hervor; sie schüttelten sich zu jeder Zeit, als ob sie nicht ausae- schlafen wären und deshalb froren; ja sie taten'S auch, wenn sie Eerade von ihrem letzten Nickerchen kamen. Sie krochen nur so der die Erde hin, so matt und schlaftrunken waren sie. Selbst im Stehen begannen sie mit den zusammengekniffenen Aeuglein zu blinzeln; wenn man sie anredete, kitzelten sie sich an den Armen, als ob sie gerade aufgewacht wären und sich erst besinnen mühten, wo sie eigentlich waren. Während sie bei Tische sahen und ihre Mahlzeit schluckten, hätte man ihnen ruhig einen Finger in die Augen stecken können. Die Leute gingen wohl auch und pflügten und taten die übrigen Verrichtungen deL Tages; aber's war alles wie in einem langen, schweren Traum oder wenn sie der Alp drückte. Den Sommer über war der ganze Hof wie ausgestorben; da lagen die Leute rings umher im Freien und schlummerten, und liehen ihre Leiber vom Sonnenschein rösten. Dann lag der alt« Bauer in seiner vollen Länge an der Hausmauer, ein Sohn in der Ecke beim Schleifstein, ein anderer auf dem Boden eines Wagens, ein dritter, als hätte er sich nicht weiter zu schleppen vermocht, quer über der Lberschwelle der Tenntüre; und so schliefen sie. und drinnen im Hause lag die Frau mit den Töchtern und alle schliefen, obgleich ihnen haufenweise die Fliegen auf den Augen- lidern herumkrabbelten. Man sagte, dah während des Sommers die Kleidung der Oberhofleute nur auf der einen Seite ausgeblaht war, da die Faulenzer immer auf der anderen drauf lagen. Sie sahen auch anders aus als andere Menschen, weil sie nie wach waren. Der Oberhofbauer selbst hatte hinter den Ohren grohe Gewächse wie Hummerscheren, die ihm im Schlaf gewachsen waren. Auch die Frau hatte ein großes Fettgeschwulst auf der einen Backe. Das Fett dieser Menschen wanderte ja umher, während sie selbst wie tot dalagen, und setzte sich an ihnen fest, wo es wollte. Alle Söhne waren auffallend behaart, an Stellen, wo andere Leute kein Haar haben, auf der Stirn und an den Ohren. Aber das soll ja Reichtum bedeuten, wenn anders es nicht davon kommt, dah einem im Schlaf, wie ein offenes Brachfeld, das Unkraut über- wächst. Die grohen, starken Kerle boten einen wunderlichen An- blick, wenn sie sich bewegten, g. B. wenn sie die Pferde anspannen wollten: eine Stunde konnte daß dauern. Wenn eS dann getan war, hatten sie vielleicht vergessen, weshalb sie es taten und muhten wieder ausspannen und hingehen und es überschlafen. Das Kinn auf eincni Schaufelstiel, konnten sie während eines Gewitters stehend«inschlafen; sie hatten Schlupfwinkel ringS auf dem Felde, und zu dem nächstgelegenen nahmen sie ihr« Zuflucht, wenn sie schläfrig wurden. Waren nun die Oberbofleute selbst so rückständig und schwer- fällig, so war das Gut und der Bestand nicht weniger altväterifch. Die Gebäude waren von recht vorgeschichtlicher Art mit lehmver- klebten Mauern und einem fast auf die Erde reichenden Schirm- dach. Holzpflüge und derartige alte Werkzeuge, die nirgends ander« mehr verwendet wurden, hatte man hier noch im Gebrauch. In der letzten Zeit war jedoch statt der Sichel, die dem steifen Körper mit der Zeit allzuviel Beschwerden gemacht hatte, eine tüchtige Sense angeschafft worden; aber es war ein Jammer, zu sehen, welche Talente da in der Führung des neuen Mähapparates ent- faltet wurden. Wie alleö andere auf dem Hof. war auch das Vieh von einer veralteten und schlechten Art, mit kleinen, zottigen Köpfen, ohne Milchergiebigkeit, es fanden sieb auch einige im Wachstum zurückgebliebene Mähren ; die hatten oen Speichelfluh und an den Beinen alle möglichen Fehler. Den Oberhofleutcn war jedoch da? alles gut genug, denn die Lebensweise auf dem Hofe war ganz den Dingen entsprechend. Die