelöst das dünne Haar, geht die Arbeit durch die Straßen. und das Leben, geschminkt und aufgeputzt, rollt auf Gummirädern an ihr vorbei und steht sie verächtlich über die Achsel an. In den Palästen hetzt man sie mit den Hunden, in den bürgerlichen Häusern schließt man vor ihr die Türen zu; man weift sie zurück, man stößt sie weg. man jagt sie hinaus zu den Armen, in den Schmutz der Vorstädte, wo Nässe und Kälte herrschen." Ausbeutung, Klassenscheidung, Klassenherrschaft haben uns mit uns selbst verfeindet, unsere sozialen Begriffe und Vorstellungen entzweit, verwirrt, entstellt. Wie die Irren tollen wir uns in dieser Welt herum. Wir erkennen uns nicht gegenseitig. Wir steigen einander über die Köpfe. Seht da diesen: er ist auf den Ofen geklettert, beklebt sich den Rock mit bunten Fetzen, setzt den Fcderbusch auf und läßt sich militärisch grüßen? Wir bearbeiten uns mit Messern, jagen uns gegenseitig Bleikugeln ins Fleisch, erfinden Geschosse, die über zwanzig Kilometer weit reichen, um uns gegenseitig auf diese Entfernung verwunden zu können. Wir werfen unser Hab und Gut zum Fenster hinaus, wir stürzen es in die Meereswogen. Wir schaffen unendliche Reichtümer; und alles, was wir geschaffen haben, tragen wir zusammen, häufen es zu Bergen auf, die bis an die Wolken reichen; ganz oben legen wir Steine aus Gold; darauf setzen wir einige aufgeblähte Kerlchens, die aus vollem Halse schreien:mein!" wir selbst aber, hungernd und frierend, bilden unten große Militärkordons, um uns selbst und der ganzen Welt den Zutritt zu den von uns erzeugten Reich- tümcrn, zu den Speisen und den Gewändern, zu verwehren. Und wenn man uns fragt:warum tut Ihr das?" so antworten wir:weil es uns hungert und friert!" Und wir bilden uns ein, die Menschheit werde nicht mehr arbeiten, wenn sie nicht mehr ausgebeutet wird." Man schaffe die Ausbeutung aus der Welt, und der Arbeiter kommt aus der Not, die Arbeit aus der Schande, die Menschheit aus dem Irrenhaus heraus." Die Befreiung der Arbeiter wird die Kultur von ihren Fesseln befreien. Tann wird es herrlich erstehen und erblühen, das menschliche Reich der Arbeit." Also dachte ich. Und noch mehr Zusammenhänge, Ver- flechtungen, Gegenüberstellungen kamen mir durch den Sinn. Wie die Fischlein im Wasser glitten sie aneinander, tauchten in die Tiefe, schössen pfeilschnell in die Höhe. Dann ordneten sie sich, wie eine Schar Vögel, die gegen Abend von den Feldern unter die Strohdächer des Torfes zurückkehrt. Und auch um mich wurde es Abend. Die Dämmerung zeigte sich. Sie schlich sich bei mir immer um etliche Stunden früher ein. als in der übrigen Welt. Sie hatte hier in der Festung ihre Diebeswinkel, wo sie sich sammelte, um von hier aus im dunklen Schatten die Stadt zu er- obern. Von weit her, über die Newa   hinweg, die unhörbar doch ich spürte sie an der Festungsmauer vorbeifloß, kamen die lang- gezogenen surrenden Pfiffe der Fabriken. Feierabend oder auch nur Schichtwechsel! Oh. wenn ich doch mit meinen Armen zugreifen dürfte arbeiten? einerlei, wie und unter welchen Verhältnissen! kleines fcuUlcton. Literarisches. Populäre Aufsätze und Vorträge von Professor Dr. Ernst v. Lehden.  (Deutsche Bücherei, Berlin  , 4 Bändchen je 30 Pf.) Der hervorragende Kliniker, geheimer Medizinalrat Lehden  , gibt in diesen Heften gleichsam einen Katechismus der Gesundheits- pflege. Es find Füriorgebücher und die Abhandlungen Über Kranken- kiichen, Armenkrankenpflege, Lungenentzündung, Schutzpockenimpfnng und so weiter keine gelehrten Dozentenvorträge, sondern aus er- probter Praxis heraus niedergeschriebene Ertahrungssätze. Aus jedem Thema leuchtet des Verfassers soziales Gewissei» hervor, eine einfache klare und präzise Form macht sie verständlich, ohne daß die Wissenschaft der Hygiene laienhast veräußerlicht wird. Pros. Lehden baut sein System der Volksgesundung ganz ailf die Ernährungstherapie auf; gut er- nähren und gut heilen ist ihm eins. Gut ernähren heißt aber nicht viel Nahrung, sondern richtige Nahrung aufnehmen. Der Laie darf diese gemeinverständlichen Vorträge als gewinnbringenden Leitfaden einer vernünftigen Volkshygiene betrachten. » Aus eine? Mannes Mädchenjahren von N. O. Body <G Ii st a V R i s ch e s Nachfl., Berlin  , 2.50 M., geb. 3,50 M.). Das Buch enthält die Aufzeichnungen eines Menschen, der als Knabe ge- boren und als Mädchen erzogen wurde. In einem Vorwort berichtet Rudolf Presber  , wie er selbst den an seinem Ge- schlecht Leidenden bestimmte, seine Lebensgcschichte nieder- zuschreiben. Daraus ist eine sexuelle Beichte geworden. Nicht künstlerisch mit Aesthetenraffinement gefügt, ober erfüllt von der Not eines Gequälte», den das Leben über sich selbst im Unklaren ließ, bis endlich, stärker als alles, sei» wahres Geschlecht fich nicht mehr in Mädchenkleider eiiizwängen ließ. Der Lebens- und Leidens- weg dieser Nora Body war eine Straße voller Dornen und Wirr- nifie hin zum Weibe, und eines Tages lehrte sie ein mächtiger Trieb erkennen, daß sie m Wahrheit ein Norbert Body fei. Diese Volk Schmerzen vollzogene Metamorphose schildert der Verfasser in schlichtem Freimut und seine Bekenntnisse unterscheiden sich von den spekulativen Aufzeichnungen modischer Perversitäten, die an- geblich der Menschheit helfen wollen, im Grunde aber nur pornographischen Gelüsten dienen, durch diskreten Takt und sittlichen Ernst. Literarische Oualitäten kommen dem Buche nicht zu, wie etwa dem Roman einer Ungenannten:Verbene Junkers Liebe", in dem die weibliche Homosexualiiät gleicherweise dichterisch wie fein» geistig behandelt wird. Ebenso dürften diese aufgezeichneten tragischen Sexual-Lyrismen kaum einen wichtigeren Beitrag zum Hermaphroditismus ergeben. Alles Wissenswerte über sexuelle Zwischenstufen findet sich ja viel typischer bei Krafft-Ebing  .' De  , hauptsächlichste Reiz des Buches, das sicher schon durch seine ge- schmacklos vulgäre Umschlagzeichnnng große Anziehungskraft aus- üben wird, besteht wohl nur im Autobiographischem Sprachwissenschaftliches. Die Lautverschiebung und anderes. Die Sprache der alten Inder trägt den Namen Sanskrit, d. h. die nnvergleich» liche. Selstverstäudlich waren es die Inder selbst, die ihr diesen Namen beigelegt haben, denn jedes Volk hält aus verzeihlicher Eitel» keit seine eigene Sprache immer für die beste. In dieser altindischen Sprache heißt das hochdeutsche Wort Bruder bbratar, wo das bh fich der Aussprache eines k nähert. Das nämlicbe männliche Wesen heißt im Griechischen sthrater, im Lateinischen   frater, im Gothischen, einer alten, jetzt untergegangenen germanischen Mundart, bratbar, im Althoch­deutschen pmoder, und im heutigen Englisch   brother. Das th in diesen Wörtern ist aber wie ein wirkliches tb zu sprechen, d. h. wie ein t und damit ein verschmolzenes kr. Diesen für uns Deutsche etwas schwierigen Lauten erhält man am ehesten, wenn die Zungen» spitze lose zwischen die beiden Zahnreihen steckt und etwas Luft hindurchbläst. Es hat große Aehnlichkeii mit dem Lispellant, den manche statt eines« sprechen. Nehmen wir zu diesen Sprachen noch die verbreitetste sladische Sprache, das Russische hinzu, in dem der Bruder bratu heißt (das u ist hier aber kaum hörbar und wird als bloßes Härtezeichen angesehen), so haben wir der Hauptsach« nach den sogenamiten indogermanischen Sprachenkreis in seinem ganzen Umfange. