Mnterhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 176. Mittwoch, den 11. September. 1907 (Nachdruck verboten.) b2Z Die JVIuttcr. Roman von Maxim Gorki . Deutsch von Adolf Hefc. ..Was ist denn noch mehr nötig?" sagte die Mutter nach- denklich...Wenn die Menschen sich zu Tausenden Tag für Tag mit Arbeit umbringen, damit die Herren das Geld zum Spaß ausstreuen... ist das nicht genug?..." Langweilig, ihn anzuhören!" sagte Kgnaty leise.Wer das auch nur einmal gehört hat. vergißt es nicht wieder... er aber redet stets ein und dasselbe!" In dieser einen Geschichte steckt sein ganzes Leben!" bemerkte Rybin finster.Und... das Leben vieler! Ich habe seine Geschichte zehnmal gehört... aber trotzdem bis- »veilen gezweifelt. Es kommen milde Stunden, wo man an die Gemeinheit der Menschen, ihren Wahnsinn nicht glauben will... wo einem alle leid tun, Reiche wie Arme... In solchen Stunden hat sich auch der Reiche nur geirrt! Der eine ist blind vor Hunger, der andere wegen des Goldes. ... Ach, Menschen, denkt man. ach. Freunde! Besinnt Euch, denkt ehrlich nach, laßt Euch Eure Bequemlichkeit nicht leid tun!" Der Kranke schwankte, öffnete die Augen und legte sich auf den Boden. Jakob stand geräuschlos auf, trat in die Hütte, holte einen Halbpelz, bedeckte seinen Vetter damit und setzte sich wieder neben Sophie. Das lustige rote Feuergesicht beleuchtete listig lächelnd die dunklen Gestalten ringsum, und die Menschenstimmen flössen nachdenklich in das leise Knistern und Rauschen der Flamme. Sophie erzählte vom Kampf des Volkes um sein Recht auf das Leben, von den früheren deutschen Bauernkriegen, vom Unglück der Jrländer, von den Heldentaten der fran- zösischen Arbeiter in den häufigen Kämpfen um die Freiheit. In dem in nächtlichen Samt gekleideten Walde, auf dem kleinen, von stummen Bäumen umgebenen, von einem dunklen Himmel bedeckten Platz vor dem spielenden Feuer- gesicht, im Kreise feindseliger, erstaunter Schatten erschienen alle Begebenheiten wieder, die die Welt der Satten und sinnlos Gierigen erschüttert hatten, zogen nacheinander die verschiedenen Völker der Erde, die ihr Blut vergossen und in Kämpfen müde geworden waren, vorüber und tauchten die Namen der Kämpfer für Freiheit und Recht wieder auf. Leise klang die dumpfe Stimme des Weibes. Wie ein Wesen aus der Vergangenheit erweckte sie Hoffnungen und flößte Zuversicht ein, und die Menschen hörten schweigend ihre Musik, die große Kunde von Brüdern im Geiste. Sie blickten in das hagere und blasse Gesicht des Weibes, er- widerten das Lächeln ihrer grauen Augen, und vor ihnen leuchtete immre heller das heilige Werk aller Völker, der nie endende Kampf um Freiheit und Gleichheit. Der Mensch sah das Ziel seiner Wünsche und Gedanken in der fernen, durch einen dunklen, blutigen Vorhang verhängten Ver- gangenheit, inmitten unbekannter Angehöriger anderer Stämnie, und Verstand und Herz vereinigten sich mit der Welt, in der er Freunde erblickte, die schon längst seine Ge- sinnungsgenossen, und fest entschlossen waren, auf Erden die Wahrheit zu erreichen, die ihren Entschluß durch unzählige Leiden besiegelt und Ströme von Blut vergossen hatten, um ihr zum Siege zu verhelfen, und zu einem neuen, freudigen und hellen Leben zu gelangen... So entstand und wuchs das Gefühl geistiger Verwandtschaft mit allen, ein neues Herz der Welt wurde geboren, ein Herz voll eifrigen Be- strebens, alles zu verstehen, alles in sich zu vereinigen. Der Tag wird kommen, wo die Arbeiter aller Länder die 5iöpfe erheben und bestimmt sagen werden: Genug! Wir wollen dieses Leben nicht länger!" klang Sophies Stimme überzeugt.Dann wird die eingebildete Macht der durch ihre Begierden Starken zusammenbrechen, die Erde wird unter ihren Füßen weichen, und sie werden nichts haben, worauf sie sich stützen könnten..." So wird es kommen!" sagte Rybin, den Kopf senkend. Schont Euch nicht, und Ihr bezwingt