Menschen da oben waren nicht an- spruchövoll. In dem grohen Topfe, den die Hausfrau im offenen Schornstein an einem Haken hängen hatte, kochte feiten etwas anderes als grauer Roggenbrei, jenes ewige Gericht, jenes Jahr- hunderte alte Diätetilum unserer Vorväter während eines in Armut und Knechtschaft an Ort und Stelle vertrödelten Lebens. Auf dem Oberhof war der Mehlbrii so dick und steif, dah die Hausfrau ihn an die Wände werfen konnte, wo er tatsachlich kleben blieb, die Männer knabberten dann daran— wie man«r- ftählte. Wer diesen Noggenbrci je gesehen, hätte schon begreifen können, weöhalb man auf dem Oberl)0f schläfrig war und weshalb man sich nicht nach dem morgigen Tag sehnte. Der älteste Sohn war aber doch Soldat gewesen. Wie eS ihm dabei ergangen war. das war eine ganze Geschichte. Er weinte salzige Tränen, als sie ihm bei der Bushebung das Hemd auszogen, und er war und blieb untröstlich von dem Tage an. wo er eintrat, bis man ihn heimschickte— riesenstark, wie er war— wegen unheilbarer Geistesabwesenheit und wegen Träncnübcr- laufs. Die anderen bebten, dah auch an sie die Reihe kommen könnten. Daß einzige Mal, wo die Oberhofsöhne das Lachen auf ihrer Seite gehabt hatten, war die Julgcschichte vom Vorjahr, wo sie in ihrer Geduld so lange am Ilfer standen und warteten, bis den Burschen draußen im See der Stolz eingefroren war. Das sollte pun ernsthast gerochen werden. Als die Burschen auf der anderen Seite des SeeS angelangt früh, um mit den Operationen zu beginnen. Sie kamen gerade früh, um mit den Obcrationen zu beginnen. Sie kamen gerade an einem einzelnen Häuschen vorüber, wo eine alte Wlitwe wohnte, die Maren hieß; um sich die Wartezeit zu vertreiben, gaben sie der Alten ein Konzert mit Brummkreiseln und gespaltenen Schreib- federn. Das Weib war überglücklich, dah die Jugend sich ihrer so erinnerte, und kam hinaus, um zu danken und ihrerseits„fröhliches Neujahr" zu wünschen, und die Jungen muhten dann durchaus bei ihr eintreten. ES Kar jedenfalls warm<n dem Stübchekk, SZ auf dem Tische die spangenverzierte Bibel aufgeschlagen lag«v der Brille mitten darauf. tFortfetzung folgt.) Kleines f emlleton* AuS den Erinnerungen v»n Karl Schurz . In seiner Schilderung des amerikanischen Bürgerkrieges, die im Septemberheft von Mc. Clures»Magazine " fortgesetzt wird, gelangt Karl Schurz nun zu jenen entscheidenden Wochen, in denen Ende 1863 durch die blutige Schlacht am Missionarh Ridge die Niederlage der Süd- staaten besiegelt wurde. Um die starken Befestigungen de« „Habichtsnestes" Chattanooga ziehen sich die feinolichen Armeen zusammen und Schurz kommt in nähere Berührung mit den ein» geborenen Farmern der abgelegenen Gegenden in den Berg» landen des nördlichen Alabama , nördlichen Georgien und südwest» lichen Tennessee . Er ist erstaunt über die außerordentlich« Un- kultur und Unwissenheit, die in diesen Kreisen herrscht. So findet er Aufnahme in dem HauS eines Gutsbesitzers, der ein stattliches Stück sein eigen nennt und mit seiner Frau und einer Schar von Kindern hier haust und arbeitet. Alle» ist schmutzig und ärmlich; die Kinder spielen mit Hunden und anderen Haustieren durcheinander. Die Kunst des Lesens und Schreibens war in de» ganzen Familie völlig unbekannt. Der Farmer war ein gut der- anlagter Mann, aber in einer fast unglaublichen Nacht der Un» wissenheit befangen. Von dem Lande, in dem er lebte, hatte e» nur eine sehr Ungewisse und nebelhafte Vorstellung, keine Ahnung von den Kämpfen, die um ihn herumtobten. Er fragte, was»diese Leute", nämlich die Soldaten sollten, und sein Erstaunen erreichte einen Höhepunkt, als ihm Schurz von New York erzählte, wo 700 000 Menschen zusammenlebten...Herr," rief er aus.