nicht Wenig Verschiedenheiten der feineren oder gröberen Mache, vom eigentlichen Kunstlied, dem mehrstimmigen„Madrigal " an zu der etwas bequemeren„Frottola " und von da bis hinab zu den einfachsten Volksliedern. Das war in Italien die„Billanella", in Frankreich die„Vaudeville": beide in ihrem Namen auf die Stadt oder auf die Stratze hinwel.end; mustergebend auch für deutsche Komponisten. So ging es lange Zeiten hindurch. Als dann das moderne Theaterspicl sich entfaltete, fanden derlei Lieder mit ihrem meist etwas satirischen Refrain Eingang in leichte Theaterstücke. Und daher erhielten auch solche Stücke selbst den Namen„Baude- ville", entsprechend dem deutschen„Singspiel". Das sind also keine aus dem Geiste der Mnsik geborenen Werke, sondern ausgesprochene Schauspiele, nur eben nlit musikalischer Einlage oder Auflage, und zwar gerade einer solchen, die dem Publikum durch. Anspielungen mannigfacher Art entgegenkam. Der einfachste Rest solcher Ein- lagen»st schließlich unser„Couplet ". Auf die Coupletposse kommt vieles hinaus, das sich gern unler einem scineren Namen geben mochte Dies gilt auch von dem „Vaudeville ", das unter dem Titel„Unsere blauem Hungens" am Sonnabend im Zentral-Theater zum erstß Male aufgeführt worden ist. Wiederum bedarf der Inhalt des Stückes keiner langen Wiedererzählung. Ein lebenslustiger Onkel besucht Neffe und Nichte; da aber der Neffe nicht die vom Onkel gewünschte Lausbahn der Marine eingeschlagen hat, so verkleidet {ich die Nichte als seemännischer Neffe uno führt die Verwickelungen olange durch, bis endlich in bekannter Weise die gesamte Sippe sich auf der Bühne zusammenfindet und da? Schlußlied singt. Immer wieder müssen wir bedauern, daß die im ganzen tüchtigen und tüchtig zusammengehaltenen Kräfte des Zentral- TheaterS zu nichts besserem verwendet werden.„Wir find keine Mucker, wir sind keine Prasser, In Kampf und Liebe sind wir {amoS, Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser"— in dieser Sing- angweise hält sich ungefähr die ganze Flottenvorlage. Indessen gab es auch gar nicht undankbare Gesangspartien; und wollten wir die einzelnen Leistungen in Sang und Spiel kritisch abwägen, so würden wir nicht sobald zu End« kommen. Kurz: im ganzen gutl Gesangsaufgabcn zu stellen, ist Sache eines Komponisten, der über das Unterste hinaus sein muß. Heinrich Schumacher hat hier, wie angedeutet, einen recht niedrigen Dienst leisten müssen; und an ältesten Sentimentalitäten u. dergl. fehlt cS nicht. Doch Spuren von einer Idealisierung des Couplets, von stimmungsvoller Verwendung der Klangsarben u. dergl. finden sich immerhin. Der verstorbene alte Hellmeöberger in Wien würde allerdings auch hier «inen Witz losgelassen haben, wie etwa den über Jgnaz Brüll, der für ihn ein„nazionalcs Talent" fein„Nazi ohn alles Talen»") war. Möge diese Erinnerung unS nicht in den Verdacht bringen, daß wir den am 17. September verstorbenen Komponisten Jgnaz Brüll(geb. 7. November 184Ü) einzig von dieser Seite nehmen! Er hat Vielen eine Freud« besserer Art gemacht. Neben seiner Be- dcutung als Komponist leichterer Opern darf auch der Bedeutung nicht vergessen werden, die er als Komponist. Lehrer und Spieler des KlamerS hatte. Wie oft bekommen wir Kritiker den Vorwurf, daß wir uns in einer grundsätzlich ganz verfehlten Weise nur immer an das Berühmteste oder Bedeutendste halten! Das sollen und wollen wir allerdings nicht. Doch der Raum ist kurz wie die Ge- duld eines beschäftigten LeserS; und so scheiden wir Venn von den beiden hier erwähnten Komponisten mit dem Wunsche:„Bald wieder'mal I" Astronomisches. MarS