' Eine große Anlockung für die Besucher der Ausstellung bietet die Vorführung einiger Experimente mit flüssiger Luft. welche von der Markt- und Kühlhallen-Gesellschaft geliefert wird. Die Tarstellung flüssiger Luft gehört nicht zu den allerjüngsten Erfindungen, aber die uns umgebende Luft in flüssigem Zustande zu erblicken, gewährt doch stets ein eigenes Interesse, wozu noch kommt, daß in der flüssigen Luft und durch ihre Einwirkung die meisten Gegenstände ihre Eigenschaften in merkwürdigster Weise verändern. Das Mittel, die Luft flüssig zu machen, ist dasselbe wie bei allen anderen Gasen, die Wärmeentziehung. Nur mutz bei der Verflüssigung der Luft die Wärmeentziehung sehr viel weiter getrieben werden, nicht weniger als 194 Grad Kälte mutz herrschen, wenn die Luft sich in tropfbarem Zustande niederschlagen soll. Die Methoden dieser außerordentlichen Temperatur- erniedrigung werden nicht vorgeführt. Die flüssige Luft hält sich nur ganz kurze Zeit in diesem Zu- stände, wenn sie nicht ganz besonders gegen Wärmezufuhr geschützt wird. Sie wird deshalb in doppelwandigen, mit poliertem Silber belegten Gefäßen aufbewahrt, bei denen der Zwischenraum zwischen den Wandungen luftleer gepumpt ist. In diesen von dem eng- lischen Physiker D e w a r eingeführten Gefäßen kann die Luft 8 14 Tage lang in flüssigem Zustande aufbewahrt werden. Taucht man einen Gegenstand in die flüssige Luft, so wird er der tiefen Temperatur ausgesetzt, welche die Luft hat. Dadurch erstarren die meisten Gegenstände so vollkommen, daß sie hart, spröde und brüchig werden. Blumen und Blätter zersplittern wie Porzellan, Kautschuk wird so hart, daß es mit einem Lammer zer- schlagen werden kann. Im Grunde ist es übrigens nicht flüssige Luft, welche sich in den Gefäßen befindet, sondern flüssiger Sauer- stoff. Die Luft ist bekanntlich ein Gemenge aus Stickstoff und Sauerstoffs und so ist auch die flüssige Luft ein Gemenge von flüssigem Sauerstoff und flüssigem Stickstoff. Aus dieser Mischung verdampft aber der Stickstoff viel rascher als der Sauerstoff, so daß die Flüssigkeit, je länger sie steht, desto sauerstoffreicher wird. Der Sauerstoff ist derjenige Stoff, der für jede Verbrennung not- wendig ist, und so kann man mit dieser Flüssigkeit die herrlichsten Lichterscheinungen hervorrufen. Während Wasser, das über einen glimmenden Körper gegossen wird, diesen zum Verlöschen bringt, flammen glimmende Reste in hellstem Feuer und strahlendstem Lichte auf, sobald sie von dieser seltsamen Flüssigkeit getroffen werden. Einen starken Anreiz übt auch die Vorführung der Farben- Photographie aus. Gegenstände in ihren natürlichen Farben photographisch aufzunehmen sind viele Versuche gemacht worden, und es gibt verschiedene Systeme, durch welche das Problem in mehr oder minder vollkommener Weise gelöst wird. Die Lösung, die auf der Ausstellung vorgeführt wird, stammt bereits aus den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, in ihren Anfängen ist sie noch 39 Jahre älter, es ist die sogenannte Dreifarbenphoto- graphie. Hierbei werden von einem Gegenstande drei Photo- graphische Bilder bersmigt, wobei man dafür Sorge trägt, daß bei der Aufnahme jedes dieser Bilder nur Lichtstrahlen einer einzigen Grundfarbe wirksam werden. Diese Grundfarben sind rot, grün, blau. Man stellt also bei der Aufnahme je ein rotes, grünes, blaues Glas vor den Gegenstand, welche nur rotes, grünes oder blaues Licht durchlassen, und erhält so ein nur mit rotem, ein nur mit grünem und ein nur mit blauem Licht aufgenommenes Bild. Von diesen drei