Nnlerhattungsblatt des vorwärts Nr. 125. Dienstag, den 2. Juli. 1907 (RachdruS verboten.) Die Mutter.*) Roman Sott Maxim Gortt. Deutsch von Adolf Heß, E r st e r T e j l. L Jeden Tag zitterten und brüllten in der räucherigen, öligen Luft über der Arbeitervorstadt die Töne der Fabrik- dampfpfeife, und dem Ruf der Dampfkraft gehorchend, kamen aus den kleinen grauen Häusern mürrische Leute, die ihre Muskeln durch Schlaf nicht hatten erfrischen können, gleich erschreckten Schaben geschäftig auf die Straße gelaufen. In der kalten Dämmerung schritten sie auf der schmalen un- gepflasterten Straße zu den hohen Steinkäfigen der Fabrik, welche die Menschen mit gleichgültiger Zuversicht erwartete und ihren schmutzigen Weg durch Dutzende fetter, gelber, quadratförmiger Augen erleuchtete. Der Schmutz sappste unter den Füßen, als bedauere er spöttisch etwas. Schrille Rufe verschlafener Stimmen ertönten; hitziges, bösartiges Schimpfen durchschnitt die Luft, während dumpfe Töne: schwerer Maschinenlärm und unzufriedenes Knurren des Dampfes den Menschen entgegentönten. Mürrisch und streng schimmerten die hohen schwarzen Schornsteine, die gleich dicken Stöcken über der Vorstadt in die Höhe ragten. Abends, wenn die Sonne unterging und ihre roten Strahlen müde auf den Fensterscheiben der Häuser schim- werten, warf die Fabrik die Menschen gleich übriggebliebenen Schlacken aus ihrem Steinschoße aus, und sie schritten wieder die Straßen entlang, rauchgeschwärzt, mit schwarzen Ge- sichtern, in der Luft den klebrigen Geruch von Maschinenöl verbreitend, mit glänzenden, hungrigen Zähnen. Jetzt klang Lebhaftigkeit und sogar Freude aus ihren Stimmen für heute war die Zuchthausarbeit beendet, zu Hause harrten Abendessen und Erholung. Wieder war ein Tag von der Fabrik aufgezehrt, die Maschinen hatten aus den Muskeln der Menschen heraus- gezogen, was sie nötig hatten. Der Tag war spurlos aus dem Leben ausgelöscht, der Mensch hatte unmerklich wieder einen Schritt zum Grabe getan, aber er hatte jetzt den Genuß der Erholung, die Freuden der räucherigen Schenke dicht vor sich und war zufrieden. An Feiertagen schlief man bis zehn Uhr, dann zogen die Soliden und Verheirateten ihr bestes Kleid an und gingen zur Messe, indem sie unterwegs auf die Jugend wegen ihrer Gleichgültigkeit gegen die Kirche schimpften. Aus der Kirche kehrten sie nach Hause zurück, aßen Kuchen und legten sich wieder schlafen bis zum Abend. Die Jahre hindurch aufgehäufte Müdigkeit beraubte die Menschen des Appetits, und um essen zu können, tranken sie viel und reizten den geschwächten Magen mit scharf beizendem Branntwein. Abends schlenderten sie faul auf den Straßen, und wer Galoschen hatte, zog sie sogar dann an, wenn es trocken war, und wer einen Regenschirm besaß, trug ihn selbst dann, wenn die Sonne schien. Nicht jeder besitzt Galoschen und einen Schirm, wohl aber will jeder den anderen in irgend etwas übertreffen. Wenn sie einander begegneten, sprachen sie über die Fabrik, über die Maschinen, schimpften auf die Meister sprachen und dachten nur das, was ihnen nahe war und deutlich mit der Arbeit zusammenhing. Nur vereinzelte Funken un- geschickter, kraftloser Gedanken leuchteten in der langweiligen Oede der Tage auf. Nach Hause zurückgekehrt, zankten sie mit ibren Frauen und schlugen sie oft unbarmherzig. Die Jugend saß in den Wirtschaften oder veranstaltete abendliche Zusammenkünfte beieinander, spielte Harmonika , sang zotige, unschöne Lieder, tanzte, führte garstige Reden und trank. Von der Arbeit erschöpft, wurden die Menschen schnell betrunken, und in der Brust jedes einzelnen erwachte eine ganz unverständliche, krankhafte Erregung. Die forderte einen Ausweg. Sie griffen krampfhaft nach jeder Möglichkeit, *) Die russische Schutzausgabe ist im Verlage von I. Ladyschni» kolv, Berlin , erschienen. dieses Gefühl der Unruhe zu entladen, fielen wegen un» bedeutender Kleinigkeiten mit der fressenden Bosheit wilder Tiere über einander her. Da entstanden