Ilnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 126. Mittwoch, den 3. Juli. 1907 (Rachdruck verboten.) Li Die Mutter. Roman bon Maxim Gorki  . Deutsch von Adolf Hetz. Als sein Sohn vierzehn Jahre alt war, wollte Wlassow  ihn noch einmal bei den Haaren zausen. Pawel nahm aber einen schweren Hammer und sagte kurz: Rühr mich nicht an..." Was?" fragte der Vater und rückte an die hohe, schlanke Gestalt seines Sohnes heran, wie ein Schatten an eine Birke. Genug I" sagte Pawel,ich lasse mich nicht mehr..." Dabei riß er die Augen weit aus und schwang den Hammer. Der Vater sah ihn an, barg seine zottigen Hände auf dem Rücken und meinte lächelnd: Schön..." Dann atmete er schwer und fügte hinzu: Ach. Du Pack.. Bald darauf sagte er zu seiner Frau: Geld verlang von mir nicht mehr.,. Pawel wird Dich ernähren...." Willst Du denn alles vertrinken?" wagte sein Weib ihn zu fragen. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und erklärte: Geht Dich nichts an, Pack! Ich leg' mir eine Geliebte zu...." Das tat er zwar nicht, den Sohn aber beachtete er von dieser Zeit an, fast zwei Jahre lang, bis zu seinem Tode nicht mehr und sprach nicht mit ihm. Er hatte einen Hund, der ebenso groß und zottig wie er selbst war. Der begleitete ihn jeden Tag nach der Fabrik und wartete jeden Abend auf ihn am Tor. An Feiertagen machte Wlassow   sich auf, um die Wirtschaften zu besuchen. Er ging schweigend und durchbohrte mit seinen Augen die Gesichter der Vorübergehenden. Und der Hund lief den ganzen Tag mit herabhängendem, großen, dicht behaarten Schweif hinter ihm her. Kehrte Wlassow   dann betrunken nach Hause zurück, so setzte er sich zum Abendessen hin und fütterte den Hund aus seiner Schüssel. Er schlug ihn nicht, schalt ihn nicht und streichelte ihn niemals. Nach dem Abendessen warf er das Geschirr vom Tisch auf den Fußboden, wenn seine Frau es nicht bei Zeiten weggeräumt hatte, stellte eine Flasche Schnaps vor sich hin. lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und heulte mit dumpfer, das Herz schwer machender Stimme ein Lied, wobei er den Mund weit aufriß und die Augen schloß. Die klagenden, unschönen Töne verhedderten sich in seinem Schnurrbart und schleuderten Brotkrumen aus den Haaren, der Schlosser aber strich mit seinen dicken Fingern den Bart zurecht und sang. Die Worte des Liedes waren ganz unverständlich und lang gedehnt; die Melodie erinnerte an Wolfsgeheul im Winter. Er sang so lange, wie in der Flasche noch Schnaps war, dann ließ er sich auf die Bank fallen oder legte den Kopf auf den Tisch und schlief, bis die Fabrikpfeife ertönte. Der Hund lag neben ihm. Er starb an einem Bruch und hatte einen schweren Todes- kämpf- Fünf Tage lang wälzte er sich, ganz schwarz, im Bett hin und her, hatte die Augen fest geschlossen und knirschte mit den Zähnen. Bisweilen sagte er zu seiner Frau: Gib mir Arsenik  ... Vergift' mich..." Sie holte einen Doktor, der verordnete Michail heiße Umschläge, sagte aber, eine Operation sei unumgänglich, und man müsse den Kranken noch heute ins Krankenhaus schaffen. Geh zum Teufel... Ich kann allein sterben... Pack!" sagte Michail. Als aber der Doktor fortgegangen war, und sein Weib unter Tränen auf ihn einzureden begann, daß er die Ope- ration zuließe, ballte er die Faust und drohte: Untersteh' Dich nicht... Werde ich gesund hast Du ja darunter zu leiden!" Er starb nkorgens in dem Augenblick, als die Dampf- pfeife zur Arbeit rief. Im Sarg lag er mit offenein Munde, die Brauen aber waren böse gerunzelt. Es begruben ihn seine Frau, sein Sohn, sein Hund, der alte Trunkenbold