alles!" Die Mutter hörte mit hochgeschobenen Brauen lächelnd zu, und ihr Gesicht zeigte freudiges Erstaunen. Sie sah, daß alles Scharfe, Laute. Ungebundene, alles Ueberflüssige jetzt bei Sophie verschwunden, in dem heißen, gleichmäßigen Strom ihrer Erzählung ertrunken war. Ihr gefiel die stille Nacht, das Spiel des Feuers, das Gesicht Sophies, aber am meisten die gespannte Aufmerksamkeit der Bauern. Sie saßen unbeweglich da, voll Besorgnis, den hellen Faden, der sie mit der Welt verband, zu zerreißen. Nur bisweilen legte jemand behutsam Holz ins Feuer, und wenn vom Scheiter» Haufen Funken und Rauch aufstiegen, verscheuchte sie der Bursche von den Frauen. Einmal stand Jakob auf und bat leise: Wart' etwas mit dem Erzählen..." Er lief in die Hütte, holte Kleidungsstücke und hüllte mit Jgnaty zusammen den Frauen schweigend Füße und Schultern ein. Und wieder sprach Sophie und schilderte den Tag des Sieges, flößte den Leuten Glauben an ihre Kraft ein. er- weckte in ihnen das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit mit allen, die wie sie, ihr Leben der unfruchtbaren Arbeit zum dummen Zeitvertreib der Uebersättigten widmeten. Die Worte erregten die Mutter nicht. Aber das durch Sophies Rede erweckte, alle erfüllende große Gefühl zog auch in ihr Inneres ein und erfüllte es mit Dankbarkeit gegen die Leute, die unter Gefahren den durch Ketten der Arbeit fest- geschmiedeten Brüdern die Gaben einer redlichen Vernunft, Gaben der Liebe zur Wahrheit brachten. Hilf Gott..." dachte sie, die Augen schließend. Als es dämmerte, schwieg Sophie müde und blickte lächelnd in die nachdenklichen, hellen Gesichter ringsum. Es ist Zeit, daß wir gehen!" sagte die Mutter. Ja, es ist Zeit!" erwiderte Sophie müde. Einer von den Burschen seufzte laut. Schade, daß Ihr geht!" sagte Rybin ungewöhnlich weich. Ihr sprecht gut... und es ist etwas Großes darum, die Menschen miteinander verwandt zu machen! Wenn wir wissen, daß Millionen dasselbe wollen, wie wir... werden die Herzen besser... Und in der Güte liegt große Kraft!" Du kominst mit Liebe und holst Dir Hiebe!" sagte Jefim mit leisem Lächeln und sprang schnell auf.Ist Zeit, daß sie gehen, Onkel Michailo, ehe jemand sie sieht... Wenn wir die Bücher unter das Volk verteilen, wird die Obrigkeit suchen, woher sie gekommen sind. Dann fällt jemand ein es waren die Pilgerinnen da..." Nun, ich danke Dir, Mutter, für Deine Bemühungen!" sagte Rybin, Jefim unterbrechend.Ich denke immer an Pawel, wenn ich Dich ansehe... Du bist gut gefahren!" Ein mildes Lächeln glitt über sein breites Gesicht. Es war frisch draußen, aber er stand ohne Rock und mit ent» blößter Brust da. Die Mutter betrachtete seine große Gestalt und riet ihm freundlich: Solltest etwas anziehen, es ist kalt!" Bin von innen warm!" antwortete er. Die drei Burschen standen am Scheiterhaufen und unterhielten sich leise, zu ihren Füßen aber lag der mit Halbpelzen bedeckte Kranke. Der Himmel wurde blaß, die Schatten schwanden dahin, und die Blätter zitterten in Erwartung der Sonne. Nun. lebt wohl!" sagte Rybin, Sophie die Hand drückend.Wie kann man Euch in der Stadt finden?" Such' mich nur auf!" sagte die Mutter. Die Burschen gingen langsam, dicht nebeneinander, zu Sophie und drückten ihr plump-freundlich und schweigend die Hand. In jedem war Dankbarkeit und Zufriedenheit zu erkennen, und dieses ihnen wahrscheinlich unbekannte Gefühl inachte sie verwirrt. Mit den von der schlaflosen Nacht trockenen Augen blickten sie schweigend in Sophies Gesicht und traten von einem Fuß auf den anderen. Trinkt Ihr nicht etwas Milch vor der Reise?" fragte Jakob. Ist denn noch was da?" meinte Jefim. Etwas ist noch da..." Aber Jgnaty strich verwirrt sein Haar zurecht und er- klärte: Nein, ich habe sie fortgegossen." Und alle drei lachten. Sie sprachen von der Milch, aber die Mutter fühlte, daß sie an etwas anderes dachten und Sophie und ihr selbst