Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 141.
17]
Die Mutter.
Mittwoch, den 24. Juli.
( Nachdrud verboten.)
Roman von Magim Gorki. Deutsch von Adolf Heß. Und plöglich begann er leise:
-
Ich bin jung und schwach... das ist es. Sie haben mir nicht geglaubt, sind meiner Wahrheit nicht gefolgt das heißt, ich habe nicht verstanden, sie ihnen mitzuteilen... Wenn ich über die Wahrheit nachdenke, entbrennt mein Herz und sie steht hell und stark vor mir aber ich habe sie den Menschen nicht in ihrer ganzen Kraft, in ihrem ganzen Feuer zu zeigen vermocht... und nun ist mir als hätte ich etwas berloren mir ist so schlecht.. Ich schäme mich so..." Sie blickte in sein finsteres Gesicht, bemühte sich, seine Worte zu verstehen, aber das gelang ihr nicht. Sie wünschte, ihn über seinen Verlust zu trösten und sagte leise:
-
Wart' nur... zerreiß' Dir nicht das Herz... Haben fie Dich heute nicht verstanden, werden sie es morgen schon
tun
"
Ja, sie müssen mich verstehn!" rief er fest.
Seh' doch ich sogar Deine Wahrheit ein..." Pawel trat dicht an sie heran.
Du bist so gut... Mutter!"
Er wandte sich von ihr weg. Sie zitterte, als hätten seine leisen Worte sie versengt, preßte die Hand gegen das Herz und ging mit seiner Liebkosung vorsichtig hinaus.
Nachts, als die Mutter schon schlief und er im Bette las, erschienen Gendarmen und begannen wütend überall, auf dem Hofe und auf dem Boden, herumzustöbern. Der Offizier mit dem gelben Gesicht benahm sich ebenso wie das erste Mal beleidigend, höhnisch; er fand Vergnügen daran, die Leute zu verspotten, fie ins Herz zu treffen. Die Mutter saß schweigend in der Ecke und verwandte kein Auge vom Gesicht ihres Sohnes. Der bemühte sich, seine Erregung nicht zu zeigen; wenn aber der Offizier lachte, bewegten sich seine Finger sonderbar hin und her, und sie fühlte, daß es ihm schwer wurde, den Gendarmen nicht zu antworten, schwer, seine Späße zu ertragen. Ihr war jest nicht mehr so schrecklich zumute wie bei der ersten Haussuchung; sie empfand mehr Haß gegen diese grauen, gespornten Nachtgäste, und dieser Haß verschlang ihre Unruhe.
Pawel vermochte ihr zuzuflüstern: ,, Sie bringen mich fort..
Sie neigte den Kopf und antwortete leise: „ Ich verstehe
Sie verstand man würde ihn, weil er heute zu den Arbeitern gesprochen, ins Gefängnis werfen. Aber dem, was er gesagt hatte, stimmten alle bei, also mußten alle für ihn eintreten; da konnte man ihn nicht lange festhalten.
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1907
mit
graue Gestalten vorsichtig um das Haus schlichen breiten roten Gesichtern, ohne Augen und mit langen Händen dahin schritten und leise mit den Sporen klirrten.
,, Hätten sie mich doch mitgenommen..." dachte sie. Dann heulte die Fabrikpfeife und forderte die Menschen zur Arbeit. Heute heulte sie tief, dumpf und unsicher. Die Tür ging auf, Rybin trat ein. Er pflanzte sich vor ihr auf, wischte mit der flachen Hand die Regentropfen aus seinem Bart und fragte:
Haben sie ihn abgeführt?"
Ja, die Verfluchten!" erwiderte sie seufzend.
" Ist das eine Geschichte!" sagte Rybin, das Gesicht ver ziehend. Bei mir haben sie Haussuchung gehalten, alles beschnüffelt, mich geschimpft Nun, das hat mich nicht gekränkt... Pawel haben sie also abgeführt! Der Direktor winkt, der Gendarm nickt und weg ist der Mensch. Die verstehen sich. Die einen melken das Volk, die andern halter es an den Hörnern."
" Ihr solltet für Pawel eintreten!" rief die Mutter auf stehend. Er hat sich doch für alle geopfert."
,, Wer soll eintreten?" fragte Rybin.
„ Alle!"