und Dieb Danilo Wjessowschtschikow, der von der Fabrik fort- gejagt war und ein paar Bettler aus der Vorstadt. Seine Frau weinte leise und wenig, Pawel weinte nicht. Die Vor- städter, die auf der Straße dem Sarge   begegneten, blieben stehen, bekreuzigten sich und sagten zueinander: «Na, die Pelagea kann sich freuen, daß er gestorben ist..." Einige verbesserten: Der ist nicht gestorben, sondern verreckt.. Als der Sarg eingescharrt war, gingen die Menschen fort, der Hund aber blieb da, setzte sich auf die frische Erde und schnupperte lange schweigend an dem Grabe herum. Einige Tage darauf schlug ihn jemand tot... III. Vierzehn Tage nach dem Tode des Vaters kam Pawel Wlassow Sonntags stark betrunken nach Hause. Er glitt taumelnd auf den Ehrenplatz, schlug mit der Faust auf den Tisch, wie es der Vater getan und rief nach der Mutter. Abendessen!..." Die Mutter setzte sich neben ihren Sohn, umarmte ihn und zog seinen Kopf an ihre Brust. Er stemmte die Hand gegen ihre Schulter, leistete Widerstand und schrie Mutter... flink!..." Du Närrchenl" sagte die Mutter traurig und freundlich, seinen Widerstand überwindend. Ich will auch rauchen... Gib mir Vaters Pfeife...* brummte Pawel mit schwerer Zunge. Er hatte sich zum ersten Mal betrunken. Der Brannt« wein hatte seinen Körper geschwächt, sein Bewußtsein aber nicht ausgelöscht, und in seinem Kopf hämmerte die Frage: Bin ich betrunken?... betrunken?..." Die Zärtlichkeit der Mutter machte ihn verwirrt und der Kummer in ihren Augen rührte ihn. Er wollte weinen, und um diesen Wunsch zu unterdrücken, bemühte er sich, sich noch betrunkener zu stellen, als er tatsächlich war. Die Mutter aber streichelte sein schweißiges, wirres Haar und sagte leise: Solltest das nicht tun..." Ihm wurde übel. Nach einem heftigen Brechanfall legte die Mutter ihn zu Bett, und bedeckte seine blasse Stirn mit einem nassen Handtuch. Er wurde etwas ernüchtert, aber unter ihm und um ihn herum drehte sich alles im Kreise, seine Augenlider wurden schwer, im Munde spürte er einen abscheulich bitteren Geschmack. Er blickte durch die Lider auf das große Gesicht der Mutter und dachte verworren: ..Ist offenbar noch zu früh für mich... Die anderen trinken, denen macht es nichts aus... Mir aber wird übel..." Irgendwo aus weiter Ferne drang die weiche Stimme der Mutter zu ihm hin: Was wirst Du mir für ein Ernährer, wenn Du zu trinken anfängst..." Er schloß die Augen fest und sagte: Alle trinken..." Die Mutter seufzte schwer. Er hatte recht. Sie wußten daß den Leuten außerhalb der Schenke keine Freuden blühten, daß andere Genüsse als der Schnaps für sie nicht existierten. Trotzdem sagte sie: Du mußt aber nicht trinken! Für Dich hat der Batet schon genug getrunken... Und hat mich gerade genug ge- quält... wirst Du denn mit Deiner Mutter kein Mitleid haben?" Als Pawel die traurigen, weichen Worte hörte, dachte er daran, daß die Mutter zu Lebzeiten des Vaters ganz un- bemerkt und schweigend im Hause gewaltet und stets in Un- ruhe und Furcht vor Schlägen gelebt hatte. Pawel hatte in der letzten Zeit ein Zusammentreffen mit dem Vater ver- mieden, war wenig im Hause gewesen und dadurch der Mutter entfremdet: als er jetzt allmählich nüchtern wurde, blickte er sie unverwandt an. Sie war groß, etwas gekrümmt, und ihre gedrückte, von langer Arbeit und Schlägen des Gatten ausgemergelte Ge- stalt bewegte sich lautlos, etwas schief vorwärts, als fürchtete sie stets, an etwas anzustoßen. Ihr breites, ovales, von Runzeln durchfurchtes, aufgedunsenes Gesicht wurde von dunklen, unruhig traurigen Augen wie bei den meisten