Bieh und prahlen noch. Ist denn das schön, wenn man heute nichts tut als arbeiten und essen, und morgen wieder genau dasselbe, und so bis an sein Ende? Dazwischen werden dann Kinder geboren, anfangs freut man sich, aber sobald sie Appetit entwickeln, schimpft man:Ihr Vielfraße, wachst etwas schneller, Ihr müßt arbeiten!" Und möchte aus seinen Kindern am liebsten Haustiere machen... Aber die Kinder arbeiten bald für ihren eigenen Magen... und dann geht die Leier von neuem los! Nie zittert die Seele vor Freude, nie hat sie Gedanken, vor denen das Herz still steht. Die einen leben wie die Bettler erbitten sich alles, die anderen wie die Diebe reißen alles an sich. Man hat in Unmenge diebische Gesetze gegeben, Kerle mit Stöcken über die anderen gesetzt, ihnen gesagt: Hütet unsere Gesetze, sie sind bequem, sie lassen uns dem Menschen das Blut aussaugen! Zuerst be- drücken sie die Menschen äußerlich gibt einer aber nicht nach, so trichtern sie ihm Tinge ein, die seine Vernunft lähmen. Die Ellbogen auf den Tisch gestützt blickte er mit seinen nachdenklichen Äugen in das Gesicht der Mutter und sagte: Nur die sind Menschen, die Leib und Seele von ihren Ketten befreien... Und jetzt habt Ihr, so weit Eure Kraft reicht, mit diesem Werk begonnen." Wie kann ich das?" rief sie. Ganz einfach. Es geht dabei wie mit dem Regen: jeder Tropfen tränkt einen Samenkorn. Wenn Ihr noch lesen lernt..." Er lachte, stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Nein, lernt es nur... Wenn Pawel kommt was der dann für Augen machen wird?" Ach, Andrjuscha!" sagte die Mutter.Jungen Menschen erscheint alles einfach, wird man aber älter, so hat man viel Kummer und wenig Kraft und gar keinen Verstand mehr.. (Fortsetzung folgt.)

(Nachdruck verVoten.) UnsNng. Skizze von E. V e l y(Berlin ). L Nu biste aber fein!" sagt die Großmutter. Erna dreht sich in dem lveißen Wollkleidchen rund um, die Arme weit vom Leibe ge- spreizt. Ihr blonder Zopf baumelt auf den Rücken hinab, ein blaueS Bändchen ist hineingeflochten. Das rosige Gesicht strahlt. Muttchen, is auch wahr?" fragt sie. und sucht mit den lachenden, blauen Augen die blasse Frau, die am Fenster sitzt; Kartons und Blumenblätter und Stiele sind auf der Tischplatte gehäuft, zwischen denen hantieren ihre schlanken, behenden Finger. Sehr fein, mein Liebling I Und viel Vergnügen wirst Du heute haben. Grotzchen und ich werden an Dich denken I" Fa l" sagt die Siebenjährige,ich freu mich doch auch so!" Dann hebt sie sich auf die Fußspitze»:»Ob die andern auch solch schöne Kleider haben?" Muttchen hat auch die halbe Nacht gesessen, bis es fertig war." Die alte Frau ist mit dem Sortieren der Blumen beschäftigt, hält jetzt ein wenig inne, und guckt über die Brille.Und wemi sie das Kleid nich noch jehabt und verwahrt hätte" Ihre Tochter macht eine abwehrende Bewegung und preßt die Lippen aufeinander. Otti. ich seh Dich noch drin, frisch und hübsch und'nen Hut mit Rosen! Un mit'nein ganzen Arm voll Schilf und Blumen kamst Du nach Hause und legtest daS alles Vätern auf die Bett- decke. Es war seine letzte Freude. Am andern Morgen war er tot." Sie seufzt und sieht in dem Zimmer umher. Ein Sonnenstrahl läuft durch das schräg in der Wand fitzende Fenster, gerade noch der großen Photographie ihres Seligen hin. Die alten grünen, sauber gehaltenen Polstermöbel mit ihren zusammengezogenen Rissen ver­tragen die helle Beleuchtung nicht gut. Aber all der bunte, flinimernde Stoff, die Blätter nnd der Staubfädenkroin sehen frisch aus, wie auf Wiesen und in Gärten gepflückt und scheinen Leben zu gewinnen. Das krause Haar der kleinen Erna wird ganz goldig. Denn denn brach ja auch eine andere Zeit an," ein dumpfer Seufzer.Un für weiße Kleider und Putz hattest Du keinen Sinn mehr." Laß doch I" Gequält klingt es herüber. Na ja I lln denn in die Kiste und nie mehr in'n Grunewald . Aber nu kommt es doch wieder ans Licht; das is die Hauptsache! Un für Erna, unseni Augentrost I Jott, wenn das Kind nich dajewesen wäre, all die Jahre l" Das is die Hauptsache!" spricht die Kleine nach, und hupst von einem Bein auf das andere.Wir wer'n laufen und springen und Blumen pflücken und' sie ist an den Tisch der Mutter ge- treten,«ich bring Dir auch Blumen mit, Muttchen. ganz gewiß". Hab' hier ja so viele," sagt die mit einem wehmütigen Lächeln. Dann setzt Erna den Strohhut auf, der auch neues Band