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen Sprachen nennt man die indogermanische Sprachwissenschaft. Es ist nicht schwer, selbst für den Laien nicht, zwischen ollen diesen Ausdrücken für Bruder eine gewisse Aehnlichkeit zu ent- decken, die darauf schließen läßt, daß allen diesen genannten Sprachen eine gemeinsame Ursprache zugrunde gelegen hat, eine Sprache, die in unvordenklicher Zeit von einem indogermanischen UrVolke gesprochen worden sein muß. Der Scharssinn der Gelehrten hat es dem, auch richtig zuwege gebracht, durch Anwendung der in den vorhandenen Sprachen bc- obachteten Gesetzmäßigkeiten diese indogermanische Ursprache der Haupt- sache nach wieder herzustellen. Die Hemmt dieser Ursprache und des Volkes, das sie gesprochen bat, ist bis jetzt noch nicht näher be- stimmt ivorden. Doch kann ste in nicht allzu großer Entfernung von Babylon gelegen haben, da das dekadische Zahlensystem(das Zählen nach Abteilungen von je 10) der Jndogermanen deutlich zeigt, daß es von den, Sexagesimalsystem(den. Zählen nach Ab- teilungen von SO usw.) der Babylonier beeinflußt worden ist. Um dem Leser einen Einblick in das Fach der indogermanischen Sprachwissenschaft tun zu lassen. möchte ich ihm eine der be- kannteslen Gesetzmäßigkeiten, die den Forscher zu ficheren Schlüssen bereckmgen, an dem eingangs erwähnten Beispiel vorführen. Rehmen   wir also das altindische bhratar, das ähnliche griechische und lateinische pbrater, frater, so begegnet uns dafür in dem engeren germanilchen Kreis das gotische Wort brotbar. Was sehen wir daran? Zunächst, daß das b von dem b oder p verschwunden ist und fich in enger Gemeinschaft mit dem t befindet, das dadurch zu dem oben gekennzeichneten Lispellaut geworden ist. Gehe» wir noch einen Schritt Weiler, zum Althochdeutschen. Dort begegnen wir dem Wort pnrocker und bemerken, daß das weiche b zum harten p und das gehauchte t zun, weichen d geworden ist. Nehmen wir das griechische und lateinische chortos resp. bortus, so lautet dies Wort im Gotischen �ards und im Althochdeutschen karto. Es bedeutet Gart en. Hier sehen wir an dem k-Laut sich dieselbe Aenderung vollziehe», wie in den» obigen Beispiel frater an dem p- und t-Laut. Diese drei Laute, also der p>, t- und k-Laut, heißen in der wissenschaftlichen Grammatik nmtas oder stumme Buchstaben. im Gegensatz zu den Halbvokalen!, m, n, r, a, die fich im wesentlichen in allen deutschen Mundarten und verwandten Sprachen gleich bleiben. Sind die mutae hart, lauten sie p, t» k. sind sie weich b. d, g, find sie gehaucht pb(t). th, cb. Nimmt der Leser sich jetzt einmal die Mühe, die beiden Wörter Bruder und Garten in den genannten drei oder vier Sprachen zu betrachten, so sieht er. daß der Uebcrgang vom gehauchten in den weichen und von da in de» harten Laut erfolgt. Diese Reihenfolge bleibt immer dieselbe. Denn nehmen wir einen weichen Laut, z.' B. das lateinische deot-is, so muß im Gotischen für das d ein t erscheinen. Und wirklich heißt das Wort hier tantbua und im Hochdeutschen treffen wir dafür das Worl Zahn an. wo z=ts für das für unser» Zunge unmögliche tb siebt.