„700 000 Menschen z»sammen in einer Stadt I Der Platz muh ja größer sein als Chattanooga." Er hatte auch etwa» vöm Atlantischen Ozean gehört, jenseits dessen weite Länder mit merkwürdigen Leuten darin liegen sollten, aber als ihm Schurz mitteilte, dah er auö einem dieser wunderlichen Länder stamme, betrachtete ihn der weltfremde Mann wie ein seltenes, fast unheimliches Wesen. In einem anderen Blockhause begrüßte den General eine stattliche. blondhaarige, blauäugige Frau mit einem Rudel flachs haariger Kinder und reichte ihm einen kühlen Trank. Sie antwortete auf seine Jjragen, dah sie 13 Kinder habe, aber als er nach ihrem Gatten fragte, wuhte sie keine Antwort. Sie hatte keinen. Und doch galt sie allgemein für eine ehrsame, hochachtbare Frau, bU für ihr Anwesen und ihre Sprößlinge rechtschaffen sorge, wie über» Haupt unter diesen Farmern in aller Unschuld eine recht stcie Auf» faffung von Ehe und Moral herrschte. Sehr überrascht war Schurz, daß die meisten dieser Farmer einen reinen angelsächsischen TypuS zeigten, nur mit schottischen und irischen Elementen vermischt... Unterdessen verbreitete sich im Heere da» Gerücht, daß G« n e r a k G r a n t den Oberbefehl über die»Militärabteilung am Missisippi" übernommen habe, und nicht lange danach begegnete Schurz den» Feldherrn, der bald die Entscheidung herbeiführen sollte, zum ersten Mal.»Ganz unerwartet war er mit General Thoma» herübergekommen, um unsere Abteilung zu inspizieren. Nicht« hatte ihn angekündigt, sondern plötzlich stand er unter nnS und kein freudiger Zuruf, leine Militär, schen Ehren begrüßten ihn unter den Soldaten, weil niemand in diesem bescheiden aussehenden Herrn den siegreichen Helden so vieler Schlachten erkannte. Absolut nichts vom General mit Orden und Federbusch, von Putz und Aufsehen war in ihm zu finden. Auf seinem Kopf saß ein ge- wöhnlicher schwarzer Filzhut; er trug den Uniformrock eine« Generalmajors, aber ohne Litzen, ohne besondere Knöpfe, er war unbewaffnet, ohne Schwert. In der Hand hatte er ein paar ganz weißer baumwollener Handschuhe, unter den Füßen Nicderschuhe, die ein paar weiße Socken sehen ließen, umsomehr, als ihm die Hofen augenscheinlich hcraufgerutscht waren. Er paffte mit Eifer eine dicke, schwarze Zigarre und blickte mit unbeweglichem Geficht recht geschäftsmäßig um sich.... Während der Vorbereitungen für die grohe Schlacht kamen viele Ueberläufer zu dem Heer der Nordstaaten und besonders auch zu dem Truppenteil» den Schurz befehligte. ES war eine ziemlich fchmutzche. abgerissene und ent- kräftete Schar, die auf den Zustand der Südarmce kein günstige« Licht warf. Auch diese Leute zeigten eine entsetzliche Unwissenheit; ohne Zögern erklärten sie sich bereit,„den Eid zu leisten", und viele waren wohl der Ansicht, dah das soviel bedeute, als wenn man ihnen etwas zu essen geben wollte, so eifrig verlangten sie danach und so enttauscht waren sie, wenn sie die Hand hochheben und schwören sollten. Von den Prinzipien, für die sie kämpften und für die so schrecklich viel Blut vergossen war, von der ganzen Kriegsführung hatten sie nur eine schwache Vorstellung. Nur das Gefühl herrschte unter ihnen, dah dieser entsetzliche Krieg von einigen wenigen angezettelt sei und nicht in ihrem Interesse geführt werde. AIS geflügeltes Wort war der Ausspruch unter ihnen vcr- breitet:»ES ist des reichen WanneS Krieg und kostet des armen ManneS Blut." Darum sahen sie auch nichts Ehrloses im Dcfer» tieren, und sie waren sonst ganz tüchtige Kämpfer..., Am 23. November endlich brach die Entscheidungsschlacht an. Eine trübe Ahnung vom nahen Tod hatte sich des Deutschen , der schon
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24 (25.9.1907) 186
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