Bildern nimmt man dann Drucke aus ein und demselben Papier, wobei aber für die Anfertigung jedes Druckes wiederum das entsprechende farbige Glas benutzt wird. Durch das Zusammenwirken der verschiedenen Grundfarben entsteht dann wiederum der Eindruck der natürlichen Farbe. Bei der Vor- führung werden die Bilder von den Diapositiven auf einen Schirm projiziert, und zwar alle drei auf dieselbe Stelle. Der Beschauer steht dann das Bild in den prächtigsten Körperfarben. Freilich müssen die Bilder genau aufeinander passen; passen die Bilder nicht genau aufeinander, so entstehen die merkwürdigsten Farben- effekte und schlimmsten Verzerrungen. Unter den vielen zur Schaustellung gebrachten Gegenständen ist eine der instruktivsten die Nahrungsmittelaus- st e l l u n g des Gerichtschemikers Dr. I e s e r i ch. Eine Reihe von Nahrungsmitteln in den verschiedensten Preislagen stehen neben- einander auf den Tischen, und zwar in der Weise, daß auf einem Teller immer ein Quantum liegt, wie es im Kleinvcrkauf nach dem gegenwärtigen Marktpreis für etwa IS Pf. zu haben ist. Hinter jedem Teller stehen zwei Glaszylinder, in welchem die hauptsächlichsten in dem betreffenden Nahrungsmittel enthaltenen Stoffe ebenfalls sich befinden, und zwar genau in den Mengen, wie sie nach der chemischen Analyse das davor befindliche Stück des Nahrungsmittels enthält; in dem einen Zylinder befindet sich das Wasser und das Fett, in dem anderen das Eiweiß, die Kohlen- Hydrate und die Asche. Ein einziger Blick gestattet hier, bemerkcns- werte Vergleiche über den Wert der Nahrungsmittel zu ziehen. Man sieht z. B. wie man mit der Kartoffel neben den eigentlichen Nährstoffen doch auch einen nicht unbeträchtlichen Ballast von Wasser und Asche in sich aufnimmt, während sehr teure Nahrungs- mittel, wie z. B. Austern, fast nur Nahrungsmittel enthalten, die man allerdings auch sehr teuer bezahlen muß. Uebrigens wäre es nicht zu empfehlen, sich nur von Nährstoffen zu nähren. Der menschliche Mechanismus verlangt zur Verarbeitung auch etwas Ballast, damit die Organe sämtlich in guter Funktion bleiben; nur darf der Ballast nicht so groß sein, daß eine Sättigung ohne ge« nügende Ernährung eintritt. Noch manches Interessante bietet die Ausstellung, während auch manches fehlt, was man zu finden erwarten könnte; so ist die Feinmechanik, recht eigentlich ein Gebiet räumlich kleiner Er- sindungen, nur spärlich vertreten. Aber im ganzen betrachtet, bete, lohnt die Ausstellung wohl einen Besuch. B. B. l�lemes fcisUkton* Tie Rätsel eines Memoircnwerkes. Pierre Louys , der bekannte Autor des RomansAphrodite ", wird in der nächsten Zeit ein literarisches Kuriosum herausgeben, das nur in der kabbalistischen Literatur des Mittelalters Gegenstücke hat: ein 42bändiges Manuflript, das durch die Anwendung eines kam- plizierten Chriffrensystems unverständlich gemacht worden war. Es handelt sich um den Nachlaß des Architekten L e g r a n d, eines zu seinen Lebzeiten wenig bekannten Mannes, der man weiß nicht, wo und unter welchen Umständen ums Jahr 1878 ge­storben ist. Legrand kam in den letzten Jahren des Julikönigtums durch Frauengunst in einen sonst für Männer streng verschlossenen Kreis vornehmer Damen, die ihn um seiner verbürgten Diskretion willen zum Vertrauten ihrer intimsten Angelegenheiten machten. Einige der Damen waren Spanierinnen und mehrere gehörten hernach zur Hofgesellschaft Napoleons III. Legrand hat nun eine minutiös genaue Geschichte seines Lebens geschrieben, die indes weniger durch die Beschreibung seiner zahlreichen Erfolge