bekommen hat, und faßt nach dem Täschchen, in dem die Nickel und das Taschenttich sind. Sie bietet erst der Großmutter das rosige Mündchen und schlingt dann die Arme um den Hals der Mutter. Die läßt sich geduldig herunterziehen. Hier is mein Schnabel! Eins, zwei, drei!" sagt Erna. Die Mutter sieht ihr in die Augen.Ja, mein ganzes Glück bist Du geworden. Im Leben haben mich diese kleinen Hände fest- gehalten." Muttchen, warunt Du bloß nicht mitkommst!" klagt die Kleine. Laß man, Kind," meint die Großmutter mit leichtem Vor- Wurf im Ton.Andere Menschen steuen sich auf den Frühling und möchten raus in ihn. Sie verkriecht sich dann erst recht. Das is nu schon so lange, als* und sie schweigt und legt das Ab- gezählte in den Karton. Sei vorsichtig, mein Liebling, nicht wild, folgsam und artig!" Weiß doch schon!" nickt Erna altklug. In der offenen Tür dreht sie sich noch einmal um:Wie sie alle lustig find, frisch und froh sich regen, Amsel, Drossel. Fink und Star, und die ganze Vogelschar," fingt sie mit einem dünnen, klaren Stimmchen. Dann huscht sie wieder zurück, herzt die Mutter noch- mals, und nun laufen ihre kleinen Füße eilig über den Korridor. Aber jetzt muß sie sich bücken. Was liegt da? Eine verzettelte Kornblume! Wenn das Muttchen wüßte! Die ist gewiß an Groß- mntters Kleiderrock hängen geblieben. Die Tür vorsichtig zu. daß sie ordentlich ins Schloß schnappt. So! Es kann doch nicht beständig wer hinter ihr sein; die haben viel zu tnn. immer sitzen und Blumen machen. Sie schiebt den Draht der Kornblume zwischen die Lippen und springt die Treppe hinab. Auf dem ersten Absatz steht sie still und guckt. Am Fenster lehnt ein hochaufgeschossener Junge. Die blaugrünen und rotgelbcn Glasscheiben werden vom Sonnenlicht durchspielt und all die bunten Farben sind über ihn gestteut. Auch auf dem schlaffen linken Aermel seiner Jacke, in dem der Arm fehlt. Sie hat das neulich schon einmal gesehen, als sie an ihm vorbei kam, wie heute. Er wohnt just unter ihnen in der Hinterwohnung. Großmutter hat Muttchen erzählt, da wären nun endlich anständige Leute drin. Nicht solche, wie der Schneider, der seine Frau und Kinder immer haute. Diese hier hätten bessere Zeiten gesehen. Was das bedeuten soll, weiß Erna nicht, aber der dort mit nur einem Arm das gibt ihr zu denken und jetzt zu schauen. Die Kornblume wippt zwischen den roten Lippen. Die letzten Stufen nimmt sie ganz langsam und steht wieder still. Der Junge hat durch die offene Mittelscheibe nach dem Dach geblickt; jetzt wendet er sich um und sieht sie an. Da sagte sie: Ich geh nach Halensee ! Unsre Schule macht einen Ausflug!" Es huscht über sein Geficht eine ganz schwache Röte, dann antwortet er mit leiser Stimme:Das ist aber schön!" Alle Lehrer und Lehrerinnen auch mit!" Sie schwenkt ihr Täschchen und die Kornblume fällt zu Boden. Er hebt sie auf und hält sie ihr hin.Das ist ja eine künstliche," sagt er.Aber ganz täuschend. Ich dachte schon, Kornblumen die Zeit dafür ist ja noch nicht." Woher weißt Du denn die Zeit?" fragt Erna. Die kennt man doch. Und ich, ich muß eS wissen, ich will Naturforscher werden." Sie weiß nicht, waS das ist. aber sie bewegt das Köpfchen. Was machst Du denn hier?" Ich seh' den Spatzen zu, da aus dem Telephondraht," Nach Halensee in'n Grunewald is besser!" Ganz gewiß!" Möcht'ste auch?" Er nickt mid seufzt und sieht zu Boden. Erst mit der Elektrischen", plappert Erna;denn'n weiter Spaziergang. Haste schon mal von Paulsborn und Hundekehle ge- hört?" Bin schon dagewesen!" Sie blinzelt ihn unter den langen Gimpern an.Aber heute. da is ganz besonders schön, mit der Schule doch. Großmutter wünscht sich, das könnte sie auch. Muttchen, nein, die nicht I" Sie denkt: Wie traurig muß es sein, deinen zweiten Arm zu haben. Der arme Junge! Und hinaus kann er auch nicht nach Halensee . «Morgen erzähl ich Dir," sagt sie zutunlich.Da!" sie reicht ihm die Kornblume.Weil Du'n Naturforscher bist." Und dann nimmt sie im Himinterspringen innner zwei Stufen auf einmal, denn es fällt ihr ein. sie könnte zu spät kommen. Sie sollen sich doch versammeln.Hübsch pünktlich!" hat Fräulein Lorenzen gesagt. Sie läuft über den Hof. Vor der Tür. die auf die Diele des Vorderhauses führt, guckt sie sich um. Der arme Junge mit den braunen Augen sieht gewiß hinter ihr her. Mutter hat auch solche; sie glänzen immer, als ob Tränen drin find. Die PortierSsrau sieht vom Fenster herauf.Nee, Ernachen, wat bist- fein I" Unsere Schule geht doch aus, Frau Hagen ." Denn amesier' Dir ooch jut!" Husch auf die Straße. Vorsichtiges Umblicken. DaS hat sie denen zu Hause versprochen. Ueber den Damm. Ein paar Quer- straßen. Da ist der Winterseldtplatz und die hoch in den Himmel ragende Kirche, dort sind Mädchen in bunten und weißen Kleidern. «eltere, größere und ganz kleine. Daneben Lehrer und Lehrerinnen. Von allen Seiten eilt es herbei, zu Dreien, Zweien,