dann blutige Zänkereien. Bisweilen endeten sie mit schweren Verstiimme- lungen, selten mit Totschlägen. Im Verhalten der Leute gegen einander kam am meisten gerade dieses Gefühl lauernder Bosheit zum Vorschein, das ebenso eingewurzelt war, wie die unheilbare Müdigkeit der Muskeln. Die Leute wurden mit dieser krankhaften Er- regung geboren, sie war ihnen von ihren Vätern vererbt, be- gleitete sie wie ein Schatten bis zum Grabe und veranlaßt? sie im Leben zu einer Reihe von Handlungen, die durch ihre zwecklose Grausamkeit abscheulich waren. An Festtagen kam die Jugend sprtt nachts mit zer« rissener Kleidung, in Schmutz und Staub, mit zerschlagenen Gesichtern zu Hause an und prahlte bösartig mit Schlägen, die man den Freunden beigebracht; wenn sie aber ihrerseits von anderen gekränkt war, schrie sie zornig oder unter Tränen über die erlittene Schmach, betrunken und kläglich, unglücklich und abstoßend. Bisweilen geleiteten die Mütter und Väter die Burschen nach Hause. Sie hatten f?e irgendwo auf der: Straße oder in der Wirtschaft sinnlos betrunken angetroffen, schimpften sie unflätig, schlugen die weichen, durch Brannt» wein entkräfteten Kinderleiber, legtzen sie dann mehr oder minder sorgfältig schlafen, um sie frühmorgens, wenn das bösartige Brüllen der Fabrikpfeife als dunkler Strom durch die Luft floß, zur Arbeit zu wecken. Sie schimpften und schlugen die KUder aufs heftigste? gleichzeitig erschienen aber die Trunkenheit und das Gezänk der Jugend den Alten als eine ganz gesetzmäßige Tatsache- Als die Väter jung gewesen waren, hatten sie auch getrunken und sich geschlagen, und itzre Mütter und Väter hatten sie ebenfalls geprügelt. Das Leben war immer so es floß in einem trüben Strom gleichmäßig und langsam Jahr für Jahr dahin und wurde durch feste, uralte Gewohnheiten, Tag für; Tag ein und dasselbe zu tun und zu denken, zusammen- gehalten. Und es schien, als hätte niemand weder Zeit, noch den Wunsch, eine Aenderung zu versuchen. Manchmal kamen von irgendwoher fremde Leute in die Vorstadt. Zuerst lenkten sie die Aufmerksamkeit einfach da- durch auf sich, daß sie Fremde waren, dann erregten sie durch Erzählungen von den Stellen, an denen sie gearbeitet, ein leichtes äußeres Interesse für sich, schließlich aber ging der Reiz der Neuheit an ihnen verloren, man gewöhnte sich an sie, und sie wurden nicht weiter beachtet. Aus ihren Er- Zählungen ging hervor, daß das Leben des Arbeiters überall dasselbe sei. Wenn dem aber so war worüber sollte man sich dann unterhalten? Bisweilen erzählten aber einige von ihnen fremdartige, in der Vorstadt noch nicht gehörte Dinge. Mit diesen stritt man nicht, sondern hörte ihre seltsamen Reden ungläubig an. Die aber erweckten bei den einen blinden Zorn, bei den> anderen dumpfe Unruhe, die dritten endlich beunruhigte ein leiser Schimmer von Hoffnung auf etwas Unklares, und man begann reichlicher zu trinken, um die überflüssige, lästige Unruhe zu unterdrücken. Wenn die Vorstädter an einem Fremden etwas Un- gewohntes wahrgenommen hatten, konnten sie ihm das lange nicht vergessen, und ihr Verhalten gegen einen solchen Menschen, der ihnen nicht glich, war von ganz unverantwort- licher Furcht diktiert. Sie hatten gleichsam Angst, dieser Mensch würde in ihr Leben etwas hineintragen, was dessen trostlos einförmigen, zwar schweren, ab�e doch ruhigen Ver­lauf stören könnte. Die Menschen waren daran gewöhnt, daß das Leben sie mit stets gleicher Kraft niederdrückte, sie er- warteten keine Aenderung zum Besseren und glaubten, alle Veränderungen könnten nur den auf ihnen lastenden Druck vermehren. So zogen sich denn die Vorstädter vsn Leuten, die un­gewöhnliche Dinge sprachen, schweigend zurück. Dann ver- schwanden diese Leute wieder irgendwohin, oder wenn sie in der Fabrik blieben, lebten sie für sich, wenn sie nicht ver- standen, mit der einförmigen Masse der Vorstädter zu einem Ganzen zu verschmelzen.... Hatte man dieses Leben fünfzig Jahre lang gelebt so starb man.