beim weiblichen Geschlecht interessant ist, als durch die Menge bisher unbekannter historischer Dokumente, die er mitteilt. Daß seine Memoiren erst jetzt erscheinen werden, ist durch die Art ihrer Niederschrift begründet. Den ftanzösischen Bibliotheken war der Legrandsche Nachlaß schon lange bekannt. Er wanderte von einem Verleger zum anderen, aber niemand wußte etwas damit an- zusangen. Die Professoren der Schule für orientalische Svrachen, denen man ihn zur Entzifferung übergab, wendeten umsonst ihren Scharfsinn auf. Das Werk besteht aus 42 Bänden. Fünf davon haben Ledereinbände mit Ornamenten in Form von gotischen Fenstern und tragen auf dem Stücken spanische Titel wie:Dos Bngelcs"<Die Engel),Ona Mujer"(Eine Frau) usw., die keinen Zusammenhang mit dem Inhalt haben. Sic sind mit lateinischen Buchstaben geschrieben, denen aber der Schreiber die Form von türkischen zu. geben gestrebt hat. Der Text ist, so weit er verständlich ist, bald englisch, bald französisch oder spanisch. Die weiteren, gleichfalls in diesen Sprachen abgefaßten Bände zeigen Buchstaben, deren Form dem Sanskritalphabet angenähert ist. Auch sie sind mit einer ungemeinen Feinheit ausgeführt und mit Federzeichnungen aller Art geschmückt. Man findet darin Stadtpläne, Faksimiles von Handschriften, ja meisterhafte Nach- Zeichnungen von Postsicgcln, Gesandtschastsstempeln usw., aber alles mit einer Erklärung in Geheimschrift, die das Ganze bisher unbrauchbar machte. Pierre Louys , der das Manuskript zuletzt erworben hatte, fand fast durch einen Zufall den Schlägel zur Geheimschrift. In einem der Bände sah er einen Stadtplan, der ihm Neapel in der Mitte des 19. Jahrhunderts darzustellen schien. Da sich diese Vermutung bestätigte, folgerte er, daß die sechs Buch- stabcn unterhalb der Karte den chiffrierten Namen Neapel (Nepies) bedeuteten. Von diesem Grundsatze aus arbeitete er weiter und bald waren alle Rätsel gelöst und die Herausgabe er» möglicht. Das Werk enthält unter anderem eine umfangreiche Korrespondenz der Prinzessin Clementine, die in das intimste Familienleben Louis Philipps Einblick gewährt und eine Menge sensationeller Dokumente rUier die Kaiserin Eugenie und die anderen großen Damen des Kaisertums. Der allzu intime Charakter vieler Manuskripte schließt allerdings eine vollständige Wiedergabe fast aus. Literarisches. Ein schwedisches Urteil über FrenssenK Peter Moors Fahrt nach Südwestafrtka".Göte- borgs Handclstidning", das größte liberale Blatt Schwedens , bringt eine im allgemeinen lobende Kritik über Frenssens Kolonialcrzäh- lung, die kürzlich ins Schwedische übersetzt wurde. Daß aber Frenssen kein kräftiges Wort des Abschcus über die furchtbare Mcnschcnschlächterci in dem Weltteil der Schwarzen findet, er» scheint dem Kritiker sonderbar. Er schreibt u. a.: Gewiß, Frenssens Buch trägt den Charakter von Tagebuch- crinnerungen eines einzelnen deutschen Soldaten und fft in einer Sprache abgefaßt, die an Glaubhaftigkeit nicht viel zu wünschen übrig läßt. Aber man erwartete doch, des Dichters Stimme kräftig durchklingcn zu hören, als Peter Moor berichtet, wie der schwarze Feindeshaufen man bedenke wohl: während der äußerst ver- zweifelten Verteidigung seines annektierten Landes! immer weiter hinausgetrieben wird in die Wüste, einem qualvollen Tod entgegen. Alte, Frauen und Kinder verschmachtend hinter sich zurück- lassend. Man wartet vergebens. Gustav Frenssen hat nur Mitleid mit der deutschen Jugend, die durch die Kugeln der rechtmäßigen Besitzer des Landes fällt. Er denkt, seltsam genug, niost einen