und kein Ende. Einen kräftigen Protest, der fcxn Weifall vieler Fachgenossen finden wird, legt Professor Strahl aus Hof in der„Zcntralzeiwng für Optik" gegen den Unfug ein. der jetzt mit dem Planeten Mar» getrieben wird. Die Nachrichten namentlich, die über die Beobachtungen des amerikanischen Astro» nomen Lowell und über ihre Tragweite in alle Welt hinausgetragen werde», sind sehr dazu geeignet, Verwirrung in den Köpfen der Laien anzurichten. ES handelt sich immer wieder um die Frage der Marskanäle und ihrer Deutung als künstliche Anlagen Vernunft- begabter Marsbewohner. Hier stehen, wie schon oft genug betont worden ist, zwei Gruppen von Astronomen einander scharf gegen- über, deren eine das Vorhandensein der Marskanäle überhaupt leugnet. Die andere Partei, an ihrer Spitze Percival Lolvell, glaubt einen entscheidenden Trumpf mit der Tatsache auszuspielen, daß sogar die photographische Aufnahme der MarSkanäle gelungen ist, und gegen die Beweiskraft dieser Tatsache richtet sich gerade die Kritik von Professor Strahl, von der wir im Interesse der endlichen Aufklärung einige Sätze wiedergeben wollen:„ES ist recht naiv zu glauben, weil eS die photographische Platte zeigt, sei eS richtig. Ebenso wie eS streng bewiesen ist, daß bei der mikroskopischen Photo- graphie der Diatomeen optische Täuschungen notwendig geworden sind, ist daS gleiche bezüglich des Mars mathematisch-physikalisch streng bewiesen. Der Mars hat kein Reservatrecht und kann keine Ausnahme machen, er muß sich den allgemein gültigen Abbildungs- gesehen fügen. Niemand fällt es ein zu leugnen, daß dem auf dem Mars gesehenen und photographiertcn Detail einfache und doppelte Kanäle, Inseln und Seen mit doppelten Ilmrissen zugrunde liegen können; hingegen leugnen wir BeugungStheoretiker, daß diese wunderbaren Gebilde zugrunde liegen müssen, d. h. daß daS wahre Detail unter allen Umständen so sei, wie man eS steht und photographiert. ES ist bedauerlich und rächt sich bitter, daß so ,. I I'rf II.'.......... verantwortl. Redakteur: Hans Web«. Berlin.— Druck u. Verlag: viele, die sich mit Astronomie beschäftigen, tzl bttschmöbÄ beugungstheoretische Optik gründlich zu studiere�' Ans de« Pfianzeulebe». Pflanzenbewegungen. ES ist noch nicht lange her; seit die Kinder in der Schule, und zwar in ollen Schulen, den Untbr- schied der drei Naturreiche folgendermaßen zu lernen bekamen: die Steine wachsen, die Pflanzen wachsen und leben» die Tiere wachsen, leben und bewegen sich. Hoffentlich gibt e» beute keinen Lehrer mehr, der seinen Schülern diesen Satz auftischt, denn nach der heutigen Naturwissenschast läßt sich etwas Verkehrteres eigentlich kauni denken. Weder wird man heute den Steinen und zum wenigsten den Kristallen eine Form deS Lebens absprechen, noch wird man gar eine Bewegungsfähigkeit der Pflanzen leugnen. Jene Art der Unterscheidung zwischen den drei Naturreichen, die übrigen? auch noch durch Uebergänge miteinander verbunden find, ist also gänzlich veraltet. Daß die Pflanzen Eigenbewegungen ausführen, ist durch das Studium der sogenannten Sensitiven, deren be« kanntestcr Vertreter die Mimose ist. unwiderleglich bewiesen, und noch deutlicher und merkwürdiger wird diese Erscheinung bei den fleischfressenden Pflanzen. ES gibt aber noch eine große Gruppe von Gewächsen, an denen sich der Mensch bei einiger Geduld auf» einfachste von dem Vorhandensein einer eigenwilligen Bewegung überzeugen kann, daS sind sämtliche Rankenpflanzen. Wenn �jn Epheu oder ein wilder Wein oder eine Winde usw. sich um einen Pfechl in die Höhe rankt, so wird daS lediglich al» eine