,, Ach Du! Nein, das gibts nicht... Die andern haben jahrtausendelang Kräfte gesammelt... sie haben uns Nägel ins Herz getrieben... da können wir uns nicht sofort zusammentun. Wir müssen zuerst gegenseitig die eisernen Splitter herausziehen... die Splitter, die uns hindern, uns dicht mit dem Herzen aneinander zu schließen
"
Dabei lächelte er und ging schwerfällig fort, nachdem er den Kummer der Mutter durch seine mürrischen, hoffnungslosen Worte noch vergrößert hatte. fie
"
Wenn sie nun die Gefangenen schlagen
"
foltern Sie stellte sich den Leib ihres Sohnes zerschlagen, zerrissen, blutbefleckt vor, und Angst legte sich wie ein Eisblock auf ihre Brust und erdrückte sie. Die Augen schmerzten. Sie heizte nicht ein, kochte sich kein Mittagessen und trank feinen Tee. Erst spät abends aß sie ein Stück Brot. Und als sie sich schlafen legte, dachte sie, daß ihr Leben noch niemals so voller Kränkung und so einsam und öde gewesen wäre wie jest. Sie hatte sich in den letzten Jahren daran gewöhnt, beständig etwas Wichtiges, Gutes zu erwarten. Um sie herum bewegte sich geräuschvoll und mutig die Jugend, und vor ihr stand stets das ernste Gesicht ihres Sohnes, der dieses unruhige aber schöne Leben geschaffen... Und jetzt war er nicht mehr da, und alles war aus.
Der Tag verging langsam, es folgte eine schlaflose Nacht und ein noch längerer Tag. Sie erwartete jemanden, aber es erschien niemand. Der Abend brach an. Und die Nacht. An der Wand rauschte und schurrte falter Regen, im SchornSie wollte ihn umarmen, ihn beweinen, aber daneben stein sang es, und unter dem Fußboden bewegte sich etwas hin und her. Vom Dach tropfte Wasser, und dessen trauriger stand der Offizier und blickte sie mit schadenfrohem Blinzeln Klang vereinigte sich mit dem Ticken der Uhr zu einem sonderan. Seine Lippen zitterten, der Schnurrbart bewegte sichbaren Geräusch. Es war, als wenn das ganze Haus leise Frau Wlassow hatte die Empfindung, daß dieser Mensch auf schwankte und als wenn alles ringsum überflüssig wäre und ihre Tränen, ihr Jammern und ihr Bitten lauerte. Da nahm in Gram erstarb... fie ihre ganze Kraft zusammen, bemühte sich, wenig zu sprechen, drückte ihrem Sohne die Hand und sagte, den Atem anhaltend, Teise:
Auf Wiedersehen, Pawel... Hast Du alles Notwendige mitgenommen?"
a. Gräm' Dich nicht Christus behüte Dich
Als man ihn fortgeführt, setzte sie sich auf die Bank, bedeckte die Augen und schluchzte leise. Mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, wie einst ihr Gatte, wimmerte sie vor Gram und im wehen Gefühl ihrer Ohnmacht, mit zurückgeworfenen Kopf lange Zeit leise und eintönig, und ließ in diesem Wimmern ihren Schmerz ausströmen. Vor ihr stand als ein unbeweglicher Fleck ein gelbes Geficht mit spärlichem Schnurrbart, und ein paar freche Augen blickten sie höhnisch an. In ihrer Brust ballten Erbitterung und Wut gegen die Menschen, die der Mutter ihren Sohn nahmen, weil dieser die Wahrheit suchte, sich zu einem schwarzen Knäuel zusammen. Es war falt, gegen die Scheiben Klopfte Regen, an den Wänden scharrte etwas, und es war, als wenn in der Nacht
XIV.
Leise wurde gegen das Fenster geklopft... einmal... noch einmal... Sie war an dieses Klopfen gewöhnt, es erschreckte sie schon nicht mehr, und jetzt zitterte fie und verspürte einen leichten, freudigen Stich im Herzen. Unklare Hoffnung brachte sie schnell auf die Beine. Sie warf ihren Shawl um die Schultern und öffnete die Tür.
Samoilow trat ein und hinter ihm noch jemand, dessen Gesicht durch den Rockfragen verdeckt, und dessen Müße in die Stirn geschoben war.
Wir haben Sie im Schlaf gestört?" fragte Samoilow ohne zu grüßen, gegen seine Gewohnheit besorgt und finster. Ich habe nicht geschlafen!" erwiderte sie und ließ ihre Augen schweigend und forschend auf ihnen ruhen.
Samoilows Begleiter nahm schwer und laut atmend die Müße ab, streckte der Mutter seine breite Hand mit kurzen Fingern entgegen und sagte im Baß, freundschaftlich wie ein alter Bekannter:
.Guten Abends Haben Sie mich nicht erkannt?"