Anterhaltnngsblatt des vorwärtsNr. 136.Mittwoch, den 17. Juli.1907(Nachdnlck verböte».)i2]Die JVIutter»Roman von Maxim Gorki. Deutsch von Adolf Heh.„Nachodka, bist Du wegen politischer Verbrechen schon inUntersuchung gewesen?" fragte der Offizier.„Ja. in Rostow und in Saratow.. � Aber dieGendarmen haben mich dort„Sie" genannt..Der Offizier blinzelte mit dem rechten Auge, rieb esund meinte, seine kleinen Zähne zeigend:„Ist Ihnen— ich sage Ihnen— Nachodka bekannt,welche frechen Burschen in der Fabrik die verbrecherischen Auf-rufe und Bücher verbreiten?"Der Kleinrrisse schaukelte auf seinen Beinen und wolltemit breitem Lächeln etwas sagen, aber wieder klang in ver-haltenem Zorn Nikolais Stimme:„Freche Burschen sehen wir hier zum ersten Male..."Dann herrschte Schweigen; alle blieben einen Augenblickunbeweglich.Die Schramme im Gesicht der Mutter wurde blaß, undihre rechte Braue glitt in die Höhe. Nybins schwarzer Bartzitterte sonderbar, er erhob die Hand, senkte den Blick undkraute sich langsam den Bart.„Führen Sie das Vieh hinaus?" sagte der Offizier.Zwei Gendarmen faßten Nikolai unter die Arme undstießen ihn roh in die Küche. Dort machte er Halt, stemmtedie Füße fest gegen den Boden und rief:„Halt... Ich will mich ankleiden?"Vom Hofe erschien der Polizeioffizier und sagte:„Ist nichts da. haben alles nachgesehen!"„Nun, natürlich!" rief der Offizier lächelnd.„Das habeich ja gewußt! Der Kerl ist ein schlauer Fuchs...Natürlich!"Als die Mutter seine schwache, zitternde, spröde Stimmehörte und voll Furcht in sein gelbes Gesicht blickte, fühlte sie,daß dieser Mann ihr Feind, ihr unversöhnlicher Feind vollMenschcnverachwng sei. Sie hatte auch früher wenig solcheLeute gesehen und jetzt fast vergessen, daß sie existierten.„Das sind also die Menschen, denen Pawel und seineFreunde zu Leibe wollen!" dachte sie.„Unehelich geborener Andrej Onissimow Nachodka, ichverhafte Sie!"„Weshalb?" fragte der Klcinrusse ruhig.„Das werde ich Ihnen später sagen!" ettviderte derOffizier mit schadenfroher Höflichkeit. Dann wandte er sichzu Frau Wlassow und schrie sie an;„Kannst Du schreiben?"„Nein!" erwiderte Pawel.„Dich frage ich nicht!" sagte der Offizier strenge undfragte noch einmal:„Alte, antworte? Kannst Du schreiben?"Die Mutter gab unwillkürlich ihrem Haß gegen diesenMenschen nach: ihr ganzer Leib zitterte plötzlich, als sei siein kaltes Wasser gesprungen, sie richtete sich auf ihre Narbewurde purpurrot, und die Augenbraue senkte sich tief herab.„Schrei'n Sie doch nicht!" begann sie und streckte die Handgegen ihn aus.„Sie sind noch ein junger Mensch.,. habennoch keinen Kummer kennen gelernt."„Beruhige Dich, Mutter!" suchte Pawel sie zu hindern.„Hier heißt es, die Zähne zusammengebissen!" sagte derKlcinrusse.„Wart', Pawel!" rief die Mutter und stürzte zum Tisch.„Warum verhaltet Ihr den Mann?"„Das geht Euch nichts an... Still geschwiegen!" riefder Offizier aufstehend.„Führen Sie den ArrestantenWjessowschtschikow herein!"Er vertiefte sich in ein Aktenstück, das er dem Gesichtnäherte.Nikolai wurde hereingeführt,„Mütze ab!"� rief der Offizier, seine Lektüre unter-brechend.Rybin trat zu Fra» Wlassow, stieß sie gegen die Schulterund sagte leise:„Werd' nicht hitzig, Mutter..