Folge deS Wachstums betrachtet, aber wachsen ist selbstverständlich auch Be- wcgvng. Außerdem kann aber die Eigenart der Kletterpflanzen nick besser veranschaulicht werden. Wenn jemand sich die Zeit dazu nimmt, lange genug seine Hand in die Nähe der Triebe einer solckien Pflanze zu halten, so kann er beobachten, daß sich die Enden der Ranken nach' der Hand hin richten; er kann eS sogar erreichen, daß sie seinen Finger als Spalier benutzen Wahrscheinlich sind diese Ranken ein Sitz höherer Empfindlichkeit, wie man ja überhaupt längst von einem Geistesleben der Pflanzen gesprochen hat. ES ist nämlich anzunehmen, daß die Klettergcwächse mit ihren Ranken jeden Gegenstand, mit dem sie in Berührung kommen, erst betasten und daraufhin prüfen, ob er ihnen als weiterer Halt dienen kann. Humoristisches. — Existenzfragen.„So, nun bin ich bankrott. Soll ich nun die angebotene Stelle als Hausvater im christlichen Jungfrauen« stist annehmen? Oder soll ich ein Bordell aufmachen? Oder Pollzeiagent werden?"—„Aber mein Lieber, da« läßt sich doch alles ganz gut vereinigen." — Ein Korpsstudent, dessen Mutter einer norddeutschen adeligen Familie angehört, hat zu seinem Leidwesen einen bürgerlichen, stark schwäbisch klingenden Namen. Kürzlich dacht« er wieder einmal darüber nach und brach dann in die Klage au»:„Hm. hm! Wenn ich mir da» so überleg« I Mein alter Herr hat eigentlich die ganze Familie vermotzt l'(„SimplicisfimuS".) Notizen. — Dem Taktstock erhalten bleibt der Wiener Hofoperndirektor Mahler, der feine Wirstamkeit angeblich aufgeben wollte, well ihm die Operndirigiererei nicht behage. Nun ha« ihn der New Dorker Direktor Conried auf vier Jahre für je vier Monate engagiert. Ob das Dirigieren in New Dork eine bessere oder höhere künstlerische Tätigkeit als in Wien bedeutet? — Ernest Blum , ein bekannter französischer Schwan kdichter und Caufeur(witziger Plauderer), ist 71jährig in Paris gestorben. Seine lustigen und zuweilen an Einfällen reichen Stücke, die in» Genre der für eine Saison geschriebenen Unterhaltungen gehören, find in Deutschland weniger bekannt geworden. Mehr wurden deS BaudevilledichterS, der merst in Kompagnonschaft arbeitete. Theater« Plaudereien in seinem Journal eines Baudevillisten beachtet. Blum war ein Typus der auch in der Literatur eingerissenen weitgehenden Spezialifierung. — Die Internationale Tuberkulosekonferenz in Wien nahm eine Resolution über die Notwendigkeit der Anzeige- Pflicht bei Todesfällen und beim Wohnungswechsel, sowie die Ein» stihrung eines kombinierten Schemas von Rurbäu-Gerhardt in der Krankheitsstatistik an. — Ein Preis für Lichtstudien. Vor fast 50 Jahren hat ein wohlhabender Mann in Boston dem dortigen Franklin» mstiwt tausend Dollar übergeben, die als Belohnung für den ex- perimentellen Nachweis dienen sollten, daß da» Licht und andere Strahlen fich mit gleicher Geschwindigkeit fortpflanzen. DaS Journal deS genannten Instituts teilt nun mit. daß dieser Preis nun endlich zur Verleihung gekoininen ist und zwar an Dr. Hehl. Dieser Forscher hat an Photographien des veränderlichen SternS Algol in blauen und ultraviolettem Licht gezeigt, daß die Gescdwiudigkeit dieser beiden Strahlungen so nahezu gleich ist, daß der Unterschied in der Dauer ihrer Fortpflanzung zwischen dem viele Millionen Meilen entfernten Stern und der Erde noch nicht einen viertel« millionsten Teil deS ganzen ausmachen kann. Vorwärts Buchdruckerei u.VerlagSanstalt Paul Singer SrEo.. Berlin SW.
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24 (24.9.1907) 185
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