„Wie kann ich die Mütze abnehmen, wenn man mir dieArme festhält?" überschrie Nikolai das Verlesen des Protokolls.Der Offizier warf das Protokoll auf den Tisch.„Unterschreiben!"Die Mutter sah, wie alle das Protokoll unterschriebest,ihre Erregung legte sich, ihr Mut sank, und in ihre Augentraten ohnmächtige Tränen der Schmach! Solche Tränenhatte sie während der zwanzig Jahre ihrer Ehe geweint, dieletzten Jahre aber hatte sie ihren beißenden Geschmack ver-gessen. Der Offizier sah sie an und meinte mit verächtlichen?Gesichtsausdruck:'„Sie brüllen zu früh los, Madame? Passen Sie auf,später werden die Tränen vielleicht nicht reichen!"Sie wurde wieder böse und sagte:„Bei einer Mutter reichen die Tränen für alles-.. füralles! Wenn Sie eine Mutter haben— die wird das wissen,jawohl!"Der Offiziere legte die Papiere geschwind in ein neuesPortefeuille mit glänzendem Schloß.„Was die sich alles herausnehmen!" wandte er sich anden Polizeioffizier.„Frechheit!" murmelte der.„Marsch!" kommandierte der Offizier.„Auf Wiedersehen, Andrej, auf Wiedersehen, Nikolai!"sagte Pawel warm und leise und drückte den Kameraden dieHand.„Ganz richtig— auf Wiedersehen!" lachte der Offizierspöttisch.Wjessowschtschikow drückte mit seinen kurzen Fingernschweigend die Hand und schnob laut. Sein dicker Hals warblutunterlaufen, seine Augen funkelten hart. Der Kleinrusselächelte, schüttelte den Kopf und sagte der Mutter etwas; diebekreuzigte ihn und antwortete:„Gott sieht die Gerechten!..Endlich schoben die Leute in grauen Mänteln in den Flur.klirrten dort eine Weile mit den Sporen und verschwanden.Als letzter ging Rybin hinaus: er maß Pawel mit einem auf-merksamen Blick und sagte nachdenklich:„Nun... Lebt wohl!"Dann hustete er in seinen Bart und trat langsam inden Flur.Pawel ging mit auf dem Rücken verschränkten Händenlangsam im Zimmer auf und ab, wobei er über die Bücherund Wäsche, die auf dem Fußboden lagen, hinwegtrat, undsagte mürrisch:„Siehst Du, wie es gemacht wird?..» Mich hat manhiergelassen."Die Mutter blickte ratlos in dem unordentlichen Zimmerumher und flüsterte bekümmert:„Warum ist Nikolai grob gegen ihn geworden?"..,„Er hat Furcht bekommen..." sagte Pawel leise.... mit denen kann man nicht reden!..."„Kommen herein, nehmen einen fest und führen ihnfort..." murmelte die Mutter händeringend.Der Sohn blieb zu Hause, ihr Herz schlug ruhiger, abervor ihren Gedanken stand die unabwendbare Tatsache, die sienicht begreifen konnte:„Was will der gelbe Kerl mit seinen Drohungen?..."„Schon gut, Mutter!" sagte Pawel plötzlich entschlossen.„Laß nur. Wollen jetzt das Zimmer aufräumen..."Sie bewegte sich zu ihm, blickte in sein Gesicht und fragteleise:„Haben sie Dich gekränkt?"„Ja," erwiderte er.„Es ist ekechaft-.. und schwerzu ertragen! Hätten sie mich doch auch mitgenommen..."Es schien ihr, als wenn in seinen Augen Tränen ständen:sie empfand seinen Schmerz, wollte ihn trösten und sagte miteinem Seufzer:„Wart' nur... Sie werden auch Dich holen!..„Das werden sie!" erwiderte er.Nach kurzem Schweigen meinte die Mutter traurig:„Ach Pawel, wie bist Du streng! Wenn Du mich nuretlvaS trösten wolltest..."Er sah sie an, trat zu ihr und meinte leise:'„Ja